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EuGH 16.10.2012 - C-614/10
EuGH 16.10.2012 - C-614/10 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer) - 16. Oktober 2012 ( *1) - „Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats — Richtlinie 95/46/EG — Verarbeitung personenbezogener Daten und freier Datenverkehr — Schutz natürlicher Personen — Art. 28 Abs. 1 — Nationale Kontrollstelle — Unabhängigkeit — Kontrollstelle und Bundeskanzleramt — Persönliche und organisatorische Bindungen“
Leitsatz
In der Rechtssache C-614/10
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 22. Dezember 2010,
Europäische Kommission, vertreten durch B. Martenczuk und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
unterstützt durch
Europäischer Datenschutzbeauftragter (EDSB), vertreten durch H. Kranenborg, I. Chatelier und H. Hijmans als Bevollmächtigte,
Streithelfer,
gegen
Republik Österreich, vertreten durch G. Hesse als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
unterstützt durch
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,
Streithelferin,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts (Berichterstatter), der Kammerpräsidenten A. Tizzano, M. Ilešič, G. Arestis, der Kammerpräsidentin M. Berger und des Kammerpräsidenten E. Jarašiūnas sowie der Richter E. Juhász, A. Borg Barthet, J.-C. Bonichot, M. Safjan, D. Šváby und der Richterin A. Prechal,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. April 2012,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. Juli 2012
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281, S. 31) verstoßen hat, dass sie nicht alle Vorschriften erlassen hat, die erforderlich sind, damit die in Österreich bestehende Rechtslage in Bezug auf die als Kontrollstelle für den Schutz personenbezogener Daten eingerichtete Datenschutzkommission (im Folgenden: DSK) dem Kriterium der Unabhängigkeit genügt.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Art. 28 („Kontrollstelle“) der Richtlinie 95/46 bestimmt in Abs. 1:
„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass eine oder mehrere öffentliche Stellen beauftragt werden, die Anwendung der von den Mitgliedstaaten zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen einzelstaatlichen Vorschriften in ihrem Hoheitsgebiet zu überwachen.
Diese Stellen nehmen die ihnen zugewiesenen Aufgaben in völliger Unabhängigkeit wahr.“
In Kapitel V der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr (ABl. 2001, L 8, S. 1) wurde eine unabhängige Kontrollbehörde, nämlich der Europäische Datenschutzbeauftragte (EDSB), geschaffen.
Art. 43 der Verordnung Nr. 45/2001 enthält Regelungen und allgemeine Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des EDSB und bestimmt in Abs. 3:
„Der Haushalt des [EDSB] ist Gegenstand einer spezifischen Linie des Einzelplans VIII des Gesamthaushaltplans der Europäischen Union.“
Österreichisches Recht
Bundes-Verfassungsgesetz
Art. 20 Abs. 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) lautet in der geänderten Fassung vom 1. Jänner 2008:
„Durch Gesetz können Organe
…
2. zur Kontrolle der Wahrung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sowie zur Kontrolle in Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens,
3. zur Entscheidung in oberster Instanz, wenn sie kollegial eingerichtet sind, ihnen wenigstens ein Richter angehört und ihre Bescheide nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen,
…
8. soweit dies nach Maßgabe des Rechts der Europäischen Union geboten ist,
von der Bindung an Weisungen der ihnen vorgesetzten Organe freigestellt werden. Durch Landesverfassungsgesetz können weitere Kategorien weisungsfreier Organe geschaffen werden. Durch Gesetz ist ein der Aufgabe des weisungsfreien Organs angemessenes Aufsichtsrecht der obersten Organe vorzusehen, zumindest das Recht, sich über alle Gegenstände der Geschäftsführung der weisungsfreien Organe zu unterrichten, und – soweit es sich nicht um Organe gemäß den Z 2, 3 und 8 handelt – das Recht, weisungsfreie Organe aus wichtigem Grund abzuberufen.“
Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979
§ 45 Abs. 1 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 (im Folgenden: BDG 1979) bestimmt:
„Der Vorgesetzte hat darauf zu achten, dass seine Mitarbeiter ihre dienstlichen Aufgaben gesetzmäßig und in zweckmäßiger, wirtschaftlicher und sparsamer Weise erfüllen. Er hat seine Mitarbeiter dabei anzuleiten, ihnen erforderlichenfalls Weisungen zu erteilen, aufgetretene Fehler und Missstände abzustellen und für die Einhaltung der Dienstzeit zu sorgen. Er hat das dienstliche Fortkommen seiner Mitarbeiter nach Maßgabe ihrer Leistungen zu fördern und ihre Verwendung so zu lenken, dass sie ihren Fähigkeiten weitgehend entspricht.“
Datenschutzgesetz 2000
Das Datenschutzgesetz 2000 (im Folgenden: DSG 2000) dient zur Umsetzung der Richtlinie 95/46 in österreichisches Recht.
Gemäß § 36 Abs. 1 DSG 2000 besteht die DSK aus sechs Mitgliedern, die auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten für die Dauer von fünf Jahren bestellt werden.
Gemäß § 36 Abs. 2 DSG 2000 werden fünf der Mitglieder der DSK von den gesetzlichen beruflichen Interessenvertretungen, den österreichischen Ländern und dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofs vorgeschlagen. Gemäß § 36 Abs. 3 DSG 2000 ist das sechste Mitglied „aus dem Kreise der rechtskundigen Bundesbediensteten vorzuschlagen“.
Da die Tätigkeit als Mitglied der DSK als Nebentätigkeit konzipiert ist, wird sie gemäß § 36 Abs. 3a DSG 2000 neben anderen beruflichen Tätigkeiten ausgeübt.
Gemäß § 37 Abs. 1 DSG 2000 sind die Mitglieder der DSK „in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden“. Nach § 37 Abs. 2 DSG 2000 unterstehen die in der Geschäftsstelle der DSK tätigen Bediensteten „fachlich nur den Weisungen des Vorsitzenden oder des geschäftsführenden Mitglieds der [DSK]“.
§ 38 Abs. 1 DSG 2000 bestimmt, dass sich die DSK eine Geschäftsordnung zu geben hat, in der eines ihrer Mitglieder mit der Führung der laufenden Geschäfte zu betrauen ist („geschäftsführendes Mitglied“).
§ 38 Abs. 2 DSG 2000 lautet:
„Für die Unterstützung in der Geschäftsführung der [DSK] hat der Bundeskanzler eine Geschäftsstelle einzurichten und die notwendige Sach- und Personalausstattung bereitzustellen. Er hat das Recht, sich jederzeit über alle Gegenstände der Geschäftsführung der [DSK] beim Vorsitzenden und dem geschäftsführenden Mitglied zu unterrichten.“
Geschäftsordnung der DSK
§ 4 Abs. 1 der Geschäftsordnung der DSK bestimmt, dass der gemäß § 36 Abs. 3 DSG 2000 bestellte Bundesbedienstete das Amt des geschäftsführenden Mitglieds versieht.
Nach § 7 Abs. 1 der Geschäftsordnung der DSK sind die Mitarbeiter der Geschäftsstelle, unbeschadet der dem Bundeskanzleramt vorbehaltenen Dienstaufsicht, nur an die Weisungen des Vorsitzenden beziehungsweise des geschäftsführenden Mitglieds der DSK gebunden.
Vorverfahren
Am 5. Juli 2005 richtete die Kommission ein Mahnschreiben an die Republik Österreich, in dem sie die Auffassung vertrat, dass die rechtlich bestehende und praktisch angewandte Organisation der DSK nicht dem Unabhängigkeitskriterium des Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 genüge.
Mit Schreiben vom 2. November 2005 nahm die Republik Österreich gegenüber der Kommission dazu Stellung, wobei sie geltend machte, dass die DSK den Anforderungen der Richtlinie entspreche.
Am 8. Jänner 2008 richtete die Kommission ein weiteres Mahnschreiben an die Republik Österreich, in dem sie um nähere Informationen zum geänderten Rechtsstand bezüglich der DSK nach Inkrafttreten der B-VG-Novelle am 1. Jänner 2008 bat.
In ihren ergänzenden Stellungnahmen vom 9. Jänner und vom 7. März 2008 führte die Republik Österreich aus, dass die geänderte Fassung von Art. 20 Abs. 2 B-VG keinerlei Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der DSK habe.
Sodann richtete die Kommission am 9. Oktober 2009 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Republik Österreich, in der sie die zuvor erhobenen Rügen wiederholte.
Da das Vorbringen der Republik Österreich in ihrem Antwortschreiben vom 9. Dezember 2009 auf die mit Gründen versehene Stellungnahme die Kommission nicht zu überzeugen vermochte, hat sie die vorliegende Klage erhoben.
Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 18. Mai 2011 ist die Bundesrepublik Deutschland als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Republik Österreich zugelassen worden.
Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 7. Juli 2011 ist der EDSB als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen worden.
Mit Schreiben vom 25. November 2011 hat die Republik Österreich gemäß Art. 44 § 3 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beantragt, dass die Große Kammer über die Rechtssache entscheidet.
Zur Klage
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
Die Kommission und der EDSB machen geltend, die Umsetzung von Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 durch die Republik Österreich sei fehlerhaft, weil nach der bestehenden nationalen Regelung die DSK nicht die Möglichkeit habe, ihre Aufgaben „in völliger Unabhängigkeit“ im Sinne der genannten Bestimmung wahrzunehmen. Sie verweisen dabei erstens darauf, dass nach der bestehenden Regelung das geschäftsführende Mitglied der DSK stets ein Beamter des Bundeskanzleramts sein müsse. Alle laufenden Geschäfte der DSK würden damit faktisch durch einen Bundesbeamten betrieben, der weiterhin an die Weisungen seines Dienstherrn gebunden sei und der Dienstaufsicht nach § 45 Abs. 1 BDG 1979 unterliege. § 37 Abs. 1 DSG 2000 sehe nur eine funktionelle Weisungsfreiheit der Kontrollstelle vor.
Zweitens sei die Geschäftsstelle der DSK organisatorisch in das Bundeskanzleramt eingegliedert. Durch diese Eingliederung sei die DSK weder institutionell noch materiell unabhängig. Alle Mitarbeiter der Geschäftsstelle der DSK seien nämlich, wie aus § 38 Abs. 2 DSG 2000 und § 7 Abs. 1 der Geschäftsordnung hervorgehe, dienstrechtlich dem Bundeskanzleramt zugeordnet und unterlägen somit dessen Dienstaufsicht.
Drittens verweisen die Kommission und der EDSB auf das Unterrichtungsrecht des Bundeskanzlers nach Art. 20 Abs. 2 B-VG und § 38 Abs. 2 DSG 2000.
Die Republik Österreich und die Bundesrepublik Deutschland beantragen, die Klage abzuweisen.
Sie führen aus, die DSK sei eine „Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag“ im Sinne des B-VG. Eine solche Einrichtung stelle ein unabhängiges Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV und Art. 6 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten dar und erfülle damit auch das Unabhängigkeitskriterium des Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46.
Die Republik Österreich trägt vor, Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 beziehe sich auf eine funktionelle Unabhängigkeit. Die DSK verfüge über eine solche Unabhängigkeit, da ihre Mitglieder gemäß § 37 Abs. 1 DSG 2000 in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden seien.
Keines der von der Kommission angeführten Merkmale sei geeignet, die Unabhängigkeit der DSK im Sinne von Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 in Frage zu stellen.
Erstens müsse das geschäftsführende Mitglied nicht notwendigerweise ein Beamter des Bundeskanzleramts sein. Es werde gemäß § 4 Abs. 1 der Geschäftsordnung in Verbindung mit § 36 Abs. 3 DSG 2000 aus dem Kreise der rechtskundigen Bundesbediensteten vorgeschlagen. Im Übrigen habe es die DSK selbst in der Hand, ihr geschäftsführendes Mitglied frei zu bestimmen, indem sie autonom ihre Geschäftsordnung ändere. Dass das geschäftsführende Mitglied wie jeder Beamte für sein dienstliches Fortkommen auf die Akzeptanz durch Vorgesetzte und in letzter Konsequenz einen Minister angewiesen sei, berühre seine Unabhängigkeit nicht.
Zweitens macht die Republik Österreich hinsichtlich der Eingliederung der Geschäftsstelle der DSK in das Bundeskanzleramt geltend, dass jede Einrichtung der Bundesverwaltung haushaltsrechtlich einem bestimmten Ressort zuzuordnen sei. Der Regierung obliege es nämlich, im Zusammenwirken mit dem Parlament für eine ausreichende materielle und personelle Ausstattung der verschiedenen Vollzugsorgane zu sorgen. Im Übrigen sei die Geschäftsstelle ausschließlich mit der Geschäftsführung hinsichtlich der Agenden der DSK betraut. Die Bediensteten der Geschäftsstelle seien an die Weisungen des Vorsitzenden oder des geschäftsführenden Mitglieds der DSK gebunden. Dass die Bediensteten der Geschäftsstelle dienst- und besoldungsrechtlich in das Bundeskanzleramt eingegliedert seien, berühre ihre Unabhängigkeit nicht. Die dienstrechtliche Aufsicht, die im Sinne einer Disziplinaraufsicht zu verstehen sei, stelle eine Gewähr für das ordnungsgemäße Funktionieren der DSK dar.
Drittens solle das „Unterrichtungsrecht“ des Bundeskanzlers eine demokratische Rückbindung der weisungsfrei gestellten Organe an das Parlament sicherstellen. Es ermögliche keinerlei Einflussnahme auf die Geschäftsführung der DSK. Im Übrigen stehe ein Unterrichtungsrecht auch nicht mit den Anforderungen an die Unabhängigkeit eines Gerichts in Widerspruch.
In ihrem Streithilfeschriftsatz fügt die Bundesrepublik Deutschland hinzu, eine eingeschränkte Dienstaufsicht sei mit den Vorgaben von Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 vereinbar. Die eingeschränkte Dienstaufsicht stelle lediglich sicher, dass die Person, über die die Aufsicht ausgeübt werde, pflichtgemäß handle. Sie berühre hingegen nicht die sachliche und persönliche Unabhängigkeit dieser Person und ermögliche insbesondere keine inhaltliche Einwirkung auf sie. In der deutschen Verfassungsrechtsprechung sei die Vereinbarkeit einer eingeschränkten Dienstaufsicht gegenüber Richtern mit dem Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit anerkannt.
Würdigung durch den Gerichtshof
Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 schreibt den Mitgliedstaaten vor, eine oder mehrere Kontrollstellen für den Schutz personenbezogener Daten einzurichten, die die ihnen zugewiesenen Aufgaben in völliger Unabhängigkeit wahrnehmen. Das Erfordernis, die Einhaltung der Unionsvorschriften über den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch eine unabhängige Stelle zu überwachen, ergibt sich auch aus dem Primärrecht der Union, insbesondere aus Art. 8 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und aus Art. 16 Abs. 2 AEUV.
Die Einrichtung unabhängiger Kontrollstellen in den Mitgliedstaaten ist somit ein wesentliches Element der Wahrung des Schutzes der Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten (Urteil vom 9. März 2010, Kommission/Deutschland, C-518/07, Slg. 2010, I-1885, Randnr. 23).
Zur Beurteilung der Begründetheit der vorliegenden Klage ist zu prüfen, ob, wie die Kommission geltend macht, nach der in Österreich bestehenden Regelung die DSK nicht in der Lage ist, ihre Aufgaben „in völliger Unabhängigkeit“ im Sinne von Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 wahrzunehmen.
In diesem Zusammenhang ist zunächst das Vorbringen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland zurückzuweisen, dass die DSK in dem nach Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 erforderlichen Maß unabhängig sei, weil sie das Unabhängigkeitskriterium erfülle, das Art. 267 AEUV im Zusammenhang mit der Einstufung als Gericht eines Mitgliedstaats innewohne.
Aus dem Urteil Kommission/Deutschland geht nämlich hervor, dass der Ausdruck „in völliger Unabhängigkeit“ in Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 autonom, und damit unabhängig von Art. 267 AEUV, ausgehend vom Wortlaut dieser Bestimmung der Richtlinie 95/46 sowie von deren Zielen und Systematik auszulegen ist (vgl. Urteil Kommission/Deutschland, Randnrn. 17 und 29).
Der Gerichtshof hat in seinem Urteil Kommission/Deutschland (Randnr. 30) bereits entschieden, dass der Ausdruck „in völliger Unabhängigkeit“ in Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 dahin auszulegen ist, dass die für den Schutz personenbezogener Daten zuständigen Kontrollstellen mit einer Unabhängigkeit ausgestattet sein müssen, die es ihnen ermöglicht, ihre Aufgaben ohne äußere Einflussnahme wahrzunehmen. Im gleichen Urteil hat der Gerichtshof klargestellt, dass diese Kontrollstellen jeder äußeren Einflussnahme, sei sie unmittelbar oder mittelbar, entzogen sein müssen, die ihre Entscheidungen steuern könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Deutschland, Randnrn. 19, 25, 30 und 50).
Dass die DSK insofern funktionell unabhängig ist, als ihre Mitglieder gemäß § 37 Abs. 1 DSG 2000 „in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden“ sind, ist zwar eine notwendige Voraussetzung dafür, dass diese Stelle das Kriterium der Unabhängigkeit im Sinne von Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 erfüllen kann. Doch reicht eine solche funktionelle Unabhängigkeit entgegen dem Vorbringen der Republik Österreich für sich allein nicht aus, um diese Kontrollstelle vor jeder äußeren Einflussnahme zu bewahren.
Die gemäß Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 erforderliche Unabhängigkeit soll nämlich nicht nur die unmittelbare Einflussnahme in Form von Weisungen ausschließen, sondern auch, wie in Randnr. 41 des vorliegenden Urteils ausgeführt, jede Form der mittelbaren Einflussnahme, die zur Steuerung der Entscheidungen der Kontrollstelle geeignet wäre.
Die verschiedenen Elemente der österreichischen Regelung, auf die sich die drei Rügen in der Klageschrift der Kommission beziehen, stehen aber der Annahme entgegen, dass die DSK bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben jedem mittelbaren Einfluss entzogen ist.
Zunächst ist zur ersten, die Stellung des geschäftsführenden Mitglieds innerhalb der DSK betreffenden Rüge festzustellen, dass dieses Mitglied gemäß § 36 Abs. 3 DSG 2000 in Verbindung mit § 38 Abs. 1 DSG 2000 und § 4 Abs. 1 der Geschäftsordnung der DSK ein Bundesbediensteter ist.
Dieser Bundesbedienstete führt gemäß § 38 Abs. 1 DSG 2000 die laufenden Geschäfte der DSK.
Zwar muss, wie die Republik Österreich ausführt, nach der bestehenden Regelung das geschäftsführende Mitglied der DSK nicht notwendigerweise ein Beamter des Bundeskanzleramts sein, auch wenn diese Stelle unstreitig stets mit einem solchen Beamten besetzt war.
Unabhängig davon, welcher Bundesbehörde das geschäftsführende Mitglied der DSK angehört, steht jedoch fest, dass zwischen ihm und dieser Bundesbehörde ein Dienstverhältnis besteht, das es dem Vorgesetzten des geschäftsführenden Mitglieds ermöglicht, dessen Tätigkeiten zu überwachen.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass § 45 Abs. 1 BDG 1979 dem Vorgesetzten eine weitreichende Befugnis zur Überwachung der Beamten seines Ressorts gewährt. Nach dieser Bestimmung ist der Vorgesetzte nämlich nicht nur befugt, darauf zu achten, dass seine Mitarbeiter ihre dienstlichen Aufgaben gesetzmäßig und in zweckmäßiger, wirtschaftlicher und sparsamer Weise erfüllen, sondern er hat auch seine Mitarbeiter dabei anzuleiten, aufgetretene Fehler und Missstände abzustellen, für die Einhaltung der Dienstzeit zu sorgen, das dienstliche Fortkommen seiner Mitarbeiter nach Maßgabe ihrer Leistungen zu fördern und ihre Verwendung so zu lenken, dass sie ihren Fähigkeiten weitgehend entspricht.
Angesichts der Stellung des geschäftsführenden Mitglieds innerhalb der DSK steht Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 der Dienstaufsicht, der dieses Mitglied kraft § 45 Abs. 1 BDG 1979 unterliegt, entgegen. Zwar zielt § 37 Abs. 1 DSG 2000 darauf ab, den Vorgesetzten des geschäftsführenden Mitglieds daran zu hindern, diesem Weisungen zu erteilen, doch weist § 45 Abs. 1 BDG 1979 dem Vorgesetzten eine Überwachungsbefugnis zu, die geeignet ist, die Unabhängigkeit der DSK bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinträchtigen.
Insoweit genügt der Hinweis, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Beurteilung des geschäftsführenden Mitglieds der DSK durch den Vorgesetzten, mit der das dienstliche Fortkommen dieses Beamten gefördert werden soll, bei diesem zu einer Form von „vorauseilendem Gehorsam“ führen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Deutschland, Randnr. 36).
Im Übrigen ist die DSK aufgrund der Bindungen ihres geschäftsführenden Mitglieds an das ihrer Kontrolle unterliegende politische Organ nicht über jeden Verdacht der Parteilichkeit erhaben. In Anbetracht der Rolle der Kontrollstellen als Hüter des Rechts auf Privatsphäre verlangt Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 aber, dass ihre Entscheidungen, und damit sie selbst, über jeden Verdacht der Parteilichkeit erhaben sind (vgl. Urteil Kommission/Deutschland, Randnr. 36).
Die Republik Österreich wendet jedoch ein, dass der gemäß § 36 Abs. 3 DSG 2000 bestellte Bundesbedienstete das Amt des geschäftsführenden Mitglieds kraft § 4 Abs. 1 der Geschäftsordnung der DSK versehe. Da der Umstand, dass ihr geschäftsführendes Mitglied ein Beamter des Bundeskanzleramts sei, auf einer autonomen Entscheidung dieser Behörde beruhe, werde dadurch ihre Unabhängigkeit als Kontrollstelle nicht berührt.
Dem ist nicht zu folgen.
Wie aus den Randnrn. 48 bis 52 des vorliegenden Urteils hervorgeht, berührt das zwischen dem geschäftsführenden Mitglied der DSK und der Bundesbehörde, der es angehört, bestehende Dienstverhältnis die Unabhängigkeit der DSK, und diese Feststellung wird im vorliegenden Fall durch die Art und Weise der Bestellung dieses Mitglieds nicht in Frage gestellt. Es ist jedoch Sache der Republik Österreich, die rechtlichen Regelungen zu erlassen, die erforderlich sind, um zu gewährleisten, dass diese Kontrollstelle ihre Aufgaben „in völliger Unabhängigkeit“ im Sinne von Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 wahrnehmen kann.
Sodann ist hinsichtlich der zweiten Rüge der Kommission darauf hinzuweisen, dass gemäß § 38 Abs. 2 DSG 2000 das Bundeskanzleramt die notwendige Sach- und Personalausstattung für die Geschäftsstelle der DSK bereitstellt. Es ist unstreitig, dass das Personal der Geschäftsstelle der DSK aus Beamten des Bundeskanzleramts besteht.
Wie die Kommission ausführt, lässt auch die Eingliederung der Geschäftsstelle der DSK in das Bundeskanzleramt nicht den Schluss zu, dass die DSK ihre Aufgaben frei von jedem Einfluss des Bundeskanzleramts wahrnehmen kann.
Zwar muss die DSK, wie die Republik Österreich hervorhebt, nicht über eine eigene Haushaltslinie, wie sie Art. 43 Abs. 3 der Verordnung Nr. 45/2001 für den EDSB vorsieht, verfügen, um das Unabhängigkeitskriterium des Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 erfüllen zu können. Die Mitgliedstaaten sind nämlich nicht verpflichtet, in ihr innerstaatliches Recht ähnliche Vorschriften wie die des Kapitels V der Verordnung Nr. 45/2001 aufzunehmen, um für ihre Kontrollstelle(n) völlige Unabhängigkeit zu gewährleisten, und können somit die Kontrollstelle haushaltsrechtlich einem bestimmten Ressort zuordnen. Allerdings darf die Zuweisung der von einer solchen Stelle benötigten personellen und sachlichen Mittel diese Stelle nicht daran hindern, ihre Aufgaben „in völliger Unabhängigkeit“ im Sinne von Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 wahrzunehmen.
Der letztgenannten Voraussetzung genügt die in Österreich bestehende Regelung jedoch nicht. Das der Geschäftsstelle der DSK zur Verfügung gestellte Personal besteht nämlich aus Beamten des Bundeskanzleramts, das über diese Beamten die Dienstaufsicht nach § 45 Abs. 1 BDG 1979 ausübt. Wie aus den Randnrn. 49 bis 52 des vorliegenden Urteils hervorgeht, ist eine solche Dienstaufsicht des Staates aber nicht mit dem Unabhängigkeitserfordernis in Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 vereinbar, dem die für den Schutz personenbezogener Daten zuständigen Kontrollstellen genügen müssen.
Dem Argument der Republik Österreich, die Organisation der Geschäftsstelle könne die Unabhängigkeit der DSK nicht berühren, weil die Geschäftsstelle nur die Entscheidungen der DSK vollziehe, ist nicht zu folgen.
Angesichts der Arbeitsbelastung einer für den Schutz personenbezogener Daten zuständigen Kontrollstelle sowie der Tatsache, dass die Mitglieder der DSK ihre Tätigkeit gemäß § 36 Abs. 3a DSG 2000 neben anderen beruflichen Tätigkeiten ausüben, ist davon auszugehen, dass die Mitglieder einer solchen Stelle bei der Ausübung ihres Amtes weitgehend auf die Unterstützung durch das ihnen zur Verfügung gestellte Personal angewiesen sind. Dass die Geschäftsstelle aus Beamten des Bundeskanzleramts besteht, das selbst der Kontrolle der DSK unterliegt, birgt die Gefahr einer Beeinflussung der Entscheidungen der DSK. Eine solche organisatorische Verzahnung der DSK mit dem Bundeskanzleramt verhindert jedenfalls, dass die DSK über jeden Verdacht der Parteilichkeit erhaben ist, und ist damit nicht mit dem Erfordernis der „Unabhängigkeit“ im Sinne von Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 vereinbar.
Zur dritten Rüge der Kommission ist festzustellen, dass der Bundeskanzler gemäß Art. 20 Abs. 2 B-VG und § 38 Abs. 2 DSG 2000 das Recht hat, sich beim Vorsitzenden und beim geschäftsführenden Mitglied der DSK jederzeit über alle Gegenstände ihrer Geschäftsführung zu unterrichten.
Ein solches Unterrichtungsrecht ist ebenfalls dazu angetan, die DSK einem mittelbaren Einfluss seitens des Bundeskanzlers auszusetzen, der nicht mit dem Unabhängigkeitskriterium des Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 vereinbar ist. Insoweit genügt der Hinweis, dass das Unterrichtungsrecht zum einen sehr weit gefasst ist, da es sich auf „alle Gegenstände der Geschäftsführung der [DSK]“ erstreckt, und dass es zum anderen unbedingt ist.
Unter diesen Umständen steht das in Art. 20 Abs. 2 B-VG und in § 38 Abs. 2 DSG 2000 vorgesehene Unterrichtungsrecht einer Einstufung der DSK als Stelle entgegen, deren Handlungen unter allen Umständen über jeden Verdacht der Parteilichkeit erhaben sind.
Schließlich genügt zu dem in Randnr. 35 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Argument der Bundesrepublik Deutschland der Hinweis, dass das geschäftsführende Mitglied der DSK ein Bundesbediensteter ist, der einer Dienstaufsicht unterliegt, deren Ausgestaltung die Ausübung eines mittelbaren Einflusses auf die Entscheidungen der DSK durch den Vorgesetzten dieses Mitglieds nicht ausschließt (siehe Randnrn. 48 bis 52 des vorliegenden Urteils).
Nach alledem ist festzustellen, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46 verstoßen hat, dass sie nicht alle Vorschriften erlassen hat, die erforderlich sind, damit die in Österreich bestehende Rechtslage in Bezug auf die DSK dem Kriterium der Unabhängigkeit genügt, und zwar im Einzelnen dadurch, dass sie eine Regelung eingeführt hat, wonach
das geschäftsführende Mitglied der DSK ein der Dienstaufsicht unterliegender Bundesbediensteter ist,
die Geschäftsstelle der DSK in das Bundeskanzleramt eingegliedert ist und
der Bundeskanzler über ein unbedingtes Recht verfügt, sich über alle Gegenstände der Geschäftsführung der DSK zu unterrichten.
Kosten
Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Republik Österreich beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.
Nach Art. 69 § 4 Abs. 1 und 3 der Verfahrensordnung tragen die Bundesrepublik Deutschland und der EDSB, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
Die Republik Österreich hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr verstoßen, dass sie nicht alle Vorschriften erlassen hat, die erforderlich sind, damit die in Österreich bestehende Rechtslage in Bezug auf die Datenschutzkommission dem Kriterium der Unabhängigkeit genügt, und zwar im Einzelnen dadurch, dass sie eine Regelung eingeführt hat, wonach
das geschäftsführende Mitglied der Datenschutzkommission ein der Dienstaufsicht unterliegender Bundesbediensteter ist,
die Geschäftsstelle der Datenschutzkommission in das Bundeskanzleramt eingegliedert ist und
der Bundeskanzler über ein unbedingtes Recht verfügt, sich über alle Gegenstände der Geschäftsführung der Datenschutzkommission zu unterrichten.
Die Republik Österreich trägt die Kosten der Europäischen Kommission.
Die Bundesrepublik Deutschland und der Europäische Datenschutzbeauftragte tragen ihre eigenen Kosten.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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