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BVerfG 20.12.2023 - 2 BvR 1492/20
BVerfG 20.12.2023 - 2 BvR 1492/20 - Nichtannahmebeschluss: Mangels hinreichender Substantiierung unzulässige Verfassungsbeschwerde bzgl eines Aufenthaltsrechts aus Art 20 AEUV für ein drittstaatsangehöriges Elternteil eines Unionsbürgerkindes
Normen
Art 19 Abs 4 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Art 20 AEUV, Art 267 Abs 3 AEUV
Vorinstanz
vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 30. Juli 2020, Az: 11 S 1610/20, Beschluss
vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 8. Mai 2020, Az: 11 S 2324/19, Beschluss
vorgehend VG Stuttgart, 31. Juli 2019, Az: 3 K 1551/19, Urteil
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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Das Verfahren betrifft die Frage, ob ein Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV für ein drittstaatsangehöriges Elternteil eines Unionsbürgerkindes ausscheidet, wenn das Elternteil die Bundesrepublik Deutschland verlassen muss, um ein Visumverfahren zum Familiennachzug nach nationalem Recht durchzuführen, und aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls die damit verbundene Trennung zwischen dem Elternteil und dem Kind als vorübergehend angesehen wird sowie angesichts dieses vorübergehenden Charakters der Trennung das Risiko, das Kind könne nachhaltig in seinem inneren Gleichgewicht gestört werden, nicht greifbar erscheint.
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I.
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1. Der Beschwerdeführer, ein 2009 in die Bundesrepublik Deutschland eingereister gambischer Staatsangehöriger, beantragte 2018 - nach einem erfolglosen Asylverfahren - die Ausstellung einer Bescheinigung über das Bestehen eines Aufenthaltsrechts aus Art. 20 AEUV im Hinblick auf seine beiden minderjährigen Söhne, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und bei der Kindesmutter leben.
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2. Der Antrag blieb jedoch insgesamt erfolglos, auch im gerichtlichen Verfahren. Sowohl das Verwaltungsgericht als auch der Verwaltungsgerichtshof gingen davon aus, dass die Söhne des Beschwerdeführers bei Beendigung von dessen Aufenthalt im Bundesgebiet nicht gezwungen wären, diesem ins Ausland zu folgen. Bei der Prüfung des für ein Aufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV erforderlichen Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Kind und Elternteil, die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu erfolgen habe, sei insbesondere auch die Dauer der zu erwartenden Trennung von Bedeutung. Deshalb spiele es eine Rolle, ob der Drittstaatsangehörige das Unionsgebiet - etwa zur Nachholung des Visumverfahrens - für unbestimmte Zeit oder aber nur für einen kurzen, verlässlich zu begrenzenden Zeitraum zu verlassen habe. Vorliegend müsse der Beschwerdeführer das Bundesgebiet nur vorübergehend zur Durchführung des Visumverfahrens zum Familiennachzug nach nationalem Recht verlassen. Die damit einhergehende Trennung sei nach den konkreten Umständen des Einzelfalls von absehbarer Dauer und dem Beschwerdeführer sowie seinen Kindern zumutbar. Es bestehe kein greifbares Risiko, dass die Kinder infolge dieser Trennung nachhaltig in ihrem inneren Gleichgewicht gestört würden.
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II.
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Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4, Art. 6 Abs. 1 und 2, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG. Insbesondere verkenne der Verwaltungsgerichtshof, dass die Nachholung des Visumverfahrens in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bisher keine Rolle gespielt habe und dieser vielmehr das Bestehen eines Aufenthaltsrechts bei Bejahung eines Abhängigkeitsverhältnisses aus Art. 20 AEUV ableite. Maßgeblich sei das Risiko für das innere Gleichgewicht des Unionsbürgerkindes durch die mit der Durchführung des Visumverfahrens einhergehende Trennung vom drittstaatsangehörigen Elternteil. Dabei sei entscheidend, wie hoch das Risiko sei, dass das Visumverfahren nicht nur wenige Tage dauere, und welche Folgen durch die damit einhergehende Trennung für das Kind entstünden. Gerade dies müsse bewertet werden, anstatt abstrakt davon auszugehen, dass Visaverfahren immer in kurzer Zeit abgeschlossen seien und deshalb das innere Gleichgewicht eines Kindes niemals allein wegen der Verpflichtung zur Nachholung des Visumverfahrens gestört werden könnte. Daher sei eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Klärung der Frage, ob ein Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV von der Einholung eines Visums abhänge, und damit die Zulassung der Berufung erforderlich gewesen.
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III.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da sie unzulässig ist. Sie entspricht nicht den Begründungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG, nach denen sich eine Verfassungsbeschwerde mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht, der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts und den Gründen der angegriffenen Entscheidungen auseinandersetzen sowie hinreichend substantiiert aufzeigen muss, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. BVerfGE 28, 17 19>; 89, 155 171>; 140, 229 232 Rn. 9>).
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1. Die Verfassungsbeschwerde legt nicht nachvollziehbar dar, dass die Fachgerichte grundrechtliche Positionen des Beschwerdeführers durch die Annahme verkannt haben, dass ein Aufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV ausscheide, wenn der Drittstaatsangehörige die Bundesrepublik Deutschland lediglich zur Durchführung respektive Nachholung des Visumverfahrens zum Familiennachzug nach nationalem Recht verlassen muss, die damit verbundene Trennung zwischen Elternteil und Kind aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls als vorübergehend angesehen wird und das Risiko, das Kind könne nachhaltig in seinem inneren Gleichgewicht gestört werden, angesichts dieses vorübergehenden Charakters der Trennung nicht greifbar erscheint.
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a) Der Beschwerdeführer rügt inhaltlich unzutreffend, der Verwaltungsgerichtshof habe das Bestehen eines Aufenthaltsrechts nach Art. 20 AEUV von dem Einholen eines Visums abhängig gemacht und sei davon ausgegangen, dass Visaverfahren immer in kurzer Zeit abgeschlossen seien und deshalb das innere Gleichgewicht eines Kindes niemals allein wegen der Verpflichtung zur Nachholung des Visumverfahrens gestört werden könnte. Überdies setzt er sich nicht mit der vom Verwaltungsgerichtshof angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwGE 162, 349 362 Rn. 35>) auseinander.
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b) Eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG unter dem Gesichtspunkt einer unterbliebenen Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV legt der Beschwerdeführer nicht dar. Damit kommt es im Streitfall nicht darauf an, ob unionsrechtlich - insbesondere durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache K.A. u.a. vom 8. Mai 2018 (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Mai 2018, C-82/16, EU:C:2018:308) - tatsächlich hinreichend geklärt ist, dass ein Aufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV nicht in Betracht kommt, wenn ein Drittstaatsangehöriger das Unionsgebiet - etwa zur Nachholung des Visumverfahrens - nur für einen kurzen, verlässlich zu begrenzenden Zeitraum zu verlassen hat.
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In der Rechtssache K.A. u.a. hat der Europäische Gerichtshof festgehalten, dass es dem mit Art. 20 AEUV verfolgten Ziel zuwider liefe, "den Drittstaatsangehörigen zu zwingen, das Unionsgebiet für unbestimmte Zeit zu verlassen, um die Aufhebung oder die Aussetzung des gegen ihn verhängten Verbots der Einreise in dieses Gebiet zu erreichen, ohne dass zuvor geprüft worden wäre, ob nicht zwischen ihm und dem Unionsbürger, der sein Familienangehöriger ist, ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, das den Unionsbürger zwingen würde, den Drittstaatsangehörigen in sein Herkunftsland" (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Mai 2018, C-82/16, K.A. u.a., EU:C:2018:308, Rn. 58, Hervorhebung hinzugefügt) - ebenfalls für "unbestimmte Dauer" (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Mai 2018, C-82/16, K.A. u.a., EU:C:2018:308, Rn. 56, Hervorhebung hinzugefügt) - "zu begleiten, obwohl diesem gerade aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses grundsätzlich nach Art. 20 AEUV ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht gewährt werden müsste" (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Mai 2018, C-82/16, K.A. u.a., EU:C:2018:308, Rn. 58). Dem lässt sich nicht eindeutig entnehmen, ob ein Aufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV umgekehrt dann ausscheidet, wenn der Drittstaatsangehörige das Unionsgebiet - etwa zur Nachholung des Visumverfahrens - nur für einen kurzen, verlässlich zu begrenzenden Zeitraum zu verlassen hat. Die dem Europäischen Gerichtshof seinerzeit auch vorgelegte Frage, ob "die Tatsache, dass die Verpflichtung, einen Antrag auf Aufhebung oder Aussetzung [eines Einreiseverbots] im Herkunftsland zu stellen, möglicherweise eine allenfalls vorübergehende Trennung zwischen dem Drittstaatsangehörigen und dem statischen Unionsbürger zur Folge hat, ein relevanter Aspekt" sei, und ob es Umstände gebe, "unter denen die Art. 7 und 24 GRCh einer vorübergehenden Trennung gleichwohl entgegenstehen" (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Mai 2018, C-82/16, K.A. u.a., EU:C:2018:308, Rn. 32 4.c)>), hat dieser unbeantwortet gelassen (vgl. auch Röhr, ZAR 2022, S. 270 275>).
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Ebenso wenig ist vor dem Hintergrund der Unzulässigkeit der vorliegenden Verfassungsbeschwerde zu klären, ob das Absehen von einer Vorlage dieser Frage an den Europäischen Gerichtshof im Einzelfall eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darstellen könnte.
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2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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