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BVerfG 30.11.2023 - 2 BvR 1478/23
BVerfG 30.11.2023 - 2 BvR 1478/23 - Nichtannahmebeschluss: Verfassungsrechtliche Zweifel bzgl der Anwendbarkeit der §§ 76 Abs 4 S 1, 80 AsylG (RIS: AsylVfG 1992) im Falle einer auf Erteilung einer Duldung gerichteten Klage eines Ausländers, dem nach erfolglosem Asylverfahren die Abschiebung angedroht wird - Verfassungsbeschwerde allerdings mangels hinreichender Begründung unzulässig
Normen
Art 19 Abs 4 S 1 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 76 Abs 4 S 1 AsylVfG 1992, § 80 AsylVfG 1992
Vorinstanz
vorgehend VG Darmstadt, 14. September 2023, Az: 6 L 2231/23.DA.A, Beschluss
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
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Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Gründe
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Der Beschwerdeführer begehrt die Rückgängigmachung seiner Abschiebung in die Türkei durch Rückholung in die Bundesrepublik Deutschland.
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I.
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1. Der Beschwerdeführer, ein im Jahr 2016 in die Bundesrepublik Deutschland eingereister türkischer Staatsangehöriger, wurde im September 2023 nach einem erfolglosen Asylverfahren auf Grundlage einer durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlassenen Abschiebungsandrohung in die Türkei abgeschoben. Vor den Verwaltungsgerichten begehrte er im Eilrechtsschutz, nachdem sich sein Hauptantrag auf Verhinderung der Abschiebung durch deren Vollziehung erledigt hatte, hilfsweise seine Rückholung in das Bundesgebiet durch die Ausländerbehörde. Dabei berief er sich insbesondere darauf, dass ihm ein Anspruch auf Erteilung eines Chancen-Aufenthaltsrechts nach § 104c AufenthG und damit eine Verfahrensduldung zustehe.
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2. Das Verwaltungsgericht Darmstadt lehnte diesen Antrag durch die Einzelrichterin mit Beschluss vom 14. September 2023 ab. Nach § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG sei die Einzelrichterin zuständig, da es sich um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz handele. Die Abschiebung stütze sich auf den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. In der Sache habe der Beschwerdeführer einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Ihm stehe kein Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch zu. Er habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung, insbesondere nicht hinsichtlich eines Chancen-Aufenthaltsrechts, dessen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Der Beschluss sei nach § 80 AsylG unanfechtbar.
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3. Die hiergegen von dem Beschwerdeführer eingelegte Beschwerde verwarf der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit - hier nicht angegriffenem - Beschluss vom 6. Oktober 2023 unter Verweis auf § 80 AsylG als unzulässig. Stünden Maßnahmen anderer Behörden als des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge im Streit, komme es für eine Zuordnung zum Asylgesetz nach dieser Regelung maßgeblich darauf an, ob die Maßnahme im direkten Zusammenhang mit dem Asylverfahren ergangen sei oder sich als davon unabhängige Maßnahme des allgemeinen Ausländerrechts darstelle. Nach diesen Maßstäben handele es sich vorliegend um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz. Die bereits vollzogene Abschiebung, deren Rückgängigmachung begehrt werde, sei allein auf Grundlage der asylrechtlichen Abschiebungsandrohung erfolgt und stehe daher in einem notwendigen und engen Zusammenhang mit dem asylrechtlichen Grundverfahren. Auch wenn der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde ausschließlich "ausländerrechtliche Gründe" für das Bestehen eines Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs geltend mache und sich im Wesentlichen auf ein Chancen-Aufenthaltsrecht nach § 104c AufenthG berufe, sei die erfolgte Abschiebung rechtlich und funktional ersichtlich dem Asylgesetz zuzuordnen.
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II.
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Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG dadurch, dass das Verwaltungsgericht Darmstadt zu Unrecht einen Anspruch auf Erteilung eines Chancen-Aufenthaltsrechts nach § 104c AufenthG und infolgedessen einen Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch verneint habe. Zugleich beantragt er den Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf umgehende Rückholung.
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III.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da sie unzulässig ist. Sie entspricht nicht den Begründungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG, wonach sich eine Verfassungsbeschwerde mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht, der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts und den Gründen der angegriffenen Entscheidungen auseinandersetzen sowie hinreichend substantiiert aufzeigen muss, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. BVerfGE 28, 17 19>; 89, 155 171>; 140, 229 232 Rn. 9>).
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1. Der Beschwerdeführer zeigt die von ihm gerügte Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG, die er allein auf die Versagung eines Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs durch das Verwaltungsgericht stützt, inhaltlich nachvollziehbar nicht auf. Ohne hinreichende verfassungsrechtliche Fundierung legt er im Stile eines weiteren Rechtsmittels des fachgerichtlichen Verfahrens lediglich seine abweichende Ansicht zum Bestehen eines Chancen-Aufenthaltsrechts dar. Überdies setzt er sich nicht argumentativ mit den Gründen des Beschlusses des Verwaltungsgerichts auseinander.
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2. Gegen die fachgerichtliche Bestimmung der Streitigkeit als solche nach dem Asylgesetz und die daraus folgende Anwendung von § 76 Abs. 4 Satz 1 und § 80 AsylG wendet sich die Verfassungsbeschwerde, die auch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs nicht angreift, nicht. Namentlich stützt der Beschwerdeführer seine Rüge von Art. 19 Abs. 4 GG nicht auf diese Gesichtspunkte.
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Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob die Anwendung von § 76 Abs. 4 Satz 1 und § 80 AsylG im vorliegenden Fall vor Art. 19 Abs. 4 GG und auch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG Bestand haben könnte. Das Verwaltungsgericht stützt sich insoweit zwar auf die Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. auch Hessischer VGH, Beschluss vom 17. August 2023 - 3 B 1143/23 -, juris, Rn. 4 ff., m.w.N.). Allerdings bestehen hieran bereits fachrechtliche Zweifel. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt bei einer auf Erteilung einer Duldung gerichteten Klage eines Ausländers, dem nach erfolglosem Asylverfahren die Abschiebung angedroht wird, grundsätzlich keine asylrechtliche Streitigkeit vor, weil die Entscheidung der Ausländerbehörde über die Erteilung einer Duldung ihre Rechtsgrundlage im Ausländerrecht und nicht im Asylrecht finde (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 1997 - 1 C 6.97 -, juris, Rn. 13 ff.). Dementsprechend werden der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs von anderen Oberverwaltungsgerichten Einwände entgegenbracht (vgl. etwa Thüringer OVG, Beschluss vom 14. November 1997 - 3 ZEO 1229/97 -, juris, Rn. 27; OVG NRW, Beschluss vom 21. September 1998 - 17 B 402/98 -, juris, Rn. 1 ff.; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 12. November 2003 - 8 ME 189/03 -, juris, Rn. 4; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 16. Februar 2005 - 4 Bs 488/04 -, juris, Rn. 4 f.; OVG NRW, Beschluss vom 15. August 2006 - 18 B 1704/06 -, juris, Rn. 2; Bayerischer VGH, Beschluss vom 4. Januar 2016 - 10 C 15.2105 -, juris, Rn. 17 f.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. Oktober 2020 - 12 S 2380/20 -, juris, Rn. 8 ff.; Beschluss vom 8. Juni 2022 - 12 S 3027/21 -, juris, Rn. 9 f.), die die Zweifel an der fachrechtlichen Vertretbarkeit bestätigen.
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Da § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG die Zuständigkeit des Spruchkörpers (Einzelrichter) gegenüber der nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts und der anderen Oberverwaltungsgerichte einschlägigen allgemeinen Bestimmung der Verwaltungsgerichtsordnung (§ 5 Abs. 3 Satz 1 VwGO: grundsätzlich Kammer) ändert und § 80 AsylG im Unterschied zu § 146 Abs. 1 VwGO das Rechtsmittel der Beschwerde ausschließt, hätte dies mit Blick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 19 Abs. 4 GG auch verfassungsrechtliche Relevanz.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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IV.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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