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BVerfG 01.07.2021 - 2 BvR 627/21
BVerfG 01.07.2021 - 2 BvR 627/21 - Stattgebender Kammerbeschluss: Anforderungen der Rechtsschutzgarantie (Art 19 Abs 4 GG) an die Gewährung fachgerichtlichen Eilrechtsschutzes nach § 123 Abs 1 VwGO - hier: Versagung von Eilrechtsschutz zur Sicherung eines Wiederaufgreifensanspruchs mit dem Ziel der Geltendmachung von Abschiebungsverboten verletzt Rechtsschutzanspruch der betroffenen Asylsuchenden - Gegenstandswertfestsetzung
Normen
Art 19 Abs 4 S 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 58 AufenthG 2004, § 37 Abs 2 S 2 RVG, § 123 VwGO
Vorinstanz
vorgehend VG Gießen, 23. März 2021, Az: 8 L 991/21.Gl.A, Beschluss
Tenor
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Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 23. März 2021 - 8 L 991/21.Gl.A - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Gießen zurückverwiesen.
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Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
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Das Land Hessen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
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Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 15.000 (in Worten: fünfzehntausend) Euro festgesetzt.
Gründe
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I.
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1. Die im Jahr 1992 in Somalia geborene Beschwerdeführerin ist somalische Staatsangehörige. Ihren am 14. April 2015 im Bundesgebiet gestellten Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 13. Oktober 2015 als unzulässig ab und drohte ihr unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise von 30 Tagen die Abschiebung nach Italien an. Zugleich stellte es fest, dass sie nicht nach Somalia abgeschoben werden dürfe. Da ihr nach Auskunft der italienischen Behörden bereits in Italien internationaler Schutz gewährt worden sei, könne ein erneutes Anerkennungsverfahren nicht durchgeführt werden. Abschiebungsverbote hinsichtlich Italiens lägen nicht vor.
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2. Auf die Klage der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin hin hob das Verwaltungsgericht Gießen mit Urteil vom 5. April 2016 den Bescheid vom 13. Oktober 2015 auf und stellte das Verfahren im Übrigen ein. Ihr Antrag auf internationalen Schutz könne nicht wegen der Zuerkennung eines Schutzstatus in einem anderen Mitgliedstaat als unzulässig verworfen werden, da dies die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft voraussetze. Der Beschwerdeführerin sei in Italien jedoch subsidiärer Schutz zuerkannt worden.
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3. Nachdem die Beschwerdeführerin zu zwei Terminen zur persönlichen Anhörung beim Bundesamt nicht erschienen war, stellte das Bundesamt mit Bescheid vom 8. August 2017 das Asylverfahren ein. Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen, drohte der Beschwerdeführerin unter Setzung einer einwöchigen Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung nach Italien an und bestätigte erneut, dass die Beschwerdeführerin nicht nach Somalia abgeschoben werden dürfe. Die Asylanträge würden als zurückgenommen gelten, so dass das Asylverfahren nach § 32 AsylG einzustellen sei. Da die Beschwerdeführerin nicht zur persönlichen Anhörung erschienen sei, sei nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Var. 2 AsylG zu vermuten, dass sie das Verfahren nicht betreibe. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG bezogen auf Italien seien weder glaubhaft vorgetragen worden, noch lägen sie nach den Erkenntnissen des Bundesamts vor. Insbesondere gingen die aktuellen gerichtlichen Entscheidungen davon aus, dass Italien gegenüber Drittstaatsangehörigen, die dort einen Asylantrag gestellt hätten, die Mindeststandards erfülle und keine systemischen Mängel vorlägen.
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4. Einen Antrag der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin auf Abänderung des Bescheids vom 8. August 2017 bezüglich der Feststellungen zu den Abschiebungsverboten lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 23. Februar 2021 ab. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG lägen nicht vor. Auch Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu den Abschiebungsverboten rechtfertigen würden, seien nicht gegeben. Da in Italien die medizinische Versorgung für anerkannt Schutzberechtigte gewährleistet sei, scheide die Annahme eines Abschiebungsverbots aus gesundheitlichen Gründen nach § 60 Abs. 7 AufenthG genauso aus wie eine mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG bedingen könnte. Im Übrigen seien für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Italien keinerlei Anhaltspunkte vorgetragen worden. Einer erneuten Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung bedürfe es wegen der vollziehbaren Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung aus dem vorangegangenen Asylverfahren nicht.
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5. Gegen diesen Bescheid erhob die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 15. März 2021 Klage zum Verwaltungsgericht Gießen und stellte zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO mit dem Inhalt, die Bundesrepublik Deutschland zu verpflichten, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung aus dem Bescheid vom 8. August 2017 vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht durchzuführen sei. Hilfsweise stellte sie einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass der Bescheid gegen die Rechtskraft des Urteils vom 5. April 2016 verstoße. In diesem Urteil habe das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass ihr Verfahren nach Aufhebung des Bescheids vom 13. Oktober 2015 im Rahmen des § 71a AsylG fortzuführen sei; dann hätte jedoch keine Abschiebungsandrohung nach Italien ergehen dürfen. Außerdem sei sie über die Folgen des fehlenden Erscheinens zum Termin zur persönlichen Anhörung fehlerhaft belehrt worden, so dass die Rücknahmefiktion nicht eintrete. Darüber hinaus seien die Ladungen zur persönlichen Anhörung an einen nur im Asylklageverfahren bevollmächtigten Rechtsanwalt zugestellt worden. Schließlich hätte im Hinblick auf ihre Vulnerabilität ein Abschiebungsverbot festgestellt werden müssen. Zur Situation anerkannt Schutzberechtigter in Italien verwies sie auf den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. Januar 2021 (3 A 539/20.A, juris).
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6. Mit angefochtenem Beschluss vom 23. März 2021 lehnte das Verwaltungsgericht Gießen den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie den hilfsweise gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 15. März 2021 ab. Der Hauptantrag sei bereits unstatthaft, weil der Bescheid vom 8. August 2017 bestandskräftig geworden sei. Darüber hinaus sei er jedenfalls unbegründet, da keine Rechtsgrundlage ersichtlich sei, nach der der Ausländerbehörde mitgeteilt werden müsse, dass aus bestandskräftigen Abschiebungsandrohungen nicht vollstreckt werden dürfe. Der Hilfsantrag sei unzulässig, weil die Beschwerdeführerin sich in der Hauptsache nicht gegen die mit Bescheid vom 8. August 2017 ausgesprochene Abschiebungsandrohung nach Italien wende, sondern lediglich im Wege der Versagungsgegenklage die Feststellung eines Abschiebungsverbots begehre.
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II.
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Die Beschwerdeführerin hat am 12. April 2021 Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben und zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.
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1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 23. März 2021 verletze sie in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, weil das Gericht letztlich keine inhaltliche Prüfung des Begehrens vorgenommen, sondern schlicht sämtliche Eilanträge als unzulässig oder unstatthaft abgewiesen habe. Bezüglich der Ablehnung des Antrags nach § 123 VwGO sei darauf hinzuweisen, dass nach mehrheitlicher Ansicht in der Verwaltungsgerichtsbarkeit vorläufiger Rechtsschutz zur Sicherung des geltend gemachten Anspruchs auf Wiederaufgreifen und gegebenenfalls positive Bescheidung des wiederholten Asylantrags mittels eines Antrags nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO, gerichtet auf die vorläufige Unterlassung der Abschiebung, zum Beispiel durch entsprechende Mitteilung des Bundesamts an die zuständige Ausländerbehörde, zu suchen sei. Soweit das Verwaltungsgericht darauf verweise, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ebenso unstatthaft sei, da nicht der Bescheid vom 8. August 2017 Gegenstand der Anfechtungsklage sei, werde ihr jeglicher Rechtsschutz in dem vorliegenden Verfahren verwehrt, da eine Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 8. August 2017 bereits rechtlich unzulässig sei. Das Rechtsschutzbegehren habe sich in der Hauptsache auf den Bescheid vom 23. Februar 2021 zu richten. Das Verwaltungsgericht zeige auch keine weitere Möglichkeit auf, hier um Rechtsschutz nachsuchen zu können. Gegenüber der Ausländerbehörde könnten lediglich inlandsbezogene Abschiebungsverbote geltend gemacht werden.
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2. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, das Hessische Ministerium der Justiz und das Bundesamt hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
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III.
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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen rechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
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a) Die Beschwerdeführerin hat den Rechtsweg entsprechend § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erschöpft. Da sie keinen Verstoß gegen ihren Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG geltend macht, war sie nicht darauf zu verweisen, vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde bezogen auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 23. März 2021 Anhörungsrüge nach § 152a VwGO zu erheben (BVerfGE 134, 106 113 f.>).
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b) Auch unter Rückgriff auf den Subsidiaritätsgedanken war die Beschwerdeführerin nicht gehalten, vor der Erhebung der Verfassungsbeschwerde Anhörungsrüge zu erheben. Denn zur Vermeidung der Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde, bei der sie sich nicht auf eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG berufen, müssen Beschwerdeführer aus Gründen der Subsidiarität eine Anhörungsrüge oder den sonst gegen eine Gehörsverletzung gegebenen Rechtsbehelf nur dann ergreifen, wenn den Umständen nach ein Gehörsverstoß durch die Fachgerichte nahe liegt und zu erwarten wäre, dass vernünftige Verfahrensbeteiligte mit Rücksicht auf die geltend gemachte Beschwer bereits im gerichtlichen Verfahren einen entsprechenden Rechtsbehelf ergreifen würden. Das ist vor allem dann der Fall, wenn auf der Hand liegt, dass mit dem Beschwerdevorbringen der Sache nach ein Gehörsverstoß gerügt wird, die Beschwerdeführer aber ersichtlich mit Rücksicht darauf, dass kein Anhörungsrügeverfahren durchgeführt wurde, ausschließlich die Verletzung eines anderen Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts geltend machen, das durch ein solches Vorgehen des Gerichts gleichfalls verletzt sein kann (vgl. dazu BVerfGE 134, 106 115 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juli 2011 - 1 BvR 1468/11 -). Eine solche Konstellation liegt hier gerade nicht vor. Anlass der Verfassungsbeschwerde ist die Rüge der Beschwerdeführerin, dass das Verwaltungsgericht ihr Recht auf effektiven Rechtsschutz durch die konkrete Auslegung des § 123 Abs. 1 VwGO verletzt habe, weil diese grundsätzlich verhindere, dass eine gerichtliche Sachprüfung vor Vollzug der Abschiebung erreicht werden könne und ihr Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts dadurch unzumutbar verkürzt werde. In diesem Zusammenhang wird der Sache nach nicht geltend gemacht, dass das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 23. März 2021 Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen habe. Auch einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG wegen einer Überraschungsentscheidung rügt die Beschwerdeführerin nicht.
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c) Die Beschwerdeführerin hat die Verfassungsbeschwerde auch hinreichend begründet.
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Sie hat hinreichend substantiiert dargelegt, dass das Verwaltungsgericht ihr Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren durch die konkrete Auslegung des § 123 Abs. 1 VwGO verletzt haben könnte, weil diese grundsätzlich verhindere, dass eine gerichtliche Sachprüfung vor Vollzug der Abschiebung erreicht werden könne und ihr Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts dadurch unzumutbar verkürzt werde.
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet.
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Der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Das Verwaltungsgericht hätte den Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO nicht mit der gewählten Begründung als unstatthaft oder unbegründet ablehnen dürfen.
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a) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährt nicht nur das formelle Recht, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 93, 1 13>; stRspr).
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Gewährleistet ist der Rechtsweg im Rahmen der jeweiligen Prozessordnungen, so dass der Weg zu den Gerichten, insbesondere auch zur inhaltlichen Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung, von der Erfüllung und dem Fortbestand bestimmter formaler Voraussetzungen abhängig gemacht werden darf (vgl. BVerfGE 9, 194 199 f.>; 10, 264 267 f.>; 27, 297 310>; 35, 65 72 f.>; 40, 272 274>; 77, 275 284>). Die dem Gesetzgeber obliegende normative Ausgestaltung des Rechtswegs muss aber das Ziel dieser Gewährleistung, nämlich wirkungsvollen Rechtsschutz, auch tatsächlich verfolgen und ermöglichen. Sie muss im Hinblick darauf geeignet und angemessen sowie für den Rechtsuchenden zumutbar sein (BVerfGE 77, 275 284>). Der Zugang zu den Gerichten und zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 40, 272 274 f.>; 78, 88 99>; 88, 118 124>). Entsprechendes gilt auch innerhalb des jeweils eingeleiteten Verfahrens, soweit es darum geht, sich dort effektiv Gehör verschaffen zu können (vgl. BVerfGE 81, 123 129>). Der gerichtlichen Durchsetzung des materiellen Anspruchs dürfen auch hier nicht unangemessen hohe verfahrensrechtliche Hindernisse in den Weg gelegt werden (vgl. BVerfGE 53, 115 128>). Durch die Art und Weise der Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften darf ein Gericht nicht den Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar verkürzen (vgl. BVerfGE 84, 366 369 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Oktober 2007 - 2 BvR 542/07 -).
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Aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ergeben sich auch die Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen über den Eilrechtsschutz (vgl. BVerfGE 49, 220 226>; 77, 275 284>). Dieser muss darauf ausgerichtet sein, dass der Rechtsschutz sich auch im Eilverfahren nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpft, sondern zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht führt (vgl. BVerfGE 40, 272 275>; 61, 82 111>; 67, 43 58>; BVerfGK 1, 201 204 f.>). Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verlangt, dass irreparable Folgen, wie sie durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme eintreten können, soweit als möglich ausgeschlossen werden (BVerfGE 93, 1 13> m.w.N.; stRspr). Grundsätzlich ist es von Verfassungs wegen unerheblich, auf welchem Wege Eilrechtsschutz gewährt wird. Die konkrete Rechtsanwendung ist aber verfassungsrechtlich dann nicht mehr hinnehmbar, wenn sie dazu führt, dass der Betroffene ganz unabhängig von seinem Verhalten schon aus prozessualen Gründen grundsätzlich keine gerichtliche Sachprüfung vor Vollzug der Abschiebung mehr erreichen kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. März 1999 - 2 BvR 2131/95 -; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2003 - 2 BvR 796/03 -, juris, Rn. 4, zum Ganzen, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. November 2017 - 2 BvR 809/17 -, Rn. 11 ff.).
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b) Nach diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht den Anspruch der Beschwerdeführerin auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt. Denn seine Auslegung und Handhabung des § 123 Abs. 1 VwGO führt dazu, dass die Beschwerdeführerin unabhängig von ihrem Verhalten aus prozessualen Gründen nicht gesichert eine gerichtliche Sachprüfung vor Vollzug der Abschiebung erreichen kann. Der Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts wird dadurch unzumutbar verkürzt.
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Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass der von der Beschwerdeführerin gestellte Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO mit dem Ziel, die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt, im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung auf Grundlage des Bescheids vom 8. August 2017 vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht durchzuführen sei, bereits nicht statthaft sei. Denn der Bescheid vom 8. August 2017 sei bereits bestandskräftig. Darüber hinaus sei der Antrag jedenfalls auch unbegründet. Denn es existiere keine Rechtsgrundlage, aus der sich ein Rechtsanspruch der Beschwerdeführerin auf Einschreiten der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde ergeben könne.
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Die Argumentation des Verwaltungsgerichts zur fehlenden Statthaftigkeit des Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO ist nicht nachvollziehbar. Denn es setzt sich nicht damit auseinander, dass bei dem vorliegenden Hauptsacheverfahren, bei dem es um das Wiederaufgreifen des Verfahrens in Bezug auf die Feststellung von Abschiebungsverboten geht, nach ganz herrschender Ansicht in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO zur Sicherung des geltend gemachten Wiederaufgreifensanspruchs statthaft ist (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 21. April 2015 - 10 CE 15.810; 10 C 15.813 -, juris, Rn. 5; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 20. Juni 2017 - 13 PA 104/17 -, juris, Rn. 17; VG München, Beschluss vom 14. März 2019 - M 5 S 19.50043 -, juris, Rn. 11; mit gleichem Ergebnis Hessischer VGH, Beschluss vom 14. Dezember 2006 - 8 Q 2642/06.A -, juris, Rn. 9; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. September 2017 - 18 B 1033/17 -, juris, Rn. 6 ff.). Soweit es darauf verweist, dass es mangels Rechtsgrundlage im AsylG keinen Rechtsanspruch der Beschwerdeführerin auf Einschreiten der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Ausländerbehörde gebe, verkennt das Verwaltungsgericht, dass es im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 VwGO nach § 123 Abs. 3 VwGO, § 938 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Gerichts liegt, welche Anordnungen zur Erreichung des mit dem Antrag verfolgten Zwecks erforderlich sind. Darüber hinaus entspricht der Tenor der von der Beschwerdeführerin begehrten Sicherungsanordnung dem, was in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen als statthaftes Rechtsschutzziel eines entsprechenden Antrags angesehen wurde (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 14. Dezember 2006 - 8 Q 2642/06.A -, juris, Rn. 9; Bayerischer VGH, Beschluss vom 21. April 2015 - 10 CE 15.810; 10 C 15.813 -, juris, Rn. 5; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 20. Juni 2017 - 13 PA 104/17 -, juris, Rn. 17; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. September 2017 - 18 B 1033/17 -, juris, Rn. 6 ff.; VG München, Beschluss vom 14. März 2019 - M 5 S 19.50043 -, juris, Rn. 11).
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Die Ablehnung des Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO als unstatthaft beziehungsweise unbegründet durch das Verwaltungsgericht ohne Auseinandersetzung mit der bestehenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung verkürzt den Anspruch der Beschwerdeführerin auf effektiven Rechtsschutz auf unzumutbare Art und Weise. Denn als Folge dieser Argumentation erscheint eine Sachprüfung ihres Begehrens vor Durchführung ihrer Abschiebung nicht gesichert, nachdem das Verwaltungsgericht - im Einklang mit der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung - auch einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht für statthaft hielt. Auch wenn noch kein Termin für die Abschiebung der vollziehbar ausreisepflichtigen Beschwerdeführerin nach Italien angesetzt ist, ist nicht mit hinreichender Sicherheit davon auszugehen, dass das verwaltungsgerichtliche Hauptsacheverfahren vor einer solchen abgeschlossen sein wird; eine Sicherung des Aufenthalts kann zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes schon im Hinblick auf § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG erforderlich sein, wonach dem Betroffenen nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise der Termin der Abschiebung nicht angekündigt werden darf.
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Der Beschluss des Verwaltungsgerichts beruht auch auf dieser Rechtsverletzung. Denn es erscheint nicht ausgeschlossen, dass das Verwaltungsgericht bei Annahme der Statthaftigkeit eines Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO und der Beachtung des Verweises in § 123 Abs. 3 VwGO auf § 938 Abs. 1 ZPO zur Begründetheit des Antrags gekommen wäre. Insbesondere erscheint es angesichts des von der Beschwerdeführerin in der Begründung der Anträge nach § 123 Abs. 1, § 80 Abs. 5 VwGO zitierten Beschlusses des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. Januar 2021 (3 A 539/20.A, juris) nicht ausgeschlossen, dass ein Anordnungsanspruch besteht.
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IV.
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Der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 23. März 2021 war gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Infolgedessen erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfGE 7, 99 109>; stRspr).
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Das Land Hessen hat der Beschwerdeführerin nach § 34a Abs. 2 BVerfGG die notwendigen Auslagen zu erstatten.
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Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (BVerfGE 79, 365 366 ff.>; BVerfGK 20, 336 337 f.>).
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