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BSG 14.06.2022 - B 8 SO 78/21 B
BSG 14.06.2022 - B 8 SO 78/21 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verkennung der Beweislast
Normen
§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 Alt 1 SGG, § 128 Abs 1 S 1 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG Berlin, 29. Januar 2019, Az: S 88 SO 407/18, Gerichtsbescheid
vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 25. November 2021, Az: L 23 SO 26/19, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. November 2021 wird als unzulässig verworfen.
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Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
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I. Im Streit steht die Verpflichtung des Beklagten über einen Antrag auf Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) zu entscheiden.
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Der 1949 geborene Kläger lebt zusammen mit einer anderen Person in einer Wohnung in B. Er bezieht seit 1.12.2014 Regelaltersrente. Am 28.11.2014 stellte er für die Zeit ab 1.12.2014 bei dem Beklagten einen Antrag auf ergänzende Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem SGB XII. Es folgten Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Der Beklagte bewilligte dem Kläger Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII für die Zeit vom 24.4.2015 bis zum 30.6.2015 iHv 578,33 Euro monatlich als Darlehen (Bescheid vom 18.5.2015; Änderungsbescheid vom 19.6.2015). Nach Erhebung einer Untätigkeitsklage zum Sozialgericht (SG) Berlin folgten zwei weitere Bescheide mit dem Inhalt der darlehensweisen Gewährung von Leistungen für die Zeit ab 1.12.2014 bis 23.4.2015 sowie ab 1.7.2015 bis zum 31.8.2015. Der Widerspruch gegen die nur darlehensweise erfolgte Bewilligung war erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 14.10.2015). Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 29.1.2019). Die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg durch Entscheidung durch den Berichterstatter gemäß § 153 Abs 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unbegründet zurückgewiesen (Urteil vom 25.11.2021). Ein Verwaltungsakt könne nicht nur ausdrücklich, sondern auch durch konkludentes Verhalten erlassen werden. Es entspreche der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), dass ein Bescheid, mit dem die von einem Hilfebedürftigen als Zuschuss begehrten Leistungen als Darlehen bewilligt werden, zugleich die konkludente Ablehnung einer zuschussweisen Bewilligung dieser Leistungen enthalte. Diese ergebe sich auch aus den Verfügungssätzen der Widerspruchsbescheide vom 14.10.2015. Die Untätigkeitsklage sei selbst dann unzulässig, wenn der Beklagte mit den Bescheiden sowie den Widerspruchsbescheiden über die Anträge des Klägers nicht vollständig entschieden hätte. Zudem fehle es an dem Rechtsschutzbedürfnis einer Untätigkeitsklage, wenn diese missbräuchlich erhoben werde, was bereits der Fall sei, wenn ein materiell-rechtlicher Anspruch offensichtlich unter jedem denkbaren Gesichtspunkt ausscheide. Dies sei der Fall, weil der Kläger sich weigere, notwendige Angaben zu machen. Außerdem habe er sein Recht zu klagen verwirkt, weil er mit der Geltendmachung gerichtlichen Rechtsschutzes eine derart lange Zeit abgewartet habe, dass mit einem Tätigwerden der Behörden nicht mehr zu rechnen gewesen sei. Der Kläger habe 40 bzw 31 Monate verstreichen lassen, bevor er die Untätigkeitsklage erhoben habe.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.
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II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung von Revisionszulassungsgründen.
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Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung gegebenenfalls sogar des Schrifttums angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (BSG vom 2.3.1976 - 12/11 BA 116/75 - SozR 1500 § 160 Nr 17; BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7; BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75 - SozR 1500 § 160a Nr 13; BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31; BSG vom 19.1.1981 - 7 BAr 69/80 - SozR 1500 § 160a Nr 39; BSG vom 9.10.1986 - 5b BJ 174/86 - SozR 1500 § 160a Nr 59 und BSG vom 22.7.1988 - 7 BAr 104/87 - SozR 1500 § 160a Nr 65). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer eine konkrete Frage formulieren, deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit und (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (Breitenwirkung) darlegen (vgl nur BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
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Der Kläger hat schon keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zum Inhalt oder Anwendungsbereich einer revisiblen Norm (§ 162 SGG) gestellt, soweit er behauptet, dass bisher nicht entschieden worden sei, ob in einer darlehensweisen Gewährung zugleich eine konkludente Ablehnung des eigentlichen Leistungsantrags liege. Zudem stellen sich keine Fragen grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit den Voraussetzungen einer Untätigkeitsklage nach § 88 SGG (vgl dazu etwa BSG vom 10.3.1993 - 14b/4 REg 1/91 - BSGE 72, 118 = SozR 3-7833 § 6 Nr 2; BSG vom 15.12.1994 - 4 RA 67/93 - BSGE 75, 262 = SozR 3-8560 § 26 Nr 2 = juris RdNr 23; BSG vom 29.4.2021 - B 8 SO 23/20 BH). Darüber hinaus enthält die Beschwerdebegründung keinerlei Ausführungen dazu, inwieweit diese Frage entscheidungserheblich und damit klärungsfähig sein könnte, da das LSG zusätzlich die Klageabweisung mit dem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis und der Verwirkung begründet hat.
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Der Zulassungsgrund der Divergenz liegt nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Der Zulassungsgrund der Divergenz, bei dem es sich um einen Unterfall der grundsätzlichen Bedeutung handelt (BSG vom 27.1.1999 - B 4 RA 131/98 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 = juris RdNr 10; BSG vom 24.6.2021 - B 8 SO 19/20 B) ist gegeben, wenn das angegriffene Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass die angefochtene Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte: Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der bezogenen Entscheidung enthalten ist, dass dieser Rechtssatz tragend ist und welcher in der Entscheidung des LSG enthaltene - tragende - Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die obergerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zu Grunde zu legen haben wird (vgl nur BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f mwN; siehe BSG vom 5.10.2010 - B 8 SO 61/10 B - RdNr 11).
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Der Kläger bezeichnet zwar die Entscheidung des 4. Senats vom 6.8.2014 (B 4 AS 57/13 R), von der das LSG abgewichen sein soll. Dieser entnimmt er, dass daraus allein zu schlussfolgern sei, dass die darlehensweise Gewährung von Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII nur eine Ablehnung von - hier gar nicht beantragten - Leistungen desselben Kapitels des SGB XII als Zuschuss bedeuten könne. Doch könne aus dieser Entscheidung nicht geschlussfolgert werden, dass mit der darlehensweisen Gewährung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt zugleich die Ablehnung von beantragten anderen Leistungen, die einer anderen Regelungssystematik unterlägen, erfolgt sei. Insoweit weiche die Entscheidung des LSG entscheidungserheblich von der zitierten Entscheidung des BSG ab. Hierbei legt der Kläger jedoch nicht den abstrakten Rechtssatz in der genannten Entscheidung des BSG dar, der tragend ist und von dem das LSG mit einem eigenen tragenden Rechtssatz abgewichen ist, vielmehr begründet er nur, welcher Rechtssatz nach seiner Sichtweise in der zitierten Entscheidung des 4. Senats nicht enthalten sei und dass das LSG von diesem nicht aufgestellten Rechtssatz abgewichen sei. Der Kläger legt auch nicht dar, inwieweit eine Entscheidung des 4. Senats des BSG zum Grundsicherungsrecht für Arbeitsuchende die von ihm unterstellte Aussagekraft allein für antragsunabhängige Leistungen des 3. Kapitels des SGB XII enthalten soll.
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Soweit der Kläger das Vorliegen eines Verfahrensmangels geltend macht, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen Revision zunächst die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34 und 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 und 36), es sei denn, es werden absolute Revisionsgründe gerügt, bei denen gemäß § 202 SGG iVm § 547 Zivilprozessordnung (ZPO) der Einfluss auf die Entscheidung unwiderlegbar vermutet wird (BSG vom 14.2.1957 - 8 RV 691/55 - BSGE 4, 281, 288; BSG vom 3.5.1984 - 11 BA 188/83 - SozR 1500 § 136 Nr 8). Um derartige Revisionsgründe handelt es sich bei dem Vorbringen des Klägers nicht. Soweit der Kläger vorträgt, dass das LSG nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die Untätigkeitsklage hätte verneinen dürfen sowie eine fehlerhafte Beweislastverteilung vorgenommen habe, rügt er die richterliche Überzeugungsbildung und behauptet eine Verletzung von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung). Auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann indes eine Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 Alt 1 SGG nicht gestützt werden. Insbesondere kann diese nur auf den Verstoß gegen eine Verfahrensnorm, die den Weg zur Entscheidung betrifft (error in procedendo), nicht hingegen auf die "falsche" Auslegung verfahrensrechtlicher Vorschriften, die den Inhalt der angefochtenen Entscheidung selbst bilden (error in iudicando; BSG vom 31.3.2015 - B 12 KR 84/13 B - RdNr 8) gestützt werden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Scholz Luik Bieresborn
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