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BSG 27.05.2015 - B 9 SB 66/14 B
BSG 27.05.2015 - B 9 SB 66/14 B - Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - rechtliches Gehör - Überraschungsentscheidung - Anmaßung eigener medizinischer Sachkunde durch das Gericht - Abgrenzung zur gerichtlichen Beweiswürdigung - Darlegungsanforderungen - Amtsermittlungspflicht - Beweisantrag - Schwerbehindertenrecht - GdB-Feststellung - Versorgungsmedizinische Grundsätze - Wirbelsäulenschaden - Bedeutung von Triggerpunkten
Normen
§ 62 SGG, § 128 Abs 1 S 1 SGG, § 103 SGG, § 109 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 69 SGB 9, § 2 VersMedV, Teil B Nr 18.9 VersMedV, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend SG Lüneburg, 14. August 2012, Az: S 35 SB 33/10, Gerichtsbescheid
vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 30. Juni 2014, Az: L 10 SB 131/12, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 30. Juni 2014 wird als unzulässig verworfen.
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Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
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I
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In der Hauptsache begehrt der Kläger die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft. Bei dem Kläger hatte der Beklagte zuletzt wegen seelischer Beeinträchtigungen und degenerativer Wirbelsäulenveränderungen mit ausstrahlenden Beschwerden im Kopf-, Nacken- und Brustbereich einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt. Das SG hat die dagegen gerichtete Klage ua nach neurologisch-psychiatrischer Begutachtung abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 14.8.2012). Das LSG hat die dagegen gerichtete Berufung nach orthopädischer Begutachtung gemäß § 109 SGG und (abweichender) gutachterlicher Stellungnahme durch den Ärztlichen Dienst zurückgewiesen. Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ua ausgeführt, die psychische Erkrankung sei entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen zutreffend mit einem Einzel-GdB von 30 in Ansatz zu bringen. Die Erkrankung auf orthopädischem Sachgebiet sei hingegen vor dem Hintergrund der mitgeteilten Befunde entgegen der Einschätzung des § 109 SGG-Gutachters mit einem Einzel-GdB von 20 ausreichend gewürdigt, der Gesamt-GdB daher nicht zu beanstanden (Urteil vom 30.6.2014).
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Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und macht den Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers geltend.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
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1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall des Klägers darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist.
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a) Der Kläger hat die behauptete Verletzung der Amtsermittlungspflicht nicht ausreichend bezeichnet. Denn entgegen der Auffassung des Klägers ist es hierfür nicht allein entscheidend, ob und inwieweit das Berufungsgericht eigene Sachkunde an die Stelle des Sachverständigen gesetzt hat. Maßgeblich ist vielmehr auch die Darlegung, im Verfahren vor dem LSG einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt zu haben, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (vgl BSG Beschluss vom 4.9.2014 - B 9 V 8/14 B ). Daran fehlt es.
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b) Auch die behauptete Gehörsverletzung (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG; Art 47 Abs 2 S 1 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention) ist nicht hinreichend dargelegt. Mit seiner Beschwerdebegründung rügt der Kläger, das LSG sei in der Urteilsbegründung überraschend von der Einschätzung des Wirbelsäulenleidens mit einem Einzel-GdB von 30 durch den orthopädischen Sachverständigen abgewichen. Eine Gehörsverletzung liegt indessen nur vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Hierfür trägt die Beschwerdebegründung indessen nichts vor.
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Der vom Kläger angeführte Umstand, dass das Gericht gegen das Gutachten des orthopädischen Sachverständigen argumentiert, bezeichnet keine Verletzung rechtlichen Gehörs. Das Gericht ist nicht verpflichtet, den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen zu folgen, sondern entscheidet in freier Würdigung der erhobenen Beweise (§ 128 Abs 1 S 1 SGG). Allerdings kann in besonderen Konstellationen eine Überraschungsentscheidung in Betracht kommen, wenn die Beteiligten in einer Entscheidung mit einer Beweiswürdigung konfrontiert werden, für die bisher keinerlei Hinweise vorlagen (vgl BSG Urteil vom 29.5.1991 - B 9a RVi 1/90). Eine solche Konstellation ist denkbar, wenn das LSG dem eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten nicht folgt, sondern - ohne Hinweis auf das Bestehen eigener Sachkunde - seine Beweiswürdigung allein auf eine von ihm selbst unter Auswertung medizinischer Fachliteratur entwickelte Beurteilung stützt (vgl BSG Beschluss vom 15.9.2011 - B 2 U 157/11 B).
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So liegen die Dinge aber hier nicht. Die Beschwerdebegründung beanstandet, dass das Gericht den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen zu den "Triggerpunkten" nicht gefolgt sei und insoweit die Einzel-GdB-Bewertung des orthopädischen Sachverständigen nicht übernommen habe, obwohl dieser sich nachhaltig mit der - der richterlichen Bewertung entsprechenden - Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes ("Medizinischen Dienstes") auseinandergesetzt habe. Damit legt die Beschwerdebegründung keine unvorhersehbare Anmaßung eigener Sachkunde des Gerichts dar, sondern behauptet im Kern, dass anhand der erhobenen Befunde unter Berücksichtigung der Vorgaben der Versorgungsmedizin-Verordnung <VersMedV> (Teil B Nr 18.9 Anlage zu § 2) nur die Auffassung des § 109-SGG-Gutachters nachvollziehbar und schlüssig sei. Die damit einhergehende Prüfung ist indessen gerade richterliche Aufgabe. Eine nicht vorhersehbare Beweiswürdigung bezeichnet die Beschwerdebegründung nicht.
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Die Beschwerdebegründung übersieht, dass Teil B Nr 18.9 Anlage zu § 2 VersMedV bei der Bewertung von Wirbelsäulenschäden primär auf das Ausmaß an dauerhaften Bewegungseinschränkungen abstellt und der Sachverständige diese nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des LSG trotz der sog Triggerpunkte durchweg im Normbereich angesiedelt hat. Die Beschwerdebegründung hätte sich daher damit beschäftigen müssen, wieso sich das LSG gleichwohl eine nicht voraussehbare eigene Sachkunde dadurch angemaßt haben könnte, dass es die Bedeutung der Triggerpunkte anhand des "Psychrembel" allgemeinverständlich erläutert und auf diese Weise ausgehend von dem zu eigen gemachten Rechtsstandpunkt deren Unmaßgeblichkeit nach der VersMedV deutlicher aufgezeigt hat. Stattdessen lässt die Beschwerdebegründung erkennen, dass das LSG nach den Ausführungen in der Beschwerdebegründung vielmehr das getan hat, was seine Aufgabe ist, nämlich ausgehend von einem bestimmten Rechtsstandpunkt eine Beweiswürdigung anhand der feststehenden medizinischen Tatsachen vorzunehmen und den Gesamt-GdB anhand der VersMedV selbst zu beurteilen (vgl BSG Beschluss vom 9.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - RdNr 5 mwN, stRspr). Mit einer solchen richterlichen Vorgehensweise mussten die Beteiligten rechnen, insbesondere auch angesichts der in der Beschwerdebegründung ausdrücklich angesprochenen gutachterlichen Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes und der dort hervorgehobenen ausschlaggebenden Bedeutung von Bewegungsparametern für die versorgungsrechtliche Beurteilung von Wirbelsäulenschäden. Wieso hiernach die Entscheidung des LSG überraschend gewesen sein könnte, vermag die Beschwerdebegründung nicht darzulegen.
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Soweit die Beschwerdebegründung zudem die Auffassung äußert, das LSG habe die Grundsätze der VersMedV unzutreffend zur Anwendung gebracht, wendet sie sich allerdings gegen die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG. Diese ist indessen von vornherein nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
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2. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
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3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
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