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BSG 03.11.2021 - B 11 AL 6/21 R
BSG 03.11.2021 - B 11 AL 6/21 R - Berechnung des Kurzarbeitergelds - Nettoentgeltdifferenz - Berücksichtigung von pauschalierten Abzügen für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag - Unzulässigkeit des fiktiven Abzugs bei echten Grenzgängern und fehlender Lohnsteuerpflicht im Inland - Europarechtskonformität
Normen
§ 105 SGB 3, § 106 Abs 1 S 1 SGB 3, § 153 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 3, § 153 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 3, § 153 Abs 1 S 3 Nr 1 SGB 3, Art 13 Abs 5 DBA FRA vom 31.03.2015, Art 45 AEUV, Art 7 EUV 492/2011
Vorinstanz
vorgehend SG Freiburg (Breisgau), 15. September 2020, Az: S 4 AL 2438/20, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg, 22. Februar 2021, Az: L 8 AL 3021/20, Urteil
Leitsatz
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Unterliegt ein echter Grenzgänger nach einem Doppelbesteuerungsabkommen nicht der Steuerpflicht im Inland, darf bei der Bemessung des Kurzarbeitergelds mangels Lohnsteuerklasse als Lohnsteuerabzugsmerkmal kein pauschalierter Abzug für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag berücksichtigt werden.
Tenor
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Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Februar 2021 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über die Höhe von Kug für die Monate März und April 2020, insbesondere über einen Abzug für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag im Rahmen der Bemessung.
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Die Klägerin - eine GmbH mit Sitz und ihrem Betrieb in Deutschland - beantragte für die bei ihr beschäftigte, in Frankreich wohnende Arbeitnehmerin M ab dem 1.3.2020 Kug (Antrag vom 12.3.2020), das die Beklagte in Höhe von 1656,87 Euro für den Monat März 2020 und in Höhe von 1490,88 Euro für den Monat April 2020 bewilligte (Bescheid vom 13.5.2020; Widerspruchsbescheid vom 24.7.2020). Die Beklagte führte zur Berechnung aus, auch für Grenzgänger, die aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens von der Lohnsteuerpflicht in der Bundesrepublik Deutschland befreit seien, gelte § 153 Abs 1 SGB III, selbst wenn in Frankreich das nach deutschem Recht gezahlte Kug besteuert würde. Grenzgänger aus den Mitgliedstaaten der EU müssten bei der Bemessung des Kug genauso wie deutsche Arbeitnehmer behandelt werden. Beschränkt Steuerpflichtige würden in die Steuerklasse I eingereiht. Danach müsse das Leistungsentgelt um die pauschalierten Abzüge, also auch um fiktive Steuern entsprechend der Lohnsteuertabelle des Bundesministeriums der Finanzen vermindert werden. Bei dem Abzug handele es sich nicht um eine Besteuerung, sondern um den gesetzlich geregelten Berechnungsmodus. Kug sei als Lohnersatzleistung gemäß § 3 Nr 2 Buchst b EStG steuerfrei.
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Das SG hat die Klage, gerichtet auf Zahlung von Kug ohne fiktive Abzüge für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag, unter Zulassung der Berufung abgewiesen (Urteil vom 15.9.2020). Die Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg (Urteil des LSG vom 22.2.2021). Es liege keine Doppelbesteuerung vor, denn von der Frage der Besteuerung zu unterscheiden sei die Berechnungsweise des § 153 Abs 1 SGB III, die einen fiktiven Steuerabzug vorsehe. Dieser fiktive Abzug stelle nur ein Berechnungselement des Kug dar und sei für die Berechnung sowohl für Grenzgänger als auch für inländische Bezieher einfachgesetzlich bindend vorgeschrieben. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte infolge der fehlenden Lohnsteuerpflicht der Arbeitnehmerin in Deutschland den fiktiven Steuerabzug nach § 153 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB III durch die Einordnung der Grenzgängerin als beschränkt Steuerpflichtige nach § 1 Abs 4 EStG mit der Lohnsteuerklasse I ermittelt habe. Einen Verstoß gegen den Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art 45 AEUV sowie gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art 18 AEUV liege nicht vor, da die Berechnung des Kug für alle Bezugsberechtigten in Deutschland unabhängig von Staatsangehörigkeit und Wohnsitz erfolge.
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Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 153 Abs 1 SGB III, der nicht auf eine fiktive Lohnsteuer abstelle, sondern auf die Lohnsteuer, die sich aus dem Programmablaufplan ergebe. Maßgeblich sei die Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Jahres als Lohnsteuerabzugsmerkmal gebildet worden sei. Einer Lohnsteuerklasse sei der Arbeitnehmerin als Grenzgängerin aber tatsächlich nicht zugeordnet worden. Die Berücksichtigung einer fiktiven Steuersituation in Deutschland führe zudem zu einer europarechtlich unzulässigen mittelbaren Diskriminierung. Grenzgänger, die das Kug in Frankreich versteuern müssten, seien gegenüber Arbeitnehmern, die in Deutschland ihren Wohnsitz haben, benachteiligt. Sie würden so behandelt, als ob sie in Deutschland Steuern zahlen würden und müssten auf den reduzierten Betrag noch einmal Steuern in Frankreich zahlen.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Februar 2021 und das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. September 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 13. Mai 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juli 2020 zu verurteilen, höheres Kurzarbeitergeld für die Arbeitnehmerin M für die Monate März und April 2020 ohne pauschalierte Abzüge für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Der Senat konnte in der Sache verhandeln und entscheiden, ohne dass die Klägerin im Termin vertreten war, denn sie ist mit der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden und hat sich damit einverstanden erklärt. Die Revision der Klägerin, die in zulässiger Weise Rechte einer Arbeitnehmerin ihres Betriebs auf Kug im Wege der Prozessstandschaft geltend macht (vgl nur BSG vom 14.9.2010 - B 7 AL 21/09 R - SozR 4-4300 § 173 Nr 1 RdNr 10 mwN; zuletzt BSG vom 7.5.2019 - B 11 AL 11/18 R - SozR 4-4300 § 175 Nr 3 RdNr 10) hat im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Erfolg (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides überprüfen zu können.
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Streitgegenstand ist neben den Entscheidungen der Vorinstanzen der Bescheid vom 13.5.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.7.2020. Durch diesen Bescheid hat die Beklagte im Leistungsverfahren, also bereits auf der zweiten Stufe des zweistufig konzipierten Verwaltungsverfahrens die Zahlung von Kug für die Monate März und April 2020 in bestimmter Höhe verfügt. Für die erste Stufe sieht § 99 Abs 3 SGB III, der § 173 Abs 3 SGB III aF entspricht, vor, dass auf die Anzeige des Arbeitsausfalls vorab unverzüglich ein schriftlicher Bescheid darüber zu erteilen ist, ob aufgrund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind (vgl dazu BSG vom 14.9.2010 - B 7 AL 21/09 R - SozR 4-4300 § 173 Nr 1 RdNr 16; BSG vom 21.6.2018 - B 11 AL 4/17 R - RdNr 14). Ein solcher Bescheid ist hier nach den Anträgen der Klägerin ausdrücklich nicht Gegenstand des Verfahrens. Die Klägerin begehrt höhere, insoweit von der Beklagten abgelehnte Leistungen. Richtige Klageart ist die hier auch erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 1, 4 SGG. Die Klägerin macht die Geldleistungen für die betroffene Arbeitnehmerin zulässigerweise dem Grunde nach (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG) geltend.
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Die Arbeitnehmerin war zu dem Verfahren nicht notwendig nach § 75 Abs 2 SGG beizuladen. Dies folgt aus der fehlenden Klagebefugnis eines Arbeitnehmers in Verfahren über einen Anspruch auf Kug, was sich aus der besonderen Ausgestaltung dieses Verfahrens ergibt (vgl BSG vom 25.5.2005 - B 11a/11 AL 15/04 R - SozR 4-4300 § 323 Nr 1 RdNr 17 ff, mwN). Eine Klagebefugnis hat das BSG bisher auch in Fällen verneint, in denen - wie hier - individuelle Komponenten des Kug-Anspruchs umstritten sind (BSG vom 25.5.2005 - B 11a/11 AL 15/04 R - SozR 4-4300 § 323 Nr 1 RdNr 20 ff; kritisch hierzu Bieback in Gagel, SGB II/SGB III, § 95 SGB III RdNr 88 ff, Stand Mai 2020). Hiervon abzuweichen, besteht jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem der Arbeitgeber alle Rechte der Arbeitnehmerin geltend macht, kein Anlass. Es bedarf auch keiner Klärung, ob und unter welchen außergewöhnlichen Umständen Ausnahmen von dem dargelegten Grundsatz denkbar sind (auch dazu bereits BSG vom 25.5.2005 - B 11a/11 AL 15/04 R - SozR 4-4300 § 323 Nr 1 RdNr 21). Indessen dürfte - insbesondere in den Fällen, in denen individuelle Komponenten des Kug-Anspruchs im Streit sind - eine einfache Beiladung nach § 75 Abs 1 Satz 1 SGG sachdienlich sein.
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Ob der betroffenen Arbeitnehmerin höheres als von der Beklagten bewilligtes Kug zusteht, vermag der Senat mangels ausreichender Feststellungen des LSG nicht zu entscheiden. Nach § 95 Satz 1 SGB III besteht ein Anspruch auf Kug nur, wenn ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt (Nr 1), die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind (Nr 2), die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind (Nr 3) und der Arbeitsausfall der Agentur für Arbeit angezeigt worden ist (Nr 4). Auf die Anzeige des Arbeitsausfalls soll, wie oben dargelegt, nach § 99 Abs 3 SGB III ein Bescheid darüber ergehen, ob ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind. Wird ein solcher Bescheid bindend (§ 77 SGG), muss sich die Beklagte im weiteren Verfahren grundsätzlich an die in diesem Bescheid getroffenen Regelungen halten (BSG vom 14.9.2010 - B 7 AL 21/09 R - SozR 4-4300 § 173 Nr 1 RdNr 16 f). Das Urteil des LSG enthält jedoch weder Feststellungen dazu, ob auf eine Arbeitsausfallanzeige der Klägerin ein solcher Bescheid ergangen ist, noch ergibt sich aus dem Urteil, in welchem Umfang ein Arbeitsausfall vorgelegen hat und ob die betrieblichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kug erfüllt sind. Zwar verweist das LSG in allgemeiner Form am Ende des Tatbestandes auf diverse Akten, darunter auch auf "die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten", aus der sich weiteres ergeben könnte. Doch vermag dieser unspezifische Verweis nicht ausdrückliche Feststellungen im Urteil, wie sie § 163 SGG fordert, zu ersetzen. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, das Aktenmaterial zu ordnen und sich aus den Gerichts- und Beiakten selbst den Sach- und Streitstand herauszusuchen (so bereits BSG vom 1.10.1964 - 11/1 RA 246/61 - SozR Nr 9 zu § 163 SGG juris RdNr 12; vgl auch Röhl in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 163 RdNr 22; Berchtold in Berchtold, SGG, 6. Aufl 2021, § 163 RdNr 7, 22).
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Des Weiteren reichen auch die Feststellungen zu den persönlichen Voraussetzungen eines Leistungsanspruchs auf Kug, die im Einzelnen in § 98 SGB III geregelt sind, nicht aus um prüfen zu können, ob der Anspruch besteht. Die persönlichen Voraussetzungen sind erfüllt, wenn nach Beginn des Arbeitsausfalls die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer ua eine versicherungspflichtige Beschäftigung fortsetzt (§ 98 Abs 1 Nr 1 Buchst a SGB III). Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG dürfte zwar davon auszugehen sein, dass die Arbeitnehmerin in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gestanden und diese ohne den vermeintlichen Arbeitsausfall fortgesetzt hätte. Es fehlen aber die erforderlichen Feststellungen dazu, auf welcher vertraglichen Grundlage die Arbeitnehmerin welche konkrete Beschäftigung in welchem zeitlichen Umfang ohne den Arbeitsausfall fortgesetzt hätte. Ob in dem hier streitbefangenen Zeitraum März und April 2020 Ausschlussgründe nach § 98 Abs 3 SGB III (Bezug anderer Leistungen) oder nach § 98 Abs 4 SGB III (ausreichende Mitwirkung an der Vermittlung) vorliegen, lässt sich ebenfalls nicht beurteilen.
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Schließlich fehlen auch weitere zur Überprüfung der Höhe des bewilligten Kug unerlässliche Feststellungen. Maßgebend für die Höhe des Kug ist nach § 105 SGB III die aus dem Bruttoentgelt zu errechnende Nettoentgeltdifferenz, welche gemäß § 106 Abs 1 Satz 1 SGB III aus der Differenz zwischen dem pauschalierten Nettoentgelt aus dem Soll-Entgelt und dem pauschalierten Nettoentgelt aus dem Ist-Entgelt errechnet wird. Das Urteil des LSG enthält bereits keinerlei Feststellungen zum Bruttoentgelt, das die Klägerin im Zeitraum des Arbeitsausfalls erzielt hätte (Soll-Entgelt) und tatsächlich erzielt hat (Ist-Entgelt). Zudem fehlen Ausführungen dazu, ob bei der Arbeitnehmerin Kinder zu berücksichtigen sind, sodass nicht beurteilt werden kann, ob der einfache oder erhöhte Leistungssatz zu berücksichtigen ist (vgl § 105 Nr 1 und 2 SGB III iVm § 149 Nr 1 und 2 SGB III). Soweit das LSG einen vor dem SG zwischen den Beteiligten geschlossenen Vergleich zitiert, wonach Einigkeit bestehe, "dass das Kug aufgrund eines berücksichtigungsfähigen Kindes in gesetzlicher Höhe von 67% zu bewilligen" sei, vermag dies fehlende tatsächliche Feststellungen nicht zu ersetzen (vgl zu den Grenzen von Vergleichen über Anspruchselemente nur BSG vom 13.5.2009 - B 4 AS 58/08 R - BSGE 103, 153 = SozR 4-4200 § 12 Nr 13, RdNr 12; BSG vom 20.9.2012 - B 8 SO 4/11 R - BSGE 112, 54 = SozR 4-3500 § 28 Nr 8, RdNr 13).
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Erst wenn das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren aufgrund der nachgeholten Feststellungen zu dem Ergebnis kommen sollte, dass die Arbeitnehmerin der Klägerin die genannten Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kug erfüllt, und auch das Bruttoarbeitsentgelt iS von § 106 Abs 1 Satz 2 SGB III ermittelt hat, wird es auf die Frage ankommen, von welchem pauschalierten Nettoentgelt bei der Berechnung der für die Höhe des Kug nach § 105 SGB III maßgeblichen Nettoentgeltdifferenz iS von § 106 Abs 1 Satz 1 SGB III auszugehen ist.
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Insoweit wird das LSG ggf Folgendes zu beachten haben: Wenn die in Frankreich wohnende Arbeitnehmerin im EU-Mitgliedstaat Deutschland eine Beschäftigung ausübte, aber in der Regel täglich zu ihrem Wohnort nach Frankreich zurückkehrte, was die Feststellungen des LSG nahelegen, ist sie als (echte) Grenzgängerin iS von Art 1 Buchst f) VO (EG) 883/2004 anzusehen. In diesem Fall ist gemäß Art 11 VO (EG) 883/2004 iVm Art 65 Abs 1 VO (EG) 883/2004 die Zuständigkeit des Beschäftigungsstaats Deutschland gegeben. Grundsätzlich kann sie Kug nach den deutschen Rechtsvorschriften beanspruchen "als ob sie in diesem Mitgliedstaat wohnen würde" (Art 65 Abs 1 Satz 2 VO <EG> 883/2004). Der Regelungsgehalt dieser Norm als eine sogenannte Kollisionsnorm ist allein auf die Festlegung des zuständigen Staates beschränkt; sie bestimmt mithin nicht - als Sachnorm - den materiell-rechtlichen Inhalt von Ansprüchen, enthält also auch keine Regelung zur Höhe der Leistung (vgl Bieback, ZESAR 2021, 10, 12).
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Zu beachten ist zudem das Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Frankreich (im Folgenden: DBA) in der hier ab 1.1.2016 anwendbaren Fassung des Zusatzabkommens vom 31.3.2015 (BGBl II 2015, 1332 und BGBl II 2016, 227). Art 13 Abs 5 des DBA bestimmt, dass Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Wohnsitzstaat, im Falle der Arbeitnehmerin der Klägerin also in Frankreich, besteuert werden. Dies gilt seit dem 1.1.2016 auch für Sozialleistungen (vgl zum Kug klarstellend die Konsultationsvereinbarung Deutschland - Frankreich vom 13.5.2020 unter 4., Schreiben des BMF vom 25.5.2020, BStBl I 2020, 535; dazu Bruns, ISR 2020, 228, 233 f; Bieback, ZESAR 2021, 10, 11). Insoweit ist ein besonders Verfahren zur Freistellung von Grenzgängern vorgeschrieben, nicht zuletzt um den in Art 13a DBA vorgesehenen Grenzgängerfiskalausgleich vornehmen zu können (vgl dazu Schreiben des BMF vom 30.3.2017, www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Internationales_Steuerrecht/ Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/Frankreich/2017-03-30-durchfuehrung-des-grenzgaengerfiskalausgleichs-Artikel-13-a-DBA-Frankreich.pdf?_blob=publicationFile&v=3). Die Arbeitnehmerin wäre in Deutschland unter den weiteren Voraussetzungen des DBA und nach Durchführung des vorgesehenen Verfahrens zur Freistellung von Grenzgängern mit Auswirkungen auf die Höhe des Kug nicht steuerpflichtig.
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Denn für die Berechnung der pauschalierten Nettoentgelte gilt § 153 SGB III über die Berechnung des Leistungsentgelts beim Alg mit Ausnahme der Regelungen über den Zeitpunkt der Zuordnung der Lohnsteuerklassen und den Steuerklassenwechsel entsprechend (§ 106 Abs 1 Satz 6 SGB III). Nach § 153 Abs 1 Satz 1 SGB III ist Leistungsentgelt das um pauschalierte Abzüge verminderte Bemessungsentgelt. Nach § 153 Abs 1 Satz 2 SGB III sind solche Abzüge eine Sozialversicherungspauschale in Höhe von 20 % des Bemessungsentgelts (Nr 1), die Lohnsteuer, die sich nach dem vom Bundesministerium der Finanzen aufgrund des § 51 Abs 4 Nr 1a EStG bekannt gegebenen Programmablaufplans bei Berücksichtigung der Vorsorgepauschale nach § 39b Abs 2 Satz 5 Nr 3 Buchst a bis c EStG zu Beginn des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, ergibt (Nr 2) und der Solidaritätszuschlag (Nr 3). Die Feststellung der Lohnsteuer richtet sich beim Alg nach der Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, als Lohnsteuerabzugsmerkmal gebildet war (§ 153 Abs 3 SGB III), beim Kug allerdings nach der aktuellen Lohnsteuerklasse, weil die Regelung zum Zeitpunkt der Zuordnung von der vorgegebenen entsprechenden Anwendung ausgenommen ist. Zudem hat der Arbeitgeber im Rahmen seiner Berechnungs- und Auszahlungspflichten, was ihm § 320 Abs 1 Satz 3 SGB III ausdrücklich vorschreibt, von den Lohnsteuerabzugsmerkmalen im maßgeblichen Antragszeitraum auszugehen.
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Besteht hingegen nach Durchführung einer Freistellung als Grenzgänger nach dem DBA keine Steuerpflicht in Deutschland, liegt schon keine Lohnsteuerklasse als Lohnsteuerabzugsmerkmal vor. Ein Lohnsteuerabzugsmerkmal ist in diesem Fall nach § 39 Abs 4 Nr 5 EStG vielmehr die - antragsabhängige - Mitteilung, dass der von einem Arbeitgeber gezahlte Arbeitslohn nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Lohnsteuer freizustellen ist (dazu Weil in Küttner, Personalbuch, 28. Aufl 2021, Stichwort: Grenzgänger RdNr 9). Wegen des Vorrangs des DBA (vgl § 2 AO) kann folglich auch keine Zuordnung einer Steuerklasse vorgenommen werden. Der Wortlaut des § 153 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB III iVm den Vorschriften des EStG bieten hierfür keinen Anhalt. Eine Regelung, die - wie etwa § 167 Abs 2 Nr 2 SGB III zum Insolvenzgeld - auch Fälle einer nicht bestehenden Steuerpflicht im Inland ausdrücklich aufgreift, besteht für das Kug nicht. Der sich ergebende Abzugsbetrag liegt mangels zuzuordnender Steuerklasse danach bei 0 Euro. Eine Gesetzeslücke, von der insoweit die Beklagte nach ihren Fachlichen Weisungen zum Kug (RdNr 106.18) ausgeht, und die sie über die unmittelbar gerade nicht anwendbaren Bestimmungen zur beschränkten Steuerpflicht schließen möchte, vermag der Senat nicht zu erkennen. Ziel der Sozialleistung Kug ist ua, eine Lohnersatzleistung zur Verfügung zu stellen, die den Verdienstausfall zwar pauschaliert, aber dennoch individuell, also in Anlehnung an den tatsächlichen Nettoverdienstausfall, ausgleicht (vgl nur Bieback in Gagel, SGB II/SGB III, § 95 SGB III RdNr 6 ff, Stand Mai 2020). Dementsprechend ist es system- und sachgerecht, bei grundsätzlich nicht bestehender Steuerpflicht auch keine Lohnsteuerklasse zu berücksichtigen.
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Entgegen der Auffassung des LSG steht dem nicht entgegen, dass individuelle Steuervorteile nach § 153 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB III nicht leistungserhöhend zu berücksichtigen sind (vgl dazu BSG vom 23.10.2018 - B 11 AL 21/17 R - RdNr 25). § 153 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB III benennt als nicht zu berücksichtigende Faktoren ausdrücklich Freibeträge und Pauschalen, die nicht jedem Arbeitnehmer zustehen. Die Regelung geht also von einer grundsätzlich bestehenden Steuerpflicht in Deutschland aus und umfasst nicht den Fall, dass Arbeitnehmer aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens nicht der Steuerpflicht unterworfen sind. Auch soweit das BSG für einen freiwillig in der Arbeitslosenversicherung weiterversicherten Selbständigen, der im Bemessungszeitraum nicht einem Lohnsteuerabzugsverfahren unterworfen war, entschieden hat, dass ggf auf die Steuerklasse abgestellt werden müsste, die fiktiv maßgebend gewesen wäre (vgl BSG vom 11.3.2014 - B 11 AL 10/13 R - SozR 4-4300 § 133 Nr 6 RdNr 30), führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn abgesehen davon, dass der besondere Sachverhalt eines im Bemessungszeitraum Selbständigen zu beurteilen war, hat auch in diesem Fall unbeschränkte Steuerpflicht (als Selbständiger) im Grundsatz vorgelegen.
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Der weitere Zweck der Berechnungsbestimmungen, durch Pauschalierungen den Anforderungen auch der Massenverwaltung zu entsprechen und eine möglichst schnelle Leistungsfeststellung zu gewährleisten (vgl nur Estelmann in Eicher/Schlegel, SGB III nF, § 106 RdNr 2, Stand Februar 2017; Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, K § 106 RdNr 2, Stand V/21), steht dem Ergebnis ebenfalls nicht entgegen. Eine Berechnung der Leistung mit einem Abzug von 0 Euro für zu berücksichtigende Lohnsteuer in der umgrenzten Fallgruppe der nicht steuerpflichtigen Grenzgänger (zum 30.6.2020 waren rund 43600 Personen mit Wohnort in Frankreich sozialversicherungspflichtig in Deutschland beschäftigt, vgl BT-Drucks 19/30710 S 2) erleichtert im Ergebnis die Rechtsanwendung. Nach § 320 Abs 1 Satz 3 SGB III hat der zunächst zur Berechnung verpflichtete Arbeitgeber ohnehin von den Lohnsteuerabzugsmerkmalen im maßgeblichen Antragszeitraum auszugehen. Eine Freistellung von der Lohnsteuer steht fest, wenn das vorgesehene Verfahren durchlaufen wurde, und es bedarf in der Folge keines Rückgriffs mehr auf Tabellen oder Programmablaufpläne, weil allein der prozentual feststehende Abzug der Sozialversicherungspauschale vorzunehmen ist.
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Schließlich überzeugt auch die Auffassung nicht, dass EU-Recht eine Gleichbehandlung von Grenzgängern mit in Deutschland wohnenden und arbeitenden Arbeitnehmern erfordere (vgl Fachlichen Weisungen der BA zum Kug RdNr 106.18 - noch unter Hinweis auf Regelungen der VO (EWG) 1612/68 und 1408/71, die zwischenzeitlich durch EU-VO abgelöst wurden). Nach Auffassung des EuGH verbietet der sowohl in Art 45 AEUV als auch in Art 7 der VO (EG) 492/2011 niedergelegte Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur unmittelbare Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle mittelbaren Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen. Eine Vorschrift des nationalen Rechts ist, wenn sie sich ihrem Wesen nach stärker auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirken kann und folglich die Gefahr besteht, dass sie Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt, als mittelbar diskriminierend anzusehen (vgl nur EuGH vom 2.3.2017 - C-496/15 - <Rs Eschenbrenner> RdNr 35 f mwN; EuGH vom 2.4.2020 - C-830/18 - RdNr 30 ff, zur Übernahme von Kosten der Schülerbeförderung). Außerdem verlangt das Diskriminierungsverbot nicht nur, dass gleiche Sachverhalte nicht ungleich behandelt werden, sondern auch, dass ungleiche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden (vgl EuGH vom 16.9.2004 - C-400/02 - <Rs Merida> RdNr 22; EuGH vom 28.6.2012 - C-172/11 <Rs Erny> RdNr 40).
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Bei in Frankreich wohnenden Grenzgängern, die Kug - ebenso wie ihr Arbeitsentgelt - nicht in Deutschland, sondern in Frankreich versteuern müssen, handelt es sich gerade nicht um eine mit in Deutschland wohnenden und beschäftigten Arbeitnehmern, die ihr Arbeitsentgelt in Deutschland und wegen Arbeitsausfall bezogenes Kug überhaupt nicht versteuern müssen, vergleichbare Gruppe. Vielmehr liegt ein ersichtlich ungleicher Sachverhalt vor. Deshalb würde die Gleichbehandlung von Grenzgängern mit in Deutschland wohnenden und arbeitenden Beschäftigten, wie sie die Beklagte vornehmen will, wegen der Sonderbelastung der Grenzgänger, unabhängig davon, ob es sich nun formal um eine Doppelbesteuerung handelt oder nicht, möglicherweise eine mittelbare Diskriminierung und Beschränkung des Rechts auf Freizügigkeit darstellen: Grenzgänger, die in Deutschland nicht der Lohnsteuerpflicht unterworfen sind, werden zu ihrem Nachteil wie in Deutschland Lohnsteuerpflichtige behandelt, denn sie werden faktisch mit dem gleichen Entgelt zweimal einem Einkommen-/Lohnsteuerrecht - nämlich in Frankreich und Deutschland - unterworfen (vgl EuGH vom 16.9.2004 - C-400/02 <Rs Merida> - RdNr 24 ff, zur Berechnung einer Überbrückungsbeihilfe nach den "um die gesetzlichen Lohnabzüge verminderten Bruttoentgelts"; EuGH vom 28.6.2012 - C-172/11 <Rs Erny> - RdNr 42 ff, zur Berechnung des Aufstockungsbetrags zu Altersteilzeitgeld; so auch Bieback, ZESAR 2021, 10, 13 f; kritisch aus steuerrechtlicher Sicht Bruns, ISR 2020, 228, 237 f, die zwar auch eine "potentielle Beschwer" konstatiert, es aber als Aufgabe des Ansässigkeitsstaates ansieht, die Betroffenen hiervon zu befreien; in diesem Sinne auch die Antwort der Bundesregierung vom 15.6.2021, BT-Drucks 19/30710, S 3, auf eine kleine Anfrage zur Behandlung französischer Grenzgänger).
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Nichts anderes folgt aus der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Eschenbrenner (EuGH vom 2.3.2017 - C-496/15), der ein abweichender Sachverhalt zugrunde gelegen hat. Der EuGH hatte in diesem Fall den pauschalierten Abzug von Lohnsteuer im Rahmen der Berechnung des Insolvenzgeldes eines in Frankreich wohnenden und in Deutschland arbeitenden Grenzgängers - in Abgrenzung zu den oben genannten Entscheidungen in den Rechtssachen Merida und Erny - nicht als Verletzung des Rechts auf Freizügigkeit nach Art 45 AEUV iVm Art 7 Abs 2 VO (EU) 492/2011 angesehen. Bis zum 1.1.2016 unterlagen aber nach dem DBA Sozialleistungen nicht der Besteuerung in Frankreich. Vor diesem Hintergrund hat der EuGH den Sachverhalt allein als national-steuerrechtliches Problem behandelt (vgl Bieback, ZESAR 2021, 10, 13 f).
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Soweit der pauschalierte Abzug für Lohnsteuer mit 0 Euro zu erfolgen hat, ergibt sich auch kein pauschalierter Abzug nach § 153 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III für einen Solidaritätszuschlag, denn auch dieser wäre dann mit 0 Euro anzusetzen.
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Die Kostenentscheidung bleibt - auch wegen der Kosten des Revisionsverfahrens - dem LSG vorbehalten.
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