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EuGH 02.09.2021 - C-718/18
EuGH 02.09.2021 - C-718/18 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer) - 2. September 2021 ( *1) - „Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt – Richtlinie 2009/72/EG – Art. 2 Nr. 21 – Art. 19 Abs. 3, 5 und 8 – Art. 37 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b – Richtlinie 2009/73/EG – Art. 2 Nr. 20 – Art. 19 Abs. 3, 5 und 8 – Art. 41 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b – Begriff ‚vertikal integriertes Unternehmen‘ – Wirksame Entflechtung des Netzbetriebs von der Erzeugung bzw. Gewinnung von Elektrizität und Erdgas sowie von der Versorgung damit – Unabhängiger Übertragungsnetzbetreiber bzw. Fernleitungsnetzbetreiber – Unabhängigkeit des Personals und der Unternehmensleitung dieses Betreibers – Karenzzeiten – Beteiligungen am Kapital des vertikal integrierten Unternehmens – Nationale Regulierungsbehörden – Unabhängigkeit – Ausschließliche Zuständigkeiten – Art. 45 AEUV – Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 15 – Recht, zu arbeiten und einen Beruf auszuüben – Art. 17 – Eigentumsrecht – Art. 52 Abs. 1 – Einschränkungen – Demokratieprinzip“
Leitsatz
In der Rechtssache C-718/18
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 16. November 2018,
Europäische Kommission, vertreten durch M. Noll-Ehlers und O. Beynet als Bevollmächtigte,
Klägerin,
gegen
Bundesrepublik Deutschland, zunächst vertreten durch J. Möller und T. Henze als Bevollmächtigte, dann durch J. Möller und S. Eisenberg als Bevollmächtigte,
Beklagte,
unterstützt durch:
Königreich Schweden, zunächst vertreten durch C. Meyer-Seitz, A. Falk, H. Shev, J. Lundberg und H. Eklinder als Bevollmächtigte, dann durch C. Meyer-Seitz, H. Shev und H. Eklinder als Bevollmächtigte,
Streithelfer,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Vierten Kammer sowie der Richter N. Piçarra (Berichterstatter), D. Šváby und S. Rodin,
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: D. Dittert, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Oktober 2020,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. Januar 2021
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch, dass sie
Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (ABl. 2009, L 211, S. 55, berichtigt im ABl. 2018, L 72, S. 42) sowie Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG (ABl. 2009, L 211, S. 94),
Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinie 2009/72 und der Richtlinie 2009/73,
Art. 19 Abs. 5 der Richtlinie 2009/72 und der Richtlinie 2009/73 sowie
Art. 37 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/72 sowie Art. 41 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/73
nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat, gegen ihre Verpflichtungen aus diesen Richtlinien verstoßen hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2009/72
In den Erwägungsgründen 1, 4, 9, 11, 12, 16, 24, 25, 33, 34 und 36 der Richtlinie 2009/72 heißt es:
Der Elektrizitätsbinnenmarkt, der seit 1999 in der [Europäischen Union] schrittweise geschaffen wird, soll allen privaten und gewerblichen Verbrauchern in der Europäischen Union eine echte Wahl ermöglichen, neue Geschäftschancen für die Unternehmen eröffnen sowie den grenzüberschreitenden Handel fördern und auf diese Weise Effizienzgewinne, wettbewerbsfähige Preise und höhere Dienstleistungsstandards bewirken und zu mehr Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit beitragen.
…
Derzeit gibt es jedoch Hindernisse für den Verkauf von Strom in der [Union] zu gleichen Bedingungen und ohne Diskriminierung oder Benachteiligung. Insbesondere gibt es noch nicht in allen Mitgliedstaaten einen nichtdiskriminierenden Netzzugang und eine gleichermaßen wirksame Regulierungsaufsicht.
…
Ohne eine wirksame Trennung des Netzbetriebs von der Erzeugung und Versorgung (‚wirksame Entflechtung‘) besteht zwangsläufig die Gefahr einer Diskriminierung nicht nur in der Ausübung des Netzgeschäfts, sondern auch in Bezug auf die Schaffung von Anreizen für vertikal integrierte Unternehmen, ausreichend in ihre Netze zu investieren.
…
Nur durch Beseitigung der für vertikal integrierte Unternehmen bestehenden Anreize, Wettbewerber in Bezug auf den Netzzugang und auf Investitionen zu diskriminieren, kann eine tatsächliche Entflechtung gewährleistet werden. Eine eigentumsrechtliche Entflechtung, die darin besteht, dass der Netzeigentümer als Netzbetreiber benannt wird und unabhängig von Versorgungs- und Erzeugungsinteressen ist, ist zweifellos ein wirksamer und stabiler Weg, um den inhärenten Interessenkonflikt zu lösen und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. … Im Rahmen der eigentumsrechtlichen Entflechtung sollten die Mitgliedstaaten daher dazu verpflichtet werden, zu gewährleisten, dass nicht ein und dieselbe(n) Person(en) die Kontrolle über ein Erzeugungs- oder Versorgungsunternehmen ausüben und gleichzeitig die Kontrolle über oder Rechte an einem Übertragungsnetzbetreiber oder einem Übertragungsnetz ausüben kann (können). Umgekehrt sollte die Kontrolle über ein Übertragungsnetz oder einen Übertragungsnetzbetreiber die Möglichkeit ausschließen, die Kontrolle über ein Erzeugungs- oder Versorgungsunternehmen oder Rechte an einem Erzeugungs- oder Versorgungsunternehmen auszuüben. Im Rahmen dieser Beschränkungen sollte ein Erzeugungs- oder Versorgungsunternehmen einen Minderheitsanteil an einem Übertragungsnetzbetreiber oder Übertragungsnetz halten dürfen.
Jedes Entflechtungssystem sollte die Interessenkonflikte zwischen Erzeugern, Lieferanten und Fernleitungs- bzw. Übertragungsnetzbetreibern wirksam lösen, um Anreize für die notwendigen Investitionen zu schaffen und den Zugang von Markteinsteigern durch einen transparenten und wirksamen Rechtsrahmen zu gewährleisten, und den nationalen Regulierungsbehörden keine zu schwerfälligen Regulierungsvorschriften auferlegen.
…
Die Einrichtung eines Netzbetreibers oder eines Übertragungsnetzbetreibers, der unabhängig von Versorgungs- und Erzeugungsinteressen ist, sollte es vertikal integrierten Unternehmen ermöglichen, Eigentümer der Vermögenswerte des Netzes zu bleiben und gleichzeitig eine wirksame Trennung der Interessen sicherzustellen, sofern dieser unabhängige Netzbetreiber oder dieser unabhängige Übertragungsnetzbetreiber sämtliche Funktionen eines Netzbetreibers wahrnimmt und sofern eine detaillierte Regulierung und umfassende Regulierungskontrollmechanismen gewährleistet sind.
…
Der Grundsatz der tatsächlichen Trennung der Netzaktivitäten von den Versorgungs- und Erzeugungsaktivitäten sollte in der gesamten [Union] sowohl für [Unions]unternehmen als auch für Nicht[unions]unternehmen gelten. Um sicherzustellen, dass die Netzaktivitäten und die Versorgungs- und Erzeugungsaktivitäten in der gesamten [Union] unabhängig voneinander bleiben, sollten die Regulierungsbehörden die Befugnis erhalten, Übertragungsnetzbetreibern, die die Entflechtungsvorschriften nicht erfüllen, eine Zertifizierung zu verweigern. …
Die Sicherheit der Energieversorgung ist ein Kernelement der öffentlichen Sicherheit und daher bereits von Natur aus direkt verbunden mit dem effizienten Funktionieren des Elektrizitätsbinnenmarktes und der Integration der isolierten Strommärkte der Mitgliedstaaten. Die Versorgung der Bürger der Union mit Elektrizität kann nur über Netze erfolgen. Funktionsfähige Strommärkte und im Besonderen Netze sowie andere mit der Stromversorgung verbundene Anlagen sind von wesentlicher Bedeutung für die öffentliche Sicherheit, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und das Wohl der Bürger der Union. Personen aus Drittländern sollte es daher nur dann gestattet sein, die Kontrolle über ein Übertragungsnetz oder einen Übertragungsnetzbetreiber auszuüben, wenn sie die innerhalb der [Union] geltenden Anforderungen einer tatsächlichen Trennung erfüllen. …
…
Die Richtlinie 2003/54/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG (ABl. 2003, L 176, S. 37)] verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Einrichtung von Regulierungsbehörden mit spezifischen Zuständigkeiten. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass die Effektivität der Regulierung vielfach aufgrund mangelnder Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden von der Regierung sowie unzureichender Befugnisse und Ermessensfreiheit eingeschränkt wird. Daher hat der Europäische Rat die Kommission auf seiner Tagung vom 8. und 9. März 2007 aufgefordert, Legislativvorschläge auszuarbeiten, die eine weitere Harmonisierung der Befugnisse und eine Stärkung der Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden vorsehen. Diese nationalen Regulierungsbehörden sollten sowohl den Elektrizitäts- als auch den Gassektor abdecken können.
Damit der Elektrizitätsbinnenmarkt ordnungsgemäß funktionieren kann, müssen die Regulierungsbehörden Entscheidungen in allen relevanten Regulierungsangelegenheiten treffen können und völlig unabhängig von anderen öffentlichen oder privaten Interessen sein. Dies steht weder einer gerichtlichen Überprüfung noch einer parlamentarischen Kontrolle nach dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten entgegen. …
…
Die nationalen Regulierungsbehörden sollten die Möglichkeit haben, die Tarife oder die Tarifberechnungsmethoden auf der Grundlage eines Vorschlags des Übertragungsnetzbetreibers oder des (der) Verteilernetzbetreiber(s) oder auf der Grundlage eines zwischen diesen Betreibern und den Netzbenutzern abgestimmten Vorschlags festzusetzen oder zu genehmigen. Dabei sollten die nationalen Regulierungsbehörden sicherstellen, dass die Tarife für die Übertragung und Verteilung nichtdiskriminierend und kostenorientiert sind und die langfristig durch dezentrale Elektrizitätserzeugung und Nachfragesteuerung vermiedenen Netzgrenzkosten berücksichtigen.“
Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie sieht in seinen Nrn. 21 und 35 vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
…
21. ‚vertikal integriertes Unternehmen‘ ein Elektrizitätsunternehmen oder eine Gruppe von Elektrizitätsunternehmen, in der ein und dieselbe(n) Person(en) berechtigt ist (sind), direkt oder indirekt Kontrolle auszuüben, wobei das betreffende Unternehmen bzw. die betreffende Gruppe von Unternehmen mindestens eine der Funktionen Übertragung oder Verteilung und mindestens eine der Funktionen Erzeugung von oder Versorgung mit Elektrizität wahrnimmt;
…
35. ‚Elektrizitätsunternehmen‘ eine natürliche oder juristische Person, die mindestens eine der Funktionen Erzeugung, Übertragung, Verteilung, Lieferung oder Kauf von Elektrizität wahrnimmt und die kommerzielle, technische und/oder wartungsbezogene Aufgaben im Zusammenhang mit diesen Funktionen erfüllt, mit Ausnahme der Endkunden.“
Art. 9 („Entflechtung der Übertragungsnetze und der Übertragungsnetzbetreiber“) der Richtlinie sieht in den Abs. 1 und 8 vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass ab 3. März 2012
jedes Unternehmen, das Eigentümer eines Übertragungsnetzes ist, als Übertragungsnetzbetreiber agiert;
ein und dieselbe(n) Person(en) weder berechtigt ist (sind),
direkt oder indirekt die Kontrolle über ein Unternehmen auszuüben, das eine der Funktionen Erzeugung oder Versorgung wahrnimmt, und direkt oder indirekt die Kontrolle über einen Übertragungsnetzbetreiber oder ein Übertragungsnetz auszuüben oder Rechte an einem Übertragungsnetzbetreiber oder einem Übertragungsnetz auszuüben, noch
direkt oder indirekt die Kontrolle über einen Übertragungsnetzbetreiber oder ein Übertragungsnetz auszuüben und direkt oder indirekt die Kontrolle über ein Unternehmen auszuüben, das eine der Funktionen Erzeugung oder Versorgung wahrnimmt, oder Rechte an einem solchen Unternehmen auszuüben;
nicht ein und dieselbe(n) Person(en) berechtigt ist (sind), Mitglieder des Aufsichtsrates, des Verwaltungsrates oder der zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organe eines Übertragungsnetzbetreibers oder eines Übertragungsnetzes zu bestellen und direkt oder indirekt die Kontrolle über ein Unternehmen auszuüben, das eine der Funktionen Erzeugung oder Versorgung wahrnimmt, oder Rechte an einem solchen Unternehmen auszuüben, und
nicht ein und dieselbe Person berechtigt ist, Mitglied des Aufsichtsrates, des Verwaltungsrates oder der zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organe sowohl eines Unternehmens, das eine der Funktionen Erzeugung oder Versorgung wahrnimmt, als auch eines Übertragungsnetzbetreibers oder eines Übertragungsnetzes zu sein.
…
(8) In den Fällen, in denen das Übertragungsnetz am 3. September 2009 einem vertikal integrierten Unternehmen gehört, kann ein Mitgliedstaat entscheiden, Absatz 1 nicht anzuwenden.
In diesem Fall muss der betreffende Mitgliedstaat entweder
einen unabhängigen Netzbetreiber gemäß Artikel 13 benennen oder
die Bestimmungen des Kapitels V [(‚Unabhängiger Übertragungsnetzbetreiber …‘)] einhalten.“
Art. 19 („Unabhängigkeit des Personals und der Unternehmensleitung des Übertragungsnetzbetreibers“) der Richtlinie bestimmt in den Abs. 3, 5 und 8:
„(3) Es dürfen in den letzten drei Jahren vor einer Ernennung von Führungskräften und/oder Mitglieder[n] der Verwaltungsorgane des Übertragungsnetzbetreibers, die diesem Absatz unterliegen, bei dem vertikal integrierten Unternehmen, einem seiner Unternehmensteile oder bei anderen Mehrheitsanteilseignern als dem Übertragungsnetzbetreiber weder direkt noch indirekt berufliche Positionen bekleidet oder berufliche Aufgaben wahrgenommen noch Interessens- oder Geschäftsbeziehungen zu ihnen unterhalten werden.
…
(5) Die Personen der Unternehmensleitung und/oder Mitglieder der Verwaltungsorgane und die Beschäftigten des Übertragungsnetzbetreibers dürfen weder direkt noch indirekt Beteiligungen an Unternehmensteilen des vertikal integrierten Unternehmens halten noch finanzielle Zuwendungen von diesen erhalten; ausgenommen hiervon sind Beteiligungen am und Zuwendungen vom Übertragungsnetzbetreiber. Ihre Vergütung darf nicht an die Tätigkeiten oder Betriebsergebnisse des vertikal integrierten Unternehmens, soweit sie nicht den Übertragungsnetzbetreiber betreffen, gebunden sein.
…
(8) Absatz 3 gilt für die Mehrheit der Angehörigen der Unternehmensleitung und/oder Mitglieder der Verwaltungsorgane des Übertragungsnetzbetreibers.
Die Angehörigen der Unternehmensleitung und/oder Mitglieder der Verwaltungsorgane des Übertragungsnetzbetreibers, für die Absatz 3 nicht gilt, dürfen in den letzten sechs Monaten vor ihrer Ernennung bei dem vertikal integrierten Unternehmen keine Führungstätigkeit oder andere einschlägige Tätigkeit ausgeübt haben.
Unterabsatz 1 dieses Absatzes und Absätze 4 bis 7 finden Anwendung auf alle Personen, die der obersten Unternehmensleitung angehören, sowie auf die ihnen unmittelbar unterstellten Personen, die mit dem Betrieb, der Wartung oder der Entwicklung des Netzes befasst sind.“
Art. 35 („Benennung und Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden“) der Richtlinie 2009/72 bestimmt in den Abs. 4 und 5:
„(4) Die Mitgliedstaaten gewährleisten die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde und gewährleisten, dass diese ihre Befugnisse unparteiisch und transparent ausübt. Hierzu stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Regulierungsbehörde bei der Wahrnehmung der ihr durch diese Richtlinie und zugehörige Rechtsvorschriften übertragenen Regulierungsaufgaben
rechtlich getrennt und funktional unabhängig von anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen ist,
und sicherstellt, dass ihr Personal und ihr Management
unabhängig von Marktinteressen handelt und
bei der Wahrnehmung der Regulierungsaufgaben keine direkten Weisungen von Regierungsstellen oder anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen einholt oder entgegennimmt. Eine etwaige enge Zusammenarbeit mit anderen zuständigen nationalen Behörden oder allgemeine politische Leitlinien der Regierung, die nicht mit den Regulierungsaufgaben und -befugnissen gemäß Artikel 37 im Zusammenhang stehen, bleiben hiervon unberührt.
(5) Zur Wahrung der Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde stellen die Mitgliedstaaten insbesondere sicher,
dass die Regulierungsbehörde unabhängig von allen politischen Stellen selbständige Entscheidungen treffen kann und ihr jedes Jahr separate Haushaltsmittel zugewiesen werden, so dass sie den zugewiesenen Haushalt eigenverantwortlich ausführen kann und über eine für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben angemessene personelle und finanzielle Ressourcenausstattung verfügt; …
…“
Art. 37 („Aufgaben und Befugnisse der Regulierungsbehörde“) dieser Richtlinie sieht in seinen Abs. 1, 6, 8, 10 und 17 vor:
„(1) Die Regulierungsbehörde hat folgende Aufgaben:
Sie ist dafür verantwortlich, anhand transparenter Kriterien die Fernleitungs- oder Verteilungstarife bzw. die entsprechenden Methoden festzulegen oder zu genehmigen;
…
(6) Den Regulierungsbehörden obliegt es, zumindest die Methoden zur Berechnung oder Festlegung folgender Bedingungen mit ausreichendem Vorlauf vor deren Inkrafttreten festzulegen oder zu genehmigen:
die Bedingungen für den Anschluss an und den Zugang zu den nationalen Netzen, einschließlich der Tarife für die Übertragung und die Verteilung oder ihrer Methoden. Diese Tarife oder Methoden sind so zu gestalten, dass die notwendigen Investitionen in die Netze so vorgenommen werden können, dass die Lebensfähigkeit der Netze gewährleistet ist[;]
die Bedingungen für die Erbringung von Ausgleichsleistungen, die möglichst wirtschaftlich sind und den Netzbenutzern geeignete Anreize bieten, die Einspeisung und Abnahme von [Elektrizität] auszugleichen. Die Ausgleichsleistungen werden auf faire und nichtdiskriminierende Weise erbracht und auf objektive Kriterien gestützt; …
…
(8) Bei der Festsetzung oder Genehmigung der Tarife oder Methoden und der Ausgleichsleistungen stellen die Regulierungsbehörden sicher, dass für die Übertragungs- und Verteilerbetreiber angemessene Anreize geschaffen werden, sowohl kurzfristig als auch langfristig die Effizienz zu steigern, die Marktintegration und die Versorgungssicherheit zu fördern und entsprechende Forschungsarbeiten zu unterstützen.
…
(10) Die Regulierungsbehörden sind befugt, falls erforderlich von Betreibern von Übertragungsnetzen und Verteilernetzen zu verlangen, die in diesem Artikel genannten Vertragsbedingungen, einschließlich der Tarife oder Methoden, zu ändern, um sicherzustellen, dass sie angemessen sind und nichtdiskriminierend angewendet werden. Verzögert sich die Festlegung von Übertragungs- und Verteilungstarifen, sind die Regulierungsbehörden befugt, vorläufig geltende Übertragungs- und Verteilungstarife oder die entsprechenden Methoden festzulegen oder zu genehmigen und über geeignete Ausgleichsmaßnahmen zu entscheiden, falls die endgültigen Übertragungs- und Verteilungstarife oder Methoden von diesen vorläufigen Tarifen oder Methoden abweichen.
…
(17) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass auf nationaler Ebene geeignete Verfahren bestehen, die einer betroffene[n] Partei das Recht geben, gegen eine Entscheidung einer Regulierungsbehörde bei einer von den beteiligen Parteien und Regierungen unabhängigen Stelle Beschwerde einzulegen.“
Die Richtlinie 2009/72 wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2021 durch die Richtlinie (EU) 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU (ABl. 2019, L 158, S. 125) aufgehoben. Sie bleibt jedoch in zeitlicher Hinsicht auf den vorliegenden Rechtsstreit anwendbar.
Richtlinie 2009/73
Die Erwägungsgründe 1, 4, 6, 8, 9, 13, 21, 22, 29, 30 und 32 der Richtlinie 2009/73 entsprechen mutatis mutandis, in Bezug auf den Erdgassektor, den oben zitierten Erwägungsgründen der Richtlinie 2009/72.
Art. 2 Nrn. 1 und 20, Art. 9 Abs. 1 und 8, Art. 19 Abs. 3, 5 und 8, Art. 39 Abs. 4 und 5 sowie Art. 41 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 6 Buchst. a und b und Abs. 8, 10 und 17 der Richtlinie 2009/73 entsprechen mutatis mutandis, in Bezug auf den Erdgassektor, den oben zitierten Bestimmungen der Richtlinie 2009/72.
Deutsches Recht
§ 3 Nr. 38 des Energiewirtschaftsgesetzes vom 7. Juli 2005 (BGBl. I S. 1970 und 3621) in der durch Art. 2 Abs. 6 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2808, 2018 I S. 472) geänderten Fassung (im Folgenden: EnWG) definiert ein „vertikal integriertes Energieversorgungsunternehmen“ als „ein in der Europäischen Union im Elektrizitäts- oder Gasbereich tätiges Unternehmen oder eine Gruppe von Elektrizitäts- oder Gasunternehmen, die im Sinne des Artikels 3 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. L 24 vom 29.1.2004, S. 1) miteinander verbunden sind, wobei das betreffende Unternehmen oder die betreffende Gruppe in der Europäischen Union im Elektrizitätsbereich mindestens eine der Funktionen Übertragung oder Verteilung und mindestens eine der Funktionen Erzeugung oder Vertrieb von Elektrizität oder im Erdgasbereich mindestens eine der Funktionen Fernleitung, Verteilung, Betrieb einer [Flüssigerdgas (LNG)]-Anlage oder Speicherung und gleichzeitig eine der Funktionen Gewinnung oder Vertrieb von Erdgas wahrnimmt“.
§ 10c („Unabhängigkeit des Personals und der Unternehmensleitung des Unabhängigen Transportnetzbetreibers“) EnWG bestimmt:
„…
(2) Die Mehrheit der Angehörigen der Unternehmensleitung des Transportnetzbetreibers darf in den letzten drei Jahren vor einer Ernennung nicht bei einem Unternehmen des vertikal integrierten Unternehmens, das im Elektrizitätsbereich eine der Funktionen Erzeugung, Verteilung, Lieferung oder Kauf von Elektrizität und im Erdgasbereich eine der Funktionen Gewinnung, Verteilung, Lieferung, Kauf, Betrieb einer LNG-Anlage oder Speicherung von Erdgas wahrnimmt oder kommerzielle, technische oder wartungsbezogene Aufgaben im Zusammenhang mit diesen Funktionen erfüllt, oder einem Mehrheitsanteilseigner dieser Unternehmen angestellt gewesen sein oder Interessen- oder Geschäftsbeziehungen zu einem dieser Unternehmen unterhalten haben. Die verbleibenden Angehörigen der Unternehmensleitung des Unabhängigen Transportnetzbetreibers dürfen in den letzten sechs Monaten vor einer Ernennung keine Aufgaben der Unternehmensleitung oder mit der Aufgabe beim Unabhängigen Transportnetzbetreiber vergleichbaren Aufgabe bei einem Unternehmen des vertikal integrierten Unternehmens, das im Elektrizitätsbereich eine der Funktionen Erzeugung, Verteilung, Lieferung oder Kauf von Elektrizität und im Erdgasbereich eine der Funktionen Gewinnung, Verteilung, Lieferung, Kauf oder Speicherung von Erdgas wahrnimmt oder kommerzielle, technische oder wartungsbezogene Aufgaben im Zusammenhang mit diesen Funktionen erfüllt, oder einem Mehrheitsanteilseigner dieser Unternehmen wahrgenommen haben. Die Sätze 1 und 2 finden auf Ernennungen, die vor dem 3. März 2012 wirksam geworden sind, keine Anwendung.
…
(4) Der Unabhängige Transportnetzbetreiber und das vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen haben zu gewährleisten, dass Personen der Unternehmensleitung und die übrigen Beschäftigten des Unabhängigen Transportnetzbetreibers nach dem 3. März 2012 keine Anteile des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens oder eines seiner Unternehmensteile erwerben, es sei denn, es handelt sich um Anteile des Unabhängigen Transportnetzbetreibers. Personen der Unternehmensleitung haben Anteile des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens oder eines seiner Unternehmensteile, die vor dem 3. März 2012 erworben wurden, bis zum 31. März 2016 zu veräußern. Der Unabhängige Transportnetzbetreiber hat zu gewährleisten, dass die Vergütung von Personen, die der Unternehmensleitung angehören, nicht vom wirtschaftlichen Erfolg, insbesondere dem Betriebsergebnis, des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens oder eines seiner Tochterunternehmen, mit Ausnahme des Unabhängigen Transportnetzbetreibers, abhängig ist.
…
(6) Absatz 2 Satz 1 sowie Absatz 3 und 5 gelten für Personen, die der obersten Unternehmensleitung unmittelbar unterstellt und für Betrieb, Wartung oder Entwicklung des Netzes verantwortlich sind, entsprechend.“
In § 24 („Regelungen zu den Netzzugangsbedingungen, Entgelten für den Netzzugang sowie zur Erbringung und Beschaffung von Ausgleichsleistungen; Verordnungsermächtigung“) EnWG heißt es:
„Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates
1. die Bedingungen für den Netzzugang einschließlich der Beschaffung und Erbringung von Ausgleichsleistungen oder Methoden zur Bestimmung dieser Bedingungen sowie Methoden zur Bestimmung der Entgelte für den Netzzugang … festzulegen, …
2. zu regeln, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen die Regulierungsbehörde diese Bedingungen oder Methoden festlegen oder auf Antrag des Netzbetreibers genehmigen kann,
3. zu regeln, in welchen Sonderfällen der Netznutzung und unter welchen Voraussetzungen die Regulierungsbehörde im Einzelfall individuelle Entgelte für den Netzzugang genehmigen oder untersagen kann …“
Vorverfahren
Am 20. Mai 2014 richtete die Kommission im Rahmen einer von Amts wegen eingeleiteten Untersuchung, mit der geprüft werden sollte, ob es bei der Umsetzung der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 in deutsches Recht zu Unvereinbarkeiten mit dem Unionsrecht gekommen war, eine Reihe von Fragen zur Umsetzung dieser Richtlinien an die Bundesrepublik Deutschland. Die deutschen Behörden beantworteten diese Fragen mit Schreiben vom 12. September 2014.
Da die Kommission der Auffassung war, dass das nationale Recht in mehrfacher Hinsicht nicht mit den Richtlinien im Einklang stehe, übermittelte sie am 27. Februar 2015 im Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2285 ein Aufforderungsschreiben an die Bundesrepublik Deutschland, auf das diese mit Schreiben vom 24. Juni 2015 antwortete.
Am 29. April 2016 sandte die Kommission der Bundesrepublik Deutschland eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie an ihrem Standpunkt festhielt, dass bestimmte Vorschriften des deutschen Rechts nicht mit den Richtlinien 2009/72 und 2009/73 vereinbar seien. Die Bundesrepublik Deutschland antwortete mit Schreiben vom 29. August 2016, dass Gesetzesänderungen in Bezug auf bestimmte in der mit Gründen versehenen Stellungnahme erhobene Rügen im Gange seien, und übermittelte am 19. September 2017 die am 22. Juli 2017 in Kraft getretene Fassung des EnWG.
Da die Kommission der Auffassung ist, dass die von der Bundesrepublik Deutschland erlassenen Rechtsvorschriften nach wie vor nicht den Richtlinien 2009/72 und 2009/73 entsprächen, hat sie die vorliegende Klage erhoben.
Zur Klage
Die Kommission stützt ihre Klage auf vier Rügen, mit denen sie jeweils beanstandet, dass die Bundesrepublik Deutschland die Richtlinien 2009/72 und 2009/73 im EnWG nicht ordnungsgemäß umgesetzt habe.
Zur ersten Rüge: Verkennung von Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 und Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73
Vorbringen der Parteien
Mit dieser Rüge wirft die Kommission der Bundesrepublik Deutschland vor, sie habe den Begriff „vertikal integriertes Unternehmen“ (im Folgenden: VIU) im Sinne von Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 und Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73 nicht ordnungsgemäß in ihr innerstaatliches Recht umgesetzt, da die in § 3 Nr. 38 EnWG enthaltene Definition dieses Begriffs auf Unternehmen beschränkt sei, die in der Union tätig seien.
Die im EnWG vorgenommene Beschränkung des geografischen Geltungsbereichs des Begriffs „VIU“ stehe im Widerspruch sowohl zum Wortlaut von Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 und Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73 als auch zu Sinn und Zweck der in diesen Richtlinien vorgesehenen Regeln über die wirksame Entflechtung der Übertragungs- bzw. Fernleitungsnetze (im Folgenden zusammenfassend: Übertragungsnetze) für Elektrizität und Erdgas einerseits und der Erzeugung bzw. Gewinnung (im Folgenden zusammenfassend: Erzeugung) dieser Energieprodukte sowie der Versorgung mit ihnen andererseits.
Hätte der Unionsgesetzgeber die Begriffsbestimmung des „VIU“ auf Tätigkeiten innerhalb der Union beschränken wollen, hätte er dies explizit angegeben, wie er es in anderen Bestimmungen der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 getan habe. Dieses Verständnis werde durch den 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/72 und den 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/73 bestätigt, worin auf den allgemeinen Grundsatz hingewiesen werde, dass Unternehmen, die außerhalb der Union angesiedelt seien, dem Unionsrecht unterworfen seien, wenn sie innerhalb der Union tätig würden.
Des Weiteren könnten die Interessenkonflikte zwischen Übertragungs- bzw. Fernleitungsnetzbetreibern (im Folgenden zusammenfassend: Übertragungsnetzbetreiber) auf der einen und Erzeugern oder Lieferanten auf der anderen Seite, die mit den genannten Entflechtungsregeln vermieden werden sollten, indem vorgeschrieben werde, dass die Netzbetreiber die Zertifizierung nur erhielten, wenn sie die jeweiligen Netze unabhängig und diskriminierungsfrei betrieben, sowohl dann eintreten, wenn die unter die Begriffsbestimmungen des „VIU“ fallenden Tätigkeiten innerhalb der Union stattfänden, als auch dann, wenn sie außerhalb der Union stattfänden.
Die Einbeziehung außereuropäischer Tätigkeiten in den Anwendungsbereich des Begriffs „VIU“ bedeute nicht, dass außereuropäische Unternehmen zu unmittelbaren Adressaten von Rechten und Pflichten gemäß europäischem Recht würden, und weite nicht die Jurisdiktion der Union aus. Vielmehr seien die Übertragungsnetzbetreiber, die den Vorschriften über die wirksame Entflechtung unterlägen, stets in der Union tätig. Die Einbeziehung außerhalb der Union ausgeübter Tätigkeiten in die Definition des Begriffs „VIU“ ermögliche es, die Auswirkungen dieser Tätigkeiten in der Union zu bewerten. Einer solchen Auslegung stehe kein Grundsatz des Wettbewerbsrechts oder des Völkerrechts entgegen.
Die Bundesrepublik Deutschland macht erstens unter Berufung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteile vom 25. Mai 1985, Kommission/Deutschland, 29/84, EU:C:1985:229, Rn. 9, und vom 30. Juni 2016, Kommission/Polen, C-648/13, EU:C:2016:49, Rn. 73) geltend, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet seien, Richtlinien unter Übernahme ihres Wortlauts umzusetzen, solange nur ihr Rechtsgehalt beachtet werde. Die Definition des Begriffs „VIU“ in § 3 Nr. 38 EnWG verstoße nicht gegen den Wortlaut von Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 und Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73. Diese Bestimmungen träfen nämlich keine Aussage über ihren geografischen Anwendungsbereich und bedürften daher insoweit der Klarstellung bei der mitgliedstaatlichen Umsetzung.
Zweitens macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, Sinn und Zweck der in diesen Richtlinien vorgesehenen Vorschriften über die wirksame Entflechtung geböten nicht, Aktivitäten von Energieerzeugungs- oder -versorgungsunternehmen außerhalb der Union bei der Definition des Begriffs „VIU“ zu berücksichtigen. Solche Aktivitäten hätten nämlich keine qualifizierten Auswirkungen auf den diskriminierungsfreien und effizienten Betrieb von Übertragungsnetzen für Elektrizität bzw. Erdgasfernleitungen in der Union, da ein Interessenkonflikt zwischen den Betreibern dieser Netze und mit ihnen verbundenen Unternehmensteilen in den Wettbewerbsbereichen nur dann bestehe, wenn Letztere die Netze nutzen wollten, um die von ihnen erzeugten bzw. vertriebenen Energieprodukte zu transportieren. Zwar ergebe sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteil vom6. September 2017, Intel/Kommission, C-413/14 P, EU:C:2017:632, Rn. 40 ff.), dass sich mit dem Kriterium der qualifizierten Auswirkungen die Anwendung des Unionsrechts rechtfertigen lasse, wenn das fragliche Verhalten in der Union unmittelbare und wesentliche Auswirkungen habe. Diesem Kriterium werde jedoch durch die Definition in § 3 Nr. 38 EnWG ausreichend Rechnung getragen.
Drittens hätte eine Ausweitung der Definition des Begriffs „VIU“ auf außereuropäische Verhaltensweisen von außereuropäischen Unternehmen eine völkerrechtlich unzulässige Erstreckung der europäischen Regelungsbefugnis zur Folge. Solche außereuropäischen Unternehmen würden dann nämlich zu Adressaten von Rechten und Pflichten, ohne im Unionsgebiet tätig zu sein.
Viertens macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, eine Auslegung von Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 und Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73 in dem Sinne, dass der Begriff „VIU“ Tätigkeiten umfasse, die außerhalb der Union von Unternehmen aus Drittstaaten ausgeübt würden, verstoße gegen die Verpflichtung, einen Sekundärrechtsakt im Einklang mit dem Primärrecht der Union auszulegen. Da diese Richtlinien auf Art. 47 Abs. 2 sowie auf die Art. 55 und 95 des EG-Vertrags (jetzt Art. 53 Abs. 2 sowie Art. 62 und 114 AEUV) gestützt seien, müssten sie nämlich darauf abzielen, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit zu erleichtern und die Regelungen der Mitgliedstaaten zu harmonisieren, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand hätten. Diese primärrechtlichen Bestimmungen könnten aber keine geeignete Rechtsgrundlage für den Erlass von Regelungen für wirtschaftliche Betätigungen, denen Unternehmen in Drittstaaten nachgingen, darstellen.
Im Übrigen sei es, da Aktivitäten von Drittstaatsunternehmen außerhalb der Union keine Auswirkungen auf den Binnenmarkt hätten, zur Erreichung des Ziels, einen effizienten und diskriminierungsfreien Betrieb der Transportnetze in der Union zu gewährleisten, nicht gerechtfertigt, ihnen die in den Richtlinien 2009/72 und 2009/73 vorgesehenen Beschränkungen aufzuerlegen, die für den freien Kapitalverkehr im Sinne von Art. 63 AEUV sowie für die Berufsfreiheit der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter und für das Eigentumsrecht – niedergelegt in Art. 15 Abs. 1, Art. 16 und Art. 17 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) – bestünden.
Würdigung durch den Gerichtshof
Soweit die Bundesrepublik Deutschland geltend macht, dass die in § 3 Nr. 38 EnWG enthaltene Definition des Begriffs „VIU“ nicht im Widerspruch zur Definition in Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 und Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73 stehe, sondern diese präzisiere, ist die Stichhaltigkeit der von ihr vertretenen Auslegung nicht nur anhand des Wortlauts dieser Richtlinienbestimmungen, sondern auch anhand ihres Zusammenhangs und der Ziele zu prüfen, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Oktober 2017, Kamin und Grill Shop, C-289/16, EU:C:2017:758, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 ein VIU definiert wird als „ein Elektrizitätsunternehmen oder eine Gruppe von Elektrizitätsunternehmen, in der ein und dieselbe(n) Person(en) berechtigt ist (sind), direkt oder indirekt Kontrolle auszuüben, wobei das betreffende Unternehmen bzw. die betreffende Gruppe von Unternehmen mindestens eine der Funktionen Übertragung oder Verteilung und mindestens eine der Funktionen Erzeugung von oder Versorgung mit Elektrizität wahrnimmt“. Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73 definiert mit ähnlichen Worten ein VIU im Erdgassektor.
Als Erstes ist festzustellen, dass weder Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 noch Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73 auf das Recht der Mitgliedstaaten verweisen, um den Begriff „VIU“ für die Zwecke dieser Richtlinien zu definieren.
Unter diesen Umständen stellt der Begriff „VIU“ einen autonomen Begriff des Unionsrechts dar, der unter Berücksichtigung der durch den Gleichheitsgrundsatz auferlegten Erfordernisse der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten muss. Die Bedeutung dieses Begriffs kann daher nicht anhand von im Recht der Mitgliedstaaten bekannten Begriffen oder auf nationaler Ebene vorgenommenen Einstufungen ermittelt werden (vgl. entsprechend Urteil vom 9. Juli 2020, RL [Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug], C-199/19, EU:C:2020:548, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Da der Wortlaut von Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 und Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73 nichts zu dem Gebiet, in dem ein VIU seine Tätigkeit ausübt, oder zum Ort seines Sitzes aussagt, folgt daraus, dass diese Bestimmungen in Bezug auf den Begriff „VIU“ keine ausdrückliche räumliche Beschränkung vorsehen, die dahin ginge, dass dieser Begriff auf innerhalb der Union ausgeübte Tätigkeiten beschränkt wäre.
Als Zweites ist zu dem Kontext, in den sich der Begriff „VIU“ einfügt, darauf hinzuweisen, dass dieser Begriff, wie sich namentlich aus Art. 9 Abs. 1 und 8 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 im Licht des neunten Erwägungsgrundes der erstgenannten und des sechsten Erwägungsgrundes der zweitgenannten Richtlinie ergibt, Teil derjenigen Bestimmungen dieser Richtlinien ist, die eine „wirksame Entflechtung“ der Übertragungsnetze einerseits und der Strom- und Erdgaserzeugung und -versorgung andererseits gewährleisten sollen.
Als Drittes ist hinsichtlich der Ziele der in Rede stehenden Regelung darauf hinzuweisen, dass die Richtlinien 2009/72 und 2009/73 dazu dienen, den Binnenmarkt für Elektrizität und Erdgas zu verwirklichen, in dem die Gewährleistung eines nicht diskriminierenden Netzzugangs das Basiselement ist. Aus dem neunten Erwägungsgrund der erstgenannten und dem sechsten Erwägungsgrund der zweitgenannten Richtlinie geht aber hervor, dass ohne die in der vorstehenden Randnummer genannte wirksame Entflechtung die Gefahr einer Diskriminierung in Bezug auf diesen Zugang besteht. Der Ausschluss dieser Gefahr erfordert, wie sich insbesondere aus den Erwägungsgründen 11, 12 und 16 der Richtlinie 2009/72 sowie aus den Erwägungsgründen 8, 9 und 13 der Richtlinie 2009/73 ergibt, die Beseitigung jeglichen Interessenkonflikts zwischen den Erzeugern oder Lieferanten einerseits und den Betreibern von Übertragungsnetzen für Energieprodukte andererseits.
Die durch die Richtlinien 2009/72 und 2009/73 auferlegten Erfordernisse der wirksamen Entflechtung dienen somit dazu, die volle, effektive Unabhängigkeit der Übertragungsnetzbetreiber von den Tätigkeiten der Erzeugung und Versorgung zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Oktober 2017, Balgarska energiyna borsa, C-347/16, EU:C:2017:816, Rn. 34). Wie aus dem 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/72 und dem 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/73 hervorgeht, gelten diese Erfordernisse der wirksamen Entflechtung in der gesamten Union, und zwar sowohl für Unionsunternehmen als auch für Nichtunionsunternehmen.
Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass zwischen einem Übertragungsnetzbetreiber in der Union und Erzeugern oder Lieferanten von Elektrizität oder Erdgas, die Tätigkeiten in diesen Bereichen außerhalb der Union ausüben, Interessenkonflikte bestehen. Wie der Generalanwalt in Nr. 44 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist in einer Situation, in der Erdgas oder Elektrizität, das oder die von einem Unternehmen außerhalb der Union erzeugt wird, mittels eines Übertragungsnetzes, das im Eigentum desselben Unternehmens steht, in die Union befördert wird, die Gefahr offenkundig, dass beim Betrieb dieses Netzes diskriminierende Verhaltensweisen an den Tag gelegt werden, die den Transport von Energieprodukten von Wettbewerbern benachteiligen könnten.
Daraus folgt, wie auch der Generalanwalt in Nr. 45 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, dass die von der Bundesrepublik Deutschland befürwortete enge Auslegung des Begriffs „VIU“ die praktische Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 über die wirksame Entflechtung gefährdet, da sie einem VIU, das Erdgas oder Elektrizität außerhalb der Union erzeugt oder liefert, die Umgehung dieser Bestimmungen ermöglicht. Somit läuft eine solche enge Auslegung den Zielen dieser Bestimmungen insofern zuwider, als sie Situationen wie die in der vorstehenden Randnummer beschriebenen, in denen ein Interessenkonflikt bestehen kann, möglicherweise vom Anwendungsbereich des fraglichen Begriffs ausschließt, weil die Tragweite dieses Begriffs auf Tätigkeiten beschränkt wird, die innerhalb der Union ausgeübt werden.
Folglich ist der Begriff „VIU“ weit auszulegen, so dass gegebenenfalls Tätigkeiten erfasst werden können, die außerhalb des Unionsgebiets ausgeübt werden. Demnach führt die Beschränkung auf Tätigkeiten, die in der Union ausgeübt werden, zu einer ungerechtfertigten Verengung der Tragweite dieses Begriffs.
Entgegen dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland impliziert diese Feststellung keine über den Binnenmarkt hinausgehende Ausdehnung der Regelungsbefugnis der Union, die der Pflicht zuwiderliefe, einen Sekundärrechtsakt im Einklang mit dem Primärrecht – hier mit Art. 53 Abs. 2 sowie mit den Art. 62 und 114 AEUV – sowie mit dem Völkerrecht auszulegen.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 und Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73 keinen außerhalb der Union gelegenen Markt regulieren, sondern lediglich eine Definition des Begriffs „VIU“ enthalten, die die wirksame Anwendung dieser Richtlinien sicherstellt, indem sie die Umgehung bestimmter Anforderungen verhindert, die erforderlich sind, um eine wirksame Entflechtung zu gewährleisten und damit die Bedingungen für das Funktionieren der Binnenmärkte für Elektrizität und Erdgas zu verbessern.
Der Gerichtshof hat bereits hervorgehoben, dass in einen auf der Grundlage von Art. 95 EG-Vertrag (jetzt Art. 114 AEUV) erlassenen Unionsrechtsakt Bestimmungen aufgenommen werden können, die die Umgehung von Vorschriften verhindern sollen, die die Verbesserung der Bedingungen für das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Mai 2016, Philip Morris Brands u. a., C-547/14, EU:C:2016:325, Rn. 131 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im Übrigen kann sich ein VIU, das Erdgas oder Elektrizität außerhalb der Union erzeugt oder liefert, in einem Interessenkonflikt wie dem in Rn. 37 des vorliegenden Urteils beschriebenen befinden, da diskriminierende Verhaltensweisen auf dem Binnenmarkt der Union auch dann auftreten können, wenn die Erzeugung durch ein VIU außerhalb der Union erfolgt. Unter diesen Umständen ist die Zuständigkeit der Union für die Anwendung ihrer Vorschriften auf derartige Verhaltensweisen nach dem Völkerrecht nicht ausgeschlossen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. September 1988, Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, 89/85, 104/85, 114/85, 116/85, 117/85 und 125/85 bis 129/85, EU:C:1988:447, Rn. 18).
Folglich ist der ersten von der Kommission zur Stützung ihrer Klage erhobenen Rüge stattzugeben und festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch, dass sie Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 und Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73 nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat, gegen ihre Verpflichtungen aus diesen Richtlinien verstoßen hat.
Zur zweiten Rüge: Verkennung von Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73
Vorbringen der Parteien
Mit dieser Rüge wirft die Kommission der Bundesrepublik Deutschland vor, sie habe die in Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 enthaltenen Karenzvorschriften nicht ordnungsgemäß umgesetzt. Diese Vorschriften gälten für alle (direkten und indirekten) Positionen oder Aufgaben, Interessens- oder Geschäftsbeziehungen bei dem VIU, seinen Unternehmensteilen und seinen anderen Mehrheitsanteilseignern als dem Übertragungsnetzbetreiber. § 10c Abs. 2 und 6 EnWG beschränke jedoch die Anwendung dieser Vorschriften der beiden Richtlinien auf diejenigen Teile des VIU, die ihre Tätigkeiten im Energiebereich ausübten.
Ein VIU in Form einer Gruppe von Unternehmen umfasse alle juristischen Personen, die Teil der Gruppe seien, unabhängig davon, in welchem Wirtschaftszweig sie tätig seien. Dies entspreche auch dem Begriff „Unternehmen“, wie er im Wettbewerbsrecht verwendet werde, insbesondere in den Art. 101 und 102 AEUV.
Zudem widerspreche die durch § 10c Abs. 2 und 6 EnWG bewirkte Beschränkung den Zielen der in den Richtlinien 2009/72 und 2009/73 vorgesehenen Regelungen über die wirksame Entflechtung. Nach dem Modell des unabhängigen Übertragungsnetzbetreibers könne ein Netzbetreiber nämlich nur dann Teil eines VIU bleiben, wenn bestimmte strenge Voraussetzungen in Bezug auf Organisation, Leitung und Investitionen erfüllt würden, die seine effektive Unabhängigkeit vom VIU in seiner Gesamtheit garantierten.
Der Ausschluss derjenigen Teile des VIU, die nicht direkt im Energiesektor tätig seien, vom Anwendungsbereich der Karenzvorschriften würde es ermöglichen, die Vorschriften über die wirksame Entflechtung zu umgehen. Auch die nicht energiebezogenen Teile des VIU könnten von den Interessen des VIU hinsichtlich der Erzeugung und Lieferung von Elektrizität und Erdgas betroffen sein. Gerade um diese Gefahr zu vermeiden und die Unabhängigkeit der Übertragung und Verteilung von den Erzeugungs- und Versorgungsinteressen im Energiebereich zu gewährleisten, habe der Unionsgesetzgeber beschlossen, das VIU als Ganzes, einschließlich seiner nicht im Energiebereich tätigen Teile, in den Geltungsbereich von Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 einzubeziehen, und nicht nur die im Energiebereich tätigen Teile des VIU.
Die Bundesrepublik Deutschland macht geltend, die Karenzvorschriften der fraglichen Richtlinien und die entsprechenden Umsetzungsvorschriften des EnWG hätten dieselbe Tragweite. Gemäß Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 bestehe ein VIU nämlich aus verschiedenen Elektrizitätsunternehmen im Sinne von Art. 2 Nr. 35 dieser Richtlinie und nicht etwa aus Unternehmen, die in anderen Wirtschaftsbereichen tätig seien. Gleiches gelte gemäß Art. 2 Nrn. 1 und 20 der Richtlinie 2009/73 für den Erdgasbereich. Daher seien die von Art. 19 Abs. 3 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 erfassten Beschäftigten nur diejenigen, die vor ihrem Wechsel zum Transportnetzbetreiber einer energie- oder erdgasbezogenen Tätigkeit innerhalb des VIU nachgegangen seien.
Des Weiteren stehe das Abstellen auf den Energiesektor in § 10c Abs. 2 EnWG mit dem Anwendungsbereich sowie mit Sinn und Zweck der umgesetzten Richtlinien im Einklang. Es sei nämlich erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Unabhängigkeit des unabhängigen Übertragungsnetzbetreibers – dessen Errichtung nach Art. 9 Abs. 8 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 zulässig sei, wenn ein Übertragungsnetz am 3. September 2009 einem VIU gehöre – allein im Verhältnis zu den Energiesektoren dieses VIU sichergestellt werde. Zur Vermeidung von Interessenkonflikten innerhalb des Modells des unabhängigen Übertragungsnetzbetreibers reiche es daher aus, den Wechsel von Beschäftigten zwischen den verschiedenen in diesen Sektoren tätigen Unternehmensteilen zeitlich aufzuschieben.
Die sich aus den Karenzvorschriften ergebenden Beschränkungen der in Art. 45 AEUV verankerten Arbeitnehmerfreizügigkeit in Fällen, in denen die betroffenen Unternehmensteile des VIU in mehreren Mitgliedstaaten angesiedelt seien, sowie die Beschränkungen des in Art. 15 Abs. 1 der Charta verankerten Grundrechts auf freie Berufswahl in Fällen, in denen sich diese Unternehmensteile allesamt in einem einzigen Mitgliedstaat befänden, seien im Übrigen nur gerechtfertigt, wenn Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 ausschließlich auf diese Wechsel von Beschäftigten anwendbar sei.
Würdigung durch den Gerichtshof
Nach Art. 19 Abs. 3 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 „dürfen in den letzten drei Jahren vor einer Ernennung von Führungskräften [bzw. Personen der Unternehmensleitung] und/oder Mitglieder[n] der Verwaltungsorgane des Übertragungsnetzbetreibers, die diesem Absatz unterliegen, bei dem [VIU], einem seiner Unternehmensteile oder bei anderen Mehrheitsanteilseignern als dem Übertragungsnetzbetreiber weder direkt noch indirekt berufliche Positionen bekleidet oder berufliche Aufgaben wahrgenommen noch Interessens- oder Geschäftsbeziehungen zu ihnen unterhalten werden“. Gemäß Abs. 8 dieses Artikels gilt dieser Abs. 3 „für die Mehrheit der Angehörigen der Unternehmensleitung und/oder Mitglieder der Verwaltungsorgane des Übertragungsnetzbetreibers“.
Der Wortlaut von Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 enthält also keinerlei Beschränkung, die dahin ginge, dass die darin vorgesehenen Karenzzeiten allein für das Personal derjenigen Teile des VIU gelten, die im Elektrizitäts- oder Erdgasbereich tätig sind.
Der Zweck dieser Vorschriften legt seinerseits eine Auslegung in dem Sinne nahe, dass eine solche Beschränkung ausgeschlossen ist. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 61 und 62 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, besteht der Zweck dieser Vorschriften nämlich darin, eine „wirksame Entflechtung“ zu gewährleisten, was die volle, effektive Unabhängigkeit des Übertragungsnetzbetreibers gegenüber dem VIU ermöglicht, um Konflikte zwischen den Interessen zu beseitigen, die zum einen mit der Erzeugung und Lieferung von Elektrizität oder Erdgas und zum anderen mit dem Betrieb des Übertragungsnetzes zusammenhängen. Diese Entflechtung erweist sich als notwendig, um das in Art. 194 Abs. 1 AEUV genannte Funktionieren des Energiebinnenmarkts und die Sicherheit der Energieversorgung zu gewährleisten.
Wie in Rn. 35 des vorliegenden Urteils ausgeführt, soll eine solche „wirksame Entflechtung“ nämlich einen nicht diskriminierenden Netzzugang ermöglichen, der ein Basiselement eines funktionellen Energiebinnenmarkts darstellt. Zudem ergibt sich aus dem 25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/72 und dem 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/73, dass die Sicherheit der Energieversorgung von Natur aus direkt mit dem effizienten Funktionieren des Energiebinnenmarkts verbunden ist.
Daraus folgt, dass die in Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 festgelegten „Karenzzeiten“ für die Führungskräfte bzw. Personen der Unternehmensleitung und/oder die Mitglieder der Verwaltungsorgane des Übertragungsnetzbetreibers gelten, die vor ihrer Anstellung eine Tätigkeit innerhalb des VIU oder bei einem Mehrheitsanteilseigner eines der Unternehmen des VIU ausgeübt haben, auch wenn diese Tätigkeiten nicht im Energiesektor des VIU oder bei einem Mehrheitsanteilseiger eines der Unternehmen im Energiesektor des VIU ausgeübt wurden.
Es lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass eine Führungskraft bzw. Person der Unternehmensleitung und/oder ein Mitglied der Verwaltungsorgane des Übertragungsnetzbetreibers, die bzw. das vor ihrer bzw. seiner Ernennung innerhalb eines VIU in einem anderen als dem Energiesektor tätig war, durch die Tätigkeit dieses Unternehmens in den Bereichen der Erzeugung oder Lieferung von Elektrizität und Erdgas beeinflusst worden ist.
Zwar bezieht sich der Begriff „VIU“, wie er in Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72 und Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73 definiert wird, auf „Elektrizitätsunternehmen“ bzw. auf „Erdgasunternehmen“ im Sinne von Nr. 35 bzw. Nr. 1 dieser Artikel. Wie der Generalanwalt in Nr. 64 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, lassen diese Definitionen jedoch nicht den Schluss zu, dass die Teile des VIU, die nicht im Elektrizitäts- oder Erdgasbereich tätig sind, von diesem Begriff ausgenommen wären, so dass sie nicht in den Anwendungsbereich der Bestimmungen der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 betreffend die wirksame Entflechtung im Sinne von Art. 9 Abs. 8 dieser Richtlinien fallen. Eine solche enge Auslegung würde nicht nur das Ziel der Gewährleistung einer wirksamen Entflechtung gefährden, sondern auch zu einer künstlichen Aufspaltung des Unternehmens führen, die an der wirtschaftlichen Realität vorbeiginge.
Des Weiteren mag die in Rn. 56 des vorliegenden Urteils dargelegte Auslegung der Karenzvorschriften zwar, wie die Bundesrepublik Deutschland geltend macht, zu einer Beschränkung der in Art. 45 AEUV verankerten Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie zu einer Beschränkung der Ausübung des in Art. 15 Abs. 1 der Charta verankerten Grundrechts auf freie Berufswahl führen, doch ist darauf hinzuweisen, dass diese Freiheiten nicht absolut gewährleistet werden, sondern unter bestimmten Voraussetzungen eingeschränkt werden können.
Es trifft zwar zu, dass das Verbot von Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht nur für nationale Maßnahmen, sondern auch für Maßnahmen der Unionsorgane gilt (vgl. entsprechend Urteil vom 8. Dezember 2020, Polen/Parlament und Rat, C-626/18, EU:C:2020:1000, Rn. 87 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Jedoch müssen die vom Unionsgesetzgeber auf der Grundlage von Art. 53 AEUV in Verbindung mit Art. 62 AEUV erlassenen Koordinierungsmaßnahmen nicht nur zum Ziel haben, die Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs zu erleichtern, sondern gegebenenfalls auch, den Schutz anderer grundlegender Interessen zu gewährleisten, die diese Freiheit beeinträchtigen kann (Urteil vom 8. Dezember 2020, Polen/Parlament und Rat, C-626/18, EU:C:2020:1000, Rn. 53 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
So kann eine Maßnahme, die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer beschränkt, zulässig sein, wenn mit ihr eines der im AEU-Vertrag genannten legitimen Ziele verfolgt wird oder wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Darüber hinaus muss die Maßnahme in einem derartigen Fall geeignet sein, die Verwirklichung des in Rede stehenden Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zu seiner Erreichung erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. April 2020, Land Niedersachsen [Einschlägige Vordienstzeiten], C-710/18, EU:C:2020:299, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im Übrigen kann, wie sich aus Art. 52 Abs. 1 der Charta ergibt, die Ausübung des Rechts auf freie Berufswahl Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen entsprechen und keinen im Hinblick auf diese Ziele unverhältnismäßigen und untragbaren Eingriff darstellen, der das so gewährleistete Recht in seinem Wesensgehalt antastet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2012, Deutsches Weintor, C-544/10, EU:C:2012:526, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall wird, wie in den Rn. 54 und 55 des vorliegenden Urteils ausgeführt, mit den in Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 vorgesehenen Karenzregeln das dem Gemeinwohl dienende Ziel verfolgt, eine „wirksame Entflechtung“ zu gewährleisten.
Die Karenzregeln sind zur Erreichung dieses Ziels geeignet, da sie durch die Festlegung von Zeiträumen, in denen Personen, die auf Führungs- oder Leitungspositionen beim unabhängigen Übertragungsnetzbetreiber berufen werden sollen, bei dem VIU, einem seiner Unternehmensteile oder bei anderen Mehrheitsanteilseignern als dem Übertragungsnetzbetreiber weder direkt noch indirekt berufliche Positionen bekleiden oder berufliche Aufgaben wahrnehmen noch Interessens- oder Geschäftsbeziehungen zu ihnen unterhalten dürfen, die Zugang zu Informationen eröffnen würden, die diese Personen in Ausübung einer leitenden Position im VIU erhielten, die Unabhängigkeit dieses Netzbetreibers von den Strukturen der Erzeugung und Lieferung von Energieprodukten gewährleisten.
Im Übrigen gehen die Karenzregeln nicht über das hinaus, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist. Die Beschränkungen der in Art. 45 AEUV gewährleisteten Arbeitnehmerfreizügigkeit und des in Art. 15 Abs. 1 der Charta garantierten Rechts auf freie Berufswahl, die sich aus allen spezifischen Regeln in Bezug auf diesen Betreiber – einschließlich derjenigen über Karenzzeiten – als Garantie für dessen Unabhängigkeit ergeben, sind nämlich zeitlich begrenzt, so dass sie nur während eines klar abgesteckten Zeitraums Wirkungen entfalten.
Unter diesen Umständen erweist sich die Tatsache, dass Personen, die außerhalb der Energiesektoren eines VIU eine berufliche Position in diesem VIU bekleidet oder Interessens- oder Geschäftsbeziehungen mit dem VIU unterhalten haben, nach § 10c Abs. 2 EnWG vom subjektiven Anwendungsbereich von Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 ausgenommen werden, als Verstoß gegen diese Bestimmungen.
Daher ist der zweiten von der Kommission zur Stützung ihrer Klage erhobenen Rüge stattzugeben und festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch, dass sie Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat, gegen ihre Verpflichtungen aus diesen Richtlinien verstoßen hat.
Zur dritten Rüge: Verstoß gegen Art. 19 Abs. 5 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73
Vorbringen der Parteien
Mit dieser Rüge wirft die Kommission der Bundesrepublik Deutschland vor, sie habe Art. 19 Abs. 5 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 insofern unzureichend umgesetzt, als die in § 10c Abs. 4 EnWG statuierte Pflicht zum Verkauf von Anteilen am VIU, die vor dem 3. März 2012 erworben worden seien, nur für die von der Unternehmensleitung des Übertragungsnetzbetreibers erworbenen Anteile, nicht aber für die von Beschäftigten des Netzbetreibers erworbenen Anteile gelte. Auch wenn die Beschäftigten eines Übertragungsnetzbetreibers keine Managemententscheidungen treffen könnten, seien sie in der Lage, auf die Tätigkeiten ihres Arbeitgebers Einfluss zu nehmen, was es rechtfertige, dass auch diese Beschäftigten ihre vor dem 3. März 2012 erworbenen Anteile am VIU veräußern müssten.
Eine solche Verpflichtung beeinträchtige nicht die Eigentumsrechte dieser Beschäftigten, da sie nur für die Zukunft gelte, so dass die bereits ausgeschütteten Dividenden nicht betroffen seien. Zudem würden solche Beteiligungen nur mit Zustimmung ihres Inhabers und gegen eine entsprechende Vergütung veräußert. Dem Inhaber bleibe die Möglichkeit, seine Beteiligung zu behalten, sofern er seine Position beim Übertragungsnetzbetreiber aufgebe.
Die Bundesrepublik Deutschland weist darauf hin, dass es sowohl den Personen der Unternehmensleitung des Übertragungsnetzbetreibers als auch den übrigen Beschäftigten nach § 10c Abs. 4 Satz 1 EnWG untersagt sei, nach dem 3. März 2012 Anteile am VIU oder an einem seiner Unternehmensteile zu erwerben, während Satz 2 dieser Vorschrift vorsehe, dass nur Personen der Unternehmensleitung Anteile am VIU oder an einem seiner Unternehmensteile, die vor dem 3. März 2012 erworben worden seien, bis zum 31. März 2016 veräußern müssten.
Diese Unterscheidung sei dadurch gerechtfertigt, dass, bevor die stärkeren Anforderungen an die Unabhängigkeit des Übertragungsnetzbetreibers am 3. März 2012 in Kraft getreten seien, Aktien des VIU häufig als sogenannte Mitarbeiteraktien ausgegeben worden seien und Bestandteil des Vermögensaufbaus oder der individuellen Altersvorsorge dieser Mitarbeiter gewesen seien.
Da es sich um Mitarbeiter handle, die keine signifikanten Einflussmöglichkeiten auf den Netzbetrieb hätten, würde eine ihnen auferlegte Verpflichtung zur Veräußerung solcher Beteiligungen eine unverhältnismäßige Beschränkung ihrer durch das Grundgesetz (im Folgenden: GG) geschützten Eigentumsrechte darstellen. Personen der Unternehmensleitung würden aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung anders behandelt. Sie hätten nämlich entscheidenden strategischen Einfluss auf den Übertragungsnetzbetreiber, so dass eine besondere Gefahr von Interessenkonflikten bestehe.
Da die Richtlinien 2009/72 und 2009/73 im Übrigen keine Regelung dazu träfen, wie mit Anteilen am VIU zu verfahren sei, die die Beschäftigten des Übertragungsnetzbetreibers vor dem Stichtag erworben hätten, sei es den Mitgliedstaaten überlassen, insoweit geeignete Übergangsregelungen zu treffen.
Würdigung durch den Gerichtshof
Nach Art. 19 Abs. 5 der Richtlinie 2009/72 und der Richtlinie 2009/73 dürfen die Personen der Unternehmensleitung und/oder Mitglieder der Verwaltungsorgane und die Beschäftigten des Übertragungsnetzbetreibers weder direkt noch indirekt Beteiligungen an Unternehmensteilen des VIU halten noch finanzielle Zuwendungen von diesen erhalten; ausgenommen hiervon sind Beteiligungen am und Zuwendungen vom Übertragungsnetzbetreiber. Ihre Vergütung darf nicht an die Tätigkeiten oder Betriebsergebnisse des VIU, soweit sie nicht den Übertragungsnetzbetreiber betreffen, gebunden sein.
Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung geht klar hervor, dass es sowohl der Unternehmensleitung als auch den Beschäftigten des Übertragungsnetzbetreibers untersagt ist, direkt oder indirekt Beteiligungen an Unternehmensteilen des VIU zu halten oder finanzielle Zuwendungen von diesen zu erhalten, wobei Beteiligungen am und Zuwendungen vom Übertragungsnetzbetreiber ausgenommen sind.
Diese Auslegung wird durch die Ziele der Regelung bestätigt, zu der diese Bestimmung gehört. Wie der Generalanwalt in Nr. 77 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, rechtfertigt nämlich in den Fällen, in denen zur Gewährleistung einer wirksamen Entflechtung der Übertragungsnetze einerseits und der Tätigkeiten der Erzeugung und Lieferung von Elektrizität und Erdgas andererseits gemäß Art. 9 Abs. 8 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 für die Einsetzung eines unabhängigen Übertragungsnetzbetreibers optiert wird, die Pflicht, die volle, effektive Unabhängigkeit dieses Betreibers innerhalb des VIU sicherzustellen, eine Auslegung von Art. 19 Abs. 5 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 in dem Sinne, dass das darin vorgesehene Verbot des Haltens von Beteiligungen am VIU für die Beschäftigten, die solche Beteiligungen halten, eine Veräußerungspflicht umfasst. Selbst wenn diese Beschäftigten nicht an den laufenden unternehmerischen Entscheidungen des Übertragungsnetzbetreibers beteiligt sind, kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass sie die Tätigkeiten ihres Arbeitgebers beeinflussen können und daher Interessenkonflikte entstehen können, wenn sie Beteiligungen am VIU oder an Teilen des VIU halten.
Im vorliegenden Fall sehen die in Rede stehenden deutschen Rechtsvorschriften zwar die Verpflichtung vor, die vor dem 3. März 2012 erworbenen Anteile am VIU zu veräußern, doch beschränken sie diese Verpflichtung auf Personen der Unternehmensleitung des Übertragungsnetzbetreibers. Soweit die Bundesrepublik Deutschland geltend macht, dass diese Beschränkung es ermögliche, das durch das GG gewährleistete Eigentumsrecht der Beschäftigten hinsichtlich ihrer Beteiligung am Kapital des VIU zu wahren, ist darauf hinzuweisen, dass dieses Recht auch durch Art. 17 Abs. 1 der Charta geschützt wird.
Die in den Rn. 76 und 77 des vorliegenden Urteils dargelegte Auslegung von Art. 19 Abs. 5 der Richtlinie 2009/72 und der Richtlinie 2009/73 steht jedoch im Einklang mit dem in Art. 17 Abs. 1 der Charta verankerten Eigentumsrecht. Dieses Recht gilt nämlich nicht schrankenlos, sondern seine Ausübung kann Beschränkungen unterworfen werden, die durch dem Gemeinwohl dienende Ziele der Union gerechtfertigt sind, sofern diese Beschränkungen gemäß Art. 52 Abs. 1 der Charta tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen entsprechen und keinen im Hinblick auf diese Ziele unverhältnismäßigen und untragbaren Eingriff darstellen, der das so gewährleistete Recht in seinem Wesensgehalt antastet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2016, Ledra Advertising u. a./Kommission und EZB, C-8/15 P, EU:C:2016:701, Rn. 69 und 70 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Die in Rede stehende Verpflichtung soll aber dem in Rn. 54 des vorliegenden Urteils genannten, dem Gemeinwohl dienenden Ziel entsprechen, eine wirksame Entflechtung der Übertragungsnetze von den Tätigkeiten der Erzeugung und Lieferung von Elektrizität und Erdgas zu gewährleisten, was für das Funktionieren des Energiebinnenmarkts und die Sicherheit der Energieversorgung erforderlich ist.
Im Übrigen beeinträchtigen die in Art. 19 Abs. 5 der Richtlinie 2009/72 und der Richtlinie 2009/73 statuierten Verbote das Eigentumsrecht nicht in so unverhältnismäßiger und untragbarer Weise, dass es in seinem Wesensgehalt angetastet wäre. Diese Bestimmungen sehen nämlich nur vor, dass Personen, die Beteiligungen an anderen Unternehmensteilen des VIU als dem Übertragungsnetzbetreiber halten oder finanzielle Zuwendungen von ihnen erhalten, keine Personen der Unternehmensleitung, Mitglieder der Verwaltungsorgane oder Beschäftigte des Übertragungsnetzbetreibers werden oder bleiben dürfen.
Daher müssen Personen, die Beteiligungen an anderen Unternehmensteilen des VIU halten, die Wahl treffen, ob sie ihr Eigentum behalten oder es übertragen, um Aufgaben beim Übertragungsnetzbetreiber ausüben zu können. Darüber hinaus schließen die genannten Bestimmungen nicht aus, dass diese Beteiligungen zum Marktpreis verkauft werden oder gegen Beteiligungen am Kapital des Übertragungsnetzbetreibers ausgetauscht werden.
Unter Berücksichtigung des in den Rn. 54 und 80 des vorliegenden Urteils angeführten, dem Gemeinwohl dienenden Ziels stellt die in Rede stehende Verpflichtung folglich keinen übermäßigen, untragbaren Eingriff dar, der geeignet wäre, das durch Art. 17 Abs. 1 der Charta gewährleistete Eigentumsrecht der Beschäftigten in seinem Wesensgehalt anzutasten.
Nach alledem ist der dritten von der Kommission zur Stützung ihrer Klage erhobenen Rüge stattzugeben. Somit ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch, dass sie Art. 19 Abs. 5 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat, gegen ihre Verpflichtungen aus diesen Richtlinien verstoßen hat.
Zur vierten Rüge: Verletzung der ausschließlichen Zuständigkeiten der nationalen Regulierungsbehörde
Vorbringen der Parteien
Mit dieser Rüge wirft die Kommission der Bundesrepublik Deutschland vor, sie habe Art. 37 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/72 sowie Art. 41 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/73 insofern nicht ordnungsgemäß umgesetzt, als § 24 Satz 1 EnWG der Bundesregierung Zuständigkeiten für die Festlegung der Übertragungs- und Verteilungstarife, der Bedingungen für den Zugang zu den nationalen Netzen und der Bedingungen für die Erbringung von Ausgleichsleistungen zuweise, obwohl gemäß den genannten Bestimmungen hierfür ausschließlich die nationalen Regulierungsbehörden (im Folgenden: NRB) zuständig seien.
Die von der Bundesregierung auf der Grundlage von § 24 Satz 1 EnWG erlassenen Rechtsverordnungen stellten detaillierte Anweisungen an die NRB dar, wie sie ihre Regulierungsaufgaben wahrzunehmen habe. Diese Rechtsverordnungen legten das Verfahren und die Methode zur Bestimmung der Netzkosten mit ausführlichen Einzelheiten wie Abschreibungsmethoden und Indexierung fest und enthielten detaillierte Vorgaben zu den Bedingungen für den Netzzugang.
Die Festlegung solcher Details durch die Bundesregierung hindere die NRB jedoch daran, eine eigene Einschätzung vorzunehmen, so dass ihr die Zuständigkeiten genommen würden, die die Richtlinien 2009/72 und 2009/73 ausschließlich ihr zuwiesen. Das Unionsrecht stelle in Bezug auf Netzentgelte klare Grundsätze auf, nämlich die in Art. 37 Abs. 10 der Richtlinie 2009/72 und im Erdgassektor in der Verordnung (EU) 2017/460 der Kommission vom 16. März 2017 zur Festlegung eines Netzkodex über harmonisierte Fernleitungsentgeltstrukturen (ABl. 2017, L 72, S. 29) genannten. Darüber hinaus fänden sich, was Netzanschluss- und Zugangsbedingungen anbelange, in den jeweiligen europäischen Netzkodizes detaillierte Vorgaben u. a. für Laststellen, Erzeuger und Hochspannungsanlagen.
Es sei zwar nichts dagegen einzuwenden, dass nach deutschem Recht die Aufgaben der NRB durch Rechtsvorschriften definiert und festgelegt werden müssten, doch sei dem deutschen Gesetzgeber vorzuwerfen, dass er, anstatt der NRB eine ausschließliche Zuständigkeit für die Erfüllung der in Art. 37 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/72 sowie in Art. 41 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/73 festgelegten Aufgaben zuzuerkennen, vorgesehen habe, dass die Bedingungen, unter denen die NRB diese Aufgaben wahrnehmen müsse, durch Rechtsverordnungen der Bundesregierung festgelegt würden.
In diesem Zusammenhang sei hervorzuheben, dass Art. 35 Abs. 4 der Richtlinie 2009/72 und Art. 39 Abs. 4 der Richtlinie 2009/73 die Unabhängigkeit der NRB im Vergleich zu den früheren Rechtsvorschriften der Union gestärkt hätten.
Im Übrigen habe, selbst wenn man davon ausgehe, dass die im Urteil vom 13. Juni 1958, Meroni/Hohe Behörde (9/56, EU:C:1958:7), hinsichtlich der Zuständigkeitsübertragung auf Unionsagenturen etablierten Grundsätze auf NRB übertragbar seien, im vorliegenden Fall das Unionsrecht selbst die Kriterien und Bedingungen hinreichend festgelegt, die gemäß dem Urteil vom 22. Januar 2014, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat (C-270/12, EU:C:2014:18, Rn. 41 bis 54), die den NRB zugewiesene Zuständigkeit eingrenzen und ihren Handlungsspielraum begrenzen müssten, so dass die Ausübung dieser Zuständigkeit gerichtlich überprüft werden könne.
Die Bundesrepublik Deutschland macht, unterstützt durch das Königreich Schweden, zunächst geltend, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 194 Abs. 2 AEUV dafür zuständig blieben, die Bedingungen für die Nutzung ihrer Energieressourcen zu bestimmen. Im Hinblick insbesondere auf das Ziel, die Erzeugung von Kernenergie bis 2022 einzustellen, bestehe ein „erheblicher Ausbaubedarf“ hinsichtlich der Übertragungsnetze für Elektrizität und Erdgas, wobei sichergestellt sein müsse, dass die damit verbundenen Kosten nicht das für die Verbraucher tragbare Maß überstiegen.
In diesem Zusammenhang ermächtige § 24 EnWG die Bundesregierung, „mit Zustimmung des Bundesrates als Verordnungsgeberin im Sinne des Art. 80 Abs. 1 GG tätig zu werden“. Auch wenn der NRB ein „erheblicher Ermessensspielraum“ zustehe, gebiete nämlich der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit in seiner Ausprägung als Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes – Grundsätze, die Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips seien –, dass die Ermessensausübung dieser Behörde „vorstrukturiert“ sei, um entsprechend den Anforderungen des GG eine ununterbrochene demokratische Legitimationskette sicherzustellen.
Des Weiteren sei § 24 Satz 1 EnWG mit den Bestimmungen der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 über die Aufgaben der NRB vereinbar. Der Wortlaut der letztgenannten Bestimmungen lasse nämlich nicht den Schluss zu, dass die NRB zwingend für die Festlegung sowohl der Übertragungs- oder Verteilungstarife als auch der Methoden zur Berechnung dieser Tarife zuständig sein müsse. Eine gegenteilige Auslegung liefe Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte dieser Richtlinien zuwider.
Nach dem Grundsatz der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie verfügten die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der die Zuständigkeiten der NRB betreffenden Bestimmungen der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 über ein Ermessen. Im Fall der Bundesrepublik Deutschland würden die Berechnungsmethoden durch den Gesetz- und Verordnungsgeber abstrakt-generell festgelegt, während die NRB dafür zuständig sei, diese Methoden zu ergänzen und teils zu modifizieren und auf der Grundlage dieser Berechnungsmethoden konkrete Entscheidungen zu treffen. In Ermangelung hinreichend genauer materieller Vorgaben zur Ausgestaltung der Netzzugangs- und Tarifierungsmethoden seien die Mitgliedstaaten, um eine ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinien zu gewährleisten, gezwungen, eigene Maßstäbe aufzustellen, um das regulierungsbehördliche Ermessen der NRB zu lenken.
Diese Auffassung werde durch das Urteil vom 29. Oktober 2009, Kommission/Belgien (C-474/08, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:681), nicht entkräftet, da es sich im vorliegenden Fall bei den auf der Grundlage von § 24 EnWG erlassenen Rechtsverordnungen um materielle Gesetze und nicht um Weisungen der Bundesregierung in ihrer Funktion als übergeordnete Behörde der NRB handele. Wenn die Bundesregierung auf dieser Grundlage Verordnungen erlasse, werde sie nämlich „nicht als Teil der Exekutive tätig, sondern [nehme] mit Zustimmung des Bundesrates legislative Aufgaben wahr“. Die fraglichen Rechtsverordnungen stellten daher keine Verletzung der Unabhängigkeit der NRB dar, da diese keinen Weisungen durch Regierungsstellen oder andere Behörden unterliege.
Schließlich macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, dass die im Urteil vom 13. Juni 1958, Meroni/Hohe Behörde (9/56, EU:C:1958:7), aufgestellten Grundsätze auch dann anwendbar seien, wenn der Unionsgesetzgeber unabhängigen nationalen Behörden Befugnisse übertrage. Nach diesen Grundsätzen sei die Übertragung von Aufgaben an solche Behörden nur möglich, wenn der Unionsgesetzgeber zuvor hinreichend genaue Vorschriften über die Aufgaben und Befugnisse der Behörden erlassen habe. Habe der Unionsgesetzgeber solche Vorschriften nicht erlassen, sei es Sache der Mitgliedstaaten, dies zu tun. Dieses Erfordernis ergebe sich auch aus dem Demokratie- und dem Rechtsstaatsprinzip, die Teil der grundlegenden politischen und verfassungsrechtlichen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland seien, die die Union nach Art. 4 Abs. 2 EUV zu achten habe.
In ihrer Gegenerwiderung wirft die Bundesrepublik Deutschland der Kommission vor, sie habe den Streitgegenstand unzulässig erweitert, indem sie in ihrer Erwiderung eine zusätzliche Rüge – nämlich eine Verletzung der Unabhängigkeit der NRB – erhoben bzw. die ursprüngliche Rüge abgeändert habe.
Würdigung durch den Gerichtshof
– Zur Zulässigkeit
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass eine Partei im Lauf des Verfahrens den Streitgegenstand nicht ändern kann und dass die Begründetheit einer Klage allein anhand der in der Klageschrift enthaltenen Anträge zu prüfen ist (vgl. u. a. Urteil vom 11. November 2010, Kommission/Portugal, C-543/08, EU:C:2010:669, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Des Weiteren obliegt es nach Art. 21 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 120 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Kommission, in jeder nach Art. 258 AEUV erhobenen Klage genau die Rügen anzugeben, über die der Gerichtshof entscheiden soll, und zumindest in gedrängter Form die rechtlichen und tatsächlichen Umstände darzulegen, auf die diese Rügen gestützt sind (Urteil vom 16. Juli 2015, Kommission/Bulgarien, C-145/14, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:502, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Mit ihrer vierten Rüge wirft die Kommission der Bundesrepublik Deutschland vor, sie habe Art. 37 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/72 sowie Art. 41 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/73 nicht ordnungsgemäß umgesetzt, da § 24 Satz 1 EnWG der Bundesregierung Zuständigkeiten zuweise, die nach diesen Bestimmungen ausschließliche Zuständigkeiten der NRB seien.
Wie der Generalanwalt in Nr. 100 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, können aber sowohl die Verleihung der Befugnis, in Zuständigkeitsbereichen der NRB tätig zu werden, an eine andere Stelle als die NRB als auch die Bindung dieser Behörde an von anderen Stellen erlassene Vorschriften, die detailliert die Ausübung der ihr vorbehaltenen Zuständigkeiten regeln, die Möglichkeit der NRB beschränken, in diesen Bereichen Entscheidungen selbständig und ohne äußere Einflüsse zu treffen.
Daraus folgt, dass die vierte Rüge Fragen betrifft, die insofern eng miteinander verbunden sind, als die Zuweisung von Zuständigkeiten, die der NRB vorbehalten sind, an eine andere Stelle als die NRB nach Auffassung der Kommission eine Verletzung der Unabhängigkeit dieser Behörde darstellen kann, weil diese Zuständigkeiten nach Art. 35 der Richtlinie 2009/72 und Art. 39 der Richtlinie 2009/73 selbständig auszuüben sind. Das Vorbringen der Kommission bezüglich der Unabhängigkeit der NRB kann daher weder als eine neue Rüge angesehen werden, die sich von der ursprünglich erhobenen unterschiede, noch als Änderung der ursprünglichen Rüge. Folglich ist dieses Vorbringen zulässig.
– Zur Begründetheit
Art. 37 Abs. 1 der Richtlinie 2009/72 und Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2009/73 verleihen der NRB verschiedene Zuständigkeiten, darunter jeweils in Buchst. a dieser Absätze die Zuständigkeit dafür, anhand transparenter Kriterien die Fernleitungs- und Verteilungstarife bzw. die entsprechenden Berechnungsmethoden festzulegen oder zu genehmigen.
Art. 37 Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/72 und Art. 41 Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/73 verleihen ihrerseits der NRB insbesondere die Zuständigkeit dafür, zumindest die Methoden zur Berechnung oder Festlegung der Bedingungen für den Anschluss an und den Zugang zu den nationalen Netzen, einschließlich der anwendbaren Tarife, sowie die Bedingungen für die Erbringung von Ausgleichsleistungen festzulegen oder zu genehmigen.
Der im Wortlaut dieser Vorschriften enthaltene Ausdruck „zumindest“ zeigt bei einer Betrachtung im Licht des 36. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2009/72 bzw. des 32. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2009/73, dass die Bestimmung der Methoden zur Berechnung oder Festlegung der Bedingungen für den Anschluss an und den Zugang zu den nationalen Netzen, einschließlich der anwendbaren Tarife, zu den Zuständigkeiten gehört, die den NRB unmittelbar aufgrund dieser Richtlinien vorbehalten sind.
Insoweit hat der Gerichtshof im Wege der Auslegung von Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2003/54, der ähnliche Regelungen wie die in Rn. 104 des vorliegenden Urteils genannten enthielt, bereits entschieden, dass die Zuweisung der Zuständigkeit für die Festlegung wichtiger, die Festsetzung der Tarife betreffender Gesichtspunkte wie der Gewinnspanne an eine andere Behörde als die NRB nicht im Einklang mit diesen Regelungen steht, da eine solche Zuweisung den Umfang der der NRB durch diese Richtlinie vorbehaltenen Zuständigkeiten vermindert (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Oktober 2009, Kommission/Belgien, C-474/08, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:681, Rn. 29 und 30).
Im Übrigen sehen Art. 35 Abs. 4 Buchst. a und Abs. 5 Buchst. a der Richtlinie 2009/72 sowie Art. 39 Abs. 4 Buchst. a und Abs. 5 Buchst. a der Richtlinie 2009/73 vor, dass die NRB ihre Zuständigkeit unabhängig von öffentlichen Einrichtungen bzw. politischen Stellen ausüben.
Zum Begriff der „Unabhängigkeit“, der weder in der Richtlinie 2009/72 noch in der Richtlinie 2009/73 definiert wird, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass dieser Begriff in Bezug auf öffentliche Stellen seinem gewöhnlichen Sinn nach eine Stellung bezeichnet, die garantiert, dass die betreffende Stelle im Verhältnis zu den Einrichtungen, denen gegenüber ihre Unabhängigkeit zu wahren ist, völlig frei handeln kann und dabei vor jeglicher Weisung und Einflussnahme von außen geschützt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juni 2020, Prezident Slovenskej republiky, C-378/19, EU:C:2020:462, Rn. 32 und 33).
Der Gerichtshof hat klargestellt, dass diese Unabhängigkeit bei der Entscheidungsfindung bedeutet, dass die NRB im Rahmen der in Art. 37 der Richtlinie 2009/72 genannten Regulierungsaufgaben und -befugnisse ihre Entscheidungen selbständig und allein auf der Grundlage des öffentlichen Interesses trifft, um die Einhaltung der mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele zu gewährleisten, ohne externen Weisungen anderer öffentlicher oder privater Stellen unterworfen zu sein (Urteil vom 11. Juni 2020, Prezident Slovenskej republiky, C-378/19, EU:C:2020:462, Rn. 54).
Zwar lässt gemäß Art. 35 Abs. 4 Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2009/72 und Art. 39 Abs. 4 Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2009/73 das dort genannte Erfordernis der Unabhängigkeit allgemeine politische Leitlinien der Regierung unberührt. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmungen geht jedoch klar hervor, dass solche allgemeinen Leitlinien nicht mit den Regulierungsaufgaben und -befugnissen gemäß Art. 37 der Richtlinie 2009/72 bzw. Art. 41 der Richtlinie 2009/73 im Zusammenhang stehen.
In diesem Kontext ist hervorzuheben, dass diese Richtlinien gemäß dem 33. Erwägungsgrund der erstgenannten und dem 29. Erwägungsgrund der zweitgenannten auch darauf abzielen, die Unabhängigkeit der NRB gegenüber dem in der früheren Regelung vorgesehenen System zu stärken.
Wie der Generalanwalt in Nr. 112 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist die völlige Unabhängigkeit der NRB gegenüber Wirtschaftsteilnehmern und öffentlichen Einrichtungen, unabhängig davon, ob es sich bei Letzteren um Verwaltungsorgane oder politische Stellen und, im letztgenannten Fall, um Träger der exekutiven oder der legislativen Gewalt handelt, notwendig, um zu gewährleisten, dass die von den NRB getroffenen Entscheidungen unparteiisch und nicht diskriminierend sind, was die Möglichkeit einer bevorzugten Behandlung der mit der Regierung, der Mehrheit oder jedenfalls der politischen Macht verbundenen Unternehmen und wirtschaftlichen Interessen ausschließt. Zudem gibt die völlige Trennung von der politischen Macht den NRB die Möglichkeit, bei ihrem Handeln eine langfristige Perspektive zu verfolgen, die erforderlich ist, um die Ziele der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 zu verwirklichen.
Daraus folgt, dass eine Auslegung von Art. 37 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/72 sowie von Art. 41 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/73 in dem Sinne, dass es einer nationalen Regierung freisteht, die von den NRB anzuwendenden Methoden zur Berechnung der Netzzugangstarife und der Ausgleichsleistungen festzulegen oder zu genehmigen, den Zielen dieser Richtlinien zuwiderliefe.
Im vorliegenden Fall verleiht § 24 Satz 1 EnWG der Bundesregierung die Zuständigkeit, mit Zustimmung des Bundesrats nicht nur die Bedingungen für den Netzzugang einschließlich der Erbringung von Ausgleichsleistungen oder Methoden zur Bestimmung dieser Bedingungen sowie Methoden zur Bestimmung der Entgelte für den Netzzugang festzulegen, sondern auch zu regeln, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen die NRB diese Bedingungen oder Methoden festlegen oder auf Antrag des Netzbetreibers genehmigen kann, und zu regeln, in welchen Sonderfällen der Netznutzung und unter welchen Voraussetzungen die NRB im Einzelfall individuelle Entgelte für den Netzzugang genehmigen oder untersagen kann.
§ 24 Satz 1 EnWG überträgt somit unmittelbar der Bundesregierung bestimmte Zuständigkeiten, die ausschließlich der NRB vorbehalten sind, und verleiht ihr unter Verstoß gegen Art. 37 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/72 sowie Art. 41 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/73 die Befugnis, die NRB zur Ausübung dieser Zuständigkeiten zu ermächtigen.
Wie der Generalanwalt in Nr. 106 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann die Unabhängigkeit, die der NRB durch die Richtlinien 2009/72 und 2009/73 im Rahmen der durch Art. 37 der erstgenannten und Art. 41 der zweitgenannten Richtlinie ausschließlich ihr übertragenen Aufgaben und Befugnisse verliehen wird, jedoch nicht durch Rechtsakte wie im vorliegenden Fall die von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats auf der Grundlage von § 24 EnWG erlassenen Rechtsverordnungen beschränkt werden.
Keines der von der Bundesrepublik Deutschland vorgebrachten Argumente vermag diese Beurteilung in Frage zu stellen.
Was erstens den Grundsatz der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie anbelangt, sind die Mitgliedstaaten nach Art. 288 AEUV verpflichtet, bei der Umsetzung einer Richtlinie deren vollständige Wirksamkeit zu gewährleisten, wobei sie aber über einen weiten Wertungsspielraum hinsichtlich der Wahl der Mittel und Wege zu ihrer Durchführung verfügen. Diese Freiheit lässt die Verpflichtung der einzelnen Mitgliedstaaten unberührt, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten (Urteil vom 19. Oktober 2016, Ormaetxea Garai und Lorenzo Almendros, C-424/15, EU:C:2016:780, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Daraus folgt, dass die Mitgliedstaaten bei der Organisation und Strukturierung ihrer NRB zwar über eine Autonomie verfügen, diese Autonomie jedoch unter vollständiger Beachtung der in den Richtlinien 2009/72 und 2009/73 festgelegten Ziele und Pflichten auszuüben ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juni 2020, Prezident Slovenskej republiky, C-378/19, EU:C:2020:462, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung), mit denen sichergestellt werden soll, dass die NRB bei der Ausübung der ihnen vorbehaltenen Zuständigkeiten ihre Entscheidungen autonom erlassen.
Was zweitens das Vorbringen anbelangt, dass die in Rede stehenden Richtlinien keine hinreichend genauen materiellen Vorgaben zur Ausgestaltung der Netzzugangs- und Tarifierungsmethoden enthielten, so geht aus Art. 37 Abs. 1 der Richtlinie 2009/72 und Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2009/73 hervor, dass die Fernleitungs- und Verteilungstarife bzw. die entsprechenden Berechnungsmethoden anhand transparenter Kriterien zu bestimmen sind. Nach Abs. 6 Buchst. a dieser beiden Artikel sind diese Tarife und ihre Berechnungsmethoden sowie die Bedingungen für den Anschluss an und den Zugang zu den nationalen Netzen unter Berücksichtigung der Notwendigkeit zu bestimmen, dass die notwendigen Investitionen in die Netze so vorgenommen werden können, dass die Lebensfähigkeit der Netze gewährleistet ist. Außerdem ergibt sich aus Abs. 10 dieser Bestimmungen, dass solche Tarife und Berechnungsmethoden angemessen sein und in nicht diskriminierender Weise angewandt werden müssen.
Des Weiteren müssen nach Art. 37 Abs. 6 Buchst. b der Richtlinie 2009/72 und Art. 41 Abs. 6 Buchst. b der Richtlinie 2009/73 die Ausgleichsleistungen möglichst wirtschaftlich sein und den Netzbenutzern geeignete Anreize bieten, die Einspeisung und Abnahme von Elektrizität bzw. Gas auszugleichen, sowie auf faire und nicht diskriminierende Weise erbracht und auf objektive Kriterien gestützt werden. Schließlich müssen die NRB nach Abs. 8 dieser Artikel bei der Festsetzung oder Genehmigung der Tarife oder Methoden und der Ausgleichsleistungen sicherstellen, dass für die Übertragungs- und Verteilerbetreiber angemessene Anreize geschaffen werden, sowohl kurzfristig als auch langfristig die Effizienz zu steigern, die Marktintegration und die Versorgungssicherheit zu fördern und entsprechende Forschungsarbeiten zu unterstützen.
Die in den Richtlinien 2009/72 und 2009/73 vorgesehenen Kriterien werden durch weitere Rechtsakte konkretisiert, nämlich durch die Verordnung (EG) Nr. 714/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003 (ABl. 2009, L 211, S. 15) sowie durch die Verordnung (EG) Nr. 715/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1775/2005 (ABl. 2009, L 211, S. 36), die auf den grenzüberschreitenden Handel anwendbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Dezember 2020, Kommission/Belgien [Märkte für Elektrizität und Erdgas], C-767/19, EU:C:2020:984, Rn. 112). Diese Verordnungen werden durch mehrere Netzkodizes ergänzt, die durch Verordnungen der Kommission eingeführt wurden.
In Anbetracht eines derart detaillierten normativen Rahmens auf Unionsebene, aus dem sich, wie der Generalanwalt in Nr. 118 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ergibt, dass die Tarife und Berechnungsmethoden für den inländischen und den grenzüberschreitenden Handel auf der Grundlage einheitlicher Kriterien festzulegen sind, kann der Bundesrepublik Deutschland nicht darin gefolgt werden, dass es für die Umsetzung der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 erforderlich sei, Kriterien für die Berechnung der Tarife auf nationaler Ebene aufzustellen.
Was drittens das Argument anbelangt, die nach § 24 EnWG erlassenen Rechtsverordnungen seien gesetzgeberischer Natur, was erforderlich sei, um die demokratische Legitimation zu gewährleisten, so ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 10 Abs. 1 EUV die Arbeitsweise der Union auf dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie beruht, der den in Art. 2 EUV genannten Wert der Demokratie konkretisiert (Urteil vom 19. Dezember 2019, Junqueras Vies, C-502/19, EU:C:2019:1115‚ Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Dieser Grundsatz spiegelt sich voll und ganz in dem Gesetzgebungsverfahren wider, in dem die Richtlinien 2009/72 und 2009/73 erlassen wurden. Als den Mitgliedstaaten gemeinsamer Grundsatz ist er bei der Auslegung dieser Richtlinien – so auch bei der Auslegung der hier in Rede stehenden Bestimmungen – zu berücksichtigen (vgl. entsprechend Urteil vom 9. März 2010, Kommission/Deutschland, C-518/07, EU:C:2010:125, Rn. 41).
Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass das Demokratieprinzip dem nicht entgegensteht, dass es außerhalb des klassischen hierarchischen Verwaltungsaufbaus angesiedelte, von der Regierung mehr oder weniger unabhängige öffentliche Stellen gibt, die oftmals Regulierungsfunktionen oder Aufgaben wahrnehmen, die der politischen Einflussnahme entzogen sein müssen, dabei aber an das Gesetz gebunden und der Kontrolle durch die zuständigen Gerichte unterworfen bleiben. Der Umstand, dass den NRB eine von der allgemeinen Staatsverwaltung unabhängige Stellung zukommt, ist für sich allein noch nicht geeignet, diesen Behörden die demokratische Legitimation zu nehmen, sofern sie nicht jeder parlamentarischen Einflussmöglichkeit entzogen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. März 2010, Kommission/Deutschland, C-518/07, EU:C:2010:125, Rn. 42, 43 und 46).
Die Richtlinien 2009/72 und 2009/73 stehen dem indessen nicht entgegen, dass die Personen, die die Leitung der NRB ausüben, vom Parlament oder von der Regierung ernannt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juni 2020, Prezident Slovenskej republiky, C-378/19, EU:C:2020:462, Rn. 36 bis 39). Ebenso wenig stehen sie einer parlamentarischen Kontrolle dieser Behörden nach dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten entgegen, wie sich aus dem 34. Erwägungsgrund der erstgenannten und dem 30. Erwägungsgrund der zweitgenannten Richtlinie ergibt.
Im Übrigen verpflichten Art. 37 Abs. 17 der Richtlinie 2009/72 und Art. 41 Abs. 17 der Richtlinie 2009/73 die Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass auf nationaler Ebene geeignete Verfahren bestehen, die einer betroffenen Partei das Recht geben, gegen eine Entscheidung der NRB bei einer von den beteiligten Parteien und Regierungen unabhängigen Stelle Beschwerde einzulegen. Ein solches Erfordernis leitet sich aus dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ab, der ein allgemeiner, in Art. 47 der Charta verankerter Grundsatz des Unionsrechts ist (Urteil vom 16. Juli 2020, Kommission/Ungarn [Entgelte für den Zugang zu den Stromübertragungsnetzen und den Erdgasfernleitungsnetzen], C-771/18, EU:C:2020:584, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Unter diesen Umständen kann sich die Bundesrepublik Deutschland nicht auf das in der Union garantierte Demokratieprinzip berufen, um einer anderen Behörde als der NRB Zuständigkeiten zuzuweisen, die gemäß Art. 37 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/72 sowie Art. 41 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/73 ausschließlich der NRB zustehen.
Überdies ist, selbst wenn die von der Bundesregierung nach § 24 EnWG erlassenen Rechtsverordnungen „materielle Gesetze“ sein sollten, in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 124 seiner Schlussanträge darauf hinzuweisen, dass die durch die Richtlinien 2009/72 und 2009/73 ausschließlich den NRB zugewiesenen Befugnisse sowie die Unabhängigkeit der NRB gegenüber allen politischen Stellen zu gewährleisten sind, also nicht nur gegenüber der Regierung, sondern auch gegenüber dem nationalen Gesetzgeber, dem es nicht gestattet ist, einen Teil dieser Befugnisse den NRB zu entziehen und sie anderen öffentlichen Stellen zuzuweisen.
Viertens ist zu dem auf das Urteil vom 13. Juni 1958, Meroni/Hohe Behörde (9/56, EU:C:1958:7), gestützten Argument – ohne dass auf die Frage eingegangen werden müsste, ob diese Rechtsprechung auf einen Fall wie den vorliegenden, der von den Mitgliedstaaten in Anwendung einer Richtlinie benannte nationale Behörden betrifft, übertragbar ist – in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 134 seiner Schlussanträge festzustellen, dass die Auslegung von Art. 37 der Richtlinie 2009/72 und Art. 41 der Richtlinie 2009/73, die insbesondere aus den Rn. 105 und 113 des vorliegenden Urteils hervorgeht, jedenfalls mit dieser Rechtsprechung im Einklang steht. Nach dieser ist es nicht zulässig, einen Ermessensspielraum, der je nach der Art seiner Ausübung echte politische Entscheidungen ermöglichen kann, auf Verwaltungsstellen zu übertragen, so dass an die Stelle des Ermessens der übertragenden Behörde das Ermessen derjenigen Stelle tritt, der die Befugnisse übertragen worden sind, was eine „tatsächliche Verlagerung der Verantwortung“ mit sich bringt. Zulässig ist hingegen eine Übertragung genau umgrenzter Ausführungsbefugnisse, deren Ausübung einer strengen Kontrolle im Hinblick auf die Beachtung objektiver Tatbestandsmerkmale unterliegt, die von der übertragenden Behörde festgesetzt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Januar 2014, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C-270/12, EU:C:2014:18, Rn. 41, 42 und 54).
Zum einen fallen die den NRB vorbehaltenen Zuständigkeiten in den Bereich der Durchführung, und zwar auf der Grundlage einer technisch-fachlichen Beurteilung der Wirklichkeit. Zum anderen unterliegen die NRB, wie sich aus den Rn. 120 bis 123 des vorliegenden Urteils ergibt, bei der Ausübung dieser Zuständigkeiten Grundsätzen und Regeln, die durch einen detaillierten normativen Rahmen auf Unionsebene festgelegt werden, ihren Wertungsspielraum beschränken und sie daran hindern, Entscheidungen politischer Art zu treffen.
Nach alledem ist der vierten von der Kommission zur Stützung ihrer Klage erhobenen Rüge stattzugeben und festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch, dass sie Art. 37 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/72 sowie Art. 41 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/73 nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat, gegen ihre Verpflichtungen aus diesen Richtlinien verstoßen hat.
Kosten
Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
Da die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Gemäß Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung, wonach die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten tragen, ist zu entscheiden, dass das Königreich Schweden seine eigenen Kosten trägt.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch, dass sie
Art. 2 Nr. 21 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG sowie Art. 2 Nr. 20 der Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG,
Art. 19 Abs. 3 und 8 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73,
Art. 19 Abs. 5 der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 sowie
Art. 37 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/72 sowie Art. 41 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 6 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/73
nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat, gegen ihre Verpflichtungen aus diesen Richtlinien verstoßen.
Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten.
Das Königreich Schweden trägt seine eigenen Kosten.
Vilaras
Lenaerts
Piçarra
Šváby
Rodin
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 2. September 2021.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Vierten Kammer
M. Vilaras
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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