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BVerfG 12.09.2016 - 1 BvR 1311/16
BVerfG 12.09.2016 - 1 BvR 1311/16 - Nichtannahmebeschluss: Zur Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG) im sozialgerichtlichen Verfahren - Rüge der angegriffenen Entscheidung als Überraschungsentscheidung unzureichend substantiiert (§§ 23 Abs 1 S 2, 92 BVerfGG) - gerügte Gehörsverletzungen in Eingangsinstanz prozessual überholt
Normen
Art 103 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 62 SGG
Vorinstanz
vorgehend BSG, 21. April 2016, Az: B 2 U 3/16 C, Beschluss
vorgehend BSG, 16. Februar 2016, Az: B 2 U 258/15 B, Beschluss
vorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 11. August 2015, Az: L 15 U 511/11, Urteil
vorgehend SG Münster, 27. Juli 2011, Az: S 13 U 424/07, Urteil
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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I.
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Die Beschwerdeführerin ist Fachärztin für Neurologie. Ihre Verfassungsbeschwerde betrifft die Anerkennung einer Multiplen Sklerose als Arbeitsunfall in Folge einer Hepatitis-B-Impfung im Medizinstudium. Sie rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung des als verletzt bezeichneten Grundrechts angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 25 f.>; 96, 245 250>; 108, 129 136>; stRspr).
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1. Die Garantie rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 11, 218 220>; 72, 119 121>; 86, 133 145>; 96, 205 216>; BVerfGK 10, 41 45>; stRspr). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brauchen nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Auch wenn die schriftlichen Entscheidungsgründe zu einem bestimmten Beteiligtenvortrag nichts enthalten, geht das Bundesverfassungsgericht in der Regel davon aus, dass die Gerichte dieses Vorbringen pflichtgemäß zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung berücksichtigt haben (vgl. BVerfGE 28, 378 384 f.>; 86, 133 146>; 96, 205 216 f.>). Ist das Gericht allerdings auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingegangen, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 86, 133 145 f.>; BVerfGK 1, 259 263>). Art. 103 Abs. 1 GG enthält zudem ein Verbot von Überraschungsentscheidungen (vgl. BVerfGE 84, 188 190>; 86, 133 144 f.>; 107, 395 410>).
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2. Besondere Umstände, die darauf hindeuten, dass das Landessozialgericht seine Pflicht, den Vortrag der Beschwerdeführerin zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen (vgl. BVerfGE 22, 267 274>; 96, 205 216 f.>; stRspr), verletzt hätte, liegen hier nicht vor. Insbesondere bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass es die fachkundigen medizinischen Einwände der Beschwerdeführerin erwogen hat, auch wenn es ihnen im Ergebnis nicht gefolgt ist. Es hat sich, jedenfalls im Sinne des durch Art. 103 Abs. 1 GG bestimmten verfassungsrechtlichen Maßstabs ausreichend mit dem Vortrag der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt. Ihr Vorbringen richtet sich im Kern gegen die rechtliche und tatsächliche Würdigung der Genese ihrer Erkrankung durch das Fachgericht. Art. 103 Abs. 1 GG schützt aber nicht davor, dass das Gericht eine andere Bewertung als die Beteiligten trifft (vgl. BVerfGE 64, 1 12>). Die Einwände der Beschwerdeführerin gegen die Beweiswürdigung des Landessozialgerichts vermögen eine Gehörsverletzung nicht zu begründen. Die Feststellung und Würdigung des Tatbestands sowie die Auslegung einfachen Rechts und seine Anwendung auf den konkreten Fall sind Sache der Fachgerichte; das Bundesverfassungsgericht greift hier nur ein, wenn spezifisches Verfassungsrecht verletzt ist, wenn also der Fehler gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegt (vgl. BVerfGE 18, 85 92 f.>); dies hat die Verfassungsbeschwerde nicht dargetan.
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Soweit die Beschwerdeführerin dem Landessozialgericht daneben eine gehörswidrige Überraschungsentscheidung anlastet, zeigt ihr Vorbringen nicht entsprechend den Anforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG substantiiert und schlüssig die Möglichkeit der Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG auf. Die Verfassungsbeschwerdebegründung legt nicht dar, inwieweit hier das Gehörsrecht durch die Entscheidung des Berufungsgerichts verletzt worden sein könnte (vgl. BVerfGE 99, 84 87> m.w.N.).
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3. Mögliche Gehörsverletzungen, die die Beschwerdeführerin dem Sozialgericht zur Last legt, sind zumindest prozessual überholt; das aus ihrer Sicht vom Gericht erster Instanz unterlassene rechtliche Gehör ist jedenfalls im Berufungsverfahren nachgeholt und damit eine eventuelle Gehörsverletzung geheilt worden (vgl. BVerfGE 5, 22 24>; 62, 392 397>; 73, 322 326>; 107, 395 411 f.>).
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4. Eine Gehörsverletzung durch das Bundessozialgericht, sei es im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde oder im anschließenden Anhörungsrügeverfahren, wird mit der Verfassungsbeschwerde, obwohl beide Entscheidungen des Bundessozialgerichts angegriffen sind, nicht eigens geltend gemacht.
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5. Mögliche Gehörsverletzungen durch die Verwaltung betreffen nicht die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Hoheitsakte. Im Übrigen genießt der gesetzliche Anspruch auf rechtliches Gehör gegenüber Verwaltungsbehörden keinen Schutz durch Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 101, 397 404>; 107, 395 407>).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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