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BSG 17.03.2016 - B 4 AS 684/15 B
BSG 17.03.2016 - B 4 AS 684/15 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - ordnungsgemäße Bevollmächtigung - Prüfung der Prozessvollmacht des Rechtsanwalts von Amts wegen
Normen
§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 73 Abs 6 S 1 SGG, § 73 Abs 6 S 4 SGG, § 73 Abs 6 S 5 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG Cottbus, 11. Dezember 2013, Az: S 21 AS 4286/11
vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 13. November 2015, Az: L 29 AS 152/14, Beschluss
Tenor
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Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. November 2015 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Mit Beschluss vom 13.11.2015 hat das LSG die Berufung der Klägerin gegen ein Urteil des SG Cottbus (Urteil vom 11.12.2013) als unzulässig verworfen und dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Verpflichtung zur Erstattung der Kosten des Beklagten aus dem Berufungsverfahren auferlegt. Es sei anzunehmen, dass die Berufung von einem vollmachtslosen Vertreter eingelegt worden sei. Die Berufungseinlegung sei auch nicht nachträglich von der Klägerin genehmigt worden. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe trotz Aufforderung keine Prozessvollmacht für das Berufungsverfahren vorgelegt. Die erteilte "Generalvollmacht" reiche insoweit nicht aus. Denn in anderen Verfahren habe sich erwiesen, dass der Rechtsanwalt nicht zur Durchführung der Berufung beauftragt gewesen sei. Die erteilten Vollmachten seien dort aus anderem Anlass erteilt worden.
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Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG macht die Klägerin einen Verfahrensfehler geltend; gemäß § 73 Abs 6 S 5 SGG hätte das LSG einen Mangel der Vollmacht nicht prüfen dürfen, abgesehen davon, dass er nicht vorliege.
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II. Auf die Beschwerde der Klägerin ist der Beschluss des LSG vom 13.11.2015 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Die Klägerin rügt zu Recht, dass das LSG ihre Berufung wegen der fehlenden Vorlage einer das Berufungsverfahren konkret bezeichnenden Prozessvollmacht als unzulässig verworfen hat.
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1. Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
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a) Der Zulässigkeit der Beschwerde der Klägerin steht ein mangelnder Nachweis der ordnungsgemäßen Bevollmächtigung ihres Prozessbevollmächtigten nicht entgegen. Die Klägerin hat ihm unter dem 11.3.2011 "wegen sämtlicher in Betracht kommender Ansprüche gegen die (in der Vollmacht) genannte Behörde" eine Vollmacht ausgestellt. "Diese wird sowohl für das Verwaltungs-, das Widerspruchs- als auch das Klageverfahren erteilt. Die Vollmacht erstreckt sich auf alle Verfahren und alle Instanzen." Diese Erklärung lässt im Sinne der an eine ordnungsgemäße Vollmacht nach § 73 Abs 6 S 1 SGG zu stellenden Anforderungen keinen Zweifel daran, wer bevollmächtigt ist, wer bevollmächtigt hat und wozu bevollmächtigt worden ist (vgl zur entsprechenden Bestimmung des § 62 Abs 3 S 1 der FGO BFH Urteil vom 17.7.1984 - VIII R 20/82 - BFHE 141, 463, 465), nämlich hier der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ua zur Einlegung von Rechtsmitteln in Rechtsstreitigkeiten zwischen der Klägerin und dem Beklagten, und damit zur Einlegung der Beschwerde auch hier.
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Anlass dafür, diese Vollmacht entgegen der ständigen Spruchpraxis der obersten Gerichtshöfe des Bundes zur Wirksamkeit von Generalvollmachten als Prozessvollmacht (vgl etwa BSG Beschluss vom 26.1.1998 - B 2 U 299/97 B - juris RdNr 5; BVerwG Urteil vom 16.7.1998 - 7 C 36/97 - BVerwGE 107, 156, 157 f = Buchholz 428 § 1 VermG Nr 158; BFH Beschluss vom 7.5.2014 - II B 117/13 - BFH/NV 2014, 1232, 1233 RdNr 6) ausnahmsweise nicht als beachtlich anzusehen und von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin daher zusätzlich die Vorlage einer weiteren, auf das vorliegende Beschwerdeverfahren konkret bezogenen Vollmacht zu verlangen, besteht nicht. Zwar mögen Fälle denkbar sein, in denen Zweifel am ordnungsgemäßen Nachweis einer Prozessvollmacht durch Generalvollmacht angebracht sein können (vgl etwa BSG Beschluss vom 11.3.1985 - 7 RAr 117/84 - SozR 1500 § 166 Nr 12 S 18). Unter Berücksichtigung ihrer weitreichenden Auswirkungen für den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelinstanzen wird die Annahme, dass eine als Prozesshandlung (vgl die Nachweise bei Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 73 RdNr 61) erteilte Prozessvollmacht entgegen ihres äußeren Anscheins überhaupt nicht oder nicht mehr gelten soll, unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes gemäß Art 19 Abs 4 GG und des Rechtsstaatsprinzips allerdings nur unter außerordentlich gelagerten Umständen anzunehmen sein können (vgl auch den parallel hierzu liegenden Fall BSG Beschluss vom 20.1.2016 - B 14 AS 180/15 B).
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Raum für die Berücksichtigung solcher Umstände ist seit der Neufassung des § 73 SGG durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts (im Folgenden: RBerNG) vom 12.12.2007 (BGBl I 2840) prozessual allerdings nur noch, wenn sie entweder von dem anderen Beteiligten gestützt auf § 73 Abs 6 S 4 SGG substantiiert in das Verfahren eingeführt worden sind oder Anlass für Zweifel von Amts wegen nach § 73 Abs 6 S 5 SGG besteht (dazu unter b), woran es hier fehlt. Denn weder hat der erkennende Senat unter Berücksichtigung der bei ihm geführten Verfahren von Amts wegen selbst eigene Erkenntnisse, die darauf hindeuten könnten, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in einer größeren Zahl von Fällen trotz der Beendigung des Mandatsverhältnisses gestützt auf früher erteilte Generalvollmachten Rechtsbehelfe oder -mittel eingelegt hat, noch sind solche Umstände von dem Beklagten substantiiert dargetan worden. Zwar hat das LSG unter Angabe des Aktenzeichens zwei Verfahren aus der Berufungsinstanz benannt, in denen erklärt worden sei, dass die Klagen oder andere Verfahren nicht mit dem Willen der Kläger in Einklang stünden. Sie hätten dem Rechtsanwalt vor Jahren Vollmachten für Verfahren erteilt, die keinen Bezug zu dem anhängigen Verfahren gehabt hätten. Hinreichend substantiiert wäre das allerdings nur, wenn der Senat aufgrund dessen ohne eigene Nachforschungen unmittelbar beurteilen könnte, ob der Vorwurf einer missbräuchlichen Berufung auf Generalvollmachten durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin berechtigt erscheint, was mangels näherer Angaben nicht möglich ist.
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b) Die Beschwerde ist auch in der Sache begründet. Da der Mangel der Vollmacht des Prozessbevollmächtigten der Klägerin von dem Beklagten nicht gerügt worden war, durfte das LSG ihn zur Vorlage einer konkret auf das Berufungsverfahren bezogenen Prozessvollmacht nur auffordern und anschließend die Berufung der Klägerin unter Hinweis auf die fehlende Vorlage als unzulässig verwerfen, wenn iS von § 73 Abs 6 S 5 SGG von Amts wegen ernstliche Zweifel am ordnungsgemäßen Nachweis der Prozessvollmacht bestanden haben, was nach den Feststellungen des LSG nicht belegt ist.
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Nach § 73 Abs 6 S 1 SGG muss derjenige, der als Prozessvertreter eines anderen auftritt, seine Bevollmächtigung durch schriftliche Vollmacht nachweisen. Fehlt es daran, so hat das Gericht den Mangel der Vollmacht gemäß § 73 Abs 6 S 5 SGG (hier idF des Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22.12.2011, BGBl I 3057) von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Diese auf das RBerNG zurückgehende Vorschrift (ursprünglich § 73 Abs 6 S 4 SGG idF des RBerNG) zielt nach den Materialien darauf, in Übereinstimmung mit den anderen Verfahrensordnungen künftig auch im sozialgerichtlichen Verfahren den Mangel der Vollmacht nicht mehr von Amts wegen zu überprüfen, wenn als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt (vgl BT-Drucks 16/3655, S 96, ebenso dort S 90 zur neugefassten Vorschrift des § 80 ZPO).
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Danach mag die Regelung die Überprüfung der Vollmacht eines Rechtsanwalts von Amts wegen zwar nicht generell ausschließen (in diesem Sinne etwa BGH Urteil vom 5.4.2001 - IX ZR 309/00 - NJW 2001, 2095, 2096 zu der § 73 Abs 6 S 5 SGG entsprechenden Fassung des § 88 Abs 2 ZPO; BFH Beschluss vom 11.11.2009 - I B 152/09 - BFH/NV 2010, 449, 450 RdNr 5 f zu § 62 Abs 6 S 4 FGO; BVerwG Urteil vom 27.6.2011 - 8 A 1/10 - juris RdNr 16; enger dagegen BAG Beschluss vom 18.3.2015 - 7 ABR 6/13 - juris RdNr 14). Jedenfalls ist mit dieser Zielrichtung die Prüfung der Vollmacht eines Rechtsanwalts ohne Rüge der Gegenseite nur vereinbar, wenn sein Verhalten ernstliche Zweifel daran aufkommen lässt, dass er über die notwendige Vollmacht verfügt (ebenso BGH Urteil vom 5.4.2001, aaO: Weckt ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter selbst ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit seiner eigenen Bevollmächtigung, darf das Gericht diese auch von Amts wegen prüfen; ähnlich BVerwG Urteil vom 27.6.2011 - 8 A 1/10 - aaO: Keine ordnungsgemäße Bezeichnung des angeblich vertretenen Klägers).
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Solche Anhaltspunkte lassen sich den Feststellungen der angegriffenen Entscheidung nicht hinreichend entnehmen. Nicht ausreichend ist ohne weitere Feststellungen, dass die Kläger zweier Verfahren beim 29. Senat des LSG übereinstimmend angegeben hätten, von den in ihrem Namen geführten Berufungsverfahren erst durch die ihnen zugestellten Ladungen erfahren zu haben. Zwar können Zweifel an der fortdauernden Gültigkeit der einem Rechtsanwalt früher erteilten Generalvollmacht bestehen, wenn feststeht, dass er in einer größeren Zahl von Fällen unter Rückgriff auf solche Generalvollmachten Rechtsbehelfe oder -mittel eingelegt hat, obwohl das Mandatsverhältnis von den Mandanten bereits beendet worden war. Kein Anlass zu grundsätzlichen Zweifeln können aber Fehler begründen, die einem schlichten Büroversehen zuzuordnen sind. Nicht ausreichend ist vor diesem Hintergrund der Hinweis des LSG auf die Angaben von zwei Klägern und ohne Aufklärung der näheren Umstände, sodass es auf die mit der Beschwerde weiter geltend gemachte Frage nicht ankommt, ob dieser Sachverhalt prozessual ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt worden ist. Das gilt hier in besonderer Weise zusätzlich deshalb, weil die dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin erteilte Generalvollmacht und das im Streit stehende Berufungsverfahren wegen höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehen. Der hier angefochtene Änderungsbescheid vom 23.6.2011 greift zeitlich (Änderung zum 1.1.2011) in den Bewilligungszeitraum hinein, für den im vorhergehenden Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 20.5.2011 - Bewilligungszeitraum vom 1.10.2010 bis 31.3.2011) die erwähnte Generalvollmacht erteilt worden war. Es ist deshalb zusätzlich begründungsbedürftig, dass die Vollmacht nicht zur Einlegung der Berufung im vorliegenden Verfahren berechtigen sollte.
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2. Mit der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auf die Beschwerde der Klägerin ist auch der gerügte Verstoß gegen § 153 Abs 4 S 2 SGG gegenstandslos.
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3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.
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