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BVerfG 04.08.2020 - 1 BvR 2656/17
BVerfG 04.08.2020 - 1 BvR 2656/17 - Nichtannahmebeschluss: Zu den Darlegungsanforderungen bei der Rüge einer Verletzung des Rechtsschutzanspruchs durch Zurückweisung eines Rechtsmittels im Zivilprozess - hier: Divergenz höchstrichterlicher Rspr zu entscheidungserheblicher Frage (Verwirkung des Widerrufsrechts bzgl eines Darlehensvertrags) nicht hinreichend dargelegt
Normen
Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 522 Abs 2 S 1 ZPO
Vorinstanz
vorgehend OLG Köln, 9. Oktober 2017, Az: I-4 U 22/17, Beschluss
vorgehend OLG Köln, 23. August 2017, Az: I-4 U 22/17, Beschluss
vorgehend LG Köln, 27. April 2017, Az: 15 O 571/16, Urteil
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Zurückweisung einer zivilrechtlichen Berufung im Beschlusswege. Gegenstand des Ausgangsverfahrens war der Widerruf einer auf Abschluss eines Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärung. Das Landgericht hatte die Klage der Beschwerdeführerin abgewiesen, da das Widerrufsrecht im Zeitpunkt seiner Ausübung verwirkt gewesen sei. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte das Oberlandesgericht nach vorangegangenem Hinweis durch Beschluss zurückgewiesen.
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I.
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Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und des Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Oberlandesgericht habe im Beschlusswege entschieden, obwohl die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision vorgelegen hätten. Die angegriffene Entscheidung, die der neueren Rechtsprechung des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs folge, stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des IV. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs. Nach dieser könne ein Unternehmer dem Widerruf des Verbrauchers nicht den Einwand der Verwirkung entgegenhalten, wenn dem Verbraucher keine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erteilt worden sei. Das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs sei - wegen der Unkenntnis des Verbrauchers in Bezug auf sein Widerrufsrecht - nicht schutzwürdig. Dagegen liege der neueren Rechtsprechung des XI. Zivilsenats der Rechtssatz zugrunde, dass das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs auch dann, wenn dem Verbraucher keine ordnungsgemäße Belehrung über das Widerrufsrecht erteilt worden sei, - ungeachtet der Unkenntnis des Verbrauchers in Bezug auf sein Widerrufsrecht - schutzwürdig sei. Angesichts dieser Divergenz zwischen der Rechtsprechung zweier Zivilsenate des Bundesgerichtshofs habe der Große Senat für Zivilsachen nach § 132 Abs. 2 GVG mit der Entscheidung der Rechtsfrage befasst werden müssen. Dies habe das Oberlandesgericht verkannt und damit aus sachlich nicht mehr zu rechtfertigenden Gründen die Voraussetzung für eine Entscheidung im Beschlusswege bejaht, obwohl es durch Urteil hätte entscheiden und die Revision zulassen müssen.
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Darüber hinaus rügt die Beschwerdeführerin einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot. Die Annahme der Voraussetzungen für eine Verwirkung durch das Oberlandesgericht entbehre jedes sachlichen Grundes.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil kein Grund zur Annahme nach § 93a Abs. 2 BVerfGG vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil ihre Begründung die Möglichkeit der Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten nicht entsprechend den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG substantiiert aufzeigt.
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1. Die Begründung von Verfassungsbeschwerden erfordert nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG eine substantiierte Auseinandersetzung mit dem zugrunde liegenden einfachen Recht und mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts; darzulegen ist, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. BVerfGE 89, 155 171>; BVerfGK 20, 327 329>). Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffene Maßnahme verletzt sein könnten (vgl. BVerfGE 99, 84 87>; 101, 331 346>; 102, 147 164>; 108, 370 386>).
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2. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs hat die Beschwerdeführerin die behauptete Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) sowie auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) nicht hinreichend aufgezeigt. Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar ist eine den Zugang zur Revision erschwerende Auslegung und Anwendung des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO dann, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist, sich mithin als objektiv willkürlich erweist und dadurch den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar einschränkt (vgl. BVerfGK 15, 127 131>; 17, 196 199 f.>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 25. März 2015 - 1 BvR 2811/14 -, Rn. 15). Dies ist nicht hinreichend dargetan.
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Es fehlt bereits an einer hinreichenden Darlegung der behaupteten Divergenz zwischen der Rechtsprechung des IV. Zivilsenats und des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zu den Voraussetzungen für eine Verwirkung des Widerspruchs- oder Widerrufsrechts als Revisionsgrund. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalles (BGHZ 211, 105 120 Rn. 40>; BGHZ 211, 123 138 Rn. 37>; BGH, Urteil vom 9. Oktober 2013 - XII ZR 59/12 -, juris, Rn. 7 m.w.N.; Urteil vom 11. Mai 2016 - IV ZR 334/15 -, juris, Rn. 16; Urteil vom 8. November 2018 - I ZR 126/15 -, juris, Rn. 65). Angesichts der somit notwendigen Gesamtabwägung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles ist die Frage, ob ein Recht verwirkt ist, grundsätzlich einer generalisierenden und obersatzfähigen Betrachtung kaum zugänglich. Selbst wenn auch insoweit für bestimmte Fragen eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung möglich scheint, wofür im Hinblick auf Verbraucherdarlehensverträge, die in einer Vielzahl von Fällen unter vergleichbaren Bedingungen geschlossen und unter gleichartigen Umständen beendet wurden, einiges spricht, wäre zur Darlegung einer Divergenz, wie sie die Beschwerdeführerin behauptet, substantiierter Vortrag dazu erforderlich gewesen, inwiefern den von der Beschwerdeführerin zitierten Entscheidungen des IV. Zivilsenats (BGH, Urteil vom 7. Mai 2014 - IV ZR 76/11 -, juris; Urteil vom 17. Mai 2017 - IV ZR 499/14 -, juris) und des XI. Zivilsenats (BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15 -, juris; Urteil vom 11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15 -, juris) jeweils Sachverhalte zugrunde lagen, die hinsichtlich der Frage der Verwirkung keine voneinander abweichende Würdigung der Umstände erlaubten. Die Verfassungsbeschwerde geht weder darauf ein, dass die von ihr zitierten Entscheidungen unterschiedliche Vertragsverhältnisse, nämlich Versicherungsverträge auf der einen und Darlehensverträge auf der anderen Seite, zum Gegenstand hatten, noch darauf, dass sich die betreffenden Sachverhalte hinsichtlich der Art der Beendigung des Vertragsverhältnisses unterschieden. Auch zeigt sie nicht auf, weshalb auch bei Berücksichtigung der Beschlüsse des IV. Zivilsenats vom 27. September 2017 - IV ZR 506/15 - (juris, Rn. 10 und 15) und vom 11. November 2015 - IV ZR 117/15 - (juris, Rn. 17), nach denen eine fehlerhafte Belehrung die Verwirkung des Widerspruchsrechts nicht generell ausschließt, eine Divergenz zur Rechtsprechung des XI. Zivilsenats vorliegen soll.
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3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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