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EuGH 27.09.2012 - C-113/10
EuGH 27.09.2012 - C-113/10 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer) - 27. September 2012 ( *1) - „Gemeinsame Agrarpolitik — Gemeinsame Marktorganisation — Zucker- und Isoglucoseerzeuger — Berechnung der Produktionsabgaben — Gültigkeit einer Berechnungsart, bei der für ohne Erstattung ausgeführte Zuckermengen fiktive Erstattungsbeträge angesetzt werden — Rückwirkung der Regelung — Wechselkurs — Zinsanspruch“
Leitsatz
In den verbundenen Rechtssachen C-113/10, C-147/10 und C-234/10
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Düsseldorf (C-113/10) (Deutschland), dem High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (C-147/10) (Vereinigtes Königreich), und dem Tribunal de grande instance de Nanterre (C-234/10) (Frankreich) durch Entscheidungen vom 22. Februar, 12. März und 6. Mai 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 2. und am 29. März sowie am 12. Mai 2010 in den Verfahren
Zuckerfabrik Jülich AG (C-113/10)
gegen
Hauptzollamt Aachen,
British Sugar plc (C-147/10)
gegen
Rural Payments Agency, an Executive Agency of the Department for Environment, Food & Rural Affairs
und
Tereos – Union de coopératives agricoles à capital variable (C-234/10)
gegen
Directeur général des douanes et droits indirects,
Receveur principal des douanes et droits indirects de Gennevilliers
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richterin A. Prechal, der Richter K. Schiemann und L. Bay Larsen (Berichterstatter) sowie der Richterin C. Toader,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. Juni 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Zuckerfabrik Jülich AG, vertreten durch die Rechtsanwälte H.-J. Prieß und B. Sachs,
der British Sugar plc, vertreten durch K. Lasok, QC, und G. Facenna, Barrister,
der Tereos – Union de coopératives agricoles à capital variable, vertreten durch N. Coutrelis, avocate,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,
der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Hathaway und H. Walker als Bevollmächtigte,
der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und B. Cabouat als Bevollmächtigte,
der spanischen Regierung, vertreten durch F. Díez Moreno als Bevollmächtigten,
der litauischen Regierung, vertreten durch R. Mackevičienė und R. Krasuckaitė als Bevollmächtigte,
der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,
der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Rossi, B. Schima, D. Bianchi und K. Banks als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 27. Oktober 2011
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen hauptsächlich die Gültigkeit der Verordnung (EG) Nr. 1193/2009 der Kommission vom 3. November 2009 zur Berichtigung der Verordnungen (EG) Nr. 1762/2003, (EG) Nr. 1775/2004, (EG) Nr. 1686/2005 und (EG) Nr. 164/2007 sowie zur Festsetzung der Produktionsabgaben im Zuckersektor für die Wirtschaftsjahre 2002/2003, 2003/2004, 2004/2005 und 2005/2006 (ABl. L 321, S. 1).
Diese Ersuchen ergehen in Rechtsstreitigkeiten der Zuckerfabrik Jülich AG (im Folgenden: Jülich) gegen das Hauptzollamt Aachen, der British Sugar plc (im Folgenden: British Sugar) gegen die Rural Payments Agency, an Executive Agency of the Department for Environment, Food & Rural Affairs (im Folgenden: Rural Payments Agency), sowie der Tereos – Union de coopératives agricoles à capital variable (im Folgenden: Tereos) gegen den Directeur général des douanes et droits indirects und den Receveur principal des douanes et droits indirects de Gennevilliers (Frankreich) wegen der Höhe der Abgaben, die für die Wirtschaftsjahre 2002/2003 bis 2005/2006 oder für einzelne von ihnen gezahlt worden sind.
Rechtlicher Rahmen
Art. 8 Abs. 1 des Beschlusses 2000/597/EG, Euratom des Rates vom 29. September 2000 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 253, S. 42) sieht vor, dass die Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften wie z. B. die Abgaben, die im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation für Zucker vorgesehen sind, von den Mitgliedstaaten nach den innerstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erhoben werden, die gegebenenfalls den Erfordernissen der Gemeinschaftsregelung anzupassen sind.
Gleiches gilt für diese Abgaben nach Art. 8 Abs. 1 des Beschlusses 2007/436/EG, Euratom des Rates vom 7. Juni 2007 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 163, S. 17), mit dem, wie in Art. 10 dieses Beschlusses vorgesehen, der Beschluss 2000/597 mit Wirkung vom 1. Januar 2007 aufgehoben wurde.
Die Verordnung (EG) Nr. 1260/2001 des Rates vom 19. Juni 2001 über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker (ABl. L 178, S. 1, im Folgenden: Grundverordnung), die mit der Verordnung (EG) Nr. 318/2006 des Rates vom 20. Februar 2006 über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker (ABl. L 58, S. 1) aufgehoben wurde, sah ein System der Selbstfinanzierung des Zuckersektors durch Produktionsabgaben vor.
Nach dem 11. Erwägungsgrund der Grundverordnung beruhte die gemeinsame Marktorganisation für Zucker zum einen auf dem Grundsatz, dass der Erzeuger in jedem Wirtschaftsjahr für die Verluste voll verantwortlich ist, die sich unter Berücksichtigung der Quoten aus dem Absatz der im Verhältnis zum Binnenverbrauch überschüssigen Gemeinschaftserzeugung ergeben, und zum anderen auf einer Regelung der Preis- und Absatzgarantien, die nach den den einzelnen Unternehmen zugeteilten Erzeugungsquoten differenziert sind.
Dem 13. Erwägungsgrund dieser Verordnung zufolge wurde der Grundsatz der finanziellen Verantwortlichkeit durch die Beiträge der Erzeuger gewährleistet, die in der Erhebung einer Grundproduktionsabgabe bestanden, die sich auf die gesamte A- und B-Zuckererzeugung erstreckte, aber auf 2 % des Interventionspreises für Weißzucker begrenzt war, sowie aus einer B-Abgabe, die die B-Zuckererzeugung bis zu einem Höchstsatz von 37,5 % des vorgenannten Preises belastete. Da mit diesen Begrenzungen das Ziel der Selbstfinanzierung des Sektors pro Wirtschaftsjahr grundsätzlich nicht erreicht werden konnte, war es daher angezeigt, in diesem Fall die Erhebung einer Ergänzungsabgabe vorzusehen.
Der 14. Erwägungsgrund der Grundverordnung lautete:
„Die Ergänzungsabgabe muss, insbesondere zur Beachtung einer Gleichbehandlung, für jedes Unternehmen unter Berücksichtigung seiner Beteiligung an den Einnahmen aus den Produktionsabgaben, die es auf Rechnung des betreffenden Wirtschaftsjahres zu begleichen hat, festgesetzt werden. Zu diesem Zweck wird ein für die gesamte Gemeinschaft geltender Koeffizient festgesetzt, der das Verhältnis zwischen dem festgestellten Gesamtverlust einerseits und den Gesamteinnahmen aus den betreffenden Produktionsabgaben andererseits für das jeweilige Wirtschaftsjahr wiedergibt. Es ist außerdem angebracht, Bedingungen für die Beteiligung der Verkäufer von Zuckerrüben und Zuckerrohr an der Tilgung des ungedeckten Verlustes des betreffenden Wirtschaftsjahres vorzusehen.“
Zur Berechnung der Abgaben sah Art. 15 der Grundverordnung vor:
„(1) Vor dem Ende jedes Wirtschaftsjahres wird Folgendes festgestellt:
die voraussichtliche A- und B-Menge an Zucker, Isoglucose und Inulinsirup, die unter Anrechnung auf das laufende Wirtschaftsjahr hergestellt worden ist;
die voraussichtliche Zucker-, Isoglucose- und Inulinsirupmenge, die während des laufenden Wirtschaftsjahres für den Verbrauch in der Gemeinschaft abgesetzt wird;
der ausführbare Überschuss, wobei die unter Buchstabe a genannte Menge um die unter Buchstabe b genannte Menge verringert wird;
der voraussichtliche durchschnittliche Verlust oder der voraussichtliche durchschnittliche Erlös je Tonne Zucker im Hinblick auf die im laufenden Wirtschaftsjahr zu erfüllenden Ausfuhrverpflichtungen.
Dieser durchschnittliche Verlust oder durchschnittliche Erlös entspricht der Differenz zwischen dem Gesamterstattungsbetrag und dem Gesamtabschöpfungsbetrag, bezogen auf die Gesamttonnage der betreffenden Ausfuhrverpflichtungen;
der voraussichtliche Gesamtverlust oder der voraussichtliche Gesamterlös, wobei der unter Buchstabe c) genannte Überschuss mit dem unter Buchstabe d) genannten durchschnittlichen Verlust oder durchschnittlichen Erlös multipliziert wird.
(2) Vor Ablauf des Wirtschaftsjahres 2005/2006 und unbeschadet von Artikel 10 Absätze 3 bis 6 wird für die Wirtschaftsjahre 2001/2002 bis 2005/2006 kumulativ Folgendes festgestellt:
der ausführbare Überschuss, der sich aus der endgültigen Erzeugung von A- und B-Zucker, von A- und B-Isoglucose sowie von A- und B-Inulinsirup einerseits und der zum Verbrauch in der Gemeinschaft endgültig abgesetzten Zuckermenge, Isoglucosemenge sowie Inulinsirupmenge andererseits errechnet;
der durchschnittliche Verlust oder der durchschnittliche Erlös je Tonne Zucker, der sich aus der nach dem Berechnungsverfahren des Absatzes 1 Buchstabe d) Unterabsatz 2 ermittelten Summe der Ausfuhrverpflichtungen ergibt;
der Gesamtverlust oder der Gesamterlös, wobei der unter Buchstabe a) genannte Überschuss mit dem unter Buchstabe b) genannten durchschnittlichen Verlust oder durchschnittlichen Erlös multipliziert wird;
die Gesamtsumme der erhobenen Grundproduktionsabgaben und der B-Abgaben.
Der in Absatz 1 Buchstabe e) genannte voraussichtliche Gesamtverlust oder voraussichtliche Gesamterlös wird nach Maßgabe der Differenz zwischen den unter den Buchstaben c) und d) genannten Feststellungen angepasst.
…
(8) Die Durchführungsbestimmungen zu diesem Artikel werden nach dem Verfahren des Artikels 42 Absatz 2 festgelegt, und zwar insbesondere:
die Höhe der zu erhebenden Abgaben,
…“
Nach der Verkündung des Urteils vom 8. Mai 2008, Zuckerfabrik Jülich u. a. (C-5/06 und C-23/06 bis C-36/06, Slg. 2008, I-3231), und des Beschlusses vom 6. Oktober 2008, SAFBA (C-175/07 bis C-184/07), erließ die Europäische Kommission die Verordnung Nr. 1193/2009, mit der sie die Verordnungen (EG) Nr. 1762/2003 der Kommission vom 7. Oktober 2003 zur Festsetzung der Produktionsabgaben im Zuckersektor für das Wirtschaftsjahr 2002/03 (ABl. L 254, S. 4), (EG) Nr. 1775/2004 der Kommission vom 14. Oktober 2004 zur Festsetzung der Produktionsabgaben im Zuckersektor für das Wirtschaftsjahr 2003/04 (ABl. L 316, S. 64) und (EG) Nr. 1686/2005 der Kommission vom 14. Oktober 2005 zur Festsetzung der Produktionsabgaben sowie des Koeffizienten der Ergänzungsabgabe im Zuckersektor für das Wirtschaftsjahr 2004/05 (ABl. L 271, S. 12), die vom Gerichtshof für ungültig erklärt worden waren, sowie die Verordnung (EG) Nr. 164/2007 der Kommission vom 19. Februar 2007 zur Festsetzung der Produktionsabgaben im Zuckersektor für das Wirtschaftsjahr 2005/06 (ABl. L 51, S. 17) berichtigte, die ebenfalls auf der vom Gerichtshof für die Wirtschaftsjahre 2002/2003, 2003/2004 und 2004/2005 für ungültig erklärten Methode beruhte. Die Kommission setzte damit die Produktionsabgaben im Zuckersektor für die Wirtschaftsjahre 2002/2003 bis 2005/2006 rückwirkend neu fest.
Die Erwägungsgründe 5 und 6 der Verordnung Nr. 1193/2009 lauten:
In seinem Urteil vom 8. Mai 2008 in den verbundenen Rechtssachen C-5/06 und C-23/06 bis C-36/06 gelangte der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die Prüfung der Verordnung (EG) Nr. 1837/2002 der Kommission vom 15. Oktober 2002 zur Festsetzung der Produktionsabgaben sowie des Koeffizienten der Ergänzungsabgabe im Zuckersektor [(ABl. L 278, S. 13)] für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 nichts ergeben hat, was ihre Gültigkeit berühren könnte. Zur Festsetzung der Produktionsabgaben in dem betreffenden Wirtschaftsjahr hätte die Kommission den durchschnittlichen Verlust auf der Grundlage aller in Form von Verarbeitungserzeugnissen ausgeführten Zuckermengen, gleich ob diese erstattungsfähig gewesen seien oder nicht, berechnet.
Es empfiehlt sich daher, dass die Kommission die Produktionsabgaben und gegebenenfalls einen Koeffizienten für die Ergänzungsabgabe nach derselben Berechnungsmethode festsetzt, die für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 angewendet wurde.“
In den Art. 1 bis 4 der Verordnung Nr. 1193/2009 werden die Produktionsabgaben im Zuckersektor für die Wirtschaftsjahre 2002/2003 bis 2005/2006 festgesetzt.
Art. 3 der Verordnung Nr. 1193/2009 sieht vor:
„Die Artikel 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 1686/2005 erhalten folgende Fassung:
‚…
Artikel 2
Für das Wirtschaftsjahr 2004/2005 wird der in Artikel 16 Absatz 2 der [Grundverordnung] vorgesehene Koeffizient für die Tschechische Republik, Lettland, Litauen, Ungarn, Polen, Slowenien und die Slowakei auf 0,25466 und für die anderen Mitgliedstaaten auf 0,14911 festgesetzt.‘“
Art. 6 der Verordnung Nr. 1193/2009 lautet:
„Diese Verordnung tritt am Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.
Artikel 1 gilt mit Wirkung vom 8. Oktober 2003.
Artikel 2 gilt ab dem 15. Oktober 2004.
Artikel 3 gilt ab dem 18. Oktober 2005.
Artikel 4 gilt ab dem 23. Februar 2007.“
Das Gericht der Europäischen Union hat mit Urteil vom 29. September 2011, Polen/Kommission (T-4/06), für Recht erkannt:
„Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1686/2005 … in der durch Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1193/2009 … geänderten Fassung wird für nichtig erklärt.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rechtssache C-113/10
Jülich ist ein Unternehmen, das Zucker erzeugt.
Mit Bescheiden vom 21. Oktober 2003, 26. Oktober 2005 und 21. Februar 2007 setzte das Hauptzollamt Aachen gegen Jülich die Produktionsabgaben für die Wirtschaftsjahre 2002/2003, 2004/2005, 2005/2006 fest. Es stützte sich dabei auf drei Verordnungen der Kommission, und zwar für das Wirtschaftsjahr 2002/2003 auf die Verordnung Nr. 1762/2003, für das Wirtschaftsjahr 2004/2005 auf die Verordnung Nr. 1686/2005 und für das Wirtschaftsjahr 2005/2006 auf die Verordnung Nr. 164/2007.
Jülich focht die Festsetzung der Produktionsabgaben für diese Wirtschaftsjahre an. Sie legte gegen den Bescheid vom 26. Oktober 2005 Einspruch ein und beantragte die Änderung der Bescheide vom 21. Oktober 2003 und 21. Februar 2007. Sie machte geltend, die Verordnungen Nrn. 1762/2003, 1686/2005 und 164/2007 seien ungültig, weil die Kommission die Abgabensätze fehlerhaft ermittelt habe.
Mit Bescheiden vom 28. und 29. Dezember 2009 setzte das Hauptzollamt Aachen auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1193/2009 die von Jülich für die Wirtschaftsjahre 2002/2003, 2004/2005 und 2005/2006 geschuldeten Produktionsabgaben fest.
Jülich hat gegen diese Bescheide Klage beim Finanzgericht Düsseldorf mit der Begründung erhoben, die Verordnung Nr. 1193/2009 sei ungültig.
Soweit die Kommission bei der Neuregelung der Abgabensätze nicht nur die Gesamtmengen der Ausfuhrverpflichtungen, sondern auch die Gesamterstattungsbeträge der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Wirtschaftsjahre neu ermittelt und dabei für Ausfuhren ohne Erstattungen fiktive Erstattungen angesetzt hat, hat das vorlegende Gericht Zweifel, ob diese Neuregelung, die seines Erachtens über die Vorgaben des Urteils Zuckerfabrik Jülich u. a. hinausgeht und Geltung für bereits abgeschlossene Wirtschaftsjahre beansprucht, mit dem gemeinschaftlichen Rückwirkungsverbot vereinbar ist.
Das Finanzgericht Düsseldorf hat mit Beschluss vom 2. März 2010 das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist die Verordnung Nr. 1193/2009 gültig?
Rechtssache C-147/10
Die British Sugar plc (im Folgenden: British Sugar), die Zuckererzeugnisse herstellt, hat auf Rückzahlung der an die Rural Payments Agency für die Wirtschaftsjahre 2002/2003 bis 2005/2006 zu viel gezahlten Produktionsabgaben nebst Zinsen geklagt.
Gestützt auf ihre Auslegung des Urteils Zuckerfabrik Jülich u. a. ermittelte British Sugar für die Wirtschaftsjahre 2002/2003 bis 2005/2006 eine Überzahlung von etwa 12531000 Euro ohne Zinsen.
Die Rural Payments Agency macht geltend, dass die Verordnung Nr. 1193/2009 nunmehr die rechtlich maßgebende Formel für die Berechnung der an British Sugar zurückzuzahlenden Beträge enthalte und die Parteien sowie das vorlegende Gericht rechtlich binde. Nach dieser Verordnung belaufe sich der British Sugar geschuldete Betrag auf 366590,79 GBP, und nur dieser Betrag sei ihr auszuzahlen.
British Sugar hält die Verordnung Nr. 1193/2009 für ungültig, insbesondere weil sie mit demselben grundlegenden Mangel behaftet sei, aufgrund dessen der Gerichtshof die Verordnungen Nrn. 1762/2003, 1775/2004 und 1686/2005 für ungültig erklärt habe. Die in der neuen Verordnung vorgesehene Berechnungsmethode, insbesondere für den in Art. 15 Abs. 1 Buchst. d der Grundverordnung genannten „durchschnittlichen Verlust je Tonne“, berücksichtige hypothetische Verluste, denen Ausfuhrerstattungen zugrunde gelegt würden, die zwar theoretisch zur Verfügung gestanden hätten, tatsächlich aber nicht gewährt worden seien. Die Verordnung Nr. 1193/2009 erhöhe damit künstlich den in Art. 15 Abs. 1 Buchst. e der Grundverordnung genannten Gesamtverlust.
Außerdem sei die Kommission für den Erlass der Verordnung Nr. 1193/2009 gemäß der Grundverordnung insbesondere deshalb nicht zuständig, weil die Grundverordnung, die aufgehoben worden sei, bei Erlass der neuen Verordnung nicht mehr in Kraft gewesen sei. Da keine Zuständigkeit nach der Grundverordnung bestanden habe, sei nach Art. 43 AEUV der Rat für die Festsetzung der Produktionsabgaben zuständig gewesen.
Ferner sei die Verordnung Nr. 1193/2009 auch insoweit ungültig, als sie vorschreibe, dass bei nicht auf Euro lautenden Zahlungen der Wechselkurs zugrunde zu legen sei, der zum Zeitpunkt der ursprünglichen Berechnung der überhöhten Abgabe, und nicht derjenige, der zum Zeitpunkt der Rückerstattung gegolten habe.
Die Rural Payments Agency macht geltend, dass die Methodik der Verordnung Nr. 1193/2009, soweit sie sich offenkundig an die Systematik der Verordnung Nr. 1837/2002, deren Prüfung nichts ergeben habe, was ihre Gültigkeit berühren könnte, anlehne, vom Gerichtshof damit möglicherweise implizit gebilligt worden sei.
Als Wechselkurs (Euro/GBP) sei derjenige heranzuziehen, der zum Zeitpunkt der ursprünglichen Berechnung der Zuckerproduktionsabgaben gegolten habe.
Schließlich könne British Sugar keine Zinsen auf die von ihr zu viel gezahlten Abgaben bei deren Rückzahlung verlangen. Jeder Rückzahlung zu viel entrichteter Beträge an dieses Unternehmen stehe nämlich nach Maßgabe des Eigenmittelsystems der Gemeinschaft eine entsprechende Rückzahlung der Kommission an die Rural Payments Agency gegenüber. Wenn die Unionsvorschriften über Eigenmittel keine Rechtsgrundlage für einen Anspruch der Mitgliedstaaten gegenüber der Kommission auf Verzinsung solcher Rückzahlungen vorsähen, müsse derselbe Grundsatz auch für Rückzahlungen an British Sugar gelten.
Unter diesen Umständen hat der High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division, das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist die Verordnung Nr. 1193/2009 unter Berücksichtigung des Urteils Zuckerfabrik Jülich u. a. und des Beschlusses SAFBA ungültig?
Ist die Verordnung Nr. 1193/2009 aus sonstigen Gründen unter Berücksichtigung der Rechtsgrundlage für ihren Erlass, nämlich der Grundverordnung, ungültig?
Sind bei der Berechnung der Entschädigung, die wegen der Überzahlung von Produktionsabgaben für Zucker in den Wirtschaftsjahren 2002/2003, 2003/2004, 2004/2005, 2005/2006 zu leisten ist, der anzuwendende Wechselkurs und der maßgebende Zeitpunkt für die Umrechnung nach Unionsrecht zu bestimmen? Falls ja: Ist Art. 6 der Verordnung Nr. 1193/2009 dahin auszulegen, dass für die zu leistende Entschädigung der Wechselkurs zugrunde zu legen ist, der zu dem Zeitpunkt galt, zu dem die zu viel gezahlte Abgabe ursprünglich berechnet wurde? Falls ja, ist Art. 6 der Verordnung Nr. 1193/2009 gültig?
In Bezug auf Zinsen:
Verwehrt das Unionsrecht einer Person, die sich in der Lage der Klägerin befindet, auf Beträge, die aufgrund einer ungültigen Verordnung der Kommission zu viel gezahlt worden sind, von der zur Erhebung von Produktionsabgaben zuständigen nationalen Behörde Zinsen in Fällen zu verlangen, in denen die zur Erhebung von Produktionsabgaben zuständige nationale Behörde ihrerseits keine Zinsen auf die entsprechenden von der Kommission an sie zurückzuzahlenden Beträge verlangen kann?
Falls Frage 4 Buchst. a zu bejahen ist: Verwehren es unter den Umständen des vorliegenden Falles die Unionsvorschriften über Eigenmittel (Beschluss 2000/597 und seine Durchführungsverordnung [EG] Nr. 1150/2000) bei richtiger Auslegung einer zur Erhebung von Produktionsabgaben zuständigen nationalen Behörde, Zinsen auf die von der Kommission an sie zurückzuzahlenden Beträge zu verlangen?
Falls Frage 4 Buchst. a zu verneinen ist: Verwehrt das Unionsrecht nationalen Gerichten oder Behörden die Ausübung eines ihnen gegebenenfalls zustehenden Ermessens, im Rahmen der Zuerkennung eines Anspruchs an eine Person, die sich in der Lage der Klägerin befindet, keine Zinsen zuzusprechen?
Rechtssache C-234/10
Da Tereos, eine Zuckerherstellerin, meinte, für das Wirtschaftsjahr 2004/2005 zu hohe Abgaben nach der Verordnung Nr. 1686/2005 gezahlt zu haben, beantragte sie am 2. Mai 2007 beim Receveur des douanes et droits indirects de Gennevilliers eine Teilrückzahlung. Nachdem sie keine Antwort auf ihre Beschwerde erhalten hatte, erhob sie Klage beim Tribunal de grande instance de Nanterre. Sie machte die Ungültigkeit der Verordnung Nr. 1686/2005 geltend und beantragte die Rückzahlung des zu viel gezahlten Betrags in Höhe von 11600 782 Euro.
Nach Erlass der Verordnung Nr. 1193/2009 beantragte Tereos bei diesem Gericht u. a., vor Entscheidung in der Sache eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs zur Gültigkeit der Verordnung Nr. 1193/2009 im Hinblick auf Art. 15 der Grundverordnung einzuholen und die Rückzahlung von 11600782 Euro zuzüglich der gesetzlichen Zinsen an sie anzuordnen.
Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts hat sich die Kommission bei der Neuberechnung der Produktionsabgaben im Rahmen der Verordnung Nr. 1193/2009 nicht strikt an die Berechnungsmethode nach Art. 15 der Grundverordnung in der Auslegung des Gerichtshofs im Urteil Zuckerfabrik Jülich u. a. gehalten, sondern die für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 angewandte Berechnungsmethode herangezogen, da der Gerichtshof erklärt habe, dass die Prüfung der Verordnung Nr. 1837/2002 nichts ergeben habe, was ihre Gültigkeit berühren könnte.
Das Tribunal de grande instance de Nanterre hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 15 Abs. 1 Buchst. d der Grundverordnung dahin auszulegen, dass zur Berechnung des durchschnittlichen Verlusts für alle Kategorien ausgeführten Zuckers die Summe der tatsächlichen Ausgaben durch die Summe der ausgeführten Mengen, gleich ob für diese Mengen Erstattungen tatsächlich gewährt wurden oder nicht, zu teilen ist?
Ist die Verordnung Nr. 1193/2009 angesichts von Art. 15 der Grundverordnung insoweit ungültig, als sie eine Produktionsabgabe für Zucker festsetzt, die auf der Grundlage eines durchschnittlichen Verlusts berechnet wird, der sich, was in Verarbeitungserzeugnissen ausgeführten Zucker anbelangt, aus der Multiplikation des Betrags je Einheit der Ausfuhrerstattung für diese Produkte mit der Summe aller ausgeführten Mengen, einschließlich der ohne Erstattungen ausgeführten Mengen, ergibt, und nicht aus der Division der tatsächlich getätigten Ausgaben durch die Summe aller mit oder ohne Erstattung ausgeführten Mengen?
Zur Verbindung der Rechtssachen C-113/10, C-147/10 und C-234/10
Da die Rechtssachen C-113/10, C-147/10 und C-234/10 ihrem Gegenstand nach miteinander in Zusammenhang stehen, hat der Präsident der Vierten Kammer des Gerichtshofs sie mit Beschluss vom 15. April 2011 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
Zu den Vorlagefragen
Zur einzigen Frage in der Rechtssache C-113/10, zur ersten Frage in der Rechtssache C-147/10 und zu den beiden Fragen in der Rechtssache C-234/10
Mit diesen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchten die vorlegenden Gerichte wissen, ob die von der Kommission in der Verordnung Nr. 1193/2009 gewählte Methode zur Berechnung des durchschnittlichen Verlusts je Tonne Zucker im Hinblick auf die im laufenden Wirtschaftsjahr zu erfüllenden Ausfuhrverpflichtungen (im Folgenden: durchschnittlicher Verlust) mit der Grundverordnung in der Auslegung des Gerichtshofs im Urteil Zuckerfabrik Jülich u. a. und im Beschluss SAFBA vereinbar ist.
Nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. d der Grundverordnung entspricht der durchschnittliche Verlust der Differenz zwischen dem Gesamterstattungsbetrag und dem Gesamtabschöpfungsbetrag, bezogen auf die Gesamttonnage der im laufenden Wirtschaftsjahr zu erfüllenden Ausfuhrverpflichtungen. Der voraussichtliche Gesamtverlust ergibt sich nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. e dieser Verordnung durch Multiplikation des ausführbaren Überschusses mit dem durchschnittlichen Verlust.
Es steht fest, dass die in der Verordnung Nr. 1193/2009 angewandte Methode zur Berechnung des durchschnittlichen Verlusts in zwei Punkten von der in den Verordnungen Nrn. 1762/2003, 1775/2004, 1686/2005 und 164/2007 angewandten abweicht.
Zum einen umfasst die „Gesamttonnage der Ausfuhrverpflichtungen“, die nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. d der Grundverordnung den Nenner der Verhältniszahl zur Berechnung des durchschnittlichen Verlusts bildet, nunmehr sämtliche Ausfuhrverpflichtungen einschließlich derjenigen, für die keine Ausfuhrerstattungen geleistet wurden. Diese Änderung der Methode zur Berechnung des durchschnittlichen Verlusts steht, wie im Übrigen von allen Beteiligten, die Erklärungen eingereicht haben, anerkannt wird, mit Art. 15 Abs. 1 Buchst. d der Grundverordnung in der Auslegung des Gerichtshofs insbesondere im Urteil Zuckerfabrik Jülich u. a. im Einklang.
Zum anderen errechnet sich der „Gesamterstattungsbetrag“ für den in Verarbeitungserzeugnissen enthaltenen Zucker, der nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. d der Grundverordnung einen Teil des Zählers der Verhältniszahl zur Berechnung des durchschnittlichen Verlusts bildet, in drei Schritten. Erstens wird die Summe der Ausfuhrverpflichtungen für diese Kategorie Zucker durch zwölf dividiert, wobei jedes dieser Zwölftel einem Monat des Wirtschaftsjahrs zugeordnet wird. Zweitens wird die so für jeden Monat errechnete Zahl mit dem im jeweiligen Monat für diese Ausfuhrart zu zahlenden Betrag der durchschnittlichen Erstattung multipliziert. Drittens werden die Ergebnisse dieser monatlichen Produkte addiert, um den Gesamterstattungsbetrag für das ganze Wirtschaftsjahr zu erhalten.
Die Kommission betont, dass diese Methode zur Berechnung des durchschnittlichen Verlusts bereits in der Vergangenheit angewandt worden sei, insbesondere in der Verordnung Nr. 1837/2002. Diese Methode habe der Gerichtshof im Urteil Zuckerfabrik Jülich u. a. gebilligt, als er entschieden habe, dass die Prüfung der Verordnung Nr. 1837/2002 nichts ergeben habe, was ihre Gültigkeit berühren könnte.
Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.
Im Urteil Zuckerfabrik Jülich u. a. hat sich der Gerichtshof zur Gültigkeit der Verordnung Nr. 1837/2002 nämlich nur insoweit geäußert, als dies erforderlich war, um die ihm vorgelegten Fragen unter Berücksichtigung der ihm vorgetragenen Argumente zu beantworten. Im Einzelnen ergibt sich aus den Randnrn. 61 und 63 dieses Urteils, dass sich der Gerichtshof zu der von der Kommission angewandten Methode zur Berechnung der Gesamttonnage der Ausfuhrverpflichtungen, nicht aber zu allen in die Berechnung des durchschnittlichen Verlusts einfließenden Größen geäußert hat. So hat er, wie die Generalanwältin in Nr. 83 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, die Formel zur Berechnung des Gesamterstattungsbetrags, die im Rahmen der Verordnung Nr. 1193/2009 übernommen wurde, nicht untersucht. Um über die Vereinbarkeit dieser Verordnung mit Art. 15 Abs. 1 Buchst. d der Grundverordnung entscheiden zu können, ist daher diese neue Frage zu prüfen.
Insoweit ist daran zu erinnern, dass mit der Grundverordnung ein System der Selbstfinanzierung der sich aus dem Absatz des Überschusses ergebenden Kosten geschaffen werden soll, das darin besteht, auf gerechte, aber wirksame Art die volle Finanzierung dieser Kosten durch die Erzeuger selbst sicherzustellen (Urteil Zuckerfabrik Jülich u. a., Randnr. 44). Folglich darf die gewählte Berechnungsmethode nicht in der Praxis darauf hinauslaufen, dass der Gesamtverlust von vornherein höher angesetzt wird als die Ausgaben für die Erstattungen für den Absatz der überschüssigen Gemeinschaftserzeugung (Urteil Zuckerfabrik Jülich u. a., Randnr. 60).
Ferner geht aus Art. 15 Abs. 1 Buchst. e der Grundverordnung hervor, dass sich der Gesamtverlust aus der Multiplikation des ausführbaren Überschusses mit dem durchschnittlichen Verlust ergibt. Eine überhöhte Einschätzung des durchschnittlichen Verlusts führt daher zwangsläufig zu einer überhöhten Einschätzung des Gesamtverlusts.
Bei der von der Kommission für die Bestimmung der Produktionsabgaben im Zuckersektor, wie sie in der Verordnung Nr. 1193/2009 festgesetzt worden sind, angewandten Methode werden die Ausfuhrerstattungen nicht berücksichtigt, die gezahlt werden, um den Absatz der in den Verarbeitungserzeugnissen enthaltenen Zuckermengen, für die Ausfuhrverpflichtungen bestehen, zu gewährleisten. Vielmehr wird diesen Mengen ein theoretischer Erstattungsbetrag zugewiesen, der auf dem Durchschnitt der von der Kommission in regelmäßigen Abständen festgesetzten Beträge beruht, unabhängig davon, ob tatsächlich eine Erstattung gezahlt wurde und wie hoch sie war.
Da jedoch, wie sich aus den Akten, insbesondere aus den Arbeitsunterlagen des Verwaltungsausschusses für die gemeinsame Organisation der Agrarmärkte ergibt, ein erheblicher Teil des in Verarbeitungserzeugnissen enthaltenen Zuckers ausgeführt wird, ohne dass die zu zahlenden Erstattungen gezahlt werden, läuft diese Berechnungsmethode darauf hinaus, den Gesamterstattungsbetrag künstlich zu erhöhen. Die von der Kommission als Gesamterstattungsbetrag angesetzte Zahl wahrt also nicht mehr den unmittelbaren Zusammenhang mit den Belastungen des Haushalts der Europäischen Union durch den Absatz der Zuckerüberschüsse.
Der Gesamterstattungsbetrag bildet einen Teil des Zählers der Verhältniszahl zur Berechnung des durchschnittlichen Verlusts. Daher führt diese Erhöhung des Zählers zwangsläufig zu einer gegen Art. 15 Abs. 1 der Grundverordnung verstoßenden überhöhten Einschätzung des durchschnittlichen Verlusts und damit des Gesamtverlusts.
Die Kommission trägt weiter vor, sie sei gezwungen, diese Berechnungsmethode anzuwenden, um die prognostische Perspektive des mit dieser Verordnung geschaffenen Systems zu wahren.
Dieses Vorbringen geht jedoch fehl. Aus den in Randnr. 49 des vorliegenden Urteils dargelegten Gründen kann nämlich das Verfahren, die monatliche Summe der Ausfuhrverpflichtungen mit der im jeweiligen Monat zu zahlenden durchschnittlichen Erstattung zu multiplizieren, nicht als ein Mittel angesehen werden, die voraussichtliche Höhe der Erstattungen zu ermitteln, die für den in Verarbeitungserzeugnissen enthaltenen Zucker gezahlt werden.
Somit geht die von der Kommission angewandte Regelung über den in Randnr. 46 des vorliegenden Urteils dargelegten Zweck der Grundverordnung und insbesondere den einer gerechten Finanzierung der Kosten für den Absatz der überschüssigen Gemeinschaftserzeugung hinaus, soweit sie in der Praxis darauf hinausläuft, dass der Gesamtverlust von vornherein höher angesetzt wird als die Ausgaben für die Erstattungen.
Auf die einzige Frage in der Rechtssache C-113/10, die erste Frage in der Rechtssache C-147/10 und die beiden Fragen in der Rechtssache C-234/10 ist daher zu antworten, dass die Verordnung Nr. 1193/2009 in ihren anderen Bestimmungen als Art. 3, der bereits durch die Nichtigerklärung von Art. 2 der Verordnung Nr. 1686/2005 durch das Gericht im Urteil Polen/Kommission für nichtig erklärt wurde, ungültig ist.
Zur zweiten Frage in der Rechtssache C-147/10
In Anbetracht der Antwort auf die einzige Frage in der Rechtssache C-113/10, die erste Frage in der Rechtssache C-147/10 und die beiden Fragen in der Rechtssache C-234/10 ist die zweite Frage in der Rechtssache C-147/10 nicht zu beantworten.
Zur dritten Frage in der Rechtssache C-147/10
Mit seiner dritten Frage in der Rechtssache C-147/10 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der bei der Berechnung der Entschädigung für die Überzahlung von Produktionsabgaben im Zuckersektor anzuwendende Wechselkurs nach Unionsrecht zu bestimmen ist und ob Art. 6 der Verordnung Nr. 1193/2009 dahin auszulegen ist, dass der Wechselkurs zugrunde zu legen ist, der zu dem Zeitpunkt galt, zu dem diese Abgaben ursprünglich festgesetzt wurden.
Zu Art. 6 der Verordnung Nr. 1193/2009, die in Randnr. 54 des vorliegenden Urteils für ungültig erklärt worden ist, ist jedenfalls festzustellen, dass diese Vorschrift lediglich bestimmt, wann diese Verordnung in Kraft tritt und ab wann ihre Art. 1 bis 4 anwendbar sind, und daher nicht den Zeitpunkt bestimmt, der für die Festsetzung des Wechselkurses maßgeblich ist, der für die Erstattung der zu viel gezahlten Produktionsabgaben im Zuckersektor für die Wirtschaftsjahre 2002/2003, 2003/2004, 2004/2005 und 2005/2006 galt.
Da diese Abgaben nach Art. 8 Abs. 1 der Beschlüsse 2000/597 und 2007/436 von den Mitgliedstaaten nach den innerstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erhoben werden, die gegebenenfalls den Erfordernissen der Unionsregelung anzupassen sind, fallen Streitigkeiten über die Erstattung von für Rechnung der Union erhobener Beträge in die Zuständigkeit der innerstaatlichen Gerichte und sind von diesen nach ihrem innerstaatlichen formellen und materiellen Recht zu entscheiden, soweit das Unionsrecht auf dem betreffenden Gebiet nichts anderes bestimmt (Urteile vom 21. Mai 1976, Roquette frères/Kommission, 26/74, Slg. 1976, 677, Randnr. 11, und vom 12. Juni 1980, Express Dairy Foods, 130/79, Slg. 1980, 1887, Randnr. 11).
Es ist festzustellen, dass es keine unionsrechtliche Vorschrift gibt, die den Wechselkurs regelt, der bei der Berechnung der Erstattung von Abgaben, die als Produktionsabgaben im Zuckersektor zu Unrecht erhoben wurden, anzuwenden ist.
Fehlen einschlägige unionsrechtliche Vorschriften, ist es Sache der nationalen Stellen und insbesondere der nationalen Gerichte in Fällen der Erstattung von Abgaben, die auf der Grundlage für ungültig erklärter Unionsverordnungen zu Unrecht erhoben wurden, alle mit dieser Erstattung zusammenhängenden Nebenfragen wie etwa die der Zahlung von Zinsen gemäß ihren innerstaatlichen Vorschriften über den Zinssatz und den Zeitpunkt, von dem an die Zinsen zu berechnen sind, zu regeln (vgl. in diesem Sinne Urteil Express Dairy Foods, Randnrn. 14 und 17).
In Ermangelung einer Regelung der Union kommt es der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten zu, die Bedingungen für die Zahlung solcher Zinsen, insbesondere den Zinssatz und die Berechnungsmethode für die Zinsen (einfache Verzinsung oder Zahlung von Zinseszinsen) festzulegen. Diese Bedingungen müssen den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität entsprechen, d. h., sie dürfen nicht ungünstiger sein als bei ähnlichen Klagen, die auf Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts gestützt sind, und sie dürfen nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen (vgl. Urteil vom 19. Juli 2012, Littlewoods Retail u. a., C-591/10, Randnr. 27).
Gleiches gilt für den für Erstattungen von zu viel gezahlten Produktionsabgaben im Zuckersektor geltenden Wechselkurs, der somit grundsätzlich nach dem innerstaatlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaats zu ermitteln ist.
Demnach ist auf die dritte Frage in der Rechtssache C-147/10 zu antworten, dass der Wechselkurs für die Berechnung der Entschädigung für die Überzahlung von Produktionsabgaben im Zuckersektor in Ermangelung einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften nach dem nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats zu bestimmen ist.
Zur vierten Frage in der Rechtssache C-147/10
Mit seiner vierten Frage in der Rechtssache C-147/10 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht der Zuerkennung von Zinsen auf Beträge, die als in einer ungültigen Verordnung festgesetzte Produktionsabgaben im Zuckersektor zu Unrecht gezahlt wurden, entgegensteht, wenn der betreffende Mitgliedstaat keine entsprechenden Zinsen auf die Eigenmittel der Union verlangen kann, und ob das Unionsrecht, wenn dies zu verneinen ist, es nationalen Gerichten oder Behörden erlaubt, unter Berufung auf ein ihnen nach innerstaatlichem Recht zustehendes Ermessen keine Zinsen zuzusprechen.
Hat ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen Vorschriften des Unionsrechts Steuern erhoben, hat der Einzelne Anspruch auf Erstattung nicht nur der zu Unrecht erhobenen Steuer, sondern auch der Beträge, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Steuer an diesen Staat gezahlt oder von diesem einbehalten worden sind. Darunter fallen auch die Einbußen aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Geldbeträgen infolge der vorzeitigen Fälligkeit der Steuer (vgl. Urteile vom 8. März 2001, Metallgesellschaft u. a., C-397/98 und C-410/98, Slg. 2001, I-1727, Randnrn. 87 bis 89, vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation, C-446/04, Slg. 2006, I-11753, Randnr. 205, und vom 19. Juli 2012, Littlewoods Retail u. a., Randnr. 25).
Nach dieser Rechtsprechung ergibt sich der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Steuerbeträge zuzüglich Zinsen zu erstatten, aus dem Unionsrecht (vgl. Urteil Littlewoods Retail u. a., Randnr. 26).
Unabhängig von der im Rahmen dieser Rechtssache nicht zu entscheidenden Frage, ob der Mitgliedstaat Zinsen auf die Eigenmittel der Union verlangen kann, haben Rechtssuchende, die einen Anspruch auf die Erstattung von Beträgen haben, die als in einer ungültigen Verordnung festgesetzte Produktionsabgaben im Zuckersektor zu Unrecht gezahlt wurden, auch Anspruch auf Zahlung der entsprechenden Zinsen.
Daher kann sich ein nationales Gericht nicht auf sein Ermessen berufen, um die Zuerkennung von Zinsen auf Beträge, die von einem Mitgliedstaat auf der Grundlage einer ungültigen Verordnung vereinnahmt wurden, mit der Begründung abzulehnen, dass dieser Mitgliedstaat keine entsprechenden Zinsen auf die Eigenmittel der Union verlangen könne.
Auf die vierte Frage in der Rechtssache C-147/10 ist demnach zu antworten, dass nach dem Unionsrecht Rechtssuchende, die einen Anspruch auf die Erstattung von Beträgen haben, die als in einer ungültigen Verordnung festgesetzte Produktionsabgaben im Zuckersektor zu Unrecht gezahlt wurden, auch einen Anspruch auf Zahlung der entsprechenden Zinsen haben. Ein nationales Gericht kann nicht im Rahmen seines Ermessens die Zuerkennung von Zinsen auf Beträge, die von einem Mitgliedstaat auf der Grundlage einer ungültigen Verordnung vereinnahmt wurden, mit der Begründung ablehnen, dass dieser Mitgliedstaat keine entsprechenden Zinsen auf die Eigenmittel der Union verlangen könne.
Kosten
Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Die Verordnung (EG) Nr. 1193/2009 der Kommission vom 3. November 2009 zur Berichtigung der Verordnungen (EG) Nr. 1762/2003, (EG) Nr. 1775/2004, (EG) Nr. 1686/2005 und (EG) Nr. 164/2007 sowie zur Festsetzung der Produktionsabgaben im Zuckersektor für die Wirtschaftsjahre 2002/2003, 2003/2004, 2004/2005 und 2005/2006 ist in ihren anderen Bestimmungen als Art. 3, der bereits durch die Nichtigerklärung von Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1686/2005 der Kommission vom 14. Oktober 2005 zur Festsetzung der Produktionsabgaben sowie des Koeffizienten der Ergänzungsabgabe im Zuckersektor für das Wirtschaftsjahr 2004/05 durch das Gericht der Europäischen Union im Urteil vom 29. September 2011, Polen/Kommission (T-4/06), für nichtig erklärt wurde, ungültig.
In Ermangelung einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften ist der Wechselkurs für die Berechnung der Entschädigung für die Überzahlung von Produktionsabgaben im Zuckersektor nach dem nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats zu bestimmen.
Nach dem Unionsrecht haben Rechtssuchende, die einen Anspruch auf die Erstattung von Beträgen haben, die als in einer ungültigen Verordnung festgesetzte Produktionsabgaben im Zuckersektor zu Unrecht gezahlt wurden, auch einen Anspruch auf Zahlung der entsprechenden Zinsen. Ein nationales Gericht kann nicht im Rahmen seines Ermessens die Zuerkennung von Zinsen auf Beträge, die von einem Mitgliedstaat auf der Grundlage einer ungültigen Verordnung vereinnahmt wurden, mit der Begründung ablehnen, dass dieser Mitgliedstaat keine entsprechenden Zinsen auf die Eigenmittel der Europäischen Union verlangen könne.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprachen: Deutsch, Englisch und Französisch.
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