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BVerfG 21.03.2024 - 1 BvR 194/20
BVerfG 21.03.2024 - 1 BvR 194/20 - Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen versammlungsrechtliche Auflagen (Verbot des Mitführens oder Abbrennens von Fackeln) - Verletzung der Versammlungsfreiheit (Art 8 Abs 1 GG) nicht dargelegt - Zu den Anforderungen an die Sinnermittlung bei Deutung des Veranstaltungsmottos als Androhung von Übergriffen
Normen
Art 8 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG
Vorinstanz
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 7. Januar 2020, Az: 15 A 4693/18, Beschluss
vorgehend VG Gelsenkirchen, 23. Oktober 2018, Az: 14 K 12547/17, Urteil
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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1. Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine gerichtlich bestätigte versammlungsrechtliche Auflage, mit der das Mitführen oder Abbrennen von Fackeln auf einer von der Beschwerdeführerin angemeldeten Mahnwache mit dem Motto „Licht ins Dunkel bringen: Unsere Solidarität gegen eure Repression! Gegen die Kriminalisierung der friedlichen (...)kirchenbesetzung“ untersagt worden war.
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Insbesondere ist die Annahme nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 25 f.>; 96, 245 250>; 108, 129 136>; BVerfGK 12, 189 196>; stRspr). Sie ist schon unzulässig, weil sie nicht den gesetzlichen Bestimmungen der § 92, § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BVerfGG entsprechend begründet ist.
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a) Eine Verfassungsbeschwerde muss sich mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. BVerfGE 89, 155 171>; 108, 370 386 f.>). Es muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 78, 320 329>; 99, 84 87>; 115, 166 179 f.>). Bei einer gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde hat der Beschwerdeführer sich mit dieser inhaltlich auseinanderzusetzen (vgl. BVerfGE 82, 43 49>; 86, 122 127>; 88, 40 45>; 149, 86 109 Rn. 61>; 151, 67 84 Rn. 49>).
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b) Daran fehlt es hier, denn die Beschwerdeführerin hat eine mögliche Verletzung in ihrem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG nicht hinreichend dargetan.
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aa) Die öffentliche Ordnung, zu deren Schutz die streitgegenständliche Auflage erlassen worden ist, scheidet unterhalb der Schwelle eines Versammlungsverbots nicht grundsätzlich als Schutzgut für eine Einschränkung des Versammlungsrechts aus, vorausgesetzt, dass diese nicht aus dem Inhalt der Äußerungen, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung folgt (vgl. BVerfGE 111, 147 156 f.>). So sind Beschränkungen der Versammlungsfreiheit verfassungsrechtlich unbedenklich, die ein aggressives und provokatives, die Bürger einschüchterndes Verhalten der Versammlungsteilnehmer verhindern sollen, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird (vgl. BVerfGE 111, 147 157>; BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2001 - 1 BvQ 13/01 -, Rn. 28; vom 7. April 2001 - 1 BvQ 17/01 u.a. -, Rn. 35; vom 5. September 2003 - 1 BvQ 32/03 -, Rn. 24). Die öffentliche Ordnung kann auch verletzt sein, wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert (vgl. BVerfGE 111, 147 157>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 5. September 2003 - 1 BvQ 32/03 -, Rn. 24).
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bb) Dass die Prognose einer Gefährdung für die öffentliche Ordnung in den angegriffenen Entscheidungen diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht genügt hätte, ist nicht substantiiert dargelegt.
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(1) Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, die geplante Verwendung von acht Fackeln während der Mahnwache stelle kein einschüchterndes Verhalten der Versammlungsteilnehmer dar und erzeuge kein Klima der Gewaltdemonstration, auch nicht, wenn sie von sogenannten Rechtsextremisten ausgehe und mit dem Zeigen der schwarz-weiß-roten Reichsflagge verbunden werde. Ein einschüchterndes Verhalten folge auch nicht aus dem Umstand, dass die Mahnwache am Jahrestag einer Protestaktion der Beschwerdeführerin stattgefunden habe, bei der sich acht Mitglieder der Beschwerdeführerin in einem Kirchturm in der (...) Innenstadt verbarrikadiert, Pyrotechnik gezündet und ein Banner mit der Aufschrift „Islamisierung stoppen“ entrollt hätten. Eine an die Kirchturmbesetzung anknüpfende Provokation sei ausgeschlossen, weil sie dem Durchschnittsbürger ein Jahr später nicht mehr im Gedächtnis sei. Zu Unrecht hätten die angegriffenen Entscheidungen das Motto der Mahnwache als Androhung gedeutet, diese oder ähnliche Aktionen zu wiederholen.
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(2) Dieses Vorbringen lässt eine hinreichende Auseinandersetzung mit den angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen vermissen. Die Beschwerdeführerin setzt der gerichtlichen Wertung, dass den Fackeln aufgrund des Gesamtgepräges der Mahnwache eine einschüchternde, auch auf den historischen Nationalsozialismus anspielende Wirkung beizumessen sei, lediglich ihre eigene Wertung entgegen. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, die dem Rechtsextremismus zuzuordnende Reichsflagge dürfe nicht als Anspielung auf den historischen Nationalsozialismus gedeutet werden, übersieht sie, dass die angegriffenen Entscheidungen eine solche Deutung gerade nicht pauschal vornehmen, sondern sie auf das im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2016 dargestellte mediale Auftreten der Beschwerdeführerin stützen. Ungeeignet ist auch ihr Vortrag, eine einschüchternde Wirkung der Mahnwache wegen Bezugs zur Kirchturmbesetzung scheide bereits deshalb aus, weil diese dem Durchschnittsbürger zum Zeitpunkt der Mahnwache nicht mehr in Erinnerung sei. Denn abgesehen davon, dass die überregional beachtete Kirchturmbesetzung ein Jahr später jedenfalls (...) Bürgerinnen und Bürgern noch präsent gewesen sein dürfte, verhält sich die Beschwerdeführerin nicht zu dem vom Oberverwaltungsgericht hervorgehobenen Umstand, dass die Mahnwache – unterstützt durch die optische Wirkung der Fackeln – gerade darauf abzielte, die Kirchturmbesetzung wieder in Erinnerung zu rufen. Die Wertung der angegriffenen Entscheidungen, die von der Beschwerdeführerin geplante Mahnwache weise ein bedrohliches Gepräge auf, weil sie aufgrund ihres Gesamtcharakters auf den Nationalsozialismus anspiele und eine durch die Fackeln assoziativ verstärkte Erinnerung an die Kirchturmbesetzung auslöse, hat die Beschwerdeführerin nicht substantiiert in Zweifel gezogen.
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c) Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob die angegriffenen Entscheidungen bei der Deutung des Versammlungsmottos die Ausstrahlungswirkung des Art. 5 Abs. 1 GG richtig erfasst haben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist daher weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren (vgl. BVerfGE 93, 266 295>). Urteile, die den Sinn einer umstrittenen Äußerung erkennbar verfehlen und darauf ihre rechtliche Würdigung stützen, verstoßen gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit (vgl. BVerfGE 93, 266 295 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. April 2001 - 1 BvQ 17/01 u.a. -, Rn. 28; stRspr). Diese in Bezug auf Äußerungsdelikte entwickelten verfassungsrechtlichen Anforderungen müssen entsprechend gelten, wenn das Veranstaltungsmotto in einer Gesamtbetrachtung herangezogen wird, um ein aggressives und provokatives, die Bürger einschüchterndes Verhalten der Versammlungsteilnehmer zu begründen (zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Auslegung eines Versammlungsmottos vgl. BVerfGK 13, 1 5>). Ob die angegriffenen Entscheidungen diesen Maßstäben gerecht werden, wenn sie das Veranstaltungsmotto als Androhung künftiger Übergriffe deuten und dies darauf stützen, die Beschwerdeführerin habe die Kirchturmbesetzung als friedlich und rechtmäßig bezeichnet, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Zweifel bestehen aber deshalb, weil dem Veranstaltungsmotto eine Bezeichnung der Aktion als rechtmäßig gar nicht entnommen werden kann und die Ablehnung der „Kriminalisierung“ ohne Weiteres als eine Meinungskundgabe dahingehend verstanden werden kann, eine strafrechtliche Verfolgung der Kirchturmbesetzer werde abgelehnt. Mit dieser naheliegenden Deutung haben sich die angefochtenen Entscheidungen nicht auseinandergesetzt.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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