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BSG 29.04.2010 - B 9 VS 2/09 R
BSG 29.04.2010 - B 9 VS 2/09 R - Soldatenversorgung - Soldat auf Zeit - Beendigung des Wehrdienstes - Feststellung von Folgen einer Wehrdienstbeschädigung - Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Wehr - und Versorgungsverwaltung
Normen
§ 80 SVG, § 81 Abs 1 SVG, § 85 Abs 1 SVG, § 88 Abs 1 S 1 SVG vom 21.12.2004, § 88 Abs 1 S 2 SVG vom 21.12.2004, § 88 Abs 2 S 1 SVG vom 21.12.2004
Vorinstanz
vorgehend SG Dessau, 24. Januar 2007, Az: S 5 VS 2/06, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, 7. August 2008, Az: L 7 VS 3/07, Urteil
Leitsatz
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1. Die Bundeswehrverwaltung ist nach Beendigung des Wehrdienstes nur befugt, Gesundheitsstörungen als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung festzustellen, die während des Wehrdienstes vorgelegen haben.
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2. Die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden dürfen über Leistungen der Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz für Zeiten nach dem Wehrdienst erst befinden, wenn die Bundeswehrverwaltung über Ansprüche eines ehemaligen Soldaten auf Zeit wegen der während der Dienstzeit aufgetretenen Folgen einer Wehrdienstbeschädigung entschieden hat.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten darüber, ob die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen Folgen einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) sind.
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Der 1942 geborene Kläger war vom 1.10.1959 bis 30.9.1963 bei der Bundeswehr Soldat auf Zeit, dabei zuletzt als Radarflugmelder eingesetzt.
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Im Juli 2001 beantragte der Kläger beim beigeladenen Land die Gewährung von Leistungen der Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Er machte geltend, die bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen seien Folgen einer WDB, denn er sei an den Radarüberwachungsgeräten mit Leuchtschriften in Kontakt gekommen und einer zu hohen Strahlenbelastung ausgesetzt gewesen. Das Amt für Versorgung und Soziales Halle übersandte den Antrag samt Akte an die Wehrbereichsverwaltung V (Süd), weil diese nach § 88 Abs 1 und 2 SVG für die Erstentscheidung zuständig sei.
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Nachdem die vom Bundesministerium der Verteidigung eingesetzte Radarkommission am 2.7.2003 ihren Bericht vorgelegt hatte, lehnte die beklagte Bundesrepublik Deutschland sowohl die Feststellung der beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen "dilatative Kardiomyopathie mit linksventrikulärer Pumpstörung, Herzrhythmusstörungen" als Folgen einer WDB iS des § 81 SVG als auch die Gewährung von Ausgleich nach § 85 SVG ab (Bescheid vom 21.11.2003). Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen gehörten nicht zu den qualifizierenden Krankheiten aufgrund ionisierender Strahlung im Sinne des Berichts der Radarkommission. Ein Ursachenzusammenhang zwischen einer etwaigen Strahleneinwirkung während der dienstlichen Tätigkeit und den Erkrankungen sei somit auszuschließen.
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Das beigeladene Land versagte daraufhin unter Berufung auf die Bindungswirkung der Entscheidung der Beklagten auch die Gewährung von Leistungen der Beschädigtenversorgung (Bescheid vom 30.1.2004).
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Nachdem der Kläger im Widerspruchsverfahren weitere Gesundheitsstörungen geltend gemacht hatte, die er ursächlich auf die Strahlenbelastung während seiner Dienstzeit bei der Bundeswehr zurückführte, lehnte die beklagte Bundesrepublik Deutschland außerdem die Feststellung der Gesundheitsstörungen "beginnender Altersstar beidseits, multiple Bandscheibenvorfälle in allen Wirbelsäulenabschnitten, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, beginnende Gelenkversteifungen in den oberen und unteren Extremitäten, rezidivierende Nerven- und Muskelreizerscheinungen, Impotenz, wiederkehrende Sehstörungen, chronische Nasennebenhöhlenentzündungen bei Nasenscheidewandfehlstellung" als Folgen einer WDB sowie auch insoweit die Gewährung eines Ausgleichs ab (Bescheid vom 22.2.2006). Zwar habe die ausgeübte Tätigkeit zu den qualifizierenden Tätigkeiten gehört, bei denen Personen einer gesundheitsschädigenden Strahleneinwirkung ausgesetzt gewesen seien. Ebenso liege mit dem Katarakt (grauer Star) eine qualifizierende Krankheit vor, für die ionisierende Strahlung ursächlich sein könnte. Bei einer Zeitspanne von 40 Jahren zwischen der dienstlichen Verwendung und der erstmaligen Diagnose dieser Erkrankung könne jedoch kein ursächlicher Zusammenhang hergestellt werden.
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Die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheide vom 21.11.2003 und 22.2.2006 wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 19.6.2006).
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Der Kläger hat zur Begründung seiner dagegen erhobenen Klage ua vorgetragen: Er sei während seiner Dienstzeit als Operator und Controller Röntgenstrahlen, radioaktiver Strahlung aus der Leuchtfarbe Ra 226 und gepulster Hochfrequenz (elektromagnetischer Strahlung) ausgesetzt gewesen. Diese Strahlungen hätten ab 1961 Krankheitsbilder verursacht (zunächst Probleme im Magenbereich, Krämpfe, Erbrechen, Durchfall, Blut teilweise im Stuhl). Schon während des Wehrdienstes habe er auch Probleme mit den Augen gehabt (Lichtempfindlichkeit, Tränen, Augenbrennen). Seit 1975 bestünden Sehstörungen. Seit Anfang der achtziger Jahre trage er eine Brille.
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Das SG Dessau hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24.1.2007). Zur Begründung seiner dagegen eingelegten Berufung hat der Kläger im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Klageverfahren wiederholt. Er hat in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG Sachsen-Anhalt beantragt, (1) das Urteil des SG sowie die Bescheide der beklagten Bundesrepublik Deutschland aufzuheben, (2) bei ihm festzustellen, dass die von ihm geltend gemachten Gesundheitsstörungen Folgen einer WDB sind, und (3) das beigeladene Land zu verurteilen, ihm ab 1.7.2001 Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 30 zu gewähren.
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Das LSG hat unter Abänderung der Entscheidung des SG die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen und die gegen den Beigeladenen gerichteten Klagen abgewiesen (Urteil vom 7.8.2008). Zur Begründung hat es ua ausgeführt:
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Die gegen die beklagte Bundesrepublik Deutschland gerichtete Anfechtungsklage sei zulässig und begründet. Diese sei zu einer Entscheidung über einen Ausgleich nach § 85 Abs 1 SVG nicht befugt gewesen, denn insoweit fehle es schon an einem rechtlich beachtlichen Antrag. Sie sei auch nicht befugt gewesen, durch Verwaltungsakt festzustellen, dass die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht Folgen einer WDB iS des § 81 SVG seien. Nach dem Urteil des BSG vom 5.7.2007 - B 9/9a VS 3/06 R - sei die Bundeswehrverwaltung für die Feststellung, ob eine Gesundheitsstörung Folge einer WDB sei, nur zuständig, soweit Leistungen nach § 41 Abs 2, §§ 85, 86 SVG in Betracht kämen. Feststellende Verwaltungsakte zu Zusammenhangsfragen dürfe die Beklagte nur erlassen, wenn sie für die betreffende Leistungsbewilligung zuständig sei. Hier begehre der Kläger jedoch die Gewährung von Leistungen der Beschädigtenversorgung nach § 80 BVG; hierfür sei das beigeladene Land zuständig.
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Der Einwand der Beklagten, das Urteil des BSG vom 5.7.2007 könne für die Beurteilung der Zuständigkeit bei ehemaligen Berufs- und Zeitsoldaten nicht herangezogen werden, weil die Wehrverwaltung bei diesen nach § 88 Abs 2 Satz 1 Buchst a SVG immer die "Erstentscheidungsbefugnis" habe, greife nicht durch. Diese Regelung betreffe nur die zeitliche Reihenfolge der Entscheidungen. Zudem seien die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen erst nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses eingetreten. Die Beklagte könne sich auch nicht auf den Rechtsstandpunkt zurückziehen, sie sei zu einer auf das Vorliegen einer WDB beschränkten Feststellung berechtigt, denn sie habe in den angefochtenen Bescheiden über die Folgen einer WDB entschieden.
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Aus der Rechtsprechung des BSG ergebe sich nichts anderes. Diese habe zwar für das nach § 55 Abs 1 Nr 3 SGG erforderliche Feststellungsinteresse die Besorgnis von Spätschäden ausreichen lassen (BSG, Urteil vom 16.3.1994 - 9 RV 2/93). Soweit ersichtlich, sei jedoch in allen von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschiedenen Fällen die Gesundheitsstörung schon während der Dienstzeit eingetreten. Für die Begründung der Zuständigkeit der beklagten Bundesrepublik Deutschland reiche es nicht aus, dass der Kläger Jahrzehnte nach dem Dienstende behaupte, schon während der Dienstzeit seien Beschwerden aufgetreten, die er auf die Einwirkung von Strahlen zurückführe. Denn der Zweck eines von der Bundeswehrverwaltung durchgeführten Feststellungsverfahrens, wegen möglicher Spätschäden rechtzeitig Beweis zu sichern, sei nicht mehr erreichbar.
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Die Beklagte könne sich schließlich auch nicht auf eine einheitliche Rechtsauffassung aller mit der Versorgung befassten Behörden berufen. Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherheit sei in seinem Rundschreiben vom 20.10.2003 von Fällen einer Erstentscheidung durch die Versorgungsverwaltung bei lange zurückliegenden Schädigungen durch den Betrieb von Radargeräten der Bundeswehr ausgegangen; es habe angeordnet, dass in diesen Fällen die Bundeswehrverwaltung um Sachverhaltsaufklärung und Amtshilfe zu bitten sei.
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Die mit der Anfechtungsklage verbundene, gegen die Beklagte gerichtete Feststellungsklage sei zwar nach § 55 Abs 1 Nr 3 SGG statthaft, es fehle jedoch wegen der mangelnden Entscheidungsbefugnis der Beklagten das erforderliche Feststellungsinteresse.
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Die gegen das beigeladene Land gerichteten Klagen seien ebenfalls unzulässig. Für die erstmals vor dem LSG erhobene Leistungsklage seien schon die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des § 75 Abs 5 SGG nicht erfüllt. Im Übrigen fehle es an der Durchführung eines vorherigen Vorverfahrens gemäß § 78 SGG, denn das beigeladene Land habe den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 30.1.2004 noch nicht beschieden.
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Der Senat sei zwar nicht gehindert, über die vom Kläger nachrangig gegen das beigeladene Land gerichtete Feststellungsklage nach § 75 Abs 5 SGG zu entscheiden. Der Gesetzgeber habe jedoch die Verurteilung des beigeladenen Landes in das Ermessen des Gerichts ("kann") gestellt. Der Zweck dieser Vorschrift, aus prozessökonomischen Gründen einen neuen Rechtsstreit zu vermeiden, rechtfertige eine Durchbrechung des Grundsatzes, dass dem sozialgerichtlichen Verfahren ein förmliches Vorverfahren vorauszugehen habe, dann nicht, wenn das Ziel der Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes und der Durchsetzung des materiellen Rechts ohne ein vorangegangenes Verwaltungsverfahren schwerer erreichbar sei. Eine Prognose der aus rechtlicher Sicht noch erforderlichen Sachaufklärung ergebe hier, dass eine umfassende Sachprüfung durchzuführen sei, für die das Vorverfahren geeigneter sei als das gerichtliche Verfahren. Der Senat habe zwar kaum Zweifel, dass die Beklagte im Ergebnis zutreffend entschieden habe, dass die Katarakt-Erkrankung, die beim Kläger allein als qualifizierende Krankheit im Sinne des Berichts der Radarkommission in Betracht komme, nicht Folge einer WDB durch Strahleneinwirkung sei. Es fehle jedoch bislang an einer Prüfung, ob die vom Kläger neben der Katarakt-Erkrankung als WDB-Folgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen mit Wahrscheinlichkeit durch Strahleneinwirkungen bei Dienstverrichtungen an Radargeräten verursacht worden seien.
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Kläger und Beklagte haben jeweils die vom Senat zugelassene Revision eingelegt.
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Der Kläger rügt mit seiner Revision sinngemäß eine Verletzung des § 88 Abs 2 Satz 1 Buchst a SVG. Die beklagte Bundesrepublik Deutschland sei für die Feststellung der WDB zuständig gewesen. Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung sei die Bundeswehrverwaltung auch nach Beendigung des Wehrdienstes bei Soldaten auf Zeit für die Erstentscheidung zuständig, wenn Ansprüche nach § 41 Abs 2 SVG sowie den §§ 85, 86 SVG infrage kämen. Dieser Wortlaut sei dahingehend auszulegen, dass die Bundeswehrverwaltung für die Feststellung einer WDB zuständig sei, die Versorgungsverwaltung für die Entscheidung über die zu gewährenden Leistungen. Soweit sich das LSG auf die Entscheidung des BSG vom 5.7.2007 - B 9/9a VS 3/06 R - stütze, habe dieser Fall einen Wehrdienstleistenden und nicht - wie bei ihm - einen Soldaten auf Zeit betroffen.
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Weiter rügt der Kläger eine Verletzung des § 75 Abs 5 SGG. Nach dieser Vorschrift könne ein Land nach notwendiger Beiladung verurteilt werden. Die Verurteilung sei nicht unbedingt auf eine Verurteilung zur Leistung beschränkt. Das LSG habe deshalb auch zutreffend festgestellt, dass es nach § 75 Abs 5 SGG möglich sei, über die von ihm begehrte Feststellung von Folgen einer WDB im Rechtsverhältnis zum Beigeladenen durch ein Sachurteil zu entscheiden. Es habe es jedoch im vorliegenden Fall nicht für zweckmäßig gehalten, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Er (der Kläger) habe jedoch mehrfach schriftlich vorgetragen, dass er diesbezüglich auf einen mit einer weiteren Verzögerung verbundenen vollständigen "Instanzenzug" verzichte. Der bisherige Verlauf des Verfahrens habe gezeigt, dass ein Vorverfahren gerade nicht zu einer Sachverhaltsaufklärung führe. Bislang sei kein einziges Gutachten zur Frage der Kausalität zwischen Schädigung und Gesundheitsstörung eingeholt worden. Bei zutreffender Anwendung des § 75 Abs 5 SGG hätte das LSG das beigeladene Land verurteilen müssen.
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Der Kläger rügt außerdem eine Verletzung der §§ 103, 109, 128 SGG. Es sei ausdrücklich die Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 109 SGG beantragt worden. Das LSG hätte zudem (von Amts wegen) ein Sachverständigengutachten einholen und die von ihm benannten Zeugen hören müssen.
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Schließlich stellt der Kläger klar, dass die Bescheide der Beklagten insoweit von ihm nicht angefochten worden seien, als sie die Ablehnung der Gewährung von Ausgleich nach § 85 SVG betreffen.
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Der Kläger beantragt,
1.
die Urteile des LSG Sachsen-Anhalt vom 7.8.2008 und des SG Dessau vom 24.1.2007 zu ändern, soweit die Berufung zurückgewiesen und seine Klagen abgewiesen worden sind,
2.
die Beklagte zu verpflichten, die Gesundheitsstörungen "dilatative Kardiomyopathie mit linksventrikulärer Pumpstörung, Herzrhythmusstörungen, multiple Bandscheibenvorfälle in allen Wirbelsäulenabschnitten, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, beginnende Gelenkversteifung in den oberen und unteren Extremitäten, rezidivierende Nerven- und Muskelreizerscheinungen, Impotenz, wiederkehrende Sehstörungen, grauer Star, chronische Nasennebenhöhlenentzündungen bei Nasenscheidewandfehlstellung und Immunschwäche" im Sinne der Entstehung als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung im Sinne des § 81 Abs 1 SVG festzustellen,
3.
den Beigeladenen zu verurteilen, ihm wegen der erlittenen Wehrdienstbeschädigung Versorgung zu gewähren,
4.
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
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Die Beklagte beantragt,
1.
das Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 7.8.2008 zu ändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Dessau vom 24.1.2007 in vollem Umfang zurückzuweisen,
2.
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
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Sie rügt mit ihrer Revision eine Verletzung der § 88 Abs 2 Satz 1 Buchst a, § 87 Abs 1 Satz 1 SVG iVm §§ 85, 86 SVG. Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmungen stehe ihr eine "Erstentscheidungsbefugnis" auch in den Fällen von Berufs- und Zeitsoldaten zu, in denen Leistungen für die Zeit des Wehrdienstverhältnisses nicht zu erwarten seien. Auch nach Beendigung des Wehrdienstes sei sie befugt, über die Grundvoraussetzungen der Beschädigtenversorgung auf der Grundlage der § 41 Abs 2, §§ 85, 86 SVG zu entscheiden, unabhängig davon, ob die Folge der WDB vor oder nach Wehrdienstende eingetreten sei. Dies sei seit dem Inkrafttreten des § 88 Abs 2 Satz 1 Buchst a SVG am 1.1.1981 (durch das Siebente Gesetz zur Änderung des SVG vom 7.7.1980, BGBl I 851) einhellige Rechtsauffassung und gefestigte Verwaltungspraxis aller mit der Beschädigtenversorgung befassten Behörden. Die Entscheidung des LSG sei deshalb schon nicht vom Wortlauf des Gesetzes gedeckt. Das LSG habe im Wege der Auslegung aus den Wörtern "entscheiden…nach § 41 Abs 2 sowie den §§ 85 und 86" ein "entscheiden über Ansprüche/Leistungen nach.." gemacht. Die Wehrverwaltung könne jedoch nach dem Ausscheiden auch ablehnend über etwaige Ansprüche entscheiden und vor allem über das Vorliegen einer WDB befinden.
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Auch die Gesetzesmaterialien bestätigten dieses Rechtsverständnis. In der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Verteidigungsausschusses zu dem eingebrachten Entwurf eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des SVG (BT-Drucks 8/4030, S 26) heiße es ausdrücklich, dass die Bundeswehrverwaltung bei ehemaligen Berufssoldaten und Zeitsoldaten über die Frage der Wehrdienstbeschädigung und deren Folgen jeweils vor der Versorgungsverwaltung zu entscheiden habe. Diese Regelung entspreche der in § 31 Soldatengesetz normierten besonderen Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Mit diesem Verfahren würden unterschiedliche Entscheidungen über die Beschädigtenversorgung und die Dienstzeitversorgung, für die die Bundeswehrverwaltung nach § 87 SVG allein zuständig sei, vermieden. Mit der Änderung des § 88 Abs 2 SVG sei der Gesetzgeber einer Anregung des Bundesrates und einem Hinweis des BSG in seinem Urteil vom 17.5.1977 - 10 RV 53/76 - nachgekommen.
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Das LSG könne sich in diesem Zusammenhang nicht auf das Urteil des BSG vom 5.7.2007 - 9/9a VS 3/06 R - stützen, weil dieses über die Zuständigkeit bei einem Soldaten, der aufgrund der Wehrpflicht Wehrdienst geleistet habe, zu entscheiden gehabt habe. Bei diesem Personenkreis sei die zwingend vorgesehene "Erstentscheidungsbefugnis" auf Seiten der Bundeswehrverwaltung nicht notwendig, weil eine Dienstzeitversorgung für diesen Personenkreis nicht in Betracht komme. Soweit das LSG die Auffassung vertrete, aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass die Bundeswehrverwaltung ausschließlich in denjenigen Fällen für Entscheidungen zuständig sei, wenn Leistungen überhaupt in Betracht kämen, sei dies nicht nachvollziehbar. Die Bindung der Bundeswehrverwaltung nach einer möglicherweise fehlerhaften Entscheidung der Versorgungsverwaltung sei vor allem dann problematisch, wenn ein Dienstunfall vorliege, der zugleich eine Wehrdienstbeschädigung sei. Ziel der Regelung des § 88 Abs 3 SVG sei es nicht nur, der Gefahr voneinander abweichender Entscheidungen entgegenzuwirken, sondern auch eine Schlechterstellung von Soldaten nach dem Ausscheiden zu verhindern. Durch Bindung - in erster Linie der Versorgungsverwaltung - soll die weitere Versorgung der aus dem Dienst der Bundeswehr ausgeschiedenen Soldaten sichergestellt werden.
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Das LSG sei ferner unzutreffend davon ausgegangen, dass eine Entscheidungsbefugnis der Bundeswehrverwaltung über einen Anspruch nach § 85 SVG auch deshalb ausscheide, weil die Gesundheitsstörungen erst nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses eingetreten seien. Diese Vorschrift stelle nach ihrem Wortlaut "Folgen einer Wehrdienstbeschädigung" allein darauf ab, dass das schädigende Ereignis vor Ablauf des Wehrdienstverhältnisses eingetreten sei und deshalb ggf auch eine Negativentscheidung hinsichtlich der Leistungen für die Zeit des Wehrdienstes zu treffen sei. Nach der Intention des Gesetzgebers sei demnach für die Zuständigkeit der Zeitpunkt des Eintritts des schädigenden Ereignisses maßgebend.
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Die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 16.3.1994 - 9 RV 2/93) habe die Bundeswehrverwaltung außerdem auch dann zu einer Entscheidung ("isolierte Feststellung") über das Vorliegen einer WDB verpflichtet, wenn die Gewährung eines Ausgleichs wegen eines GdS von unter 25 nicht in Betracht komme. Ein "Bagatellbescheid" sei demnach nur noch dann zulässig, wenn aus medizinischer Sicht zweifelsfrei sichergestellt sei, dass mit keinerlei Schädigungsfolge zu rechnen sei. Um die Möglichkeit einer späteren Erkrankung auszuschließen, müsse nach dem gegenwärtigen Stand der medizinischen Wissenschaft gesagt werden können, dass mit Spätschäden nicht zu rechnen sei. Daraus folge, dass es für einen Anspruch auf Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer WDB nicht darauf ankomme, ob eine Gesundheitsstörung aktuell feststellbar sei. Denn nicht diese, sondern der Ursachenzusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einer WDB begründe im Hinblick auf mögliche künftige Ansprüche den Feststellungsanspruch des Klägers. Die Feststellung der Schädigungsfolge sei nach der Rechtsprechung des BSG zu § 55 Abs 1 Nr 3 SGG (Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R) im sozialen Entschädigungsrecht - und damit auch im Recht der Soldatenversorgung - mehr als nur die Feststellung einer Vorfrage für das Leistungsverhältnis; sie sei Gegenstand einer selbstständigen Feststellung.
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Das beigeladene Land stellt keinen Antrag. Es hält die Auslegung des § 88 Abs 2 Satz 1 SVG durch das LSG für zutreffend. Das LSG habe ermessensfehlerfrei von der Möglichkeit einer Verurteilung nach § 75 Abs 5 SGG keinen Gebrauch gemacht. Inzwischen sei unter dem 11.5.2009 der Widerspruch gegen ihren Bescheid vom 11.2.2004 als unbegründet zurückgewiesen worden. Die hiergegen vor dem SG Dessau-Roßlau erhobene Klage ruhe wegen des Revisionsverfahrens.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), soweit der Kläger eine Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Folgen einer WDB für die Zeit bis zum 30.9.1963 begehrt. Der Urteilsausspruch des LSG ist außerdem insoweit aufzuheben, als dieses die gegen das beigeladene Land gerichteten Klagen abgewiesen und über die Kosten des Verfahrens entschieden hat. Im Übrigen sind die Revisionen des Klägers und der Beklagten unbegründet.
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1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zunächst die Anfechtungsklage gegen die Bescheide der Beklagten vom 21.11.2003 und 22.2.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.6.2006, soweit darin über die Feststellung von Folgen einer WDB entschieden worden ist. Die damit ebenfalls erfolgte Versagung von Ausgleich nach § 85 SVG ist vom Kläger von vornherein nicht angegriffen worden. Diese Anfechtungsklage ist verbunden mit einer auf Feststellung von Schädigungsfolgen iS des SVG gerichteten Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG). Dabei ist es unschädlich, dass der Kläger insoweit im Revisionsverfahren von einer Feststellungs- zu einer Verpflichtungsklage übergegangen ist (vgl zB Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 55 RdNr 13c). Eine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung liegt darin nicht (vgl dazu Leitherer in Meyer-Ladewig, aaO, § 168 RdNr 2b).
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a) Wie das LSG zutreffend entschieden hat, ist die Anfechtungsklage schon deshalb begründet, weil die Beklagte bei Erlass der angefochtenen Verwaltungsakte die ihr gesetzlich eingeräumte Entscheidungsbefugnis überschritten hat, indem sie eine Feststellung der beim Kläger in der Zeit ab Antragstellung (Juli 2001) vorliegenden Gesundheitsstörungen als Folgen einer WDB abgelehnt hat. Die dagegen - insbesondere von der Beklagten - vorgebrachten Argumente greifen nicht durch.
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Die Durchführung der Beschädigtenversorgung für ehemalige Soldaten auf Zeit wie den Kläger richtet sich nach § 88 SVG in der zur Zeit der Entscheidungen der Beklagten (vom 1.2.2003 bis 20.12.2007) geltenden Fassung vom 21.12.2004 (BGBl I 3592), die in der Folgezeit im Wesentlichen unverändert geblieben ist (vgl Gesetze vom 12.12.2007, BGBl I 2861, vom 13.12.2007, BGBl I 2904, und vom 16.9.2009, BGBl I 3054). Abs 1 dieser Vorschrift regelt die Aufgabenverteilung zwischen den Behörden der beklagten Bundesrepublik Deutschland und denen des beigeladenen Landes, also deren jeweiligen Zuständigkeitsbereich. Nach Satz 1 dieser gesetzlichen Bestimmung führt das Bundesministerium der Verteidigung die §§ 85 bis 86 SVG (Ausgleich, Wohnungshilfe, Erstattung von Sachschäden und Ersatz besonderer Aufwendungen) bei Behörden der Bundeswehrverwaltung durch. Im Übrigen wird der Dritte Teil des SVG (Beschädigtenversorgung iS der §§ 80 ff SVG) von den zur Durchführung des BVG zuständigen Behörden (hier der Versorgungsverwaltung des beigeladenen Landes) im Auftrag des Bundes durchgeführt (§ 88 Abs 1 Satz 2 SVG).
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Ausgehend von dieser zwischen Bund und Land aufgespaltenen Zuständigkeit bestimmt § 88 Abs 2 SVG die zeitliche Reihenfolge der zu treffenden Entscheidungen, wenn diese nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses erfolgen. Nach Satz 1 entscheidet in bestimmten Fällen auch nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses zunächst die Bundeswehrverwaltung "nach § 41 Abs 2 sowie den §§ 85 und 86" SVG, bevor die nach § 88 Abs 1 Satz 2 SVG zuständigen Behörden (hier die Versorgungsverwaltung des beigeladenen Landes) über die Beschädigtenversorgung für die Zeit nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses entscheiden. Diese zeitliche Reihenfolge der Entscheidungen gilt nach Buchst a (ohne weitere Einschränkungen) für ehemalige Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit sowie nach Buchst b für ehemalige Soldaten, die aufgrund der Wehrpflicht Wehrdienst geleistet haben, wenn das Verfahren bei Beendigung des Wehrdienstverhältnisses eingeleitet, aber noch nicht abgeschlossen worden ist oder das Verfahren aufgrund des Todes einzuleiten ist und ein Antrag nach § 80 und § 82 SVG noch nicht vorliegt. In allen anderen Fällen entscheiden gemäß § 88 Abs 2 Satz 2 SVG nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses die zur Durchführung des BVG zuständigen Behörden (hier die Versorgungsverwaltung des beigeladenen Landes) vor der Bundeswehrverwaltung.
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Nach dem Wortlaut des hier einschlägigen § 88 Abs 2 Satz 1 Buchst a SVG besteht demnach eine zeitlich vorrangige Zuständigkeit der Beklagten ("Erstentscheidungsbefugnis") bei ehemaligen Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit ua dann, wenn nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses "nach § 85" SVG zu entscheiden ist. Eine Entscheidung nach § 85 SVG umfasst grundsätzlich den Erlass zweier Verwaltungsakte iS des § 31 SGB X: zum einen über die Feststellung von Gesundheitsstörungen als Folgen einer WDB, zum anderen über die Gewährung einer Leistung (Ausgleich) wegen der Folgen der WDB (vgl zur Feststellung von Schädigungsfolgen als eigenständiger Verwaltungsakt bereits BSGE 9, 80, 83 f = SozR Nr 17 zu § 55 SGG; BSGE 12, 25, 26; BSGE 27, 22, 23 = SozR Nr 59 zu § 77 SGG; zur Feststellung von WDB-Folgen etwa BSGE 57, 171, 172 = SozR 1500 § 55 Nr 24 S 17; BSGE 68, 128, 129 f = SozR 3-3200 § 81 Nr 1 S 3; zum Ausgleich als dienstrechtliche Leistung BSGE 64, 225, 227 f = SozR 7610 § 291 Nr 2 S 3).
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Beide nach § 85 SVG ergehenden Verwaltungsakte beziehen sich ausschließlich auf die Zeit des Wehrdienstverhältnisses. Für die Gewährung oder Versagung von Ausgleich versteht sich das von selbst. Denn Soldaten erhalten nach § 85 Abs 1 SVG wegen der Folgen einer WDB nur während ihrer Dienstzeit einen Ausgleich in Höhe der Grundrente und der Schwerstbeschädigtenzulage nach § 30 Abs 1 und § 31 BVG. Derselben zeitlichen Beschränkung unterliegt auch die auf § 85 SVG gestützte Entscheidung über die Feststellung von Folgen einer WDB. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, kann nämlich die Feststellungsbefugnis nicht weiter reichen als die Befugnis, über die Leistung zu entscheiden. Feststellungsbefugt ist demnach die Verwaltung, die für die Entscheidung über das stets vorrangige Leistungsbegehren zuständig ist (vgl BSG, Urteil vom 16.3.1994 - 9 RV 2/93 - SozR 3-1500 § 55 Nr 18 S 41; BSG, Urteil vom 5.7.2007 - B 9/9a VS 3/06 R - BSGE 99, 1 = SozR 4-3200 § 81 Nr 3, jeweils RdNr 13). Für die Entscheidungen im Anwendungsbereich des § 85 SVG bedeutet dies, dass auch nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses die beklagte Bundesrepublik Deutschland feststellende Verwaltungsakte zu Zusammenhangsfragen (als etwaige Vorstufe einer Leistungsgewährung) nur für Gesundheitsstörungen treffen darf, die während der Dienstzeit vorgelegen haben. Sie hat hingegen keine Kompetenz, positiv oder negativ über gesundheitliche Folgen einer WDB zu entscheiden, die nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses eingetreten sind.
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Auch der Entstehungsgeschichte des § 88 Abs 2 SVG lässt sich nicht entnehmen, dass die beklagte Bundesrepublik Deutschland für die Feststellung von Gesundheitsstörungen als Folgen einer WDB zuständig sein soll, die nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses aufgetreten sind. Die mit Wirkung zum 1.1.1981 durch Art 1 Nr 33 Buchst b Siebentes Gesetz zur Änderung des SVG vom 7.7.1980 (BGBl I 851) eingefügte Neufassung des § 88 Abs 2 SVG, mit der die vorgenannte zeitliche Reihenfolge für Entscheidungen nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses festgelegt worden ist, wurde in den Gesetzesmaterialien (vgl BT-Drucks 8/4030, S 26) damit begründet, dass bei ehemaligen Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit grundsätzlich vorgesehen sei, dass die Behörden der Bundeswehrverwaltung über die Frage der WDB und deren Folgen jeweils "vor der Entscheidung der Behörden der Versorgungsverwaltung über die Beschädigtenversorgung nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses" entschieden.
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Diese Ausführungen können entsprechend dem Wortlaut des § 88 Abs 2 SVG nur so verstanden werden, dass die Bundeswehrverwaltung zunächst zu prüfen und zu entscheiden hat, ob eine WDB iS des § 81 Abs 1 SVG vorliegt, also eine (primäre) gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Außerdem hat sie zu prüfen und zu entscheiden, ob bereits während der Dienstzeit (weitere) Gesundheitsstörungen als Folgen der WDB aufgetreten und ggf deswegen nach § 85 SVG Ausgleich (in Höhe der Grundrente und der Schwerstbeschädigtenzulagen nach § 30 Abs 1 und § 31 BVG) zu gewähren ist. Erst danach dürfen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden (hier die Versorgungsverwaltung) über die Beschädigtenversorgung für die Zeit nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses iS der §§ 80 ff SVG - also über gesundheitliche und wirtschaftliche Folgen, die nach Beendigung der Dienstzeit eingetreten sind - entscheiden, wobei sie nach Maßgabe des § 88 Abs 3 Satz 1 SVG an die Entscheidung der Bundeswehrverwaltung gebunden sind (vgl dazu allerdings BSG SozR 4-3200 § 88 Nr 1).
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Abhängig von der Art der während des Wehrdienstes erfolgenden Einwirkungen kann die Feststellung einer bis zum Ende der Dienstzeit eingetretenen WDB Schwierigkeiten bereiten. Bei Unfällen im Sinne von zeitlich begrenzten, auf den Soldaten einwirkenden Ereignissen (s Definition des Unfalls in § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII) wird die erforderliche Primärschädigung einfacher festzustellen sein als bei einer sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden, generell schädlichen Einwirkung. Dabei können (wie bei bestimmten Berufskrankheiten) erste Krankheitssymptome durchaus erst längere Zeit nach dem Ende solcher Einwirkungen eintreten. Angesichts der strikten Vorgaben des § 88 Abs 2 Satz 1 SVG ist die Bundeswehrverwaltung indes nur zuständig für die Feststellung von Gesundheitsschäden, die sich während der Dienstzeit des Soldaten manifestiert haben. Verneint sie für diesen Zeitraum das Vorliegen von wehrdienstbedingten Gesundheitsstörungen, so ist danach die Versorgungsverwaltung nicht gehindert, darüber zu entscheiden, ob die Wehrdienstverrichtung oder dem Wehrdienst eigentümliche Verhältnisse nach Beendigung der Dienstzeit zu einer Erkrankung geführt haben.
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Bei dieser Vorgehensweise lässt sich zugleich der vom Gesetzgeber mit dieser Verfahrensregelung verfolgte Zweck erreichen, unterschiedliche Entscheidungen über die Beschädigtenversorgung iS der §§ 80 ff SVG und die Dienstzeitversorgung iS der §§ 3 ff SVG, für die nach § 87 SVG die Bundeswehrverwaltung allein zuständig ist, zu vermeiden (vgl BT-Drucks 8/4030, S 26). Dagegen ist der Regelung des § 88 SVG nicht zu entnehmen, dass sich die Entscheidungsbefugnis der Bundeswehrverwaltung zur Feststellung von Schädigungsfolgen auf alle Gesundheitsstörungen erstrecken soll, die im Zeitpunkt der betreffenden Entscheidung vorliegen, auch wenn dieser - wie hier - Jahrzehnte nach dem Ende des Wehrdienstes liegt. Die zeitliche Reihenfolge der Entscheidungen von Bundeswehrverwaltung und Versorgungsverwaltung (§ 88 Abs 2 SVG) ändert grundsätzlich nicht die in § 88 Abs 1 SVG vorgenommene Zuständigkeitsverteilung. Insbesondere soll der Umfang der Befugnis der Bundeswehrverwaltung über das Vorliegen von Folgen einer WDB zu entscheiden, nicht davon abhängen, wann der (ehemalige) Soldat einen Versorgungsantrag stellt.
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Da die vom Kläger angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 21.11.2003 und 22.2.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.6.2006 keine (positiven oder negativen) Feststellungen zu während der Dienstzeit des Klägers vom 1.10.1959 bis 30.9.1963 eingetretenen gesundheitlichen Folgen einer WDB, sondern lediglich negative Feststellungen zu nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses aufgetretenen Gesundheitsstörungen enthalten, hat das LSG diese Verwaltungsakte insoweit im Ergebnis zu Recht aufgehoben.
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b) Soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass die bei ihm in der Zeit ab Juli 2001 vorliegenden Gesundheitsstörungen Folgen einer WDB sind, kann seine gegen die Beklagte gerichtete Verpflichtungsklage - wie das LSG zutreffend erkannt hat - schon deshalb keinen Erfolg haben, weil der Beklagten insoweit eine Entscheidungszuständigkeit fehlt. Denn diese ist gemäß § 88 Abs 1 und 2 iVm § 85 SVG nur befugt, über Schädigungsfolgen zu befinden, die während des Wehrdienstverhältnisses des Klägers vorgelegen haben.
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Da der Kläger bereits im Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren geltend gemacht hat, dass bestimmte Gesundheitsstörungen, für die schädigende Einwirkungen durch dienstliche Strahlenbelastung ursächlich seien, bereits während des Wehrdienstes aufgetreten seien, kann sein mit der (gegen die Beklagte gerichteten) Verpflichtungsklage verfolgtes Begehren (§ 123 SGG) nach seinem objektiven Erklärungswert und der recht verstandenen Interessenlage des Klägers (§ 133 BGB) nur so verstanden werden, dass dieser unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt, was ihm aufgrund des von ihm geschilderten Sachverhalts rechtlich zusteht: Er beansprucht deshalb hilfsweise auch, die Beklagte zu verpflichten, die während der Dienstzeit aufgetretenen, auf eine dienstliche Strahlenbelastung zurückzuführenden Gesundheitsstörungen als Folgen einer WDB festzustellen (zum Anspruch auf Feststellung aller Schädigungsfolgen bereits BSGE 9, 80, 82; BSG, Urteil vom 25.4.1961 - 11 RV 198/61 - juris RdNr 7). Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte über diese Gesundheitsstörungen in den angefochtenen Bescheiden bereits ausdrücklich entschieden hat. Vielmehr darf der Kläger auch noch während des gerichtlichen Verfahrens weitere Gesundheitsstörungen "nachschieben", die er ursächlich auf eine WDB zurückführt (hierzu bereits BSG, Urteil vom 18.1.1961 - 11 RV 1020/60 - juris RdNr 9; BSG, Urteil vom 25.4.1961 - 11 RV 198/61 - juris RdNr 7 f).
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Über dieses Begehren hat das LSG zu Unrecht keine Sachentscheidung getroffen. Zwar handelt es sich hier nicht um den Fall einer alsbaldigen Feststellung dazu, ob eine Körperverletzung, die noch keine Leistungsansprüche auslöst, eine Wehrdienstbeschädigung ist (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 55 Nr 18). Insofern geht es vorliegend nicht um eine rechtzeitige Beweissicherung wegen möglicher Spätschäden. Vielmehr macht der Kläger - Jahrzehnte nach seiner Dienstzeit - Schädigungsfolgen geltend, die er auf eine dienstliche Strahlenbelastung zurückführt. Auch und gerade in solch einem Fall ist - nicht zuletzt wegen der sich aus § 88 Abs 3 SVG ergebenden Bindungswirkung - die (auf die Verhältnisse während der Dienstzeit beschränkte) Erstentscheidungsbefugnis der Beklagten zu beachten. Daraus ergibt sich wiederum ein Anspruch des Klägers auf eine entsprechende Verwaltungsentscheidung der Beklagten.
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Das LSG hat - nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig - weder festgestellt, ob beim Kläger eine WDB iS des § 81 Abs 1 SVG vorliegt, also eine (primäre) gesundheitliche Schädigung, die "durch eine Wehrdienstverrichtung … oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist" (hier durch schädigende Einwirkungen einer Strahlenbelastung während der Dienstzeit des Klägers bei der Bundeswehr), noch hat es darüber befunden, ob bereits während der Dienstzeit (weitere) Gesundheitsstörungen aufgetreten sind, für die eine Strahlenbelastung oder darauf beruhende Schädigungsfolgen mit (hinreichender) Wahrscheinlichkeit ursächlich im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung gewesen sind. Da es mithin an für eine abschließende Entscheidung erforderlichen Tatsachenfeststellungen mangelt, ist das Berufungsurteil insoweit aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
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2. Soweit der Kläger mit der Revision erreichen will, unter Aufhebung des entgegenstehenden Urteils des LSG das beigeladene Land zu verurteilen, ihm wegen der nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses erlittenen Folgen einer WDB Leistungen der Beschädigtenversorgung nach §§ 80 ff SVG in Verbindung mit den Vorschriften des BVG zu gewähren, hat seine Revision im Ergebnis keinen Erfolg. Allerdings hat das LSG zu Unrecht angenommen, dass der Kläger damit eigenständige Klagen erhoben habe, die gesondert abgewiesen werden könnten.
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Nach § 75 Abs 5 SGG kann ua in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ein Land nach Beiladung verurteilt werden. Diese Vorschrift gibt den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit aus prozessökonomischen Gründen nur die Befugnis, in Fällen, in denen der Kläger einen nicht passiv legitimierten Leistungsträger verklagt, den in Wirklichkeit passiv legitimierten, aber nicht verklagten Leistungsträger nach Beiladung zu verurteilen, um einen neuen Rechtsstreit und damit auch die Möglichkeit sich praktisch widersprechender Urteile verschieden besetzter Spruchkörper zu vermeiden (vgl BSGE 9, 67, 69; BSGE 49, 143, 145 = SozR 5090 § 6 Nr 4; BSGE 57, 1, 2 = SozR 2200 § 1237a Nr 25; BSG, Urteil vom 8.5.2007 - B 2 U 3/06 R - SozR 4-2700 § 136 Nr 3 RdNr 26). Demnach kommt eine Verurteilung des Beigeladenen nur subsidiär in Betracht. Sie darf erst stattfinden, soweit die Klage gegen den ursprünglich Beklagten keinen Erfolg hat. Zudem muss es sich um Ansprüche handeln, die sich gegenseitig ausschließen, also nicht nebeneinander bestehen (vgl BSGE 49, 143, 146 = SozR 5090 § 6 Nr 4).
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Danach ist der Kläger grundsätzlich nicht gehindert - wie hier sowohl im Berufungs- als auch im Revisionsverfahren - Anträge gegen das beigeladene Land zu stellen. Bei diesen Anträgen handelt es sich jedoch nicht, wie das LSG meint, um neue, erstmals vor dem LSG erhobene Klagen, sondern um die ursprünglich gegen die beklagte Bundesrepublik Deutschland erhobenen Klagen, die sich nach Beiladung - hilfsweise - auch gegen das beigeladene Land richten. Bei einer abschlägigen Entscheidung über diese Anträge ist deshalb eine gesonderte Klageabweisung, wie sie hier im Berufungsurteil erfolgt ist, nicht angebracht. Vielmehr hat sich das Gericht in den Entscheidungsgründen auf Ausführungen dazu zu beschränken, warum es eine Verurteilung des Beigeladenen nach § 75 Abs 5 SGG ablehnt.
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Hinsichtlich des gegen den Beigeladenen gerichteten Leistungsbegehrens sind - wie das LSG zutreffend erkannt hat - die Voraussetzungen für eine Verurteilung nach § 75 Abs 5 SGG schon deshalb nicht gegeben, weil es sich bei dem dienstrechtlichen Ausgleich nach § 85 SVG und den entschädigungsrechtlichen Leistungen der Beschädigtenversorgung nach §§ 80 ff SVG iVm den Vorschriften des BVG um verschiedene Ansprüche handelt, die unterschiedliche Zeiträume betreffen und nebeneinander bestehen können. Im Übrigen hat der Kläger zum jetzigen Zeitpunkt auch deshalb keinen spruchreifen Anspruch auf Leistungen der Beschädigtenversorgung gegen das beigeladene Land, weil nach § 88 Abs 2 Satz 1 Buchst a SVG (im Hinblick auf die Bindungswirkung des § 88 Abs 3 Satz 1 SVG) zunächst die beklagte Bundesrepublik Deutschland über die Ansprüche des Klägers wegen während der Dienstzeit aufgetretener Folgen einer WDB (§ 85 Abs 1 SVG) entscheiden muss, bevor der Beigeladene über die Leistungen der Beschädigtenversorgung für die Zeit nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses (§§ 80 ff SVG) befinden darf.
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3. Im wieder eröffneten Berufungsverfahren wird das LSG auch erneut über die Kosten des Verfahrens, jetzt einschließlich der Revision, zu entscheiden haben, so dass die Kostenentscheidung im angefochtenen Urteil des LSG ebenfalls aufzuheben ist.
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