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BVerfG 05.05.2021 - 2 BvR 2023/20, 2 BvR 2041/20
BVerfG 05.05.2021 - 2 BvR 2023/20, 2 BvR 2041/20 - Nichtannahmebeschluss: Zur Betrugsstrafbarkeit im Rahmen der Abrechnung von Vergütungsleistungen durch ein Medizinisches Versorgungszentrum bei unzulässiger Beteiligung eines Apothekers (§ 95 Abs 1a SGB V) - strafrechtliche Verurteilung begründet keinen Verstoß gegen das Entgrenzungsverbot des Art 103 Abs 2 GG
Normen
Art 103 Abs 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 95 Abs 1a SGB 5, § 263 Abs 1 StGB
Vorinstanz
vorgehend BGH, 19. August 2020, Az: 5 StR 558/19, Urteil
vorgehend LG Hamburg, 11. März 2019, Az: 618 KLs 2/17, Urteil
Tenor
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Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
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Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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A.
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I.
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Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung der Beschwerdeführer wegen mehrerer Betrugstaten.
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1. Nach den landgerichtlichen Feststellungen hatte der Beschwerdeführer zu 1, ein Arzt, gemeinsam mit dem Beschwerdeführer zu 2, einem Apotheker, ein Medizinisches Versorgungszentrum (im Folgenden: MVZ) betrieben, obwohl sich der Beschwerdeführer zu 2 gemäß § 95 Abs. 1a SGB V nicht an einem solchen Zentrum als Gesellschafter beteiligen durfte. Um diesen Umstand gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (im Folgenden: KV) zu verdecken, setzten die Beschwerdeführer einen weiteren Arzt als "Strohmann" ein, der für den Beschwerdeführer zu 2 als Gesellschafter auftrat. Obwohl die Beschwerdeführer um die Unzulässigkeit dieses Vorgehens wussten, rechneten sie ärztliche Leistungen sowie über die Apotheke des Beschwerdeführers zu 2 auf Verordnung der Ärzte des MVZ abgegebene Arzneimittel gegenüber der örtlichen KV und einer Krankenkasse ab, ohne die Beteiligung des Beschwerdeführers zu 2 an dem MVZ offenzulegen.
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2. Der Bundesgerichtshof bestätigte die Verurteilung der Beschwerdeführer durch das Landgericht dem Grunde nach und führte zur Frage des der KV und der Krankenkasse entstandenen Vermögensschadens aus, deren täuschungsbedingten Zahlungen stehe keine Kompensation gegenüber. Denn ein Vergütungsanspruch habe wegen des Verstoßes gegen § 95 Abs. 1a SGB V nicht bestanden, sodass die Zahlenden durch ihre Leistung nicht von einer Verbindlichkeit befreit worden seien. Auf die im Übrigen ordnungsgemäßen ärztlichen Leistungen sowie die Abgabe der Medikamente komme es hingegen nicht an, da sie kein unmittelbar aus der Vermögensverfügung resultierendes Äquivalent seien.
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II.
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Die Beschwerdeführer rügen einen Verstoß gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltene Verschleifungsverbot durch die Annahme eines Vermögensschadens. Der Beschwerdeführer zu 2 macht zudem eine Verletzung in seinen Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 GG, auch in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG, durch die Regelung des § 95 Abs. 1a SGB V geltend.
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B.
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Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Grundsätzliche Bedeutung kommt den Verfassungsbeschwerden nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführer angezeigt.
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I.
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Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 2 genügt nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG und ist deshalb unzulässig.
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1. Nach diesen Vorschriften hat die Begründung der Verfassungsbeschwerde den die Rechtsverletzung enthaltenden Vorgang substantiiert und schlüssig vorzutragen (vgl. BVerfGE 108, 370 386 f.>; 113, 29 44>; 130, 1 21>). Bei einer gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde hat der Beschwerdeführer sich mit dieser inhaltlich auseinanderzusetzen (vgl. BVerfGE 88, 40 45>; 105, 252 264>; 130, 1 21>). Es muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 99, 84 87>; 115, 166 179 f.>; 130, 1 21>).
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2. Entgegen diesen Vorgaben setzt der Beschwerdeführer zu 2 sich nicht mit der Frage auseinander, inwiefern sich die von ihm behauptete Verfassungswidrigkeit des § 95 Abs. 1a SGB V auf die von den Fachgerichten angenommene Betrugsstrafbarkeit auswirkt.
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a) Grundsätzlich kann die Strafbarkeit zwar entfallen, wenn die außerstrafrechtliche Norm, an die eine Strafvorschrift anknüpft, ihrerseits verfassungswidrig ist (vgl. zum Entfall der Strafbarkeit wegen unerlaubter Veranstaltung eines Glücksspiels gemäß § 284 StGB wegen der Verfassungswidrigkeit des staatlichen Sportwettenmonopols BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Juni 2009 - 2 BvR 1499/05 -, Rn. 32 f.; vgl. andererseits zur Strafbarkeit nach § 284 StGB trotz möglicherweise verfassungswidrig defizitärer Regelungen zur Auswahl zwischen konkurrierenden Spielhallenbetreibern BGH, Urteil vom 27. Februar 2020 - 3 StR 327/19 -, NJW 2020, S. 2282 2285 f. Rn. 22 ff.>).
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b) Im vorliegenden Fall knüpft die angewandte Strafnorm jedoch nicht an die Missachtung des § 95 Abs. 1a SGB V an. Der strafrechtliche Vorwurf, der den Beschwerdeführern gemacht wird, ist nicht der Betrieb eines Medizinischen Versorgungszentrums, sondern ihre Beteiligung an der Täuschung der Mitarbeiter der KV sowie der Krankenkasse. § 95 Abs. 1a SGB V ist für ihre Strafbarkeit nur insofern von Belang, als sich aus ihm das Entfallen eines Vergütungsanspruches gegenüber Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen ergibt. Für die Strafbarkeit der Beschwerdeführer ist die von dem Beschwerdeführer zu 2 angenommene Verfassungswidrigkeit des § 95 Abs. 1a SGB V demnach bedeutungslos (vgl. entsprechend zur Bedeutungslosigkeit verfassungswidriger Gebührenziffern für den Vorwurf des Abrechnungsbetruges bereits BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 8. September 1997 - 2 BvR 2414/94 -, juris, Rn. 3).
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3. Soweit der Beschwerdeführer zu 2 eine Verletzung des Art. 103 Abs. 2 GG rügt, fehlt es an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Seine Rüge greift aber auch in der Sache nicht durch.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1 ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Die Bedeutung dieser Verfassungsnorm erschöpft sich nicht im Verbot der gewohnheitsrechtlichen oder rückwirkenden Strafbegründung. Art. 103 Abs. 2 GG enthält für die Gesetzgebung ein striktes Bestimmtheitsgebot sowie ein damit korrespondierendes, an die Rechtsprechung gerichtetes Verbot strafbegründender Analogie (stRspr, vgl. BVerfGE 75, 329 340>; 126, 170 194>; 130, 1 43>). Dabei ist "Analogie" nicht im engeren technischen Sinn zu verstehen; ausgeschlossen ist vielmehr jede Rechtsanwendung, die - tatbestandsausweitend - über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht, wobei der mögliche Wortlaut als äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation aus der Sicht des Normadressaten zu bestimmen ist (stRspr, vgl. BVerfGE 92, 1 12>; 126, 170 197>; 130, 1 43>).
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2. Dementsprechend darf die Auslegung der Begriffe, mit denen der Gesetzgeber das unter Strafe gestellte Verhalten bezeichnet hat, nicht dazu führen, dass die dadurch bewirkte Eingrenzung der Strafbarkeit im Ergebnis wieder aufgehoben wird. Einzelne Tatbestandsmerkmale dürfen also auch innerhalb ihres möglichen Wortsinns nicht so weit ausgelegt werden, dass sie vollständig in anderen Tatbestandsmerkmalen aufgehen, also zwangsläufig mit diesen mitverwirklicht werden (Verschleifung oder Entgrenzung von Tatbestandsmerkmalen; vgl. BVerfGE 87, 209 229>; 92, 1 16 f.>; 126, 170 198>; 130, 1 43 f.>).
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3. Für den Betrugstatbestand bedeutet dies, dass das Tatbestandsmerkmal des Vermögensschadens die Strafbarkeit begrenzt und § 263 Abs. 1 StGB als Vermögens- und Erfolgsdelikt kennzeichnet. Verlustwahrscheinlichkeiten dürfen daher nicht so diffus sein oder sich in so niedrigen Bereichen bewegen, dass der Eintritt eines realen Schadens ungewiss bleibt. Die bloße Möglichkeit eines solchen Schadens genügt daher nicht. Zur Verhinderung der Tatbestandsüberdehnung muss, von einfach gelagerten und eindeutigen Fällen - etwa bei einem ohne Weiteres greifbaren Mindestschaden - abgesehen, der Vermögensschaden der Höhe nach beziffert und dies in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise in den Urteilsgründen dargelegt werden. Bestehen Unsicherheiten, so kann ein Mindestschaden im Wege einer tragfähigen Schätzung ermittelt werden. Normative Gesichtspunkte können bei der Bewertung von Schäden eine Rolle spielen; sie dürfen die wirtschaftliche Betrachtung allerdings nicht überlagern oder verdrängen (vgl. BVerfGE 130, 1 47 f.>).
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4. Die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen verstoßen nicht gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltene Entgrenzungsverbot.
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a) Es besteht keine Gefahr der Verschleifung von Täuschungshandlung und Schaden. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass als wesentlicher Zwischenschritt für die Entstehung des Vermögensschadens noch die irrtums-bedingte Auszahlung durch die Mitarbeiter der Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen erforderlich ist.
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b) Eine Entgrenzung des Betrugstatbestandes liegt auch im Übrigen nicht vor. Der Bundesgerichtshof legt trennscharf die Verwirklichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale dar und hat der Schadensbetrachtung ersichtlich eine wirtschaftliche Sichtweise zugrunde gelegt. Dass für die wirtschaftliche Bewertung eines Zahlungsvorganges auch die sozial- und zivilrechtlichen Rahmenbedingungen maßgeblich sind, stellt kein Spezifikum der kassenärztlichen Abrechnung dar, sondern spiegelt lediglich wieder, dass erst die Anerkennung einer Forderung durch die Rechtsordnung dieser in einem Rechtsstaat wirtschaftlichen Wert verleiht (vgl. zur Übereinstimmung der Berücksichtigung des Sozialversicherungsrechts mit einem wirtschaftlichen Schadensbegriff auch Singelnstein, wistra 2012, S. 417 421>). Anders als im Falle der Ausreichung von Darlehen (vgl. hierzu BVerfGE 126, 170 181, 218 ff.>) oder des Abschlusses von Versicherungsverträgen (vgl. hierzu BVerfGE 130, 1 8 f., 45 ff.>) hatte der Bundesgerichtshof im vorliegenden Fall nicht den wirtschaftlichen Wert der Gegenleistung in einem Vertragsverhältnis zu beurteilen, sondern allein die Frage, ob die Forderungen, auf die gezahlt wurde, tatsächlich bestanden. Schwierigkeiten bei der grundsätzlich im Bereich der Vermögensdelikte erforderlichen genauen Bezifferung des entstandenen Schadens ergeben sich hieraus nicht.
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c) Eine verfassungsrechtlich unzulässige Entgrenzung ergibt sich schließlich nicht daraus, dass § 95 Abs. 1a SGB V keine an sich vermögensschützende Norm darstellt. Denn Gegenstand des strafrechtlichen Betrugsvorwurfs ist nicht der Verstoß gegen diese Vorschrift, sondern die wahrheitswidrige Abrechnung trotz sozialrechtlich nicht bestehenden Vergütungsanspruchs. Soweit Kassenärztliche Vereinigungen oder Krankenkassen auf solche Abrechnungen irrtumsbedingt zahlen, sind sie wirtschaftlich geschädigt.
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III.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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