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EuGH 08.12.2016 - C-453/15
EuGH 08.12.2016 - C-453/15 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer) - 8. Dezember 2016* - „Vorlage zur Vorabentscheidung — Steuerwesen — Mehrwertsteuer — Richtlinie 2006/112/EG — Art. 56 — Ort der Dienstleistung — Begriff ‚ähnliche Rechte‘ — Übertragung von Treibhausgasemissionszertifikaten“
Leitsatz
In der Rechtssache C-453/15
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 22. Juli 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 24. August 2015, in dem Strafverfahren gegen
A,
B,
Beteiligter:
Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin A. Prechal, des Richters A. Rosas, der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juli 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
von A, vertreten durch die Rechtsanwälte M. Wulf und M. Langrock,
von B, vertreten durch die Rechtsanwälte A. Norouzi und O. Sahan,
des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof P. Frank, in eigener Person und vertreten durch S. Heine als Bevollmächtigte,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
der griechischen Regierung, vertreten durch E. Tsaousi und A. Dimitrakopoulou als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wasmeier und M. Owsiany-Hornung als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. September 2016
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 56 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen A und B wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Art. 43 der Mehrwertsteuerrichtlinie, der in Abschnitt 1 („Allgemeine Bestimmung“) von Kapitel 3 aufgeführt ist, das Regeln zum Ort der Dienstleistung enthält, bestimmt:
„Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistungserbringer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnsitz oder sein gewöhnlicher Aufenthaltsort.“
Art. 56 Abs. 1 dieser Richtlinie, der zu Kapitel 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 5 („Sonstige Dienstleistungen“) gehört und Spezialvorschriften enthält, sieht vor:
„Als Ort der folgenden Dienstleistungen, die an außerhalb der Gemeinschaft ansässige Dienstleistungsempfänger oder an Steuerpflichtige, die innerhalb der Gemeinschaft, jedoch außerhalb des Staates des Dienstleistungserbringers ansässig sind, erbracht werden, gilt der Ort, an dem der Dienstleistungsempfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnsitz oder sein gewöhnlicher Aufenthaltsort:
Abtretung und Einräumung von Urheberrechten, Patentrechten, Lizenzrechten, Fabrik- und Warenzeichen sowie ähnlichen Rechten;
…“
Art. 3 der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ABl. 2003, L 275, S. 32) enthält u. a. die folgende Definition:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
‚Zertifikat‘ das Zertifikat, das zur Emission von einer Tonne Kohlendioxidäquivalent in einem bestimmten Zeitraum berechtigt; es gilt nur für die Erfüllung der Anforderungen dieser Richtlinie und kann nach Maßgabe dieser Richtlinie übertragen werden;
…“
Art. 19 der Richtlinie 2003/87 bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten sorgen für die Einrichtung und Aktualisierung eines Registers, um die genaue Verbuchung von Vergabe, Besitz, Übertragung und Löschung von Zertifikaten zu gewährleisten. Die Mitgliedstaaten können ihre Register im Rahmen eines konsolidierten Systems gemeinsam mit einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten führen.
(2) Jede Person kann Inhaber von Zertifikaten sein. Das Register ist der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und in getrennte Konten aufzugliedern, um die Zertifikate der einzelnen Personen zu erfassen, an die und von denen Zertifikate vergeben oder übertragen werden.
…“
Deutsches Recht
Nach § 3a („Ort der sonstigen Leistung“) des Umsatzsteuergesetzes (im Folgenden: UStG) in seiner im Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung galt:
„(1) Eine sonstige Leistung wird vorbehaltlich der §§ 3b und 3f an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt. Wird die sonstige Leistung von einer Betriebsstätte ausgeführt, so gilt die Betriebsstätte als Ort der sonstigen Leistung.
…
(3) Ist der Empfänger einer der in Absatz 4 bezeichneten sonstigen Leistungen ein Unternehmer, so wird die sonstige Leistung abweichend von Absatz 1 dort ausgeführt, wo der Empfänger sein Unternehmen betreibt. Wird die sonstige Leistung an die Betriebsstätte eines Unternehmers ausgeführt, so ist stattdessen der Ort der Betriebsstätte maßgebend. Ist der Empfänger einer der in Absatz 4 bezeichneten sonstigen Leistungen kein Unternehmer und hat er seinen Wohnsitz oder Sitz im Drittlandsgebiet, wird die sonstige Leistung an seinem Wohnsitz oder Sitz ausgeführt.
(4) Sonstige Leistungen im Sinne des Absatzes 3 sind:
die Einräumung, Übertragung und Wahrnehmung von Patenten, Urheberrechten, Markenrechten und ähnlichen Rechten;
…“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
A und B, die für eine Steuerberatungsgesellschaft arbeiten, wurden vom Landgericht Hamburg in einem Strafverfahren wegen eines Umsatzsteuerbetrugssystems, das von G, einem anderen Angeklagten, von April 2009 bis März 2010 betrieben worden war und auf Hinterziehung von Umsatzsteuer beim Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten angelegt war, wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu Geldstrafen verurteilt.
An diesem Betrugssystem waren mehrere Gesellschaften beteiligt. Eine Gesellschaft E, die ihren Sitz in Deutschland hatte und faktisch von G beherrscht wurde, erwarb im Ausland umsatzsteuerfreie Treibhausgasemissionszertifikate und veräußerte diese an eine Gesellschaft I weiter, die ihren Sitz in Luxemburg hatte und ebenfalls von G geleitet wurde. Diese Gesellschaft stellte als Rechnungen Gutschriften zugunsten der Gesellschaft E unter Ausweis der in Deutschland geltenden Umsatzsteuer aus und verkaufte die Zertifikate an eine in Deutschland ansässige Gesellschaft C weiter, wobei die hierzu ausgestellten Gutschriften ebenfalls die in Deutschland geltende Umsatzsteuer auswiesen.
In ihren Voranmeldungen für das zweite, das dritte und das vierte Quartal 2009 erklärte die Gesellschaft E den Umsatz aus der Veräußerung der Zertifikate an die Gesellschaft I, wobei sie auf der Grundlage von Scheinrechnungen angeblicher inländischer Lieferanten einen Vorsteuerabzug vornahm. Für die Monate Januar und März 2010 gab diese Gesellschaft keine Voranmeldungen ab. Auf diese Weise umging sie die Zahlung einer Gesamtsumme von 11484179,12 Euro. Die Gesellschaft I erklärte ihrerseits für April bis Juli 2009, September 2009 bis Januar 2010 sowie März 2010 die der Gesellschaft C erbrachten Leistungen als umsatzsteuerpflichtige Umsätze und brachte die in den Gutschriften zugunsten der Gesellschaft E ausgewiesene Umsatzsteuer zu Unrecht als geleistete Vorsteuer in Abzug, womit sie die Zahlung eines Betrags von 10667491,10 Euro umging.
A und B waren ab Ende Mai 2009 als Steuerberater für die Gesellschaft I tätig und wurden von G mit der Erstellung eines Kurzgutachtens zur umsatzsteuerlichen Situation dieser Gesellschaft beauftragt. Darin wurde ausgeführt, dass die Gesellschaft I die in Deutschland geltende Umsatzsteuer nur ausweisen und als Vorsteuer abziehen könne, wenn sie über eine Betriebsstätte in Deutschland verfüge, die dort die entsprechenden Geschäfte tätige, und dass die vor der Errichtung einer Betriebsstätte in Deutschland erstellten Rechnungen zu korrigieren seien.
Aufgrund eines rückdatierten Vertrags über die Anmietung von Büroräumen in Deutschland ab dem 1. April 2009 erstellten A und B, die keine Kenntnis von der Rolle der Gesellschaft I im Steuerbetrugssystem hatten, in deren Namen korrigierte Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate April und Mai 2009, die sie dem deutschen Finanzamt am 12. August 2009 übermittelten. Darin gaben sie die in den Gutschriften zugunsten der Gesellschaft E ausgewiesene Umsatzsteuer als geleistete Vorsteuer an, und zwar in Höhe von 147519,80 Euro für April 2009 und 1146788,70 Euro für Mai 2009, obwohl sie es für „höchst wahrscheinlich“ hielten, dass die Gesellschaft I nicht über eine Betriebsstätte in Deutschland verfügte.
Der Bundesgerichtshof (Deutschland), der mit den Revisionen von A und B sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg befasst ist, führt in seinem Vorlagebeschluss aus, dass die Beantwortung der Frage, ob sich A und B wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung strafbar gemacht hätten, nach dem deutschen Strafrecht davon abhänge, ob sie vorsätzlich unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen beim Finanzamt eingereicht hätten, in denen zu Unrecht Vorsteuern aus den Gutschriften für die Leistungen der Gesellschaft E in Abzug gebracht worden seien. Da A und B keine Kenntnis von der Einbindung der Gesellschaften E und I in das von G betriebene Umsatzsteuerbetrugssystem gehabt hätten, wäre dies nur dann der Fall, wenn aus den Gutschriften zugunsten der Gesellschaft E keine Vorsteuer hätte geltend gemacht werden dürfen, da darin die Umsatzsteuer nicht hätte ausgewiesen werden dürfen. Dies sei bei den an die Gesellschaft I mit Sitz in Luxemburg gerichteten Rechnungen jedoch nur dann der Fall, wenn sich der Ort der – in der Übertragung von Zertifikaten bestehenden – Leistung nicht in Deutschland befunden habe. Ein Umsatzsteuerausweis durch die Gesellschaft E gegenüber der Gesellschaft I sei aber nur dann rechtswidrig, wenn sich der Ort der Leistung nach Art. 56 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht beim Dienstleistungserbringer, der Gesellschaft E, sondern beim Empfänger, der Gesellschaft I, befunden habe, so dass die Leistung in Deutschland nicht steuerbar gewesen sei.
Die letztgenannte Voraussetzung beruhe auf der Annahme, dass im Jahr 2009 der Ort der Leistung bei der Übertragung von Treibhausgasemissionszertifikaten nach § 3a Abs. 4 UStG in seiner im Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung – der Art. 56 Abs.1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie in deutsches Recht umsetze – der Ort gewesen sei, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit gehabt oder über eine Betriebsstätte verfügt habe, was wiederum die Klärung der Frage erfordere, ob der Handel mit solchen Zertifikaten ein „ähnliches Recht“ im Sinne dieser Bestimmungen darstelle.
Das vorlegende Gericht hält die Auslegung des Begriffs „ähnliche Rechte“ im Sinne von Art. 56 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht für derart offenkundig, dass kein Raum für vernünftige Zweifel bleibe. Es neigt jedoch der Auffassung zu, dass die Zertifikate „ähnlich“ im Sinne dieser Bestimmung seien, da der Begriff „ähnlich“„in bestimmten Merkmalen übereinstimmend“ oder „dem Genannten vergleichbar“ bedeute. So zeichneten sich die in dieser Bestimmung aufgeführten Rechte dadurch aus, dass der Gesetzgeber dem Rechtsinhaber ein absolutes Recht einräume und ihm die alleinige Befugnis verleihe, dieses Recht zu nutzen und unter Ausschluss anderer zu verwerten. Die Emissionszertifikate seien daher mit Rechten des geistigen Eigentums vergleichbar.
Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 56 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass es sich bei dem Zertifikat gemäß Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/87, das zur Emission von einer Tonne Kohlendioxidäquivalent in einem bestimmten Zeitraum berechtigt, um ein „ähnliches Recht“ im Sinne dieser Vorschrift handelt?
Zur Vorlagefrage
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 56 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die in dieser Bestimmung genannten „ähnlichen Rechte“ die in Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/87 definierten Treibhausgasemissionszertifikate einschließen.
Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass Art. 43 der Mehrwertsteuerrichtlinie eine allgemeine Regel für die Bestimmung des steuerlichen Anknüpfungspunkts bei Dienstleistungen enthält, während die Art. 44 ff. eine Reihe besonderer Anknüpfungspunkte vorsehen. Wie sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den im Wesentlichen identischen Bestimmungen von Art. 9 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1) ergibt, hat Art. 43 der Mehrwertsteuerrichtlinie keinen Vorrang vor ihren Art. 44 ff. In jedem Einzelfall ist zu fragen, ob er einem der in Art. 44 ff. der Richtlinie genannten Fälle entspricht. Anderenfalls fällt er unter Art. 43 der Richtlinie (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 26. September 1996, Dudda,C-327/94, EU:C:1996:355, Rn. 20 und 21, und vom 6. November 2008, Kollektivavtalsstiftelsen TRR Trygghetsrådet,C-291/07, EU:C:2008:609, Rn. 24 und 25).
Daraus folgt, dass Art. 56 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht als eng auszulegende Ausnahme von einem allgemeinen Grundsatz angesehen werden darf (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Oktober 2005, Levob Verzekeringen und OV Bank, C-41/04, EU:C:2005:649, Rn. 34, und vom 7. September 2006, Heger,C-166/05, EU:C:2006:533, Rn. 17).
Anhand dieser Erwägungen ist zu untersuchen, ob die Übertragung von Treibhausgasemissionszertifikaten einem der in Art. 56 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie genannten Fälle, mithin der „Abtretung und Einräumung von Urheberrechten, Patentrechten, Lizenzrechten, Fabrik- und Warenzeichen sowie ähnlichen Rechten“, entspricht.
Dass dies zu bejahen ist, kann dem Wortlaut von Art. 56 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht mit Gewissheit entnommen werden, da sich die dort ausdrücklich genannten Rechte auf den Bereich des geistigen Eigentums beziehen, während die in Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/87 definierten Zertifikate, die eine staatliche Genehmigung zur Emission von Treibhausgasen darstellen, nicht in diesen Bereich fallen.
Erstens weisen Treibhausgasemissionszertifikate jedoch, wie der Generalanwalt in Nr. 62 seiner Schlussanträge festgestellt hat, Übereinstimmungen mit allen diesen Rechten oder einigen von ihnen auf. So sind diese Zertifikate und diese Rechte insbesondere immaterieller Art, sie gewähren ihrem Inhaber eine Stellung der Ausschließlichkeit, und sie können mittels einer Abtretung oder Lizenz an einen Dritten übertragen werden, was es diesem ermöglicht, sie für die Zwecke einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu nutzen. Überdies sind, ebenso wie bestimmte dieser Rechte einer Eintragung unterliegen, auch der Besitz und die Übertragung dieser Zertifikate nach Art. 19 der Richtlinie 2003/87 Gegenstand einer Eintragung.
Zweitens ist die Frage, ob Treibhausemissionszertifikate einem der in Art. 56 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie genannten Fälle entsprechen, zudem anhand des Zwecks dieser Bestimmung zu beurteilen.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Ziel der Regeln der Mehrwertsteuerrichtlinie, nach denen der Ort der Besteuerung von Dienstleistungen zu bestimmen ist, darin besteht, einerseits Kompetenzkonflikte, die zu einer Doppelbesteuerung führen könnten, und andererseits die Nichtbesteuerung von Einnahmen zu verhindern (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. November 2008, Kollektivavtalsstiftelsen TRR Trygghetsrådet,C-291/07, EU:C:2008:609, Rn. 24, und vom 17. Dezember 2015, WebMindLicenses,C-419/14, EU:C:2015:832, Rn. 41).
Zu Art. 9 der Sechsten Richtlinie 77/388 hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass die Erhebung nach den Überlegungen, die den Bestimmungen über den Ort der Dienstleistung zugrunde liegen, nach Möglichkeit an dem Ort erfolgen soll, an dem die Gegenstände verbraucht oder die Dienstleistungen in Anspruch genommen werden (Urteil vom 3. September 2009, RCI Europe,C-37/08, EU:C:2009:507, Rn. 39).
Die Einbeziehung von Treibhausgasemissionszertifikaten in die in Art. 56 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie genannten „anderen Rechte“ entspricht diesem Ziel und diesen Überlegungen.
Da zum einen die Übertragung von Zertifikaten zwingend in dem in Art. 19 der Richtlinie 2003/87 vorgesehenen Register eingetragen wird, können nämlich die Identität des Erwerbers, der Ort, an dem er den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat oder über eine feste Niederlassung verfügt, für deren Zwecke die Übertragung durchgeführt wird, oder auch der Ort seines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts und folglich ebenso das Bestimmungsland der Übertragung leicht und mit großer Sicherheit bestimmt werden.
Da zum anderen die übertragenen Zertifikate grundsätzlich an dem Ort verwendet werden müssen, an dem der Erwerber seine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, ermöglicht die steuerliche Anknüpfung der Zertifikatsübertragung an diesen Ort der Dienstleistung es, diese Dienstleistung der Mehrwertsteuerregelung des Mitgliedstaats zu unterwerfen, auf dessen Gebiet die Zertifikate verwendet werden.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass diese Lösung, wie der Generalanwalt in Nr. 84 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, von einer überwiegenden Mehrheit der Mitgliedstaaten gewählt worden war, bevor zum einen die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 zur Änderung der Mehrwertsteuerrichtlinie bezüglich des Ortes der Dienstleistung (ABl. 2008, L 44, S. 11) umgesetzt wurde – die ab dem 1. Januar 2010 für von Steuerpflichtigen erbrachte Dienstleistungen die Grundregel aufgestellt hat, dass der Ort der Dienstleistung der Ort ist, an dem der Empfänger seinen Sitz hat – und bevor zum anderen die Richtlinie 2010/23/EU des Rates vom 16. März 2010 zur Änderung der Mehrwertsteuerrichtlinie im Hinblick auf eine fakultative und zeitweilige Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens auf die Erbringung bestimmter betrugsanfälliger Dienstleistungen (ABl. 2010, L 72, S. 1) umgesetzt wurde, mit der Art. 199a in die Mehrwertsteuerrichtlinie eingefügt wurde, nach dem die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass die Mehrwertsteuer von dem steuerpflichtigen Empfänger einer Übertragung von Treibhausgasemissionszertifikaten im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 2003/87 geschuldet wird.
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 56 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die in dieser Bestimmung genannten „anderen Rechte“ die in Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/87 definierten Treibhausgasemissionszertifikate einschließen.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Art. 56 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung genannten „anderen Rechte“ die in Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates definierten Treibhausgasemissionszertifikate einschließen.
Ilešič
Prechal
Rosas
Toader
Jarašiūnas
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 8. Dezember 2016.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Zweiten Kammer
M. Ilešič
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