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BSG 29.09.2021 - B 9 SB 40/21 B
BSG 29.09.2021 - B 9 SB 40/21 B - Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Schwerbehindertenrecht - Beurteilung einer Sprachentwicklungsstörung - keine persönliche Anhörung des behinderten Menschen vor Gericht - Amtsermittlungspflicht - Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Beweisantrags - Parteivernehmung kein zulässiges Beweismittel - Darlegungsanforderungen
Normen
§ 2 VersMedV, Anlage Teil B Nr 5.1 VersMedV, § 103 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 447 ZPO, § 1629 BGB
Vorinstanz
vorgehend SG Leipzig, 15. Mai 2020, Az: S 25 SB 32/18, Urteil
vorgehend Sächsisches Landessozialgericht, 18. Mai 2021, Az: L 9 SB 104/20, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 18. Mai 2021 wird als unzulässig verworfen.
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Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
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I. In dem der Beschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit wurde vor dem LSG noch über die Frage gestritten, ob aufgrund einer in der Kindheit erworbenen Taubheit/an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit mit Sprachstörungen bei dem Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 festzustellen war. Das SG hat die Beklagte hierzu verurteilt (Urteil vom 15.5.2020). Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG geändert und die Beklagte verurteilt, bei dem Kläger einen GdB von 80 sowie mehrere Merkzeichen zuzuerkennen (Urteil vom 18.5.2021).
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt, die er mit einer mangelhaften Sachaufklärung begründet hat.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Der Kläger hat den von ihm geltend gemachten Zulassungsgrund nicht in der danach vorgeschriebenen Weise bezeichnet.
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Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diese Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
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Als Verfahrensmangel rügt der Kläger ausschließlich eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG durch das LSG. Weder in den Berichten der ihn behandelnden Logopädin noch im Gutachten des F fänden sich Angaben zu der notwendigen medizinischen Beurteilung des Schweregrads der bei ihm vorliegenden Sprachentwicklungsstörung. Zudem habe es das LSG versäumt, die weitere Entwicklung dieser Störung nach dem letzten Gutachten vom August 2019 aufzuklären. Die Einholung ergänzender Stellungnahmen der Logopädin, des Gutachters und der F schule hätte ergeben, dass bei ihm eine schwere Störung des Spracherwerbs iS von Teil B Nr 5.1 der Anlage 1 zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vorgelegen habe und weiterhin vorliege. Zudem habe das LSG nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ihn persönlich anzuhören und sich so einen Eindruck von seiner Sprachstörung zu verschaffen.
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Den Anforderungen an die Bezeichnung einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) genügt die Beschwerdebegründung des Klägers schon deshalb nicht, weil er entgegen § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG keinen Beweisantrag benennt, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zwar erwähnt er das Anerbieten seiner Sorgeberechtigten, an der weiteren Sachaufklärung mitzuwirken, welches diese in einer persönlichen Stellungnahme vom 29.4.2021 abgegeben haben. Damit hat der Kläger jedoch nicht dargelegt, einen ordnungsgemäßen Beweisantrag iS des § 118 Abs 1 Satz 1 SGG und den danach anwendbaren Regelungen der ZPO gestellt zu haben, wie dies bei einem in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretenen Beteiligten erforderlich ist. Ein solcher Antrag muss grundsätzlich in prozessordnungsgerechter Weise formuliert sein, sich regelmäßig auf ein Beweismittel der ZPO beziehen, das Beweisthema möglichst konkret angeben und insoweit wenigstens umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben soll (BSG Beschluss vom 18.2.2021 - B 9 SB 31/20 B - juris RdNr 6 mwN).
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Schon dass ein solcher Beweisantrag im Berufungsverfahren gestellt worden ist, wird mit der Beschwerdebegründung nicht geltend gemacht. Allenfalls ist dem Hinweis auf das Anerbieten der Sorgeberechtigten eine Anregung zur weiteren Sachaufklärung, ggf durch persönliche Anhörung des Klägers zu entnehmen. Aber selbst wenn hiermit vorgetragen werden sollte, dass ein Beweisantrag gestellt worden sei, wäre dieser nicht auf ein zulässiges Beweismittel gerichtet gewesen. Denn im sozialgerichtlichen Verfahren kommt eine Parteivernehmung zulässigerweise weder auf Antrag noch von Amts wegen in Betracht (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 1.7.2021 - B 9 V 63/20 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 24.11.1990 - 1 BA 45/90 - SozR 3-1500 § 160a Nr 2 S 2 = juris RdNr 3), da § 118 Abs 1 Satz 1 SGG nicht auf die §§ 445 ff ZPO verweist. In eng begrenzten Ausnahmefällen mag zwar eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht iS des § 103 SGG durch Verzicht auf eine solche Anhörung angenommen werden können. Dies hätte vom Kläger aber unter Beachtung der Darlegungserfordernisse einer ordnungsgemäßen Sachaufklärungsrüge (s hierzu allgemein BSG Beschluss vom 21.12.2017 - B 9 SB 70/17 B - juris RdNr 3) vorgetragen werden müssen. In der Beschwerdebegründung wird nicht aufgezeigt, dass hier ein derartiger (Ausnahme-)Sachverhalt vorliegt.
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Zudem kann ein - wie hier - vor dem LSG rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Wird ein Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entschieden, tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG (BSG Beschluss vom 20.2.2018 - B 10 LW 3/17 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 1.9.1999 - B 9 V 42/99 B - SozR 3-1500 § 124 Nr 3 S 4 f = juris RdNr 5). Auch wenn mit dem Anerbieten der Sorgeberechtigten des Klägers nicht eine bloße Beweisanregung, sondern ein formgerechter Beweisantrag dargetan wäre, wird ein solches Aufrechterhalten vom Kläger mit der Beschwerdebegründung nicht einmal behauptet. Anders als hierzu erforderlich wird aus dieser nicht einmal erkennbar, wann die Zustimmung zu einer Entscheidung ohne (weitere) mündliche Verhandlung erteilt worden ist.
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Soweit der Kläger vorträgt, das LSG hätte ergänzende Stellungnahmen der Logopädin, des Gutachters und der F schule einholen müssen, gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend. Auch hier hat er in seiner Beschwerdebegründung nicht aufgezeigt, dass er diesbezüglich ordnungsgemäße und bis zuletzt im Berufungsverfahren aufrechterhaltene Beweisanträge gestellt hat.
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Ebenfalls nicht formgerecht begründet ist die Beschwerde, soweit der Kläger zumindest sinngemäß eine fehlerhafte Beweis- bzw Sachverhaltswürdigung durch das LSG rügt, weil das Gutachten des F eine Abweichung von einer altersgerechten Sprachentwicklung in mindestens zwei Bereichen beschreibe. Auf eine solche Rüge der Verletzung der Grundsätze über die freie Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) kann die Beschwerde nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG - wie oben bereits ausgeführt - von vornherein nicht gestützt werden.
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Dass der Kläger das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 28.10.2020 - B 10 EG 1/20 BH - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4).
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
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Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
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