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BSG 10.03.2022 - B 11 AL 64/21 B
BSG 10.03.2022 - B 11 AL 64/21 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - unzureichende Urteilsbegründung - Verletzung des rechtlichen Gehörs - Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung - Vertagungsantrag - Schriftsatznachlass - überlange Verfahrensdauer
Normen
§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 62 SGG, § 121 S 2 SGG, § 128 Abs 1 S 2 SGG, § 136 Abs 1 Nr 6 SGG, § 202 S 2 SGG, § 198 GVG, §§ 198ff GVG, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Schwerin, 21. April 2016, Az: S 2 AL 29/11, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, 29. September 2021, Az: L 2 AL 32/16, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 29. September 2021 wird als unzulässig verworfen.
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Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
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1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).
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Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; vgl bereits BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36).
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a) Zum einen rügt die Klägerin eine unzureichende Begründung durch das LSG und macht damit eine Verletzung von § 128 Abs 1 Satz 2, § 136 Abs 1 Nr 6 SGG geltend. Eine Entscheidung ist indes nicht schon dann nicht mit Gründen versehen, wenn das Gericht sich unter Beschränkung auf den Gegenstand der Entscheidung kurz gefasst und nicht jeden Gesichtspunkt, der möglicherweise hätte erwähnt werden können, behandelt hat oder wenn seine Ausführungen zu den rechtlichen Voraussetzungen oder zum tatsächlichen Geschehen falsch, oberflächlich oder wenig überzeugend sind (BSG vom 4.9.2018 - B 12 KR 16/17 R - juris RdNr 25). Selbst fehlerhafte Gründe sind dem vollständigen Fehlen von Gründen vielmehr erst dann gleichzusetzen, wenn sie rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder aus sonstigen Gründen derart unbrauchbar sind, dass die angeführten Gründe unter keinem Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen (BSG vom 4.9.2018 - B 12 KR 16/17 R - juris RdNr 25).
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Dem Vorbringen der Klägerin lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen hier vorliegen. Vielmehr ergibt sich aus ihrem Vortrag selbst, dass das LSG - anders als das SG - den Anspruch wegen Versäumnis der Frist des § 324 Abs 3 SGB III verneint und hierzu Ausführungen gemacht hat. Weswegen sich das LSG gleichwohl mit der Frage der fehlenden offensichtlichen Masselosigkeit (§ 183 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB III in der bis zum 31.3.2012 geltenden Fassung), auf die das SG abgestellt hat, hätte auseinandersetzen müssen, ist nicht nachvollziehbar. Ein Gericht muss sich nicht zu Tatbestandsmerkmalen äußern, auf die es nach seiner Rechtsauffassung nicht ankommt. Auch bezeichnet die Klägerin keinen Verfahrensmangel, wenn sie rügt, dass das LSG die Verschlossenheit des Eingangs der Arbeitgeberin der Klägerin am 17.8.2009 nicht im Tatbestand festgestellt habe, sondern sich hierauf nur in den Entscheidungsgründen gestützt habe; die Beweiswürdigung hat gerade Gegenstand der Entscheidungsgründe zu sein. Mit Blick darauf, dass das LSG seine Entscheidung auf die Fristversäumnis gestützt hat, fehlt es zudem an der Darlegung des Beruhens der Entscheidung auf dem vermeintlichen Verfahrensfehler.
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b) Außerdem rügt die Klägerin eine Verletzung von § 121 Satz 2 SGG, weil das LSG die mündliche Verhandlung nicht wiedereröffnet habe. Sie habe sich nach einem Hinweis des LSG in der mündlichen Verhandlung, dass die Frist des § 324 Abs 3 SGB III nicht gewahrt sei, nicht hinreichend äußern können. Der Sache nach rügt die Klägerin damit eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG; § 62 SGG) durch eine unterbliebene Vertagung, weil sie nicht auf Umstände abstellt, die nach Schließung der mündlichen Verhandlung eingetreten sind, sondern auf einen Hinweis des Gerichts vor Schließung der mündlichen Verhandlung (vgl BSG vom 23.10.2003 - B 4 RA 37/03 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 1 RdNr 7 ff; BSG vom 26.7.2016 - B 4 AS 47/15 R - BSGE 122, 25 = SozR 4-1500 § 114 Nr 2, RdNr 36-37). Insofern ist ein Verfahrensmangel indes schon deswegen nicht bezeichnet, weil die Klägerin keinen Antrag auf Schriftsatznachlass bzw Vertagung gestellt hat (zu dieser Notwendigkeit BSG vom 2.3.2020 - B 4 AS 112/20 B ua - juris RdNr 3; BSG vom 7.6.2021 - B 11 AL 7/21 B - juris RdNr 7). Dies darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass anstelle der unterbliebenen Vertagung eine Verletzung von § 121 Satz 2 SGG gerügt wird.
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c) Schließlich rügt die Klägerin eine überlange Verfahrensdauer. Damit ist ein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht bezeichnet. Denn eine überlange Verfahrensdauer kann keinen solchen Verfahrensmangel darstellen (BSG vom 21.5.2013 - B 14 AS 315/12 B - juris RdNr 6; BSG vom 5.7.2018 - B 13 R 32/15 BH - juris RdNr 21). Mit dieser Rechtsfrage setzt sich die Klägerin nicht auseinander. Danach kann eine überlange Verfahrensdauer nur nach Maßgabe von § 202 Satz 2 SGG iVm §§ 198 ff GVG geltend gemacht werden. Dies ergibt sich schon daraus, dass weder die Durchführung eines Revisionsverfahrens noch eine Zurückverweisung der Sache gemäß § 160a Abs 5 SGG an das LSG die behauptete überlange Verfahrensdauer beseitigen könnte, sondern die Dauer des Verfahrens sogar noch verlängern würde. Die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung des BSG, wonach eine überlange Verfahrensdauer einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG darstellen könne, weil es an einem anderen, spezielleren Rechtsbehelf fehle (BSG vom 13.12.2005 - B 4 RA 220/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 11 RdNr 21 ff), ist durch die Einführung von § 202 Satz 2 SGG iVm §§ 198 ff GVG mit Wirkung ab 3.12.2011 überholt (BSG vom 15.10.2015 - B 9 V 15/15 B - juris RdNr 9).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG.
Meßling Söhngen Burkiczak
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