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EuGH 09.09.2021 - C-406/20
EuGH 09.09.2021 - C-406/20 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer) - 9. September 2021 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Mehrwertsteuer – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 98 – Befugnis der Mitgliedstaaten, auf bestimmte Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen einen ermäßigten Steuersatz anzuwenden – Anhang III Nr. 7 – Eintrittsberechtigung für Vergnügungsparks und Jahrmärkte – Grundsatz der steuerlichen Neutralität – Leistungen von ortsgebundenen und ortsungebundenen Schaustellern – Vergleichbarkeit – Kontext – Sicht des Durchschnittsverbrauchers – Gerichtliches Sachverständigengutachten“
Leitsatz
In der Rechtssache C-406/20
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Köln (Deutschland) mit Entscheidung vom 25. August 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 28. August 2020, in dem Verfahren
Phantasialand
gegen
Finanzamt Brühl
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Kumin (Berichterstatter) sowie des Richters T. von Danwitz und der Richterin I. Ziemele,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
von Phantasialand, vertreten durch Steuerberater T. Ketteler-Eising und P. Peplowski,
der deutschen Regierung, vertreten durch R. Kanitz, J. Möller und S. Costanzo als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Mantl und V. Uher als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 98 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang III Nr. 7 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Unternehmen Phantasialand und dem Finanzamt Brühl (Deutschland, im Folgenden: Finanzamt) über den Umsatzsteuersatz, der auf die Eintrittsberechtigungen für den von diesem Unternehmen betriebenen Freizeitpark anzuwenden ist.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Mehrwertsteuerrichtlinie
Art. 96 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten wenden einen Mehrwertsteuer-Normalsatz an, den jeder Mitgliedstaat als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festsetzt und der für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist.“
In Art. 98 Abs. 1 und 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:
„(1) Die Mitgliedstaaten können einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden.
(2) Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar.
…“
Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie enthält das Verzeichnis der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, auf die ermäßigte Mehrwertsteuersätze gemäß Art. 98 der Richtlinie angewandt werden können. Nr. 7 dieses Anhangs umfasst folgende Dienstleistungen:
„Eintrittsberechtigung für Veranstaltungen, Theater, Zirkus, Jahrmärkte, Vergnügungsparks, Konzerte, Museen, Tierparks, Kinos und Ausstellungen sowie ähnliche kulturelle Ereignisse und Einrichtungen“.
Durchführungsverordnung Nr. 282/2011
In Art. 32 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112 (ABl. 2011, L 77, S. 1) heißt es:
„(1) Zu den Dienstleistungen betreffend die Eintrittsberechtigung zu Veranstaltungen auf dem Gebiet der Kultur, der Künste, des Sports, der Wissenschaft, des Unterrichts, der Unterhaltung oder ähnlichen Veranstaltungen im Sinne des Artikels 53 der [Mehrwertsteuerrichtlinie], gehören Dienstleistungen, deren wesentliche Merkmale darin bestehen, gegen eine Eintrittskarte oder eine Vergütung, auch in Form eines Abonnements, einer Zeitkarte oder einer regelmäßigen Gebühr, das Recht auf Eintritt zu einer Veranstaltung zu gewähren.
(2) Absatz 1 gilt insbesondere für:
das Recht auf Eintritt zu Darbietungen, Theateraufführungen, Zirkusvorstellungen, Freizeitparks, Konzerten, Ausstellungen sowie anderen ähnlichen kulturellen Veranstaltungen;
…“
Deutsches Recht
§ 12 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: UStG) bestimmt:
„Die Steuer ermäßigt sich auf 7 % für die folgenden Umsätze:
…
7. …
die Zirkusvorführungen, die Leistungen aus der Tätigkeit als Schausteller sowie die unmittelbar mit dem Betrieb der zoologischen Gärten verbundenen Umsätze …“
Nach § 30 Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung zu § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG gelten als Leistungen aus der Tätigkeit als Schausteller „Schaustellungen, Musikaufführungen, unterhaltende Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten auf Jahrmärkten, Volksfesten, Schützenfesten oder ähnlichen Veranstaltungen“.
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
Phantasialand betreibt in Deutschland einen Freizeitpark. Mit Zahlung eines Eintrittsgelds erwerben die Besucher das Recht, die Einrichtungen des Parks zu nutzen.
Mit Antrag vom 9. November 2015 auf Änderung der an sie ergangenen Umsatzsteuerfestsetzung 2014 machte Phantasialand geltend, dass die Eintrittsberechtigungen für ihren Freizeitpark nicht nach dem Umsatzsteuer-Normalsatz, sondern nach dem ermäßigten Umsatzsteuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG zu versteuern seien.
Das Finanzamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 6. Januar 2016 ab und wies den gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch mit Entscheidung vom 4. April 2017 zurück.
Phantasialand erhob daraufhin Klage beim Finanzgericht Köln (Deutschland), dem vorlegenden Gericht.
Nach Ansicht von Phantasialand verstößt es gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, dass nach der nationalen Regelung ein ermäßigter Umsatzsteuersatz auf die Umsätze ortsungebundener Schausteller anlässlich von saisonal und zeitlich begrenzten Jahrmärkten angewandt werde, während die Umsätze ortsgebundener Schausteller wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden dem normalen Umsatzsteuersatz unterlägen.
Das Finanzamt tritt diesem Standpunkt entgegen und stützt sich dabei auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs (Deutschland) vom 2. August 2018, in dem dieser entschieden habe, dass die unterschiedliche umsatzsteuerliche Behandlung von Leistungen von Schaustellern, die ein Reisegewerbe betrieben, und von Leistungen eines dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden vergleichbaren ortsgebundenen Vergnügungsparks nicht gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstoße.
Das vorlegende Gericht hat Zweifel an dieser Auslegung.
Da sich der Bundesfinanzhof insoweit u. a. auf die Aufzählung der Begriffe „Jahrmärkte“ und „Vergnügungsparks“ in Anhang III Nr. 7 der Mehrwertsteuerrichtlinie berufen habe, stellt das vorlegende Gericht zunächst fest, dass diese Aufzählung im Gegensatz zu anderen Sprachfassungen keine Entsprechung in der deutschen Fassung von Art. 32 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 finde, in der nur der Begriff „Freizeitparks“ genannt werde. Da der letztgenannte Begriff in seiner üblichen Bedeutung dauerhaft angelegte Vergnügungsparks bezeichne, seien Klarstellungen zur Definition und zur Differenzierung der Begriffe „Jahrmärkte“ und „Vergnügungsparks“ erforderlich.
Ferner habe der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 2. August 2018 ausgeführt, dass eine Gleichartigkeit der Leistungen eines ortsgebundenen Schaustellerunternehmens in Gestalt eines Freizeitparks und der Leistungen von Schaustellern, die ihr Reisegewerbe auf Jahrmärkten betrieben, wegen des unterschiedlichen Kontexts, in dem die Leistungen erbracht würden, zu verneinen sei.
Insoweit leitet das vorlegende Gericht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ab, dass als Kontext der jeweils zu vergleichenden Leistungen nur die Unterschiede im rechtlichen Rahmen und der rechtlichen Regelung zu berücksichtigen seien, denen die betreffenden Leistungen unterliegen.
Im vorliegenden Fall zeichne sich der Kontext beider Schaustellerleistungen nicht durch jeweils unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen aus. So sei sowohl Schaustellerunternehmen wie Phantasialand als auch den Schaustellern auf Jahrmärkten nicht rechtlich vorgeschrieben, ob sie Eintrittsgelder für die Nutzung sämtlicher Schaustellerleistungen oder Einzelpreise pro Schaustellerleistung berechneten. Außerdem gelte sowohl für die Fahrgeschäfte in Freizeitparks als auch auf Jahrmärkten dieselbe Sicherheitsnorm, und weder den ortsgebundenen Schaustellerunternehmen noch den ortsungebundenen Schaustellern sei gesetzlich vorgeschrieben, zu welchem Zeitpunkt im Jahr sie ihre Leistungen darzubieten hätten. Daher sei zu klären, ob die Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der Unterschiede im Kontext von Dienstleistungen eine differenzierte Besteuerung begründen könnten, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens zur Anwendung komme.
Schließlich sei unter der Voraussetzung, dass sich der Kontext zwischen den Leistungen der ortsungebundenen Schausteller auf Jahrmärkten und den Leistungen der ortsgebundenen Schaustellerunternehmen nicht unterscheide, nach Auffassung des vorlegenden Gerichts maßgeblich, welche Bedürfnisse aus der Sicht des heutigen Durchschnittsverbrauchers auf einem Jahrmarkt einerseits und in einem Freizeitpark andererseits befriedigt würden. Nach Klärung der Bedürfnisse wäre festzustellen, ob die beiden Leistungen denselben Bedürfnissen dienten und die eventuell bestehenden Unterschiede die Wahl des Durchschnittsverbrauchers beeinflussten.
Hierzu sieht sich das vorlegende Gericht nur mit Hilfe eines empirischen Sachverständigengutachtens in der Lage. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bedürfe es keiner Beweiserhebung durch empirische Untersuchungen zur Sicht des Durchschnittsverbrauchers auf zwei Leistungen in Zusammenhang mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität, weil es sich dabei lediglich um eine „gedankliche Perspektive“ handele. Daher sei die Frage, ob es berechtigt sei, über die Sicht des Durchschnittsverbrauchers Beweis zu erheben, oder ob diese Sicht lediglich eine einer Beweiserhebung nicht zugängliche gedankliche Perspektive sei, für den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheidungserheblich.
Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht Köln beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Kann die in Anhang III Nr. 7 in Verbindung mit Art. 98 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie erfolgte Benennung von Jahrmärkten und Vergnügungsparks im Sinne einer Differenzierung für eine Besteuerung eines Freizeitparks zum Regelsteuersatz herangezogen werden, obwohl die Bezeichnung „Vergnügungspark“ sowohl ortsgebundene als auch ortsungebundene Schaustellerunternehmen umfasst?
Ist die Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der der Kontext von verschiedenen Leistungen dazu führen kann, dass sie ungleichartig sind, auf die Leistungserbringung von ortsungebundenen Schaustellern und ortsgebundenen Schaustellerunternehmen in Gestalt von Freizeitparks anwendbar?
Sofern die Vorlagefrage zu 2. verneint wird:
Ist die „Sicht des Durchschnittsverbrauchers“, die entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein wesentliches Element des Grundsatzes der Neutralität der Umsatzsteuer darstellt, eine einer Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten nicht zugängliche „gedankliche Perspektive“?
Zu den Vorlagefragen
Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 98 in Verbindung mit Anhang III Nr. 7 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Leistungen von ortsungebundenen Schaustellern einerseits und ortsgebundenen Schaustelleruntenehmen in Gestalt von Freizeitparks andererseits unterschiedlichen Umsatzsteuersätzen unterliegen, nämlich einem ermäßigten Satz und dem Regelsteuersatz.
Nach Art. 96 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist auf die Lieferungen von Gegenständen und auf Dienstleistungen der gleiche Mehrwertsteuersatz anzuwenden, und zwar der von jedem Mitgliedstaat festzusetzende Mehrwertsteuer-Normalsatz. Abweichend von diesem Grundsatz können nach Art. 98 der Richtlinie ermäßigte Mehrwertsteuersätze angewandt werden. Anhang III der Richtlinie enthält ein Verzeichnis der Kategorien der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, auf die ermäßigte Mehrwertsteuersätze gemäß Art. 98 angewandt werden können (Urteil vom 9. November 2017, AZ, C-499/16, EU:C:2017:846, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Hinsichtlich der Anwendung von ermäßigten Mehrwertsteuersätzen ist es Sache der Mitgliedstaaten, sofern der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegende Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird, genauer zu bestimmen, auf welche der in den Kategorien des Anhangs III der Mehrwertsteuerrichtlinie enthaltenen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der ermäßigte Steuersatz Anwendung findet (Urteil vom 9. November 2017, AZ, C-499/16, EU:C:2017:846, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Insbesondere können die Mitgliedstaaten nach Anhang III Nr. 7 der Mehrwertsteuerrichtlinie auf die „Eintrittsberechtigung für Veranstaltungen, Theater, Zirkus, Jahrmärkte, Vergnügungsparks, Konzerte, Museen, Tierparks, Kinos und Ausstellungen sowie ähnliche kulturelle Ereignisse und Einrichtungen“ einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwenden.
Das vorlegende Gericht fragt sich insoweit, ob die Benennung von Jahrmärkten und Vergnügungsparks in Anhang III Nr. 7 der Mehrwertsteuerrichtlinie für eine Anwendung unterschiedlicher Umsatzsteuersätze auf die Leistungen von ortsgebundenen Schaustellerunternehmen wie Phantasialand einerseits und ortsungebundenen Schaustellerunternehmen andererseits herangezogen werden könne, obwohl die Bezeichnung „Vergnügungsparks“ beide Arten von Schaustellerunternehmen umfasse.
Die Mehrwertsteuerrichtlinie enthält weder eine Definition des Begriffs „Jahrmärkte“ noch des Begriffs „Vergnügungsparks“ im Sinne von Anhang III Nr. 7, und auch die Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 sieht keine Definition dieser Begriffe vor. Außerdem enthalten weder die Mehrwertsteuerrichtlinie noch die Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 insoweit einen Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten, so dass diese Begriffe autonome Begriffe des Unionsrechts darstellen, die in der gesamten Union eine einheitliche Auslegung erhalten müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Januar 2021, Finanzamt Saarbrücken, C-288/19, EU:C:2021:32, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Deshalb müssen diese Begriffe zum einen entsprechend ihrem üblichen Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch ausgelegt werden und ist zum anderen eine enge Auslegung geboten, da die Möglichkeit, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, eine Ausnahme vom Grundsatz der Anwendung des Normalsatzes darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2019, Segler-Vereinigung Cuxhaven, C-715/18, EU:C:2019:1138, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Was den üblichen Sinn der Begriffe „Vergnügungspark“ und „Jahrmarkt“ nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch anbelangt, bezeichnet der Begriff „Vergnügungspark“, wie die Kommission im Wesentlichen in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, ein erschlossenes Gelände mit verschiedenen Einrichtungen zur Entspannung und Unterhaltung, während ein „Jahrmarkt“ zwar im Allgemeinen auch mit solchen Einrichtungen ausgestattet ist, aber dadurch gekennzeichnet ist, dass er, wenn auch mit einer gewissen Regelmäßigkeit, temporär stattfindet.
Außerdem sind in Anhang III Nr. 7 der Mehrwertsteuerrichtlinie ausdrücklich sowohl „Jahrmärkte“ als auch „Vergnügungsparks“ aufgeführt, so dass zwischen diesen beiden Begriffen zu differenzieren ist.
Demnach fallen unter den Begriff „Jahrmärkte“ die Leistungen von Schaustellern auf zeitlich begrenzter Basis mit ortsungebundenen Einrichtungen, während der Begriff „Vergnügungsparks“ ortsfeste und
damit dauerhafte Schaustellertätigkeiten umfasst.
Dagegen kann der Begriff „Vergnügungsparks“ nicht dahin ausgelegt werden, dass er die Leistungen von ortsungebundenen Schaustellern umfasst, da dem Begriff „Jahrmärkte“ in diesem Fall kein eigenständiger Anwendungsbereich mehr zukäme.
Der Verweis des vorlegenden Gerichts auf Art. 32 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011, in dem den Begriffen „foires“ („Jahrmärkte“) und „parcs d’attraction“ („Vergnügungsparks“) in der deutschen Fassung dieser Bestimmung nur der Begriff „Freizeitparks“ („parcs de loisirs“) entspricht, ist insoweit unerheblich. Abgesehen davon, dass diese Bestimmung in einem anderen Kontext als dem der Anwendung ermäßigter Mehrwertsteuersätze steht, unterliegen die in Art. 32 der Durchführungsverordnung genannten Dienstleistungen nämlich zwingend denselben Vorschriften, so dass es unerheblich ist, dass in der deutschen Fassung nicht zwischen Jahrmärkten und Vergnügungsparks differenziert wird.
Demzufolge kann ein Mitgliedstaat gemäß Art. 98 in Verbindung mit Anhang III Nr. 7 der Mehrwertsteuerrichtlinie grundsätzlich einen ermäßigten Umsatzsteuersatz auf die Leistungen von ortsungebundenen Schaustellern anwenden, während er auf die Leistungen von ortsgebundenen Schaustellerunternehmen in Gestalt von Freizeitparks den Regelsatz anwendet.
Wenn sich ein Mitgliedstaat dafür entscheidet, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz selektiv auf bestimmte in Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgeführte Dienstleistungen anzuwenden, muss er jedoch, wie in Rn. 25 des vorliegenden Urteils ausgeführt, den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten (Urteil vom 27. Juni 2019, Belgisch Syndicaat van Chiropraxie u. a., C-597/17, EU:C:2019:544, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Dieser Grundsatz lässt es nicht zu, gleichartige Gegenstände oder Dienstleistungen, die miteinander in Wettbewerb stehen, hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln (Urteile vom 27. Februar 2014, Pro Med Logistik und Pongratz, C-454/12 und C-455/12, EU:C:2014:111, Rn. 52, sowie vom 27. Juni 2019, Belgisch Syndicaat van Chiropraxie u. a., C-597/17, EU:C:2019:544, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Beantwortung der Frage, ob Gegenstände oder Dienstleistungen gleichartig sind, in erster Linie auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Gegenstände oder Dienstleistungen sind gleichartig, wenn sie ähnliche Eigenschaften haben und beim Verbraucher nach einem Kriterium der Vergleichbarkeit in der Verwendung denselben Bedürfnissen dienen und wenn die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers zwischen diesen Gegenständen oder Dienstleistungen nicht erheblich beeinflussen (Urteile vom 27. Februar 2014, Pro Med Logistik und Pongratz, C-454/12 und C-455/12, EU:C:2014:111, Rn. 53 und 54, sowie vom 27. Juni 2019, Belgisch Syndicaat van Chiropraxie u. a., C-597/17, EU:C:2019:544, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Mit anderen Worten ist zu prüfen, ob die fraglichen Gegenstände oder Dienstleistungen aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers austauschbar sind. In diesem Fall könnte nämlich die Anwendung unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze die Wahl des Verbrauchers beeinflussen, was somit auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität hindeuten würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. November 2017, AZ, C-499/16, EU:C:2017:846, Rn. 33 und 34).
Im vorliegenden Fall ist die erste Voraussetzung erfüllt, die sich aus der in Rn. 38 des vorliegenden Urteils dargestellten Rechtsprechung ergibt und nach der Gegenstände oder Dienstleistungen nur dann als gleichartig angesehen werden, wenn sie ähnliche Eigenschaften haben und beim Verbraucher nach einem Kriterium der Vergleichbarkeit in der Verwendung denselben Bedürfnissen dienen. Das vorlegende Gericht weist nämlich darauf hin, dass die Leistungen auf einem Jahrmarkt einerseits und in einem Freizeitpark andererseits ähnliche Eigenschaften hätten, da der Verbraucher in beiden Fällen Schaustellerleistungen in Anspruch nehme. Außerdem kann hinsichtlich der befriedigten Bedürfnisse von einem hohen Grad an Übereinstimmung ausgegangen werden, da das vorlegende Gericht vorbehaltlich weiterer Informationen u. a. Unterhaltung und Freizeit sowie individuelles Glück, die Suche nach Abenteuer und Kontaktmöglichkeiten nennt.
Bei der Prüfung der zweiten Voraussetzung, wonach die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers zwischen diesen Gegenständen oder Dienstleistungen nicht erheblich beeinflussen, sind zum einen die Unterschiede zu berücksichtigen, die die Eigenschaften der fraglichen Gegenstände oder Dienstleistungen sowie deren Verwendung betreffen und daher mit diesen Gegenständen oder Dienstleistungen naturgemäß verbunden sind. Da der Gerichtshof entschieden hat, dass es nicht allein auf die Gegenüberstellung einzelner Leistungen ankommt, sind zum anderen auch die Unterschiede des Kontexts zu berücksichtigen, in dem die Leistungen erbracht werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2014, Pro Med Logistik und Pongratz, C-454/12 und C-455/12, EU:C:2014:111, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Als Kontext der jeweils zu vergleichenden Leistungen können nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs Unterschiede im rechtlichen Rahmen und in der rechtlichen Regelung erheblich sein, denen die betreffenden Leistungen unterliegen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 23. April 2009, TNT Post UK, C-357/07, EU:C:2009:248, Rn. 39 und 45, sowie vom 27. Februar 2014, Pro Med Logistik und Pongratz, C-454/12 und C-455/12, EU:C:2014:111, Rn. 57 bis 59). Aus dieser Rechtsprechung lässt sich jedoch nicht ableiten, dass andere als den rechtlichen Kontext betreffende Unterschiede unerheblich sind. Vielmehr ist die Berücksichtigung anderer kontextueller Unterschiede geboten, soweit sie in den Augen des Durchschnittsverbrauchers zu einer Unterscheidbarkeit im Hinblick auf die Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse führen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2014, Pro Med Logistik und Pongratz, C-454/12 und C-455/12, EU:C:2014:111, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung) und daher geeignet sind, seine Wahl zu beeinflussen.
Die Beurteilung der Gleichartigkeit oder Ungleichartigkeit der in einem Freizeitpark einerseits und auf einem Jahrmarkt andererseits dargebotenen Schaustellerleistungen ist letztlich Sache des nationalen Gerichts (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. November 2017, AZ, C-499/16, EU:C:2017:846, Rn. 31). Für diese Beurteilung kann es erheblich sein, dass im vorliegenden Fall eine der Leistungen grundsätzlich ständig verfügbar ist, während die andere nur einige Tage oder Wochen im Jahr zur Verfügung steht. Für einen Verbraucher, der die Wahl zwischen dem Besuch eines Freizeitparks oder eines Jahrmarkts hat, kann es sich nämlich als wichtig oder sogar entscheidend erweisen, dass Letzterer nur während eines begrenzten Zeitraums stattfindet.
Im Übrigen basieren Jahrmärkte, wie die deutsche Regierung geltend macht, oftmals auf einem in der Region verankerten Brauchtum, wobei das Spektrum der in seiner Gesamtheit dargebotenen Leistungen vielfältig und kulturell unterlegt ist. Als Kulturgut könnten sie einen hohen Stellenwert im gesellschaftlichen Leben genießen. Diese Faktoren könnten auch die Wahl des Durchschnittsverbrauchers beeinflussen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Außerdem weist das vorlegende Gericht zwar darauf hin, dass in Deutschland für Leistungen in einem Freizeitpark einerseits und auf einem Jahrmarkt andererseits keine unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen gälten, doch geht aus den schriftlichen Erklärungen der deutschen Regierung hervor, dass ortsungebundene und ortsgebundene Schaustellerunternehmen nicht denselben nationalen rechtlichen Rahmenbedingungen unterliegen, da mit der Genehmigung für das Abhalten eines Jahrmarkts verschiedene „Marktprivilegien“ einhergehen, die für die Dauer der Festsetzung zur Freistellung von bestimmten normalerweise geltenden rechtlichen Anforderungen wie insbesondere den Vorschriften über die Öffnungszeiten führen. Auch insoweit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob diese Unterschiede, soweit sie erwiesen sind, die Wahl des Durchschnittsverbrauchers beeinflussen.
Was im Übrigen die Frage anbelangt, ob das nationale Gericht in diesem Zusammenhang berechtigt ist, ein empirisches Sachverständigengutachten zur Sicht des Durchschnittsverbrauchers heranzuziehen, oder ob diese Sicht nur eine einer Beweiserhebung nicht zugängliche „gedankliche Perspektive“ darstellt, ist ein Gericht im Allgemeinen in der Lage, die Sicht des Durchschnittsverbrauchers aufgrund eigener Sachkunde festzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Juli 1998, Gut Springenheide und Tusky, C-210/96, EU:C:1998:369, Rn. 31 und 32, sowie vom 28. Januar 1999, Sektkellerei Kessler, C-303/97, EU:C:1999:35, Rn. 36).
Das Unionsrecht verbietet jedoch nicht, dass ein nationales Gericht, das bei dieser Beurteilung besondere Schwierigkeiten hat, hierzu nach Maßgabe des nationalen Rechts ein Sachverständigengutachten einholt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Juli 1998, Gut Springenheide und Tusky, C-210/96, EU:C:1998:369, Rn. 35 und 36, sowie vom 28. Januar 1999, Sektkellerei Kessler, C-303/97, EU:C:1999:35, Rn. 37).
Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 98 in Verbindung mit Anhang III Nr. 7 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der die Leistungen von ortsungebundenen Schaustellern einerseits und ortsgebundenen Schaustellerunternehmen in Gestalt von Freizeitparks andererseits unterschiedlichen Umsatzsteuersätzen unterliegen, nämlich einem ermäßigten Satz und dem Regelsteuersatz, sofern der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird. Das Unionsrecht verbietet nicht, dass das vorlegende Gericht, wenn es bei der Prüfung, ob der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird, besondere Schwierigkeiten hat, nach Maßgabe des nationalen Rechts ein Sachverständigengutachten einholt.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 98 in Verbindung mit Anhang III Nr. 7 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der die Leistungen von ortsungebundenen Schaustellern einerseits und ortsgebundenen Schaustellerunternehmen in Gestalt von Freizeitparks andererseits unterschiedlichen Umsatzsteuersätzen unterliegen, nämlich einem ermäßigten Satz und dem Regelsteuersatz, sofern der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird. Das Unionsrecht verbietet nicht, dass das vorlegende Gericht, wenn es bei der Prüfung, ob der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird, besondere Schwierigkeiten hat, nach Maßgabe des nationalen Rechts ein Sachverständigengutachten einholt.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch
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