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BSG 30.09.2020 - B 6 KA 13/20 B
BSG 30.09.2020 - B 6 KA 13/20 B - Wirtschaftlichkeitsprüfung - Vorrang der sachlich-rechnerischen Richtigstellung - Vornahme durch Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei untergeordneter Bedeutung - Annexkompetenz
Normen
§ 106 SGB 5, §§ 106ff SGB 5
Vorinstanz
vorgehend SG Hannover, 12. Oktober 2016, Az: S 71 KA 344/14, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 12. Februar 2020, Az: L 3 KA 147/16, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 12. Februar 2020 wird zurückgewiesen.
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Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
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Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 56 171 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Regresses, den der beklagte Beschwerdeausschuss als Ergebnis einer Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten bezogen auf die Abrechnung der Gebührenordnungspositionen (GOP) 35100 und 35110 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) in den Jahren 2010 und 2011 gegen den Kläger festgesetzt hat.
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Nachdem eine Plausibilitätsprüfung zu dem Ergebnis geführt hatte, dass eine sachlich-rechnerische Richtigstellung aufgrund einer unrichtigen Abrechnung ua der GOP 35100 (Differentialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände) und 35110 EBM-Ä (Verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen) nicht durchzuführen ist, beantragte die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) bei der Prüfungsstelle die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Abrechnung des Klägers nach Durchschnittswerten. Die Prüfungsstelle setzte für die vier Quartale des Jahres 2010 Honorarkürzungen in Höhe von 30 222,90 Euro und für die vier Quartale des Jahres 2011 in Höhe von 25 947,65 Euro fest. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg.
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Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger Rechtsprechungsabweichungen (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) geltend.
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II. 1. Die Beschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg. Der Zulassungsgrund der Rechtsprechungsabweichung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) liegt nicht vor. Die Darlegung einer Rechtsprechungsabweichung gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erfordert, dass abstrakte Rechtssätze des Urteils des LSG und eines Urteils des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG bezeichnet und einander gegenübergestellt werden und dargelegt wird, dass sie nicht miteinander vereinbar sind und dass das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (vgl zB BSG Beschluss vom 29.11.1989 - 7 BAr 130/88 - SozR 1500 § 160a Nr 67; BSG Beschluss vom 27.6.2012 - B 6 KA 78/11 B - juris RdNr 8 mwN).
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Der Kläger entnimmt den Urteilen des Senats vom 15.4.1986 - 6 RKa 27/84 - BSGE 60, 69 = SozR 2200 § 368n Nr 42, vom 16.6.1993 - 14a/6 RKa 37/91 - BSGE 72, 271 = SozR 3-2500 § 106 Nr 19, vom 20.9.1995 - 6 RKa 56/94 - SozR 3-2500 § 106 Nr 29, vom 27.4.2005 - B 6 KA 39/04 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 10, vom 6.9.2006 - B 6 KA 40/05 R - BSGE 97, 84 = SozR 4-2500 § 106 Nr 15, vom 29.11.2006 - B 6 KA 39/05 R - SozR 4-2500 § 106a Nr 3, vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/19 R (offensichtlich gemeint: B 6 KA 14/09 R) - SozR 4-2500 § 106 Nr 29 und dem Terminbericht des BSG zu den Urteilen vom 13.5.2020 - B 6 KA 2/19 R, B 6 KA 3/19 R sowie B 6 KA 25/19 R - die folgenden Rechtssätze:
"Über die Wirtschaftlichkeit der von einem Vertragsarzt / einer Vertragsärztin abgerechneten Leistungen kann grundsätzlich erst entschieden werden, wenn die Berechnungsfähigkeit feststeht.
Die Prüfgremien Wirtschaftlichkeitsprüfung sind berechtigt, sachlich-rechnerische Richtigstellungen vorzunehmen, wenn diese neben der eigentlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung von untergeordneter Bedeutung sind.
Liegt der Schwerpunkt der Beanstandungen bei einer fehlerhaften Anwendung der Gebührenordnung, müssen die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung das Prüfverfahren abschließen und der Kassenärztlichen Vereinigung Gelegenheit geben, sachlich-rechnerische Richtigstellungen vorzunehmen.
Sind die Prüfungsgegenstände der Wirtschaftlichkeitsprüfung und der sachlich-rechnerischen Prüfung identisch, so dass im Falle des Nichtvorliegens der Prüfkriterien bereits die Abrechnungsvoraussetzungen fehlen, besteht für eine Wirtschaftlichkeitsprüfung kein Anwendungsbereich."
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Dem stellt der Kläger die folgenden Rechtssätze gegenüber, die das LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegt haben soll:
"Die Prüfgremien Wirtschaftlichkeitsprüfung sind berechtigt, sachlich-rechnerische Richtigstellungen selbst vorzunehmen, ohne der Kassenärztlichen Vereinigung Gelegenheit zur sachlich-rechnerischen Richtigstellungen geben zu müssen, auch wenn der Schwerpunkt der festgestellten Beanstandungen auf einer fehlerhaften Anwendung der Gebührenordnung liegt.
Die Prüfgremien Wirtschaftlichkeitsprüfung sind berechtigt, sachlich-rechnerische Richtigstellungen vorzunehmen, auch wenn das Prüfkriterium - Vorliegen gesetzlich definierter Indikationen - bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung und der sachlich-rechnerischen Prüfung identisch ist und bei Nichtvorliegen dieser Indikationen bereits die Abrechenbarkeit entfällt."
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Die Entscheidung des LSG beruht entgegen der Auffassung des Klägers nicht auf den genannten Rechtssätzen, sodass die geltend gemachte Rechtsprechungsabweichung nicht vorliegt. Das LSG ist nicht davon ausgegangen, dass der beklagte Beschwerdeausschuss sachlich-rechnerische Richtigstellungen vorgenommen habe. Vielmehr hat das LSG unter B. II. 5. ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich im Plausibilitätsprüfungsverfahren keine Hinweise auf eine fehlerhafte Abrechnung der beiden GOP (35100 und 35110 EBM-Ä) ergeben hätten, die Gegenstand der hier streitbefangenen Wirtschaftlichkeitsprüfung sind.
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Die Aussagen aus den Entscheidungsgründen, aus denen der Kläger ableitet, dass das LSG seiner Entscheidung die beiden og - von der Rspr des Senats abweichenden - Rechtssätze zugrunde gelegt habe, haben allein die Frage zum Gegenstand, ob Praxisbesonderheiten vorliegen, die geeignet sind, die weit überdurchschnittlich häufige Abrechnung der GOP 35100 EBM-Ä (zwischen 534,29 und 834,78 %) und 35110 EBM-Ä (zwischen 481,63 und 644,44 %) durch den Kläger ganz oder teilweise zu erklären. Im Übrigen - und damit auch wegen weiterer Voraussetzungen für die Durchführung einer Wirtschaftlichkeitsprüfung in Gestalt des Vergleichs von Einzelleistungen nach Durchschnittswerten - hat das LSG nach § 153 Abs 2 SGG auf die Gründe des sozialgerichtlichen Urteils verwiesen (S. 10/11 des Urteilsumdrucks). Bezogen auf die im Berufungsverfahren vom Kläger geltend gemachten Praxisbesonderheiten (ua hoher Anteil von Patienten mit Migrationshintergrund, gehäuftes Auftreten depressiver Episoden innerhalb seines Patientenklientels) hat das LSG in den Entscheidungsgründen ergänzend dargelegt, dass diese nicht geeignet seien, die im Vergleich zum verfeinerten Fachgruppendurchschnitt (Hausärzte, die die beiden GOP ebenfalls abrechnen) häufigere Abrechnung der GOP 35100 und 35110 EBM-Ä zu erklären. So hat das LSG ausgeführt, dass psychosomatische Krankheitsbilder nach einem vom Kläger vorgelegten Aufsatz vielfach nicht auf ausreichende Akzeptanz stießen. Deshalb sei das Vorbringen des Klägers nicht plausibel, wonach sich gerade Patienten dieses Personenkreises zur Behandlung psychosomatischer Erkrankungen an diesen gewandt haben sollen. Daraus kann nicht gefolgert werden, das LSG sei davon ausgegangen, der Kläger habe die og GOP regelhaft oder weit überwiegend in Fällen abgerechnet, in denen die erforderliche Indikation nicht vorgelegen habe. Besonders deutlich wird das in der vom Kläger in der Beschwerdebegründung wiedergegebenen Auseinandersetzung des LSG mit der Frage, ob die bei Patienten des Klägers häufiger diagnostizierten depressiven Episoden geeignet sind, die Häufigkeit der Abrechnung der GOP 35100 und 35110 EBM-Ä zu erklären. Hier differenziert das LSG ausdrücklich zwischen der Frage, ob eine Indikation nach § 22 Abs 1 Nr 1 Psychotherapie-Richtlinie (in der Fassung vom 15.10.2009, BAnz 2009, Nr 186 S 4137) für die Erbringung von Leistungen vorliegt - was bei depressiven Episoden der Fall sei - und der Frage, ob die Erbringung der Leistungen deshalb in jedem Fall notwendig (und damit wirtschaftlich) ist. Soweit das LSG unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des Urteils des SG die Häufigkeit der Abrechnung der genannten GOP auch damit erklärt, dass der Kläger beim Vorliegen von Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Störungen, Magen-Darm-Erkrankungen, Diabetes mellitus, ua besonders häufig eine psychische Mitbeteiligung festgestellt habe und dass die gehäufte Abrechnung der og GOP auch deshalb "zweifelhaft" sei, so hat es ausdrücklich nicht in Zweifel gezogen, dass die Psyche entscheidenden Einfluss auf Ausprägung und Verlauf dieser Erkrankungen habe. Daraus ergebe sich "jedoch nicht in jedem Fall die Notwendigkeit der differenzialdiagnostischen Klärung psychosomatischer Krankheitszustände bzw. der verbalen Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen". Auch diesen Ausführungen kann der Senat nicht entnehmen, dass das LSG von einer regelhaften Abrechnung der genannten GOP in Fällen ausgegangen wäre, in denen die Voraussetzungen nach der Leistungslegende nicht vorgelegen hätten. Mit der fehlenden Notwendigkeit wird vielmehr die Frage der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung angesprochen.
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Soweit Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Urteils des LSG dahin verstanden werden können, dass der Kläger die GOP 35100 und 35110 EBM-Ä möglicherweise auch in Fällen abgerechnet haben könnte, in denen die Voraussetzungen nach der Leistungslegende nicht erfüllt waren, so liegt darin keine Abweichung von der Rechtsprechung des Senats: Zwar sind sachlich-rechnerische Richtigstellungen gegenüber Wirtschaftlichkeitsprüfungen grundsätzlich vorrangig, weil sinnvollerweise nur die Honorarforderung des Vertragsarztes der Prüfung auf Wirtschaftlichkeit unterzogen werden kann, die sachlich-rechnerisch richtig und auch ansonsten rechtmäßig ist. Dieser grundsätzliche Vorrang ist indessen praktisch vielfach nicht umsetzbar, weil für die zuständigen Behörden nicht von vornherein erkennbar ist, ob bei Auffälligkeiten der Honorarabrechnung fehlerhafte Ansätze der Gebührenordnung oder eine unwirtschaftliche Leistungserbringung bzw -abrechnung vorliegen oder ob beides zusammentrifft. Vielfach zeigt erst eine nähere Untersuchung der Abrechnung im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung, dass bestimmte, ggf extreme Überschreitungen des Vergleichsgruppendurchschnitts hinsichtlich einzelner Leistungssparten oder - besonders deutlich - hinsichtlich einzelner Gebührenpositionen auf einen Fehlansatz zurückgehen. In dieser Situation hält der Senat die Prüfgremien für berechtigt, sachlich-rechnerische Richtigstellungen vorzunehmen, wenn diese neben der eigentlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung von untergeordneter Bedeutung sind (sog Annexkompetenz oder Randzuständigkeit, vgl hierzu zuletzt BSG Urteil vom 13.5.2020 - B 6 KA 25/19 R - juris RdNr 59 mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen für SozR 4). Nur wenn der Schwerpunkt der Beanstandungen bei einer fehlerhaften Anwendung der Gebührenordnung liegt, müssen die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung das Prüfverfahren abschließen und der K(Z)ÄV Gelegenheit geben, sachlich-rechnerische Richtigstellungen vorzunehmen. Davon ist das LSG hier aber gerade nicht ausgegangen.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO). Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da diese keine Anträge gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO).
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3. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht der Höhe des Regresses.
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