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EuGH 14.06.2017 - C-685/15
EuGH 14.06.2017 - C-685/15 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer) - 14. Juni 2017 ( 1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung — Art. 49 AEUV — Niederlassungsfreiheit — Art. 56 AEUV — Freier Dienstleistungsverkehr — Glücksspiele — Restriktive Regelung eines Mitgliedstaats — Verwaltungsstrafen — Zwingende Gründe des Allgemeininteresses — Verhältnismäßigkeit — Charta der Grundrechte der Europäischen Union — Art. 47 — Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz — Nationale Regelung, nach der der Richter verpflichtet ist, im Verwaltungsstrafverfahren die Umstände, mit denen er befasst ist, von Amts wegen zu ermitteln — Vereinbarkeit“
Leitsatz
In der Rechtssache C-685/15
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Österreich) mit Entscheidung vom 14. Dezember 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Dezember 2015, in dem Verfahren
Online Games Handels GmbH,
Frank Breuer,
Nicole Enter,
Astrid Walden
gegen
Landespolizeidirektion Oberösterreich
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin A. Prechal, des Richters A. Rosas, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. November 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Online Games Handels GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte P. Ruth und D. Pinzger,
von Herrn Breuer, Frau Enter und Frau Walden, vertreten durch Rechtsanwalt F. Maschke,
der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer, F. Herbst und G. Trefil als Bevollmächtigte,
der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck und M. Jacobs als Bevollmächtigte im Beistand von P. Vlaemminck und R. Verbeke, advocaten,
der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Tserepa-Lacombe und G. Braun als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 9. März 2017
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), ausgelegt wurden, im Licht des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von Verfahren unter Beteiligung der Online Games Handels GmbH (im Folgenden: Online Games) sowie von Herrn Frank Breuer, Frau Nicole Enter und Frau Astrid Walden auf der einen und der Landespolizeidirektion Oberösterreich auf der anderen Seite über Verwaltungsstrafen, die die Landespolizeidirektion gegen sie wegen des Betriebs von Geldspielautomaten ohne Erlaubnis verhängt hat.
Österreichisches Recht
Bundes-Verfassungsgesetz
Unter der Überschrift „Vollziehung des Bundes“ enthält das Dritte Hauptstück des Bundes-Verfassungsgesetzes (BGBl 1/1930) in der geänderten Fassung (BGBl I 102/2014) (im Folgenden: B-VG) u. a. die Art. 90 und 94 B-VG. Art. 90 B-VG lautet:
„(1) Die Verhandlungen in Zivil- und Strafrechtssachen vor dem erkennenden ordentlichen Gericht sind mündlich und öffentlich. Ausnahmen bestimmt das Gesetz.
(2) Im Strafverfahren gilt der Anklageprozess.“
Art. 94 Abs. 1 B-VG lautet:
„Die Justiz ist von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt.“
Das Siebente Hauptstück des B-VG trägt die Überschrift „Garantien der Verfassung und Verwaltung“. Es enthält Art. 130 B-VG, der bestimmt:
„(1) Die Verwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden
gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit;
…
(4) Über Beschwerden gemäß Abs. 1 Z 1 in Verwaltungsstrafsachen hat das Verwaltungsgericht in der Sache selbst zu entscheiden. …
…“
Bundesgesetz zur Regelung des Glücksspielwesens
Das Glücksspielgesetz (BGBl 620/1989) in der Fassung der im BGBl I 76/2011 veröffentlichten Änderung (im Folgenden: GSpG 2011) bestimmte in § 50:
„(1) Für Strafverfahren und Betriebsschließungen nach diesem Bundesgesetz sind in erster Instanz die Bezirksverwaltungsbehörden … und in zweiter Instanz die Unabhängigen Verwaltungssenate gemäß § 51 Abs. 1 VStG [(Verwaltungsstrafgesetz)] zuständig.
(2) Diese Behörden können sich der Mitwirkung der Organe der öffentlichen Aufsicht bedienen und zur Klärung von Sachverhaltsfragen in Zusammenhang mit den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes die Amtssachverständigen des § 1 Abs. 3 hinzuziehen. Zu den Organen der öffentlichen Aufsicht zählen jedenfalls die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Abgabenbehörden.
…“
§ 52 GSpG 2011 („Verwaltungsstrafbestimmungen“) sah vor:
„(1) Es begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Behörde mit Geldstrafe bis zu 22000 Euro zu bestrafen,
wer zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen im Sinne des § 2 Abs. 4 veranstaltet, organisiert oder unternehmerisch zugänglich macht oder sich als Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 2 daran beteiligt;
…
(2) Werden in Zusammenhang mit der Teilnahme an Ausspielungen vermögenswerte Leistungen für ein Spiel von über 10 Euro von Spielern oder anderen geleistet, so handelt es sich nicht mehr um geringe Beträge und tritt insoweit eine allfällige Strafbarkeit nach diesem Bundesgesetz hinter eine allfällige Strafbarkeit nach § 168 StGB [(Strafgesetzbuch)] zurück. …
…“
In § 53 GSpG 2011 hieß es:
„(1) Die Behörde kann die Beschlagnahme der Glücksspielautomaten … anordnen …, wenn
der Verdacht besteht, dass
mit Glücksspielautomaten …, mit denen in das Glücksspielmonopol des Bundes eingegriffen wird, fortgesetzt gegen eine oder mehrere Bestimmungen des § 52 Abs. 1 verstoßen wird, oder
…“
Eine neue Änderung des Bundesgesetzes zur Regelung des Glücksspielwesens wurde im BGBl I 13/2014 veröffentlicht (in der geänderten Fassung im Folgenden: GSpG 2014).
In § 50 Art. 1 GSpG 2014 heißt es:
„Für Strafverfahren und Betriebsschließungen nach diesem Bundesgesetz sind die Bezirksverwaltungsbehörden … zuständig. Gegen diese Entscheidungen kann Beschwerde an ein Verwaltungsgericht des Landes erhoben werden.“
In § 52 GSpG 2014 heißt es:
„(1) Es begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Behörde in den Fällen der Z 1 mit einer Geldstrafe von bis zu 60000 Euro und in den Fällen der Z 2 bis 11 mit bis zu 22000 Euro zu bestrafen,
wer zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen im Sinne des § 2 Abs. 4 veranstaltet, organisiert oder unternehmerisch zugänglich macht oder sich als Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 2 daran beteiligt;
…
(3) Ist durch eine Tat sowohl der Tatbestand der Verwaltungsübertretung nach § 52 als auch der Tatbestand des § 168 StGB verwirklicht, so ist nur nach den Verwaltungsstrafbestimmungen des § 52 zu bestrafen.
…“
Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz
Das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (BGBl I 33/2013) in der Fassung der im BGBl I 122/2013 veröffentlichten Änderung (im Folgenden: VwGVG) bestimmt in § 18:
„Partei ist auch die belangte Behörde.“
In § 38 VwGVG heißt es:
„Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG in Verwaltungsstrafsachen die Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 … und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.“
§ 46 Abs. 1 VwGVG lautet:
„Das Verwaltungsgericht hat die zur Entscheidung der Sache erforderlichen Beweise aufzunehmen.“
§ 50 VwGVG bestimmt:
„Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden.“
Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz
§ 8 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BGBl I 51/1991) in der Fassung der im BGBl I 161/2013 veröffentlichten Änderung (im Folgenden: AVG) lautet:
„Personen, die eine Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen oder auf die sich die Tätigkeit der Behörde bezieht, sind Beteiligte und, insoweit sie an der Sache vermöge eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses beteiligt sind, Parteien.“
§ 37 AVG bestimmt:
„Zweck des Ermittlungsverfahrens ist, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. …“
In § 39 AVG heißt es:
„(1) Für die Durchführung des Ermittlungsverfahrens sind die Verwaltungsvorschriften maßgebend.
(2) Soweit die Verwaltungsvorschriften hierüber keine Anordnungen enthalten, hat die Behörde von Amts wegen vorzugehen und unter Beobachtung der in diesem Teil enthaltenen Vorschriften den Gang des Ermittlungsverfahrens zu bestimmen. Sie kann insbesondere von Amts wegen oder auf Antrag eine mündliche Verhandlung durchführen und mehrere Verwaltungssachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbinden oder sie wieder trennen. Die Behörde hat sich bei allen diesen Verfahrensanordnungen von Rücksichten auf möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis leiten zu lassen.
…“
Verwaltungsstrafgesetz
§ 24 des Verwaltungsstrafgesetzes (BGBl 52/1991) in der Fassung der im BGBl I 33/2013 veröffentlichten Änderung (im Folgenden: VStG) bestimmt:
„Soweit sich aus diesem Bundesgesetz nicht anderes ergibt, gilt das AVG auch im Verwaltungsstrafverfahren. …“
In § 25 VStG heißt es:
„(1) Verwaltungsübertretungen sind … von Amts wegen zu verfolgen.
(2) Die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände sind in gleicher Weise zu berücksichtigen wie die belastenden.
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich ist mit zwei Rechtssachen befasst worden. In der ersten geht es um die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme von Geräten, deren Benutzung gegen das Glücksspielmonopol des Bundes verstoßen kann, und in der zweiten um die Rechtmäßigkeit von Geldstrafen, die wegen der Veranstaltung von Glücksspielen mit derartigen Geräten oder der Gestattung ihrer Veranstaltung verhängt wurden.
Die erste Rechtssache folgt auf eine am 8. März 2012 von den Finanzbehörden im Auftrag der Landespolizeidirektion Oberösterreich in der Gaststätte „SJ-Bet Sportbar“ in Wels (Österreich) durchgeführte Kontrolle.
Da die Finanzbehörden feststellten, dass bei acht dort aufgestellten Geräten der Verdacht bestand, dass sie unter Verstoß gegen das Glücksspielmonopol des Bundes betrieben wurden, beschlagnahmten sie sie. Bei dieser Kontrolle wurde ausgesagt, dass eines der Geräte im Eigentum von Online Games stehe.
Mit Bescheid vom 17. April 2012 ordnete die Landespolizeidirektion Oberösterreich gemäß § 53 Abs. 1 Z 1 lit. a GSpG 2011 die dauerhafte Beschlagnahme des präsumtiv im Eigentum von Online Games stehenden Geräts an.
Online Games erhob gegen diesen Bescheid Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (nunmehr Landesverwaltungsgericht Oberösterreich). Mit Erkenntnis vom 21. Mai 2012 wurde diese Berufung als unbegründet abgewiesen.
Mit Erkenntnis vom 1. Oktober 2015 gab der Verwaltungsgerichtshof (Österreich) der Beschwerde von Online Games gegen das Erkenntnis vom 21. Mai 2012 statt und hob es mit der Begründung auf, dass die Höchsteinsätze, die die Spieler über die beschlagnahmten Geräte hätten einsetzen können, nicht hinreichend genau festgestellt worden seien, um für die betreffende Rechtssache die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in Strafsachen oder der Verwaltungsgerichte zu begründen. Daher wurde die Rechtssache an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zurückverwiesen.
In der ersten Rechtssache stellte sich heraus, dass die Veranstalterin der Glücksspiele, an denen die Spieler über das beschlagnahmte Gerät teilnehmen konnten, eine in Brünn (Tschechische Republik) ansässige Gesellschaft mit beschränkter Haftung war.
In der zweiten Rechtssache führten die Finanzbehörden am 14. August 2014 in der Gaststätte „Cafe Vegas“ in Linz (Österreich) eine Kontrolle durch.
Da die Finanzbehörden acht dort aufgestellte Geräte feststellten, hinsichtlich deren sie annahmen, dass sie unter Verstoß gegen das Glücksspielmonopol des Bundes betrieben wurden, beschlagnahmten sie sie.
Mit Bescheid vom 24. September 2015 verhängte die Landespolizeidirektion Oberösterreich gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG 2014 gegen Herrn Breuer, Frau Enter und Frau Walden wegen der Veranstaltung oder der Beteiligung an der Veranstaltung von Glücksspielen in der Gaststätte „Cafe Vegas“ Geldstrafen in Höhe von jeweils 24000 Euro.
Herr Breuer, Frau Enter und Frau Walden erhoben bei dem vorlegenden Gericht Beschwerde gegen diese Bescheide. Bei dieser Gelegenheit trugen sie vor, dass die streitigen Geräte von einem Server in der Slowakei versorgt würden.
Wie in der Vorlageentscheidung dargelegt worden ist, beschränkt sich der Gegenstand der Ausgangsverfahren auf die Frage, ob die dauerhafte Beschlagnahme des Geräts von Online Games und die Geldstrafen gegen Herrn Breuer, Frau Enter und Frau Walden rechtmäßig und unionsrechtskonform sind.
Das vorlegende Gericht hat zwei mündliche Verhandlungen abgehalten, eine am 11. November 2015 in der ersten Rechtssache und die andere am 11. Dezember 2015 in der zweiten Rechtssache.
An der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2015 haben ein Vertreter von Online Games und ein Vertreter der Finanzbehörden der Stadt Linz teilgenommen. Die Landespolizeidirektion Oberösterreich hat sich in der Verhandlung nicht vertreten lassen. Bei der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 2015 waren die Landespolizeidirektion Oberösterreich und die Finanzbehörden vertreten. Der Rechtsbeistand von Herrn Breuer, Frau Enter und Frau Walden war in dieser Verhandlung nicht anwesend, hat dem vorlegenden Gericht aber die Beweise vorgelegt, auf denen ihre Verteidigung beruht. In der ersten wie auch in der zweiten Rechtssache haben die Finanzbehörden und die Landespolizeidirektion Oberösterreich mehrere Gründe vorgetragen, um die Vereinbarkeit der betreffenden nationalen Regelungen, d. h. des GSpG 2011 und des GSpG 2014, mit dem Unionsrecht darzutun.
Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass das erstinstanzliche Verwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof unterschiedlicher Ansicht sind, welche Tragweite der im Verwaltungsstrafverfahren geltende Grundsatz hat, der dem Tatrichter eine aktive Rolle bei der Wahrheitsfindung zuweist und nach dem der Tatrichter den Mängeln und Versäumnissen der Strafverfolgungsbehörden abzuhelfen hat.
Das vorlegende Gericht führt insoweit aus, dass das nationale Gericht, das mit der Rechtssache befasst gewesen sei, in der das Urteil des Gerichtshofs vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), ergangen sei, im Anschluss an jenes Urteil mit Erkenntnis vom 9. Mai 2014 festgestellt habe, dass das Glücksspielmonopol des Bundes mit Art. 56 AEUV unvereinbar sei. Auf eine Revision des Bundesministers für Finanzen hin habe der Verwaltungsgerichtshof am 15. Dezember 2014 das Erkenntnis unter Zurückweisung der Rechtssache an das vorlegende Gericht aufgehoben. Am 29. Mai 2015 habe das vorlegende Gericht neuerlich festgestellt, dass das Glücksspielmonopol des Bundes dem Unionsrecht widerspreche. Gegen diese Entscheidung sei wiederum eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof erhoben worden.
Das vorlegende Gericht hat Zweifel, ob der in § 38 VwGVG in Verbindung mit den §§ 24 und 25 VStG und mit § 39 Abs. 1 AVG niedergelegte Grundsatz, wonach der befasste Richter die Tatsachen, die Verwaltungsübertretungen – die strafrechtlichen Charakter haben – darstellen können, von Amts wegen zu ermitteln hat, mit Art. 47 der Charta und Art. 6 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) vereinbar ist.
Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts kann sich eine solche Pflicht auf die Unparteilichkeit des Richters auswirken, dessen Rolle mit der Rolle der die „Anklage“ vertretenden Behörde zusammenfallen würde. Diese Pflicht sei daher mit dem im Licht von Art. 6 EMRK ausgelegten Art. 47 der Charta unvereinbar.
Aus dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), gehe hervor, dass die zuständigen Behörden nachzuweisen hätten, dass die nationalen Maßnahmen zur Einräumung eines Glücksspielmonopols an den Staat durch das Anliegen gerechtfertigt seien, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern oder die Kriminalität zu bekämpfen, und dem Tatrichter hierzu Beweise vorzulegen hätten, aus denen hervorgehe, dass die Kriminalität oder die Spielsucht im maßgeblichen Zeitraum tatsächlich ein erhebliches Problem dargestellt habe, so dass jegliche Pflicht des Verwaltungsrichters, insoweit spezielle Ermittlungen anzustellen, in Widerspruch zu dieser Rechtsprechung stünde.
Unter diesen Umständen hat das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 56 AEUV bzw. sind die Art. 49 ff. AEUV im Licht des Art. 6 EMRK in Verbindung mit Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass diese Bestimmungen mit Rücksicht auf die im Licht der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (insbesondere im Hinblick auf dessen Urteil vom 18. Mai 2010, Ozerov/Russland, CE:ECHR:2010:0518JUD006496201, Rn. 54) geforderte Objektivität und Unvoreingenommenheit eines Gerichts einer innerstaatlichen Regelung entgegenstehen, wonach die im Rahmen eines Verwaltungsstrafverfahrens zur Rechtfertigung der strafrechtlich geschützten Quasi-Monopolregelung des nationalen Glücksspielmarkts zu erbringenden Nachweise im Licht der Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union (insbesondere im Hinblick auf dessen Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a.,C-390/12, EU:C:2014:281) nicht von der Strafbehörde (oder einem anderen staatlichen Verfolgungsorgan) in deren (bzw. dessen) Funktion als Vertreter(in) der Anklage, sondern vielmehr initiativ und unabhängig vom Verhalten der Verfahrensparteien von dem zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der in Beschwerde gezogenen strafrechtlichen Maßnahme berufenen Gericht (in ein und derselben Person/Funktion) zunächst sowohl völlig eigenständig zu deklarieren und abzugrenzen als auch in der Folge autonom-investigativ zu ermitteln und zu beurteilen sind?
Zur Vorlagefrage
Zur Zulässigkeit
Die österreichische Regierung macht geltend, das Vorabentscheidungsersuchen sei unzulässig, weil erstens die Frage hypothetisch sei, da sie auf einem falschen Verständnis des innerstaatlichen Rechts beruhe, und zweitens die Vorlageentscheidung den sachlichen Rahmen der Ausgangsverfahren nicht hinreichend darlege, um dem Gerichtshof eine sachdienliche Antwort zu ermöglichen.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof kann die Entscheidung über eine von einem nationalen Gericht gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage nur dann ablehnen, wenn etwa die in Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs aufgeführten Anforderungen an den Inhalt eines Vorabentscheidungsersuchens nicht erfüllt sind oder offensichtlich ist, dass die Auslegung oder die Beurteilung der Gültigkeit einer Unionsvorschrift, um die das vorlegende Gericht ersucht, in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder wenn das Problem hypothetischer Natur ist (Urteil vom 28. März 2017, Rosneft, C-72/15, EU:C:2017:236, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung ist eine dem nationalen Gericht dienliche Auslegung des Unionsrechts nur möglich, wenn dieses die Sach- und Rechtslage, in der sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen, auf denen diese Fragen beruhen, erläutert. Außerdem muss die Vorlageentscheidung die genauen Gründe angeben, aus denen dem nationalen Gericht die Auslegung des Unionsrechts fraglich und die Vorlage einer Vorabentscheidungsfrage an den Gerichtshof erforderlich erscheint (Urteil vom 18. April 2013, Mulders, C-548/11, EU:C:2013:249, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall beschreibt die Vorlageentscheidung den rechtlichen und tatsächlichen Rahmen der Ausgangsverfahren hinreichend, und die Angaben des vorlegenden Gerichts ermöglichen es, die Reichweite der Vorlagefrage zu bestimmen.
Das Argument, die Frage sei hypothetisch, beruht auf der Annahme, dass das vorlegende Gericht die nationale Regelung falsch ausgelegt hat. Insoweit ist allerdings darauf hinzuweisen, dass es nicht Sache des Gerichtshofs ist, über die Auslegung nationaler Vorschriften zu befinden, da diese Auslegung in die ausschließliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte fällt. Er hat demnach, wenn ihm ein nationales Gericht ein Vorabentscheidungsersuchen vorlegt, von der Auslegung des nationalen Rechts auszugehen, die ihm dieses Gericht vorgetragen hat (vgl. u. a. Urteil vom 27. Oktober 2009, ČEZ, C-115/08, EU:C:2009:660, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung). Des Weiteren hängt die Vereinbarkeit der von dem vorlegenden Gericht zu erlassenden Erkenntnisse mit dem Unionsrecht unbestreitbar von der Antwort auf die Vorlagefrage ab.
Daher ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.
Zur Beantwortung der Frage
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), ausgelegt wurden, im Licht des Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Verfahrensregelung entgegenstehen, nach der in Verwaltungsstrafverfahren das Gericht, das darüber zu entscheiden hat, ob eine die Ausübung einer Grundfreiheit der Europäischen Union wie der Niederlassungsfreiheit oder des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union beschränkende Regelung mit dem Unionsrecht vereinbar ist, bei der Prüfung des Vorliegens von Verwaltungsübertretungen die Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache von Amts wegen zu ermitteln hat.
Zunächst ist festzustellen, dass der Gerichtshof im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), die Vorlagefragen nur im Hinblick auf die in Art. 56 AEUV vorgesehene Dienstleistungsfreiheit geprüft hat, ohne sie unter dem Blickwinkel der in Art. 49 AEUV genannten Niederlassungsfreiheit zu prüfen. Wie die Generalanwältin in Nr. 34 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, gelten die in jenem Urteil in Bezug auf die Dienstleistungsfreiheit angeführten Entscheidungsgründe angesichts von Art. 62 AEUV jedoch auch für die Niederlassungsfreiheit.
Sodann ist darauf hinzuweisen, dass aus dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), hervorgeht, dass Art. 56 AEUV einer nationalen Regelung, die den Betrieb von Glücksspielautomaten ohne vorab erteilte behördliche Erlaubnis verbietet, entgegensteht, wenn diese Regelung nicht wirklich das Ziel des Spielerschutzes oder der Kriminalitätsbekämpfung verfolgt und nicht tatsächlich dem Anliegen entspricht, in kohärenter und systematischer Weise die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern oder die mit diesen Spielen verbundene Kriminalität zu bekämpfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a.,C-390/12, EU:C:2014:281, Rn. 56).
Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, dass den zuständigen Stellen des Mitgliedstaats, der sich auf ein Ziel berufen möchte, mit dem sich eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen lässt, obliegt, dem nationalen Gericht, das über diese Frage zu entscheiden hat, alle Umstände darzulegen, anhand deren dieses Gericht sich vergewissern kann, dass die Maßnahme tatsächlich den vom Gerichtshof aufgestellten Anforderungen genügt, damit sie als gerechtfertigt angesehen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a., C-390/12, EU:C:2014:281, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Das nationale Gericht hat sodann zu prüfen, welche Ziele mit der betreffenden nationalen Regelung tatsächlich verfolgt werden und ob die durch die Regelung auferlegten Beschränkungen den sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden Anforderungen an ihre Verhältnismäßigkeit genügen. Insbesondere muss es sich im Licht der konkreten Anwendungsmodalitäten der betreffenden restriktiven Regelung vergewissern, dass sie tatsächlich dem Anliegen entspricht, in kohärenter und systematischer Weise die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern, die Tätigkeiten in diesem Bereich zu begrenzen und die mit diesen Spielen verbundene Kriminalität zu bekämpfen (Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a., C-390/12, EU:C:2014:281, Rn. 47 bis 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Gerichtshof hat klargestellt, dass das nationale Gericht eine Gesamtwürdigung der Umstände vornehmen muss, unter denen eine restriktive Regelung erlassen worden ist und durchgeführt wird (Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a., C-390/12, EU:C:2014:281, Rn. 52).
Im Übrigen darf der Ansatz des nationalen Gerichts im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit nicht statisch sein, sondern muss dynamisch sein, so dass es die Entwicklung der Umstände nach dem Erlass der betreffenden Regelung berücksichtigen muss (Urteil vom 30. Juni 2016, Admiral Casinos & Entertainment, C-464/15, EU:C:2016:500, Rn. 36).
Desgleichen ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Gerichte der Mitgliedstaaten gemäß dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV den gerichtlichen Schutz der Rechte zu gewährleisten haben, die den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsen. Mit Art. 19 Abs. 1 EUV wird den Mitgliedstaaten im Übrigen aufgegeben, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz im Sinne von insbesondere Art. 47 der Charta in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2016, Lesoochranárske zoskupenie VLK, C-243/15, EU:C:2016:838, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Anwendungsbereich dieses Artikels der Charta ist, was das Handeln der Mitgliedstaaten betrifft, in ihrem Art. 51 Abs. 1 definiert. Danach gilt sie für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union; diese Bestimmung bestätigt die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung finden (Urteil vom 8. November 2016, Lesoochranárske zoskupenie VLK, C-243/15, EU:C:2016:838, Rn. 51).
Wie die Generalanwältin in Nr. 30 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, fällt jedoch eine Maßnahme, die ein Mitgliedstaat als Ausnahme von einer durch den AEU-Vertrag garantierten Grundfreiheit wie der Niederlassungsfreiheit oder des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union erlässt, in den Geltungsbereich des Unionsrechts.
Nach Art. 47 Abs. 1 der Charta hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.
Desgleichen steht fest, dass die Beschwerdeführer in den Ausgangsverfahren geltend machen, ihre Rechte auf Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit nach den Art. 56 und 49 AEUV seien durch die Beschlagnahme und die Strafen verletzt worden, deren Aufhebung sie deshalb bei dem vorlegenden Gericht beantragen. Art. 47 der Charta ist daher hier anwendbar.
Die Pflichten der nationalen Gerichte bei der Prüfung der Rechtfertigung einer eine Grundfreiheit der Europäischen Union beschränkenden Regelung sind zwar in der Rechtsprechung des Gerichtshofs so festgelegt worden, doch ist es Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, die Verfahrensmodalitäten für Rechtsbehelfe zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Denn mangels einer Unionsregelung sind die Mitgliedstaaten für den wirksamen Schutz dieser Rechte in jedem Einzelfall verantwortlich und müssen insbesondere die Beachtung des in Art. 47 der Charta verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2016, Lesoochranárske zoskupenie VLK, C-243/15, EU:C:2016:838, Rn. 65).
Hinsichtlich des Rechts nach Art. 47 Abs. 2 der Charta auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht umfasst der Begriff der „Unabhängigkeit“, die der Aufgabe des Richters innewohnt, zwei Aspekte. Der erste, externe, Aspekt setzt voraus, dass die Stelle vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteilens ihrer Mitglieder im Hinblick auf die ihnen unterbreiteten Rechtsstreite gefährden könnten (Urteil vom 9. Oktober 2014, TDC, C-222/13, EU:C:2014:2265, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der zweite, interne, Aspekt steht mit dem Begriff der „Unparteilichkeit“ in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass hinsichtlich der Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen an dessen Gegenstand ein gleicher Abstand gewahrt wird. Dieser Aspekt, von dem das vorlegende Gericht befürchtet, dass er im vorliegenden Fall nicht beachtet wird, verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht (Urteil vom 9. Oktober 2014, TDC, C-222/13, EU:C:2014:2265, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Diese Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit setzen voraus, dass es Regeln – insbesondere statutarische und Verfahrensregeln – gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der genannten Stelle für Einflussnahmen von außen und an ihrer Neutralität in Bezug auf die einander gegenüberstehenden Interessen auszuräumen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Oktober 2014, TDC, C-222/13, EU:C:2014:2265, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall geht aus den in den Rn. 3 bis 5 und 12 bis 20 des vorliegenden Urteils angeführten nationalrechtlichen Bestimmungen hervor, dass Bescheide der Verwaltungsbehörden mit einer Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit bei den Verwaltungsgerichten angefochten werden können, wobei diese Gerichte über die Beschwerden in der Sache entscheiden. In Ausübung seines Amts hat der Richter die Umstände der Rechtssache, mit der er befasst ist, in den Grenzen seiner Befassung unter gleicher Berücksichtigung der entlastenden und der belastenden Umstände zu ermitteln. In diesen Verfahren hat die Verwaltungsbehörde, die die Verwaltungsstrafe verhängt hat, Parteistellung.
Auf der Grundlage allein dieser Gesichtspunkte ist nicht davon auszugehen, dass eine solche Verfahrensregelung Zweifel an der Unparteilichkeit des nationalen Richters entstehen lassen kann, da seine Aufgabe darin besteht, die bei ihm anhängige Rechtssache zu prüfen, und zwar nicht zur Unterstützung der „Anklage“, sondern zur Wahrheitsfindung. Des Weiteren beruht diese Regelung im Wesentlichen auf dem Gedanken, dass der Richter nicht nur über einen Rechtsstreit zwischen den Parteien entscheidet, sondern das Allgemeininteresse der Gesellschaft vertritt. In Verfolgung dieses Interesses wird das nationale Gericht auch die Rechtfertigung einer eine Grundfreiheit der Union beschränkenden Regelung im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu prüfen haben.
Was das Zusammenspiel zwischen der den nationalen Gerichten nach dem nationalen Recht obliegenden Pflicht, in den bei ihnen anhängigen Rechtssachen den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, und dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), anbelangt, ist in den Rn. 50 bis 52 des vorliegenden Urteils darauf hingewiesen worden, dass die nationalen Gerichte nach dem Unionsrecht eine Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen eine restriktive Regelung erlassen worden ist und durchgeführt wird, auf der Grundlage der Beweise vornehmen müssen, die die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats vorgelegt haben, um das Vorliegen von Zielen, mit denen sich eine Beschränkung einer vom AEU-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheit rechtfertigen lässt, und deren Verhältnismäßigkeit darzutun.
Diese Gerichte können nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie – wie die Generalanwältin in den Nrn. 51 bis 56 und 68 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat – nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben.
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), ausgelegt wurden, im Licht des Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Verfahrensregelung, nach der in Verwaltungsstrafverfahren das Gericht, das darüber zu entscheiden hat, ob eine die Ausübung einer Grundfreiheit der Europäischen Union wie der Niederlassungsfreiheit oder des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Europäischen Union beschränkende Regelung mit dem Unionsrecht vereinbar ist, bei der Prüfung des Vorliegens von Verwaltungsübertretungen die Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache von Amts wegen zu ermitteln hat, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung nicht zur Folge hat, dass das Gericht an die Stelle der zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zu treten hat, denen es obliegt, die Beweise vorzulegen, die erforderlich sind, damit das Gericht prüfen kann, ob die Beschränkung gerechtfertigt ist.
Kosten
Für die Beteiligten der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Teil der bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Die Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), ausgelegt wurden, sind im Licht des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Verfahrensregelung, nach der in Verwaltungsstrafverfahren das Gericht, das darüber zu entscheiden hat, ob eine die Ausübung einer Grundfreiheit der Europäischen Union wie der Niederlassungsfreiheit oder des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Europäischen Union beschränkende Regelung mit dem Unionsrecht vereinbar ist, bei der Prüfung des Vorliegens von Verwaltungsübertretungen die Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache von Amts wegen zu ermitteln hat, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung nicht zur Folge hat, dass das Gericht an die Stelle der zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zu treten hat, denen es obliegt, die Beweise vorzulegen, die erforderlich sind, damit das Gericht prüfen kann, ob die Beschränkung gerechtfertigt ist.
Ilešič
Prechal
Rosas
Toader
Jarašiūnas
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. Juni 2017.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Zweiten Kammer
M. Ilešič
( 1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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