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BVerfG 18.07.2016 - 1 BvQ 27/16
BVerfG 18.07.2016 - 1 BvQ 27/16 - Ablehnung des Erlasses einer eA gegen eine Kindesrückführung nach Bosnien-Herzegowina gem Art 12 HKÜ (Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen - juris: KiEntfÜbk Haag) - Zur Berücksichtigung der Folgen einer Kindesrückführung im Rahmen der Folgenabwägung
Normen
Art 6 Abs 2 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, Art 3 KiEntfÜbk Haag, Art 12 Abs 1 KiEntfÜbk Haag, Art 13 Abs 1 Buchst b KiEntfÜbk Haag
Vorinstanz
vorgehend AG München, 1. April 2016, Az: 567 F 2544/16, Beschluss
vorgehend OLG München, 6. Juli 2016, Az: 12 UF 532/16, Beschluss
Tenor
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe
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I.
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Die Antragstellerin wendet sich im Wege eines isolierten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unter Ankündigung der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen die Anordnung einer Kindesrückführung nach Art. 12 Abs. 1 des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (im Folgenden: HKÜ; juris: KiEntfÜbk Haag).
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1. a) Die Antragstellerin und ihr Ehemann sind die Eltern eines im August 2012 geborenen Kindes. Sie lebten zunächst gemeinsam mit dem Kind in der Ehewohnung in S. (Bosnien und Herzegowina). Nach einer Auseinandersetzung zwischen den Eltern - bei der die Antragstellerin nach ihren Angaben von ihrem Ehemann auch geschlagen und verletzt wurde - verzog diese im November 2015 in das Haus ihrer Eltern in O. (Bosnien und Herzegowina). Am 11. Dezember 2015 erließ das Amtsgericht O. auf Antrag der Antragstellerin einen Beschluss gegen den Ehemann, mit dem diesem untersagt wurde, sich der Antragstellerin zu nähern. Eine Berufung des Ehemanns gegen diesen Beschluss wurde durch das Kantonsgericht O. zurückgewiesen.
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Am 22. Dezember 2015 erließ das Amtsgericht S. auf Antrag des Ehemanns einen Beschluss, in dem der Umgang des Ehemannes mit seinem Kind vorläufig geregelt und die Antragstellerin zur Herausgabe des Reisepasses des Kindes verpflichtet wurde. Ohne Wissen und Wollen des Ehemannes verließ die Antragstellerin um den Jahreswechsel mit dem gemeinsamen Kind Bosnien und Herzegowina und zog zu ihren in Deutschland lebenden Eltern. Am 10. März 2016 erließ das Amtsgericht S. im Wege einer einstweiligen Anordnung einen Beschluss, mit dem das Sorgerecht auf den Ehemann übertragen und die Anordnung getroffen wurde, dass das Kind an diesen herauszugeben sei.
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b) Am 2. März 2016 beantragte der Ehemann zudem beim Amtsgericht München auf der Grundlage des Art. 12 Abs. 1 HKÜ die Rückführung des Kindes nach Bosnien und Herzegowina. Diesem Antrag gab das Amtsgericht München mit Beschluss vom 1. April 2016 statt und ordnete die Rückführung des Kindes durch die Antragstellerin innerhalb von zwei Wochen nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses an. Für den Fall, dass die Antragstellerin dieser Aufforderung nicht nachkommen sollte, wurde die zwangsweise Herausgabe des Kindes angeordnet. Der Rückführungsantrag sei zulässig und begründet. Die Antragstellerin habe das ihrem Ehemann zustehende Mitsorgerecht für das gemeinsame Kind im Sinne des Art. 3 HKÜ verletzt. Umstände im Sinne des Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ, die einer Rückführung ausnahmsweise entgegenstehen könnten, lägen nicht vor.
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c) Die hiergegen gerichtete Beschwerde wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 6. Juli 2016 zurückgewiesen. Das Amtsgericht habe rechtsfehlerfrei angenommen, dass das Kind widerrechtlich im Sinne des Art. 3 HKÜ nach Deutschland verbracht worden sei. Der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes unmittelbar vor der Ausreise nach Deutschland habe in Bosnien und Herzegowina, also einem anderen Vertragsstaat des HKÜ gelegen, so dass es für die Frage einer Verletzung des bestehenden Sorgerechts auf das Recht dieses Staates ankomme. Das Amtsgericht habe zutreffend festgestellt, dass den Eltern das Sorgerecht gemeinsam zugestanden habe und die Ausreise des Kindes nach Deutschland daher nur gemeinsam hätte beschlossen werden können.
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Rechtsfolge des widerrechtlichen Verbringens des Kindes nach Deutschland sei gemäß Art. 12 Abs. 1 HKÜ die Rückführung des Kindes. Eine Rückführungsanordnung dürfe nur ganz ausnahmsweise unter den engen Voraussetzungen des Art. 13 HKÜ unterbleiben. Berücksichtigt werden könnten nur außergewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohls. Zu Recht habe das Amtsgericht angenommen, dass derartige Ausnahmetatbestände nicht vorlägen.
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Insbesondere sei eine Rückführung des Kindes nicht mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens verbunden. Auch brächte die Rückführung es nicht auf andere Weise in eine unzumutbare Lage. Nach Sinn und Zweck der Norm und der Gesamtsystematik des HKÜ sei der Ausnahmetatbestand des Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ nicht bereits dadurch erfüllt, dass das Kind durch die Rückführung nach Bosnien und Herzegowina mit einem erneuten Wohnortwechsel und der Änderung in seinem sozialen Umfeld konfrontiert wäre. Dabei handele es sich um typische Belastungen, die mit jeder Kindesrückführung einhergingen und die das HKÜ als notwendige Nebenfolge hinnehme. Diese restriktive Auslegung sei geboten, um zu vermeiden, dass die grundsätzlich bestehende Rückführungspflicht durch gezielte Planung auf Seiten des entführenden Elternteils faktisch unterlaufen werde.
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Die Rückführung sei dem Kind auch zumutbar. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass eine Kindeswohlgefährdung durch die Rückführung ausgeschlossen werden könne, wenn die Antragstellerin das Kind selbst zurückführe. Dabei sei unerheblich, dass die Antragstellerin behaupte, ihr sei eine eigene Rückkehr nach Bosnien und Herzegowina nicht zumutbar, weil sie dort der Gewalt ihres Ehemannes und dessen Familie ausgesetzt sei und ihr nun strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen drohten. Strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen im Herkunftsstaat stünden einer Rückführung nicht entgegen. Die Rückführung des Kindes bedeute auch nicht automatisch eine Herausgabe des Kindes an den Ehemann, solange nicht ein Gericht des Herkunftsstaates diese angeordnet habe. Gegen die vom Amtsgericht S. erlassene einstweilige Anordnung könne sich die Antragstellerin vor Ort rechtlich zur Wehr setzen.
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2. Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kündigt die Antragstellerin die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde an und beantragt die Vollziehung der Beschlüsse des Amtsgerichts sowie des Oberlandesgerichts einstweilen bis zur Entscheidung über die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde auszusetzen. Die Gerichte hätten nicht hinreichend berücksichtigt, dass die staatlichen Institutionen in Bosnien und Herzegowina durch Korruption beeinflusst werden könnten. Die Antragstellerin habe diesbezüglich vor dem Oberlandesgericht konkret vorgetragen, dass der Vater des Ehemannes aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung bereits in mehreren Fällen durch Interventionen bei Behörden etwa Gerichtsverfahren gegen seinen Sohn unterbunden habe. Die Antragstellerin würde, wenn sie einen Fuß in ihre Heimat setzte, nicht nur sofort eingesperrt und ihr das Kind abgenommen, sie würde auch dem gewalttätigen Ehemann auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sein.
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II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen.
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1. a) Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, das in der Hauptsache zu verfolgende Begehren erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 88, 185 186>; 103, 41 42>; stRspr).
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Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bleibt (vgl. BVerfGE 88, 185 186>; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 87, 107 111>; stRspr).
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b) In Rückführungsfällen nach dem HKÜ kann der Zweck des Übereinkommens im Rahmen der Folgenabwägung nicht unberücksichtigt bleiben: Es soll verhindern, dass ein Kind unter Verstoß gegen das Sorgerecht und somit widerrechtlich ins Ausland gebracht wird. Das durch einen Elternteil ohne Zustimmung des anderen Elternteils in einen anderen Vertragsstaat verbrachte Kind soll möglichst schnell rückgeführt und die Sorgerechtsentscheidung am Ort des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes sichergestellt werden. Auf diese Art dient das Haager Übereinkommen dem Kindeswohl und ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. August 1996 - 2 BvR 1075/96 -, juris, Rn. 10).
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Vor diesem Hintergrund sieht das Bundesverfassungsgericht in Rückführungsfällen in der Regel von dem Erlass einer einstweiligen Anordnung ab, um den Zweck des Übereinkommens nicht zu beeinträchtigen, eine möglichst schnelle Rückführung und Sorgerechtsentscheidung am früheren gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes sicherzustellen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Juli 1998 - 2 BvR 1206/98 -, juris, Rn. 2).
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2. Nach diesen Maßstäben kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht.
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a) Würden die Beschlüsse des Amts- und des Oberlandesgerichts vorläufig ausgesetzt und erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später als unbegründet, so hätte dies zur Folge, dass das Kind zwischenzeitlich mit der Antragstellerin in Deutschland bliebe und dem Vater faktisch die Ausübung des Sorgerechts entzogen wäre. Vor allem aber würde sich während dieses Zeitraums die Bindung des Kindes an seine Lebensumstände in Deutschland festigen, so dass es dann durch eine Rückführung stärker belastet würde als heute. Das Ziel des Haager Übereinkommens, das durch einen Elternteil ohne Zustimmung des anderen Elternteils in einen anderen Vertragsstaat verbrachte Kind möglichst schnell zurückzuführen, würde durch eine weitere Verzögerung beeinträchtigt.
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b) Weniger schwer wögen demgegenüber die Folgen, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet erwiese. Dass die Antragstellerin das Sorgerechtsverfahren am Ort des ursprünglichen gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in Bosnien und Herzegowina betreiben muss, entspricht dem Zweck des Haager Übereinkommens, die ursprüngliche internationale Zuständigkeitsverteilung zwischen den Gerichten zu wahren. Diese Auswirkung fällt deshalb bei der Folgenabwägung nicht ins Gewicht (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Februar 1996 - 2 BvR 233/96 -, juris, Rn. 9).
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Den Zielen des Haager Übereinkommens gegenüber können sich nur ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohls im Einzelfall durchsetzen, die über die mit einer Rücküberstellung gewöhnlich verbundenen Schwierigkeiten hinausgehen. Dem trägt Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ Rechnung, der eine Rückgabe ausschließt, die mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder die das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt. Die enge Begrenzung dieser Ausnahmebestimmung im Hinblick auf den am Kindeswohl orientierten Zweck des Haager Übereinkommens, von der auch die Entscheidungen des Amts- und Oberlandesgerichts ausgehen, haben die Fachgerichte deutlich herausgearbeitet. Dass sie eine der Rückführung entgegenstehende Gefährdung des Kindes verneint haben, begegnet im Ergebnis keinen durchgreifenden Bedenken.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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