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BVerfG 03.11.2021 - 2 BvR 828/21
BVerfG 03.11.2021 - 2 BvR 828/21 - Stattgebender Kammerbeschluss: Unzureichende fachgerichtliche Sachaufklärung im Strafvollzugsverfahren (§§ 109ff StVollzG) verletzt Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 GG) - hier: Antrag eines Strafgefangenen auf Duldung der Beschaffung von Medikamenten zur Lebensbeendigung
Normen
Art 19 Abs 4 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 109 StVollzG, § 109ff StVollzG
Vorinstanz
vorgehend OLG Hamm, 12. April 2021, Az: III - 1 Vollz (Ws) 524/20, Beschluss
vorgehend LG Kleve, 6. November 2020, Az: 161 StVK 23/20, Beschluss
Tenor
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Der Beschluss des Landgerichts Kleve vom 6. November 2020 - 161 StVK 23/20 - sowie der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 12. April 2021 - III - 1 Vollz (Ws) 524/20 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.
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Die Beschlüsse werden aufgehoben und die Sache wird an das Landgericht Kleve zurückverwiesen.
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Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
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Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
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Der strafgefangene Beschwerdeführer begehrt, sich geeignete Medikamente beschaffen zu dürfen, um sich das Leben zu nehmen.
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I.
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1. Der (…) seit über 35 Jahren ununterbrochen inhaftierte Beschwerdeführer verbüßt zwei lebenslange Freiheitsstrafen.
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2. Mit Antrag vom 8. März 2020 führte der Beschwerdeführer gegenüber der Justizvollzugsanstalt aus, dass diese und die Gerichte ihm "das Resozialisierungsgebot in Form von vollzugsöffnenden Maßnahmen nicht gewähren" und er deshalb "bloßes Objekt staatlichen Handelns" sei, was ihn in seiner Menschenwürde verletze. Er nehme seine seit vielen Jahren perspektivlose Haftsituation als unerträgliches Leiden wahr.
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Mit dem Urteil zum Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid vom 26. Februar 2020 (BVerfGE 153, 182) habe das Bundesverfassungsgericht mit sofortiger Wirkung jedem Menschen das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ohne Bedingungen zugesprochen. Der Staat sei verpflichtet, für die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Durchsetzung dieses Anspruchs zu sorgen.
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Der Beschwerdeführer beantragte, ihm "die Möglichkeit zu verschaffen, auf eigene Kosten an die […] zum Sterben notwendigen Medikamente" zu kommen. Die Regelungen des Vollzugs untersagten die private Verschaffung von Medikamenten, es bedürfe daher einer Genehmigung der Justizvollzugsanstalt.
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3. Mit Antrag vom 12. April 2020 begehrte der Beschwerdeführer vor dem Landgericht, die Justizvollzugsanstalt müsse ihm die Möglichkeit verschaffen, sich auf eigene Kosten Medikamente zu besorgen, damit er sich das Leben nehmen könne. Der Staat sei nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidhilfe (BVerfGE 153, 182) verpflichtet, für die notwendigen Rahmenbedingungen zur Selbsttötung zu sorgen. Die Justizvollzugsanstalt vertrete den Staat und sei daher verpflichtet, sein Grundrecht auf Sterben zu billigen.
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4. Mit Bescheid vom 26. Mai 2020 lehnte die Justizvollzugsanstalt den Antrag vom 8. März 2020 ab.
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5. Mit Stellungnahme vom 11. August 2020 beantragte die Justizvollzugsanstalt, den Antrag vom 12. April 2020 zurückzuweisen. Er sei bereits unzulässig, darüber hinaus auch unbegründet. Rechtlich handele es sich bei dem Begehren des Beschwerdeführers um einen assistierten Suizid, bei dem lediglich das Medikament zur Verfügung gestellt werde und der Sterbewillige dieses selbst einnehme. Es fehle an einer Rechtsgrundlage; die Justizvollzugsanstalt könne Suizidhilfe nicht gewähren, da ihr nach § 43 Abs. 1 Satz 1 des Strafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen (StVollzG NRW) die Gesundheitsfürsorge für die Gefangenen obliege, die eine Garantenstellung begründe. Die Schaffung der Möglichkeit, sich auf eigene Kosten Medikamente zur Verwirklichung eines Suizids zu beschaffen, liefe dieser Fürsorgepflicht zuwider. Das Bundesverfassungsgericht stelle in der Entscheidung BVerfGE 153, 182 klar, dass sich aus dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben kein Anspruch gegenüber Dritten auf Suizidhilfe ableite. Insoweit sei die individuelle Bereitschaft des Dritten erforderlich. Der Gesetzgeber müsse Regelungen schaffen, die der Verwirklichung des Rechts nicht entgegenstünden. Daraus folge jedoch nicht, dass eine Regulierung der Suizidhilfe ausgeschlossen sei. Beispielsweise könne der Staat prozedurale Sicherungsmaßnahmen wie Aufklärungs- und Wartepflichten, Erlaubnisvorbehalte oder Verbote besonders gefahrträchtiger Erscheinungsformen ergreifen. Indem das Bundesverfassungsgericht eine Beschränkung möglicher Motivationsgründe ablehne, könne auch eine als unerträglich empfundene Haftsituation einen ausreichenden Beweggrund für eine Selbsttötung darstellen. Es bestehe jedoch kein Anspruch auf Sterbehilfe gegenüber Dritten. Es sei zunächst erforderlich, dass der Gesetzgeber die Regelungen um die Suizidhilfe neu gestalte, bevor mit der notwendigen Handlungssicherheit eine Suizidhilfe für Gefangene thematisiert werden könne. Der Bundesverband der Strafvollzugsbediensteten habe sich des Themas angenommen und fordere eine gut durchdachte und strukturierte Lösung, da das Recht auf selbstbestimmtes Sterben als Ausdruck der Menschenwürde auch Inhaftierten zustehe.
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6. Das Landgericht wies den (nunmehr) als Antrag auf Aufhebung des Ablehnungsbescheides bei gleichzeitigem Verpflichtungsantrag verstandenen Antrag des Beschwerdeführers mit angegriffenem Beschluss vom 6. November 2020 zurück. Dieser sei (mittlerweile) zulässig, aber unbegründet. Aus den Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen ergebe sich kein Anspruch des Gefangenen auf Beihilfe zur Selbsttötung durch die Justizvollzugsanstalt.
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Insbesondere folge ein solcher nicht aus § 43 Abs. 1 Satz 1 StVollzG NRW. Beihilfe zur Selbsttötung sei keine Sorge um das körperliche, seelische, geistige und soziale Wohlergehen des Beschwerdeführers. Dies ergebe sich aus dem Sinnzusammenhang mit § 43 Abs. 1 Satz 2 StVollzG NRW, wonach dem Gefangenen die Bedeutung einer gesunden Ernährung und Lebensführung zu vermitteln sei. Eine Lebensbeendigung sei bereits begrifflich keine Lebensführung. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 45 StVollzG NRW, weil Beihilfe zur Selbsttötung keine Gesundheitsfürsorge sei. Es bestehe nur ein Anspruch auf Heilbehandlungen und Vorsorgemaßnahmen.
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Dem Beschwerdeführer stehe auch aus verfassungsrechtlichen Gründen kein Anspruch gegen die Justizvollzugsanstalt zu. Das Bundesverfassungsgericht führe ausdrücklich aus, dass der Suizidwillige die mangelnde individuelle Bereitschaft zur Suizidhilfe als durch die Gewissensfreiheit seines Gegenübers geschützte Entscheidung grundsätzlich hinzunehmen habe. Aus seinem Recht auf selbstbestimmtes Sterben leite sich gerade kein Anspruch gegenüber Dritten ab, bei einem Selbsttötungsvorhaben unterstützt zu werden (unter Bezugnahme auf BVerfGE 153, 182 292 Rn. 289>). Die Justizvollzugsanstalt habe ausdrücklich mitgeteilt, zu keiner Mitwirkung bereit zu sein. Eine Mitwirkung bei einer Selbsttötung könne nur durch einen Menschen erfolgen, weshalb der vorgenannte Grundsatz auch hier gelte. Es bestehe kein Anspruch darauf, sich bei einer Selbsttötung des Gewissens eines Dritten zu bedienen, auch wenn es sich bei diesem Dritten um einen Staatsdiener handele.
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7. Mit Rechtsbeschwerde vom 3. Dezember 2020 und weiterem Schreiben vom 20. März 2021 begehrte der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Unter Wiederholung seines bisherigen Vortrags führte er aus, er begehre lediglich die Genehmigung der Beschaffung beziehungsweise Aushändigung der zur Selbsttötung erforderlichen Medikamente und damit keine Beihilfe im Sinne eines aktiven Tuns seitens des Leiters der Justizvollzugsanstalt. Er sei regelmäßig seitens des psychologischen Dienstes zu seinen Selbsttötungsabsichten befragt und für nicht suizidgefährdet gehalten worden. Es liege keine vorübergehende psychische Situation vor. Er werde nahezu sein ganzes Leben - bis auf wenige Monate - in staatlichen Einrichtungen verbracht haben und müsse davon ausgehen, dass er auf natürliche Weise in Haft versterben werde. Dies sei keine Perspektive. Hierunter leide er und fühle sich in seiner Würde verletzt.
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8. Mit Stellungnahme vom 23. Februar 2021 beantragte das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Es fehle bereits an einer einfachgesetzlichen Norm, aus der sich ein entsprechender Anspruch ergeben könne. Auch aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidhilfe (BVerfGE 153, 182) lasse sich kein grundrechtlicher Leistungsanspruch gegenüber dem Staat auf Hilfe bei einem Suizid durch die Justizvollzugsanstalt herleiten. Die Entscheidung betone, dass niemand verpflichtet werden könne, Suizidhilfe zu leisten. Es handele sich um ein Abwehrrecht, nicht um einen Anspruch auf Hilfe durch staatliche Stellen oder Organe. In der besonderen Situation des Strafvollzugs, auf die die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht gesondert eingehe, könne der Suizid - anders als vom Beschwerdeführer gewünscht - gerade nicht ohne Mithilfe der Anstalt erfolgen, um etwaige Missbräuche oder Schädigungen Dritter zu verhindern. Zudem führe die Entscheidung aus, dass Selbsttötungen entgegenzuwirken sei, die nicht von freier Selbstbestimmung und Eigenverantwortung getragen seien. Zweifel könnten sich etwa im Fall von psychischen Erkrankungen und Einflüssen von Dritten ergeben. Solche Bedenken bestünden im Strafvollzug in besonderer Weise, da hier eine schwere Lebenslage vorliege, die zu unerwünschten Einwirkungen und Pressionen führe. Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts folge nicht, dass der Gesetzgeber den Zugang zur Sterbehilfe nicht durch Einführung von Wartezeiten, Etablierung von bestimmten Verfahrensschritten oder Ähnlichem zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit erschweren dürfe. Daraus lasse sich folgern, dass der Gesetzgeber Suizide zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit in bestimmten Situationen ausschließen dürfe, sofern es sich um vorübergehende Situationen handele, die geeignet seien, die freie Entscheidungsfindung zu beeinträchtigen. Bei Inhaftierungen handele es sich aber in aller Regel lediglich um vorübergehende Situationen.
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9. Mit angegriffenem Beschluss vom 12. April 2021 verwarf das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde als unbegründet. Diese sei zwar zulässig und zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. In der Zusammenschau mit der Entscheidung BVerfGE 153, 182 sei nicht geklärt, ob zu der in § 43 Abs. 1 Satz 1 StVollzG NRW weit gefassten (Für-)Sorge für das (insbesondere seelische) Wohlergehen der Gefangenen die "Ermöglichung" der Durchführung eines eigenverantwortlichen Selbsttötungsentschlusses und damit die Verwirklichung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben - und sei es auch bereits im Sinne eines tatsächlichen bloßen Duldens - gehöre.
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Die Rechtsbeschwerde sei aber unbegründet. Das Landgericht habe in rechtlich nicht zu beanstandender Weise eine Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt auf "Ermöglichung" der Beschaffung und Aushändigung der für eine Selbsttötung erforderlichen Medikamente in Ermangelung einer Rechtsgrundlage verneint. Aus § 43 Abs. 1 Satz 1 StVollzG NRW ergebe sich auch in der Zusammenschau mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidhilfe (BVerfGE 153, 182) kein entsprechender Anspruch des Beschwerdeführers beziehungsweise keine entsprechende Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt.
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Das Bundesverfassungsgericht habe im Urteil BVerfGE 153, 182 zwar ausdrücklich als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Zusammenschau mit der Menschenwürde das Recht eines jeden Einzelnen anerkannt, selbstbestimmt die Entscheidung zu treffen, sein Leben eigenhändig bewusst und gewollt zu beenden, unabhängig von sogenannten fremddefinierten Situationen wie einem palliativen oder hospizgeprägten Hintergrund und auch unabhängig von bestimmten Lebens- und Krankheitsphasen (unter Bezugnahme auf BVerfGE 153, 182 262 f. Rn. 210>). Dieses Recht umfasse auch, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe in Anspruch zu nehmen, allerdings nur, "soweit sie angeboten" werde (unter Bezugnahme auf BVerfGE 153, 182 264 Rn. 212 f.>). Eine Verpflichtung zur Suizidhilfe dürfe es nicht geben (BVerfGE 153, 182 309 f. Rn. 342>). Aus dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben leite sich (gerade) kein Anspruch der sterbewilligen Person gegenüber Dritten ab, "bei einem Selbsttötungsvorhaben unterstützt zu werden" (unter Bezugnahme auf BVerfGE 153, 182 292 Rn. 289>). Die Entscheidung des Dritten sei als Gewissensentscheidung nach Art. 4 Abs. 1 GG gleichfalls verfassungsrechtlich geschützt (unter Bezugnahme auf BVerfGE 153, 182 295 f. Rn. 299>). Darunter falle auch die im Rahmen seines Organisationsermessens getroffene Entscheidung des Leiters der Justizvollzugsanstalt.
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Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der vom Beschwerdeführer vorgetragenen Ansicht, er begehre gerade keine aktive helfende Tätigkeit, sondern lediglich eine Duldung. Im Rahmen des besonderen Vollzugsverhältnisses sei bereits mit Blick auf die Sicherheit und Ordnung in der Justizvollzugsanstalt stets eine irgendwie geartete Mitwirkung beziehungsweise Begleithandlung seitens der Justizvollzugsanstalt nötig, so zum Beispiel die Genehmigung des Gewahrsams an den todbringenden Präparaten und eine Missbrauchskontrolle. Diese gehe über eine bloße Duldung jedenfalls hinaus und könne nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts nicht erzwungen werden.
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Es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer die Durchführung seiner eigenverantwortlichen Selbsttötung gerade angesichts der ablehnenden (Einzelfall-)Entscheidung der Justizvollzugsanstalt dauerhaft (absolut) unmöglich wäre. Das Gericht verkenne nicht, dass der Beschwerdeführer als Strafgefangener zusätzlich auf die nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht erzwingbare Unterstützungsbereitschaft vollzuglicher Entscheidungsträger angewiesen sein werde. Dies resultiere jedoch ausschließlich reflexartig aus der zu vollziehenden Freiheitsstrafe und den deshalb geltenden Regelungen des Strafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen, die jedoch für sich genommen nicht den Zweck verfolgten, die Möglichkeiten des Beschwerdeführers für ein selbstbestimmtes Sterben einzuschränken (unter Bezugnahme auf BVerfGE 153, 182 266 Rn. 217>).
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II.
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1. Mit am 11. Mai 2021 fristgemäß eingegangener Verfassungsbeschwerde, die der Beschwerdeführer mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbindet, rügt er die Verletzung seiner Grundrechte nach Art. 1, 2 und 3 GG.
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Der Eilantrag sei zulässig und geboten, da er durch die ablehnenden Entscheidungen täglich einem unzumutbaren Leidensdruck ausgesetzt sei, ihm sein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben versagt werde und sein Leben nur noch in der Existenz der "staatlichen Leibeigenschaft" bestehe. Das Bundesverfassungsgericht spreche in seinem Urteil BVerfGE 153, 182 aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) als Ausdruck persönlicher Autonomie allen Menschen das Recht auf selbstbestimmtes Sterben zu. Diese Freiheit umfasse auch, bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten werde, in Anspruch zu nehmen.
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Dass der Staat Leben zu schützen habe, stelle keinen Widerspruch dazu dar, dem Beschwerdeführer die Genehmigung zu erteilen, sich auf eigene Kosten Medikamente zu beschaffen, um sein Recht auf selbstbestimmtes Sterben zu verwirklichen. Damit leiste die Justizvollzugsanstalt keine aktive Sterbehilfe. Es gelte Gleichheit vor dem Gesetz nach Art. 3 GG.
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Der Staat habe kein Recht auf das Leben eines Menschen. Es sei ihm nicht gestattet, in die Persönlichkeitsrechte nach Art. 1 und Art. 2 GG einzugreifen. Mit der Versagung, sich bei Dritten Hilfe zu suchen und sich die benötigten Medikamente zu beschaffen, nehme er den Gefangenen die Autonomie, über ihr Leben selbst zu bestimmen, und mache sie dadurch zu "Leibeigenen". Der Gefangene verliere seine Würde, wenn ihm das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben aufgrund der Inhaftierung versagt werde.
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Nehme der Staat dem Beschwerdeführer - wie geschehen - die Würde und das Selbstbestimmungsrecht zu Lebzeiten sowie eine reale Chance auf ein Leben in Freiheit, dann solle ihm wenigstens das Recht auf Sterben gewährt werden. Mit dem Bewusstsein leben zu müssen, sein Leben in Haft zu beenden und bis zum Tode in "Leibeigenschaft" existieren zu müssen, sei ein unzumutbarer Umstand.
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Es werde beantragt, den Staat "per Gesetzesfassung" zu verpflichten, Inhaftierten das Recht auf selbstbestimmtes Sterben zu ermöglichen.
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2. Mit am 26. August 2021 eingegangenem Schreiben sah das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen von einer Stellungnahme ab.
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3. Die Akten des fachgerichtlichen Verfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
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III.
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Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung im Sinne des § 93c Abs. 1 BVerfGG liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt. Nach diesen Grundsätzen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und in einem die Zuständigkeit der Kammer begründenden Sinn offensichtlich begründet.
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1. Der angegriffene Beschluss des Landgerichts Kleve vom 6. November 2020 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG.
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a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 58>; stRspr). Die Gerichte sind verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewährleisten (vgl. BVerfGE 77, 275 284>). Der Bürger hat einen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 35, 382 401 f.>; stRspr). Daraus folgt grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen (BVerfGE 84, 34 49>). Die fachgerichtliche Überprüfung kann die rechtsstaatlich gebotene Beachtung des geltenden Rechts und den effektiven Schutz der berührten materiellen Rechte nur gewährleisten, wenn sie auf zureichender Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts beruht. Im Strafvollzugsverfahren hat das Gericht im Rahmen der Amtsermittlungspflicht von sich aus die zur Aufklärung des Sachverhalts notwendigen Maßnahmen zu treffen (vgl. allgemein BVerfGE 101, 275 294 f.>; BVerfGK 4, 119 129>; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. März 2021 - 2 BvR 194/20 -, Rn. 51 m.w.N.).
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b) Die Entscheidung des Landgerichts Kleve lässt eine ausreichende Aufklärung des Sachverhalts nicht erkennen. Das Landgericht versäumt es bereits, den Inhalt des ablehnenden Bescheids der Justizvollzugsanstalt (…) vom 26. Mai 2020 und dessen Begründung im Detail wiederzugeben. Ohne diesen ist eine verantwortbare Prüfung, mit welchen Argumenten die Justizvollzugsanstalt die Ablehnung des Antrages begründete, nicht möglich. So ist nicht nachvollziehbar, inwiefern die Entscheidung auf einer vom Landgericht angenommenen Gewissensentscheidung beruht, worauf diese sich genau bezog und inwiefern dem Beschwerdeführer seine grundrechtlich geschützten Belange wahrende Perspektiven eröffnet wurden. Auch Unterlagen zum Behandlungsstand des Beschwerdeführers oder zu Kontaktaufnahmeversuchen zu weiteren, gegebenenfalls zur Feststellung der Ernsthaftigkeit des Suizidverlangens geeigneten Stellen außerhalb der Justizvollzugsanstalt hat das Landgericht nicht beigezogen oder Ermittlungen hierzu angestellt. Die Möglichkeit einer Hinzuziehung anstaltsfremder Ärzte ist offenbar nicht geprüft worden. Es erscheint unklar, von wem, auf welcher Grundlage und nach welchem Prozedere der Beschwerdeführer die von ihm begehrten Medikamente tatsächlich erhalten will, deren Beschaffung er von der Justizvollzugsanstalt zu dulden verlangt. Ob und mit welchem Ergebnis der Beschwerdeführer bislang diesbezüglich Bemühungen - auch rechtlicher Art - unternommen hat (vgl. hierzu etwa BVerwGE 158, 142 143 ff.>; BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2019 - 3 C 6/17 - und BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. Dezember 2020 - 1 BvR 1837/19 -), ist ebenfalls nicht bekannt. Es ist auch nicht ersichtlich, ob sich das Begehren des Beschwerdeführers auf eine bloße Duldung der Beschaffung der Medikamente beschränkt oder eine darüber hinausgehende Mitwirkung der Anstalt angestrebt wird.
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Darüber hinaus begegnet die vom Landgericht vertretene Ansicht, wonach die von der Justizvollzugsanstalt geäußerte Ablehnung als Gewissensentscheidung gleichfalls verfassungsrechtlich geschützt, in der weiteren Folge zu beachten und insbesondere vom Beschwerdeführer hinzunehmen sei, verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn das Landgericht hat sich nicht damit auseinandergesetzt, ob sich die Bediensteten der Justizvollzugsanstalt als grundrechtsverpflichtete Amtsträger dem Beschwerdeführer gegenüber überhaupt auf eine Gewissensentscheidung berufen können. Dies hat es vielmehr ohne nähere Begründung seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Insoweit erscheint die Entscheidung des Landgerichts zumindest unzureichend begründet.
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2. Auch der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 12. April 2021 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG.
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a) Art. 19 Abs. 4 GG fordert keinen Instanzenzug. Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger auch insoweit eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 274 f.>; 54, 94 96 f.>; 122, 248 271>; stRspr).
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b) Soweit das Oberlandesgericht den aufgezeigten Aufklärungsmängeln nicht abhilft, verletzt es den Beschwerdeführer ebenfalls in Art. 19 Abs. 4 GG. Die auch vom Oberlandesgericht geäußerte Rechtsauffassung, die im Rahmen seines Organisationsermessens getroffene Entscheidung eines Dritten, hier des Leiters der Justizvollzugsanstalt, sei als Gewissensentscheidung nach Art. 4 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt und könne dem Beschwerdeführer entgegengehalten werden, begegnet denselben verfassungsrechtlichen Bedenken wie die Entscheidung des Landgerichts.
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3. Da die angegriffenen Entscheidungen schon wegen des Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 GG keinen Bestand haben, kann offenbleiben, ob die Beschlüsse weitere Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte des Beschwerdeführers verletzen (vgl. BVerfGE 128, 226 268>).
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IV.
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Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts beruht auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei hinreichender Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu einer anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Die Kammer hebt deshalb gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG den Beschluss auf und verweist die Sache an das Landgericht zurück.
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V.
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Mit dieser Entscheidung erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
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VI.
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Die Entscheidung über die Auslagenerstattung ergibt sich aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
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