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BSG 25.01.2017 - B 1 KR 8/16 BH
BSG 25.01.2017 - B 1 KR 8/16 BH - Krankenversicherung - Arzneimittelversorgung - Wirtschaftlichkeitsgebot - Festbetrag - Vollversorgung mit Fertigarzneimitteln ohne Begrenzung auf den hierfür festgesetzten Festbetrag - isolierte Wirtschaftlichkeitsprüfung
Normen
§ 12 Abs 1 SGB 5, § 12 Abs 2 SGB 5, § 35 SGB 5, § 73a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 114 ZPO
Vorinstanz
vorgehend SG Detmold, 16. August 2013, Az: S 24 KR 5/12, Urteil
vorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 23. Juni 2016, Az: L 16 KR 664/13, Urteil
Tenor
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Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Juni 2016 Prozesskostenhilfe zu gewähren und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
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I. Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte, 1948 geborene Kläger leidet ua an Morbus Bechterew und wird - trotz Kontraindikation - mit dem Fertigarzneimittel Surgam (Wirkstoff Tiaprofensäure) bei täglicher Einnahme seit 1984 ohne ersichtliche Nebenwirkungen behandelt, nachdem eine kurzzeitige Behandlung mit Voltaren abgebrochen worden war. Auf einen anderen Wirkstoff will er sich nicht verweisen lassen. Der Wirkstoff Tiaprofensäure, der außer in Surgam in keinem anderen nichtsteroidalen Antirheumatikum (NSAR) enthalten ist, gehört zur Festbetragsgruppe "Prostaglandin-Synthetase-Hemmer 4 A" (Bekanntmachung des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung <Arzneimittel-Richtlinien> vom 16.3.2004, BAnz Nr 128 vom 13.7.2004, S 14 901) mit der Folge, dass der Kläger nach Maßgabe des durch den Spitzenverband Bund der KKn jeweils festgesetzten Festbetrages die Differenz zwischen dem Festbetrag und dem diesen übersteigenden Apothekenverkaufspreis für Surgam als Eigenanteil selbst tragen muss. Sein zuletzt noch aufrechterhaltener Antrag, ihn zukünftig mit Surgam ohne Mehrkosten zu versorgen, ist bei der Beklagten und in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das LSG hat zur Begründung, zum Teil unter Bezugnahme auf die Gründe des SG-Urteils, ausgeführt, der Kläger habe derzeit unter Zugrundelegung der vom BSG aufgestellten Voraussetzungen (BSGE 111, 146 = SozR 4-2500 § 35 Nr 6) keinen Anspruch auf eine Versorgung mit Surgam ohne Mehrkosten. Ein atypischer Fall, der eine ausreichende Versorgung mit Festbetragsarzneimitteln ausschließe, sei nicht gesichert. Es gebe NSAR-Fertigarzneimittel mit anderen, zT auch festbetragsfreien Wirkstoffen ohne Mehrkosten. Es stehe nicht fest, dass deren Einnahme bei ihm Nebenwirkungen in der Qualität einer behandlungsbedürftigen Krankheit hätten. Hierfür trage er aber die Beweislast. Ein Heilbehandlungsversuch mit einem anderen NSAR-Wirkstoff unter Abschirmung durch einen Protonenpumpenhemmer als Begleitmedikation sei ihm nach gutachtlicher Einschätzung zumutbar (Urteil vom 23.6.2016).
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Der Kläger begehrt, ihm für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen.
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II. 1. Der erkennende Senat muss dem Kläger für das PKH-Verfahren keinen besonderen Vertreter bestellen. Der Kläger ist weder vollständig noch partiell für das betroffene Verfahren prozessunfähig. Gemäß § 72 Abs 1 SGG kann der Vorsitzende des jeweiligen Spruchkörpers für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren einen besonderen Vertreter bestellen, dem alle Rechte, außer dem Empfang von Zahlungen, zustehen. Prozessunfähig ist eine Person, die sich nicht durch Verträge verpflichten kann (vgl § 71 Abs 1 SGG), also ua eine solche, die nicht geschäftsfähig iS des § 104 BGB ist, weil sie sich gemäß § 104 Nr 2 BGB in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Dabei können bestimmte Krankheitsbilder auch zu einer sog partiellen Prozessunfähigkeit führen, bei der die freie Willensbildung nur bezüglich bestimmter Prozessbereiche eingeschränkt ist. Soweit eine partielle Prozessunfähigkeit anzunehmen ist, erstreckt sie sich auf den gesamten Prozess (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 32 S 65; BSG SozR 4-3500 § 67 Nr 1 RdNr 9; BSG Beschluss vom 21.9.2016 - B 8 SO 7/16 B - Juris RdNr 5).
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Durchgreifende Anhaltspunkte für eine auch nur partielle Prozessunfähigkeit des Klägers bestehen im vorliegenden Verfahren nicht. Zwar weist er in seinem Schreiben vom 30.8.2016 auf seine "Geisteskrankheit" hin. Der 8. BSG-Senat hat in einem Verfahren aufgrund besonderer Umstände, die er in dem Verhalten des Klägers gegenüber Personen der dort beklagten Gebietskörperschaft begründet gesehen hat, eine partielle Prozessunfähigkeit bejaht (vgl BSG SozR 4-3500 § 67 Nr 1 RdNr 9 ff). Vergleichbares findet sich in der vorliegenden Sache nicht. Das im Zusammenhang mit der langjährigen medikamentösen Behandlung seines Morbus Bechterew formulierte Klagebegehren und dessen Begründung sind vielmehr ohne Weiteres nachvollziehbar. Das Vorbringen des Klägers ist auch durchgehend sachlich gehalten. Dies steht im Einklang damit, dass das LSG, nicht zuletzt unter dem Eindruck des Erörterungstermins am 14.8.2014, den Kläger - in Übereinstimmung mit dessen Selbsteinschätzung - für prozessfähig angesehen hat.
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2. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn ua die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es.
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a) Der Kläger kann aller Voraussicht nach mit seinem Begehren auf Zulassung der Revision nicht durchdringen, weil es keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Nach Durchsicht der Akten fehlen auch unter Würdigung seines Vorbringens Anhaltspunkte dafür, dass er einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte.
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Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Die Voraussetzungen, unter denen Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Vollversorgung mit Fertigarzneimitteln ohne Begrenzung auf den hierfür festgesetzten Festbetrag beanspruchen können, sind durch die Entscheidung des erkennenden Senats vom 3.7.2012 (BSGE 111, 146 = SozR 4-2500 § 35 Nr 6) geklärt, die auch die Vorinstanzen zugrunde gelegt haben.
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Danach können Versicherte Vollversorgung mit Arzneimitteln ohne Begrenzung auf den hierfür festgesetzten Festbetrag nur beanspruchen, wenn aufgrund ungewöhnlicher Individualverhältnisse keine ausreichende Versorgung zum Festbetrag möglich ist. Versicherte erhalten keine ausreichende Arzneimittelversorgung zum Festbetrag, wenn aufgrund ungewöhnlicher Individualverhältnisse bei ihnen die zu einem Preis bis zur Höhe des Festbetrags erhältlichen Arzneimittel mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Nebenwirkungen im Ausmaß einer behandlungsbedürftigen Krankheit verursachen. Ob Arzneimittel mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Nebenwirkungen verursachen, beurteilt sich nach der im Sozialrecht maßgeblichen Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl BSG, aaO, Leitsätze und RdNr 16 f und 21). Dabei ist das objektivierbar gesicherte Hinzutreten einer neuen Krankheit oder die Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit nach der Verabreichung eines Festbetragsarzneimittels in einem Behandlungsbedürftigkeit begründenden Ausmaß erste Voraussetzung dafür, dass überhaupt ein Anspruch auf Vollkostenübernahme eines anderen, in die Festbetragsgruppe einbezogenen, den Festbetrag überschreitenden Arzneimittels in Betracht kommt. Diese Umstände müssen im Sinne des Vollbeweises nach den Regeln der ärztlichen Kunst gesichert sein (BSG, aaO, RdNr 20 mwN). Der erforderliche kausale Zusammenhang zwischen Arzneimittelanwendung und unerwünschter Nebenwirkung im Ausmaß einer behandlungsbedürftigen Krankheit oder einer Verschlimmerung muss auch hinsichtlich aller anderen Festbetragsarzneimittel mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bestehen. Notwendige Bedingung dafür, dass die Festbetragsgrenze im Einzelfall infolge der inneren Begrenzung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs 1 SGB V) entfällt, ist nämlich grundsätzlich, dass der Arzt unter Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst dem Versicherten die in Betracht kommenden, zum Festbetrag erhältlichen und nach ihrer Wirkungsweise therapeutisch geeigneten Arzneimittel verordnet und der Versicherte die verordneten Arzneimittel über einen therapeutisch relevanten Zeitraum hinweg auch tatsächlich in vorgeschriebener Weise anwendet (BSG, aaO, RdNr 25).
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Geklärt ist auch, dass die Frage der Wirtschaftlichkeit des Arzneimittels, das einer wirkstoffbezogenen Festbetragsgruppe zuzuordnen ist, "isoliert" zu prüfen ist. Eine Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung aller durch die Therapie bedingten Kostenfaktoren im Sinne einer kompensatorischen Berücksichtigung eventueller anderweitiger Kostenvorteile eines den Festbetrag übersteigenden Arzneimittels aufgrund individueller Gegebenheiten findet - anders als der Kläger meint - nicht statt. Die Festbetragsregelung ist Ausdruck des Wirtschaftlichkeitsgebots. Arzneimittel, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen oder unwirtschaftlich sind, weil sie gegenüber gleich geeigneten, ausreichenden und erforderlichen Mitteln teurer sind, sind aus dem Leistungskatalog der GKV grundsätzlich ausgeschlossen (BSG, aaO, RdNr 13).
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b) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend bewusst von Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
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c) Schließlich ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensfehler des LSG bezeichnen könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Danach ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Für Letzteres gibt es auch dann keine Anhaltspunkte, wenn bei nicht anwaltlich oder sonst rechtskundig vertretenen Beteiligten - wie hier beim Kläger - der Maßstab für die Formulierung eines Begehrens nach weiterer Amtsermittlung geringer ist. Ein Verfahrensfehler wegen unzulässiger Delegation der Sachverständigentätigkeit (§ 118 SGG iVm § 407a Abs 2 ZPO in der bis 14.10.2016 geltenden Fassung) dürfte der Kläger nicht deswegen bezeichnen können, weil der vom LSG zum Sachverständigen bestellte Prof. Dr. B. das Gutachten nach Aktenlage, auf das sich das LSG für seine Feststellungen gestützt hat, nicht selbst geschrieben hat, sondern die Assistenzärztin C., und er es mit dem Hinweis unterschrieben hat: "Dem Gutachten stimme ich aufgrund eigener Urteilsbildung verantwortlich zu". Die schriftliche Abfassung des Gutachtens gehört nicht in jedem Fall zu den unverzichtbaren Kernaufgaben, die der Sachverständige zwingend selbst wahrnehmen muss (vgl dazu BSG Beschluss vom 30.1.2006 - B 2 U 358/05 B - Juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 1.10.2014 - B 9 SB 53/14 B - Juris RdNr 6). Aus den unter 1. genannten Gründen hat das LSG auch nicht gegen § 72 Abs 1 SGG verstoßen (absoluter Revisionsgrund des Mangels wirksamer Vertretung, § 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 4 ZPO) .
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