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BAG 12.12.2012 - 10 AZR 504/11
BAG 12.12.2012 - 10 AZR 504/11 - Tarifliche Jahressonderzahlung - Einbeziehung einer Besitzstandszulage - AWO
Normen
Vorinstanz
vorgehend ArbG Karlsruhe, 16. Juli 2010, Az: 1 Ca 56/10, Urteil
vorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, 18. Mai 2011, Az: 19 Sa 77/10, Urteil
Tenor
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1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - vom 18. Mai 2011 - 19 Sa 77/10 - aufgehoben.
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2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 16. Juli 2010 - 1 Ca 56/10 - wird zurückgewiesen.
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3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Höhe der tariflichen Jahressonderzahlung für das Jahr 2009.
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Der Kläger ist seit 1980 bei dem Beklagten beschäftigt. Die Parteien sind tarifgebunden.
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Am 1. Januar 2009 traten der Tarifvertrag für die Arbeiterwohlfahrt in Baden-Württemberg (TV AWO BW) und der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der Arbeiterwohlfahrt in den TV AWO BW und zur Regelung des Übergangsrechts (TV-Ü AWO BW) vom 18. Dezember 2008 in Kraft. Nach Überleitung in den TV AWO BW wurde dem Kläger der kinderbezogene Entgeltanteil für ein Kind gemäß § 11 TV-Ü AWO BW als Besitzstandszulage fortgezahlt.
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§ 22 TV AWO BW lautet auszugsweise:
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„§ 22 Jahressonderzahlung
(1)
Beschäftigte, die am 1. Dezember seit mindestens sechs Monaten in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen, haben Anspruch auf eine Sonderzahlung.
…
(2)
Die Jahressonderzahlung beträgt 83 vom Hundert des den Beschäftigten in den Kalendermonaten Juli, August und September durchschnittlich jeweils gezahlten monatlichen Tabellenentgelts (§ 19); unberücksichtigt bleiben hierbei das zusätzlich für Überstunden und Mehrarbeit gezahlte Entgelt (mit Ausnahme der im Dienstplan vorgesehenen Überstunden und Mehrarbeit), Leistungszulagen, Leistungs- und Erfolgsprämien. …“
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Die Protokollerklärung zu Absatz 2 lautet:
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„Bei der Berechnung des durchschnittlich gezahlten monatlichen Entgelts werden die gezahlten Entgelte der drei Monate addiert und durch drei geteilt; dies gilt auch bei einer Änderung des Beschäftigungsumfangs. Ist im Bemessungszeitraum nicht für alle Kalendertage Entgelt gezahlt worden, werden die gezahlten Entgelte der drei Monate addiert, durch die Zahl der Kalendertage mit Entgelt geteilt und sodann mit 30,67 multipliziert. Zeiträume, für die Krankengeldzuschuss gezahlt worden ist, bleiben hierbei unberücksichtigt. Besteht während des Bemessungszeitraums an weniger als 30 Kalendertagen Anspruch auf Entgelt, ist der letzte Kalendermonat, in dem für alle Kalendertage Anspruch auf Entgelt bestand, maßgeblich.“
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§ 19 TV AWO BW hat folgenden Wortlaut:
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„§ 19 Tabellenentgelt
(1)
Die/der Beschäftigte erhält monatlich ein Tabellenentgelt. Die Höhe bestimmt sich nach der Entgeltgruppe, in die sie/er eingruppiert ist, und nach der für sie/ihn geltenden Stufe.
(2)
Beschäftigte erhalten Entgelt nach der Anlage A, soweit in einer Sonderregelung keine abweichenden Bestimmungen festgelegt sind.“
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Der Beklagte hat bei der Berechnung der Jahressonderzahlung für 2009 die Besitzstandszulage nach § 11 TV-Ü AWO BW nicht berücksichtigt.
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Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe eine um 77,61 Euro (83 vH der Besitzstandszulage) höhere Jahressonderzahlung zu. Sinn und Zweck des § 22 TV AWO BW bestünden darin, alle Entgeltbestandteile einzurechnen, soweit sie nicht ausdrücklich ausgeschlossen seien. Dies folge auch aus der Protokollerklärung zu § 22 Abs. 2 TV AWO BW, die bei der Berechnung der Jahressonderzahlung das monatlich gezahlte Entgelt zugrunde lege. § 11 TV-Ü AWO BW sei eine Sonderregelung iSd. § 19 Abs. 2 TV AWO BW.
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Der Kläger hat beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 77,61 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank zu zahlen.
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Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat die Auffassung vertreten, der Wortlaut des § 22 Abs. 2 TV AWO BW sei eindeutig und nicht auslegungsfähig. Im Klammerzusatz werde ausdrücklich auf das Tabellenentgelt nach § 19 TV AWO BW Bezug genommen. Zu diesem gehöre die Besitzstandszulage gemäß § 11 TV-Ü AWO BW nicht.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine höhere tarifliche Jahressonderzahlung für das Jahr 2009. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 562 Abs. 1 ZPO ) und zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
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I. Eine an den Beschäftigten nach § 11 TV-Ü AWO BW gezahlte Besitzstandszulage ist nicht Teil des Tabellenentgelts iSv. § 22 Abs. 2 Satz 1, § 19 Abs. 1 TV AWO BW. Auch handelt es sich bei der Regelung in § 11 TV-Ü AWO BW nicht um eine Sonderregelung iSd. § 19 Abs. 2 TV AWO BW. Für kinderbezogene Entgeltbestandteile gezahlte Besitzstandszulagen sind daher nicht in die Berechnung der Höhe der Jahressonderzahlung einzubeziehen. Dies ergibt eine Auslegung der tariflichen Regelungen.
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1. Der Wortlaut der Tarifbestimmungen, von dem bei der Tarifauslegung vorrangig auszugehen ist (st. Rspr., vgl. zB BAG 26. September 2012 - 10 AZR 330/11 - Rn. 12, ZTR 2012, 713; 16. November 2011 - 10 AZR 549/10 - Rn. 9, AP TVöD § 20 Nr. 2), ist nicht eindeutig. Die Verwendung des Begriffs Tabellenentgelt in § 22 Abs. 2 TV AWO BW weist zwar zunächst darauf hin, dass nicht jeder Entgeltbestandteil der Berechnung der Jahressonderzahlung zugrunde zu legen ist. Der Begriff des Tabellenentgelts ist in § 19 TV AWO BW definiert, die Tabellenentgelte sind in der Anlage zu dieser Vorschrift niedergelegt. Die Besitzstandszulage nach § 11 TV-Ü AWO BW gehört dazu nicht. Die Protokollerklärung zu § 22 Abs. 2 TV AWO BW, in der die Berechnungsmodalitäten näher erläutert werden, stellt dann allerdings auf die „gezahlten Entgelte“ ab. Darunter könnte auch die Besitzstandszulage nach § 11 TV-Ü AWO BW zu fassen sein.
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2. Gesamtzusammenhang und Systematik der tariflichen Regelung machen aber deutlich, dass für die Berechnung der Jahressonderzahlung nur das Tabellenentgelt iSd. § 19 TV AWO BW maßgeblich ist. Die individuellen Zwischen- und Endstufen sind dabei Teil des Tabellenentgelts.
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a) Die Tarifvertragsparteien haben in § 22 Abs. 2 TV AWO BW von der seit langem üblichen und vielfach praktizierten Regelungstechnik der Bezugnahme auf andere Tarifvorschriften durch einen entsprechenden Klammerzusatz Gebrauch gemacht (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 6 AZR 590/09 - Rn. 19, AP TVöD § 34 Nr. 1). Sie verweisen zur Definition des Begriffs des Tabellenentgelts auf § 19 TV AWO BW. Damit haben sie dem Begriff des Tabellenentgelts in § 22 keine gegenüber § 19 eigenständige Bedeutung beigemessen (vgl. im Umkehrschluss hierzu BAG 11. September 2003 - 6 AZR 452/02 - zu 3 der Gründe, AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 38). Das Tabellenentgelt bestimmt sich nach der Entgeltgruppe, in die die/der Beschäftigte eingruppiert ist und der jeweils geltenden Stufe (§ 19 Abs. 1 Satz 2 TV AWO BW). Die konkrete Höhe ergibt sich aus der Anlage A (§ 19 Abs. 2 TV AWO BW). Auch die individuellen Zwischen- und Endstufen sind Teil des Tabellenentgelts. Nach § 4 Abs. 1 TV-Ü AWO BW wurden die übergeleiteten Beschäftigten nach der Zuordnungstabelle gemäß Anlage 1 dieses Tarifvertrags den Entgeltgruppen des TV AWO BW zugeordnet. Auf Basis des Vergleichsentgelts erfolgte sodann nach § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 TV-Ü AWO BW die Bestimmung einer individuellen Zwischen- bzw. Endstufe der jeweiligen Entgeltgruppe. Dies ist die Stufe iSv. § 19 Abs. 1 Satz 2 TV AWO BW. Teil des so verstandenen Tabellenentgelts ist die Zulage nach § 11 TV-Ü AWO BW nicht; vielmehr wird diese neben dem Tabellenentgelt bezahlt. Dies entspricht im Übrigen auch ihrem Charakter als Besitzstandszulage.
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b) Entgegen der Auffassung des Klägers bestehen insoweit auch keine Anhaltspunkte für ein Redaktionsversehen der Tarifvertragsparteien. Diese haben sich in ihren Tarifregelungen zwar an vielen Stellen am Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) orientiert; sie haben diesen aber weder nach Gliederung noch Inhalt vollständig übernommen. Auch § 22 TV AWO BW entspricht seinem Wortlaut nach nur teilweise § 20 TVöD. Gerade in dem durch Klammerverweis definierten Begriff des Tabellenentgelts liegt eine Abweichung in einem Kernbereich der Vorschrift. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf einen eigenständigen, abweichenden Regelungswillen der Tarifvertragsparteien.
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Gegen dieses Verständnis der Regelung spricht auch nicht § 22 Abs. 2 Halbs. 2 TV AWO BW. Danach bleiben Leistungszulagen, Leistungs- und Erfolgsprämien ebenso unberücksichtigt wie Teile des für Überstunden und Mehrarbeit gezahlten Entgelts. Zwar ist einzuräumen, dass es dieser Regelung hinsichtlich des Ausschlusses bestimmter Entgeltbestandteile möglicherweise nicht bedurft hätte, da die dort genannten Leistungen nicht unmittelbar Teil des Tabellenentgelts iSv. § 19 TV AWO BW sind. Allerdings hängt die Vergütung für Überstunden und Mehrarbeit der Höhe nach grundsätzlich ebenfalls vom Tabellenentgelt ab (vgl. § 14 Abs. 1 TV AWO BW nebst zugehöriger Protokollerklärung), so dass die insoweit differenzierende Regelung zur Klarstellung beiträgt. Soweit das für dienstplanmäßig geleistete Überstunden und Mehrarbeit gezahlte Entgelt Berücksichtigung bei der Berechnung der Höhe der Sonderzahlung findet, handelt es sich um eine Abweichung von der Begrenzung auf das Tabellenentgelt zugunsten der Beschäftigten. Leistungszulagen, Leistungs- und Erfolgsprämien sind im TV AWO BW in der maßgeblichen Fassung nicht vorgesehen, so dass die entsprechende Klarstellung jedenfalls für den streitgegenständlichen Zeitraum gegenstandslos ist. Unabhängig davon, ob es sich hierbei um ein Redaktionsversehen handelt oder eine bewusste, möglicherweise bereits auf zukünftige Tarifänderungen zielende Klarstellung, lässt sich aus der Regelung jedenfalls nicht der Gegenschluss ableiten, die Besitzstandszulage nach § 11 TV-Ü AWO BW müsste ebenfalls zusätzlich zum Tabellenentgelt berücksichtigt werden.
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c) Auch aus dem Wortlaut der Protokollerklärung zu § 22 Abs. 2 TV AWO BW ergibt sich nichts anderes. Zwar wird dort der Begriff „Entgelt“ verwendet. Darin ist aber keine Erläuterung oder gar Modifikation des Begriffs „Tabellenentgelt“ zu sehen. Auch § 19 TV AWO BW, der nach seiner Überschrift und dem Wortlaut in Absatz 1 das Tabellenentgelt definiert, spricht in seinem Absatz 2 von Entgelt, ohne dass damit eine Erweiterung gegenüber Absatz 1 verbunden wäre. Das in der Protokollerklärung zu § 22 Abs. 2 TV AWO BW zu Berechnungszwecken bestimmte „Entgelt“ ist daher das im Bemessungszeitraum tatsächlich gezahlte Tabellenentgelt (einschließlich des für dienstplanmäßige Überstunden und Mehrarbeit gezahlte Entgelt).
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d) Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, es handele sich bei § 11 TV-Ü AWO BW um eine Sonderregelung iSd. § 19 Abs. 2 TV AWO BW. § 19 Abs. 2 TV AWO BW bestimmt, dass sich das Entgelt iSd. Absatzes 1 aus der Anlage A ergibt, und macht davon eine Ausnahme für den Fall, dass in einer Sonderregelung abweichende Bestimmungen festgelegt sind. Was eine Sonderregelung ist, definiert § 2 TV AWO BW: Es handelt sich um Regelungen für bestimmte Beschäftigtengruppen, die wiederum als Anlagen zum Tarifwerk ausgestaltet sind. Dies entspricht der Regelungstechnik des § 19 TV AWO BW iVm. der Anlage A. Die Anlagen 2 und 3 sehen unter bestimmten wirtschaftlichen Voraussetzungen jeweils in § 2 Satz 1 Spiegelstrich 1 die Möglichkeit einer Absenkung des Tabellenentgelts vor. § 11 TV-Ü AWO BW ist hingegen eine Bestimmung aus einem anderen Tarifvertrag, nicht eine Sonderregelung im Sinne dieses Tarifvertrags. Es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass jegliche zusätzliche Entgeltregelung als Sonderregelung anzusehen wäre.
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II. Der Kläger hat gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten von Berufung und Revision zu tragen.
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