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BSG 25.02.2016 - B 2 U 273/15 B
BSG 25.02.2016 - B 2 U 273/15 B - Landwirtschaftliche Unfallversicherung - Beitrags- und Versicherungspflicht - gelegentliches Abmähen von Wiesenflächen durch die Gemeinde - Gemeinde als landwirtschaftliches Unternehmen - Verfassungsrecht - kein Verstoß gegen kommunale Selbstverwaltungsgarantie - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - fehlender Klärungsbedarf
Normen
§ 123 Abs 1 Nr 1 SGB 7, § 129 Abs 4 S 2 SGB 7, § 150 SGB 7, Art 28 Abs 2 S 1 GG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG Chemnitz, 14. Mai 2012, Az: S 4 U 226/10, Gerichtsbescheid
vorgehend Sächsisches Landessozialgericht, 8. Oktober 2015, Az: L 2 U 147/12, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 8. Oktober 2015 wird zurückgewiesen.
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Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5593,42 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Zwischen den Beteiligten ist die Mitgliedschaft der Klägerin bei der beklagten landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft sowie die Erhebung von Beiträgen für die Jahre 2006 bis 2009 streitig.
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Die Klägerin ist eine Gemeinde und Eigentümerin von Wiesenflächen, die sie gelegentlich abmähen lässt. Die beklagte Berufsgenossenschaft stellte ihre Zuständigkeit für die Klägerin als landwirtschaftliche Unternehmerin fest (Bescheid vom 25.11.2009 idF des Bescheides vom 21.6.2010). Für die Jahre 2006 bis 2008 erhob sie Beiträge iH von insgesamt 476,60 Euro (Beitragsbescheid vom 26.11.2009 idF des Bescheides vom 21.6.2010) und für das Jahr 2009 iH von 116,82 Euro (Bescheid vom 16.2.2010 idF der Bescheide vom 2.3.2010 und 21.6.2010). Den Widerspruch der Klägerin gegen diese Bescheide wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 24.6.2010). Das SG hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben (Gerichtsbescheid vom 14.5.2012), das LSG hat den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 8.10.2015).
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Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG. Sie macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und stellt die Rechtsfrage, ob der Zwang zur Mitgliedschaft bei der Beklagten sie in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art 28 Abs 2 GG verletzt.
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II. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Zwar genügt die fristgemäß erfolgte Begründung der fristgerecht eingelegten Beschwerde den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG liegt jedoch nicht vor.
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Grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht (vgl BSGE 40, 40 = SozR 1500 § 160a Nr 4), weil sie sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder höchstrichterlich entschieden worden ist, ohne dass sie erneut zweifelhaft geworden ist (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8). Höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann, wenn das Revisionsgericht bzw das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8). Nach diesen Grundsätzen bedarf es keiner Entscheidung des BSG in einem nach Zulassung sich anschließenden Revisionsverfahren, weil die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage ohne Weiteres beantwortet werden kann.
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Die Klägerin hält die Frage für klärungsbedürftig: "Ist eine Auslegung des § 123 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII mit der in Art. 28 Abs. 2 GG den Gemeinden - hier der Klägerin - gewährten kommunalen Selbstverwaltungsgarantie vereinbar, die das regelmäßige Mähen von Wiesen im kommunalen Eigentum zu dem Zweck der Verkehrssicherungspflicht zu genügen, der Verwilderung sowie der unerlaubten Ablagerung von Müll vorzubeugen sowie den Charakter der Flächen als meist ungenutzte Wiesenflächen zu erhalten und eine Verwaldung zu vermeiden, als 'landwirtschaftliches Unternehmen' im Sinne von § 123 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII behandelt?"
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Diese Frage lässt sich, obwohl sie bisher nicht ausdrücklich Gegenstand von höchstrichterlichen Entscheidungen war, anhand der im Übrigen vorhandenen Rechtsprechung des BVerfG sowie des BSG ohne Weiteres dahin beantworten, dass die vom LSG vorgenommene Auslegung des § 123 Abs 1 Nr 1 SGB VII mit Art 28 Abs 2 GG vereinbar ist.
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Der Senat hat bereits entschieden, dass das Abmähen der auf einem Grundstück wachsenden Pflanzen eine den Boden bewirtschaftende Tätigkeit ist, die die Eigenschaft als landwirtschaftlicher Unternehmer iS von § 123 Abs 1 Nr 1 SGB VII begründen kann. Er hat es als unerheblich angesehen, ob die Bodenerzeugnisse auf einer Aufzucht beruhen und zu welchem Zweck sie gewonnen werden. So ist auch das Mähen von Gras zur Heugewinnung ohne weitere Verwendung des Heus eine landwirtschaftliche Tätigkeit (vgl BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 16/10 R - SozR 4-2700 § 123 Nr 2).
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Art 28 Abs 2 GG garantiert die kommunale Selbstverwaltung und damit den Gemeinden das Recht, ihnen zugewiesene Aufgaben eigenverantwortlich zu erledigen. Die von der Selbstverwaltungsgarantie des Art 28 Abs 2 GG umfasste Finanzhoheit gewährleistet den Kommunen eine eigenverantwortliche Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens und damit auch die Eigenverantwortlichkeit des gemeindlichen Wirtschaftens. Dieses Recht besteht im Rahmen der Gesetze; der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber setzt die Selbstverwaltungsgarantie allerdings Grenzen (vgl BVerfG vom 7.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - BVerfGE 137, 108 = SozR 4-4200 § 6a Nr 1 RdNr 114, 116 ff; BVerfG vom 27.1.2010 - 2 BvR 2185/04, 2 BvR 2189/04 - BVerfGE 125, 141; BVerfG vom 7.1.1999 - 2 BvR 929/97 - DÖV 1999, 336; BVerfG vom 23.11.1988 - 2 BvR 1619/83, 2 BvR 1628/83 - BVerfGE 79, 127). Durch staatliche Reglementierungen, die die Art und Weise der Aufgabenerledigungen der örtlichen Angelegenheiten durch die Gemeinden betreffen, kann die Selbstverwaltungsgarantie berührt sein (vgl BVerfG vom 7.2.1991 - 2 BvL 24/84 - BVerfGE 83, 363). Eine spezifische Betroffenheit liegt jedoch nur vor, wenn der Gesetzgeber unmittelbar regelnde Vorgaben für die Art und Weise der Aufgabenerfüllung setzt oder zielgerichtet auf deren Erfüllung Einfluss nimmt (BVerfG vom 7.2.1991 aaO S 385).
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Danach verletzt die aufgrund der Gesetzgebungskompetenz des Art 74 Abs 1 Nr 12 GG iVm Art 72 Abs 2 GG erlassene Vorschrift des § 123 Abs 1 Nr 1 SGB VII in ihrer Auslegung durch das LSG nicht die durch Art 28 Abs 2 GG gewährleistete Selbstverwaltungsgarantie der Klägerin.
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Es ist bereits zweifelhaft, ob durch eine durch § 123 Abs 1 Nr 1 SGB VII bewirkte Mitgliedschaft bei einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft in das Selbstverwaltungsrecht einer Gemeinde eingegriffen wird, weil diese Vorschrift nicht spezifisch die gemeindliche Aufgabenerfüllung regelt. Die Selbstverwaltungsgarantie, insbesondere die Gebiets-, Organisations-, Personal-, Finanz- und Planungshoheit, wird nicht unmittelbar durch die aus der Stellung als landwirtschaftliche Unternehmerin folgenden Pflichten einer Gemeinde berührt. Ihre Befugnis zu entscheiden, ob sie lediglich eine hoheitliche Liegenschaftsverwaltung betreibt oder mit den zum eigenen kommunalen Vermögen gehörenden Grundstücken als landwirtschaftliche Unternehmerin tätig wird und welchen Zwecken ein im Gemeindeeigentum stehendes Grundstück dienen soll, wird nicht beschränkt. So ist es auch der Klägerin unbenommen, die Wiesenflächen nicht weiter durch Abmähen des Grases zu pflegen, sondern sie anderweitig, zB als Bauland, zu nutzen, zu verpachten oder zu verkaufen.
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Selbst wenn man einen Eingriff in die Selbstverwaltungsgarantie annehmen würde, wäre dieser in Bezug auf den Zweck der Vorschrift geeignet, erforderlich und auch im engeren Sinne verhältnismäßig. § 123 Abs 1 Nr 1 SGB VII ordnet - wie auch § 129 Abs 4 Nr 4 SGB VII bzw seit 1.1.2013 § 129 Abs 4 Satz 2 SGB VII - eine Gemeinde bei Betätigung als landwirtschaftliche Unternehmerin der insoweit fachlich zuständigen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft zur sachgerechten Erfüllung der der gesetzlichen Unfallversicherung obliegenden Aufgaben zu. Die nicht sehr hohe Beitragsbelastung hat allenfalls geringe mittelbare Auswirkungen auf die Entscheidungsfreiheit der Gemeinde, ob eine Wiesenfläche als gemeindliches Grundstück mit entsprechenden Pflegemaßnahmen gehalten oder anders verwendet und ggf abgegeben wird und steht zu dem Zweck des § 123 Abs 1 Nr 1 SGB VII deshalb in einem angemessenen Verhältnis.
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Dass die Zuordnung einer die Merkmale eines landwirtschaftlichen Unternehmers erfüllenden Gemeinde zu dem Träger der landwirtschaftlichen Unfallversicherung mit Art 28 Abs 2 GG vereinbar ist, wird schließlich auch durch die Entscheidung des BSG vom 17.2.1971 (7/2 RU 74/68 - BSGE 32, 218 = SozR Nr 1 zu § 655 RVO) bestätigt. Dieses Urteil ist zwar nicht zur Frage der Mitgliedschaft als landwirtschaftlicher Unternehmer einer Gemeinde, sondern eines Stadtstaates ergangenen. Ihm ist jedoch zu entnehmen, dass der Bundesgesetzgeber durch die Regelungen der gesetzlichen Unfallversicherung bestimmten Trägern Aufgaben der gesetzlichen Unfallversicherung zuweisen kann, ohne die in Art 28 GG garantierten Rechte zu verletzen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1, § 183 SGG und § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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Der Streitwert ist gemäß § 197a Abs 1 Satz 1 Halbs 1 SGG iVm § 52 Abs 1, 2 und 3 Satz 1, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 39 Abs 1 GKG entsprechend den Streitwertfestsetzungen der Vorinstanzen, gegen die die Beteiligten keine Einwände erhoben haben, auf 5593,42 Euro festzusetzen. Die Werte des angefochtenen, die Mitgliedschaft der Klägerin betreffenden Aufnahmebescheids und der angefochtenen Beitragsbescheide sind gesondert zu berücksichtigen und zusammenzurechnen (vgl hierzu BSG vom 23.7.2015 - B 2 U 78/15 B - SozR 4-1920 § 52 Nr 16 RdNr 14). Für die streitigen Beitragsforderungen sind für die Jahre 2006 bis 2008 der Betrag von 176,60 Euro sowie für das Jahr 2009 der Betrag von 416,82 Euro zugrunde zu legen. Für die Bestimmung des den angefochtenen Aufnahmebescheid betreffenden Streitwerts bietet der Sach- und Streitstand dagegen keine genügenden Anhaltspunkte, sodass gemäß § 52 Abs 2 SGG ein Streitwert von 5000 Euro zugrunde zu legen ist (vgl hierzu BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 16/10 R - SozR 4-2700 § 123 Nr 2, RdNr 30 ff - insoweit nicht abgedruckt). Dass die Voraussetzungen des § 52 Abs 3 Satz 2 GKG vorliegen könnten, ist nicht ersichtlich (vgl hierzu BSG vom 3.7.2015 - B 2 U 78/15 B - SozR 4-1920 § 52 Nr 16 RdNr 15). Bei Zusammenrechnung ergibt sich damit der Betrag von 5593,42 Euro.
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