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BVerfG 06.10.2015 - 2 BvR 2062/11
BVerfG 06.10.2015 - 2 BvR 2062/11 - Stattgebender Kammerbeschluss: Parallelentscheidung
Vorinstanz
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 19. August 2011, Az: 6 A 1692/11, Beschluss
vorgehend VG Düsseldorf, 10. Juni 2011, Az: 2 K 2679/10, Urteil
Tenor
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Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. August 2011 - 6 A 1692/11 -, das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 10. Juni 2011 - 2 K 2679/10 - und der Bescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 15. März 2010 - 47.7.05.2506 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts und das Urteil des Verwaltungsgerichts werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
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Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
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Der Gegenstandswert für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 60.000 € (in Worten: sechzigtausend Euro) festgesetzt.
Gründe
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I.
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Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Ablehnung der Verbeamtung aufgrund einer Höchstaltersgrenze. Sie ist angestellte Lehrerin im öffentlichen Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen und begehrt die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe, obwohl sie das 40. Lebensjahr und damit die laufbahnrechtliche Altersgrenze für die Einstellung bereits überschritten hat.
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1. Lehrerinnen und Lehrer an öffentlichen Schulen werden in Nordrhein-Westfalen, sofern die laufbahn- und sonstigen beamtenrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, in der Regel verbeamtet (§ 57 Abs. 4 Satz 2 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Februar 2005 in der Fassung des Gesetzes vom 25. Juni 2015 <GVBl S. 499>). Sie können auch als Tarifbeschäftigte nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) angestellt werden (Runderlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 23. April 2007 - BASS 21-01 Nr. 11). Die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe richtet sich unter anderem nach den Vorschriften der Verordnung über die Laufbahnen der Beamtinnen und Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen (Laufbahnverordnung - LVO).
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2. Die Beschwerdeführerin absolvierte von 1975 bis 1978 eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Krankenschwester in Pirna und war anschließend bis 1981 in diesem Beruf tätig. Von 1981 bis 1985 studierte sie Medizinpädagogik mit dem Abschluss Diplom. Sie war danach Lehrerin an einer Medizinischen Fachschule sowie Studienleiterin, Dozentin und Leiterin eines Internats. 1988 übersiedelte sie in die Bundesrepublik Deutschland und beantragte die Anerkennung ihres Diploms als Erste Staatsprüfung für das Lehramt. Sie arbeitete zunächst als Kranken- und Unterrichtsschwester und von 1992 bis 1994 als Lehrkraft an einer Hebammenschule. Nach Anerkennung ihres Diploms im Jahr 1994 durchlief sie bis 1996 den Vorbereitungsdienst für das Lehramt, den sie mit der Zweiten Staatsprüfung (Sekundarstufe II, Unterrichtsfach Biologie) abschloss. Im Anschluss wurde sie als Lehrerin in den Schuldienst des Landes eingestellt. Ihr Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis wurde wegen Überschreitens der damaligen Altersgrenze abgelehnt. Hiergegen gerichtete Rechtsmittel blieben erfolglos, ebenso ein im Jahr 2001 gestellter erneuter Antrag der Beschwerdeführerin auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe.
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3. Das Bundesverwaltungsgericht erklärte mit Urteil vom 19. Februar 2009 - 2 C 18.07 - (BVerwGE 133, 143) die Einstellungshöchstaltersgrenzen der Laufbahnverordnung vom 23. November 1995 (GVBl 1996 S. 1) in der Fassung des Gesetzes vom 3. Mai 2005 (GVBl S. 498) für unwirksam. Da Einstellungshöchstaltersgrenzen im Beamtenrecht den Leistungsgrundsatz aus Art. 33 Abs. 2 GG einschränkten, dürften sie nicht voraussetzungslos im Ermessen der Verwaltung stehen. Der Gesetzgeber müsse ihre Regelung einschließlich der Ausnahmetatbestände selbst treffen.
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4. Aufgrund von § 5 Abs. 1 Landesbeamtengesetz (LBG) in der Fassung vom 21. April 2009 (GVBl S. 224) beschloss die Landesregierung mit Wirkung zum 18. Juli 2009 in Artikel 1 der Verordnung zur Änderung der Laufbahnverordnung und anderer dienstrechtlicher Vorschriften (GVBl S. 381) eine teilweise Neuregelung der Laufbahnverordnung (im Folgenden LVO 2009). Sie hob die Altersgrenze zur Einstellung oder Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe an; in das Beamtenverhältnis konnte danach berufen werden, wer das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Zugleich normierte sie die Möglichkeiten des Überschreitens der Höchstaltersgrenze neu.
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5. Bezugnehmend auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Februar 2009 (BVerwGE 133, 143) beantragte die Beschwerdeführerin im September 2009 erneut die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe. Die Bezirksregierung Düsseldorf lehnte den Antrag mit Bescheid vom 15. März 2010 auf Grundlage der Neuregelung der Laufbahnverordnung ab.
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6. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Urteil vom 10. Juni 2011 ab. Eine für ein Wiederaufgreifen der abgeschlossenen Verfahren beachtliche Änderung der Rechtslage liege weder in der Änderung der gerichtlichen Spruchpraxis noch in der Neufassung der Vorschriften über die Höchstaltersgrenze. Die Beschwerdeführerin habe die laufbahnrechtliche Höchstaltersgrenze überschritten und ein Ausnahmetatbestand - insbesondere § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LVO 2009 - komme ihr nicht zugute. Denn die von ihr geltend gemachte Verzögerung von sechs Jahren bei der Anerkennung ihres Diploms könne die Überschreitung der Altersgrenze nicht ausgleichen. Zwar möge die Ablehnung ihrer Verbeamtungsanträge 1997 und 2001 rechtswidrig gewesen sein. Die damaligen Entscheidungen seien aber bestandskräftig geworden. Bedenken gegen die Wirksamkeit der Neuregelung bestünden nicht. Weder der Leistungsgrundsatz (Art. 33 Abs. 2 GG) noch das Unionsrecht geböten einen Verzicht auf Höchstaltersgrenzen.
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7. Den hiergegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 19. August 2011 zurück. Die Beschwerdeführerin lege ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dar. Die Neuregelung des Einstellungsalters sei auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 28. März 2011 - 2 B 48.11 -) wirksam. Sie bringe die beiden Verfassungsgrundsätze des Leistungsgrundsatzes und des Lebenszeitprinzips in einen angemessenen Ausgleich und sei auch im Übrigen am Maßstab höherrangigen Rechts nicht zu beanstanden. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO lege die Beschwerdeführerin ebenfalls nicht dar.
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II.
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1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen sowie den Bescheid der Bezirksregierung, mittelbar auch gegen § 6, § 52 Abs. 1 und § 84 Abs. 2 LVO 2009. Sie rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 33 Abs. 2 GG.
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2. Zur Begründung trägt die Beschwerdeführerin vor, das Land Nordrhein-Westfalen habe gegen den Vorbehalt des Gesetzes verstoßen, weil die Neuregelung der Laufbahnverordnung nicht den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts genüge, die notwendige Normenklarheit vermissen lasse und nicht hinreichend bestimmt sei. Angesichts der verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe - insbesondere in § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LVO 2009 - überlasse sie die Generierung von Ausnahmetatbeständen nach wie vor der Verwaltung. Ferner reiche § 5 LBG als gesetzliche Ermächtigungsgrundlage nicht aus, da diese Norm Altersgrenzen nicht erwähne. Die Einstellungsaltersgrenze schränke den Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG unzulässig ein. In der Begründung zur Neuregelung werde allein auf das ausgewogene Verhältnis von Arbeitsleistung und Versorgungsansprüchen abgestellt. Das in § 6 Abs. 2 Satz 1 LVO 2009 normierte Kausalitätserfordernis komme nahezu nie zum Tragen und sei daher ebenfalls unzulässig.
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3. Die Verfassungsbeschwerde wurde der Landesregierung Nordrhein-Westfalen unter Hinweis auf die Entscheidung in den Senatsverfahren 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 zugestellt. Eine über die vorgenannten Verfahren hinausgehende weitere Stellungnahme ist nicht erfolgt. Die Gerichtsakten der Vorinstanzen haben der Kammer vorgelegen.
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III.
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1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist mit Blick auf die für den vorliegenden Fall maßgeblichen und durch das Bundesverfassungsgericht bereits hinreichend geklärten Fragen offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
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2. Die angegriffenen Entscheidungen greifen in Grundrechte der Beschwerdeführerin ein. Da das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 und 2 BvR 1989/12 - festgestellt hat, dass die durch die Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 30. Juni 2009 auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 LBG festgelegten Höchstaltersgrenzen für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind, fehlt es auch für den ablehnenden Bescheid gegenüber der Beschwerdeführerin an einer Ermächtigungsgrundlage. Die Regelungen der § 6 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 84 Abs. 2 LVO 2009, nach denen die Einstellung aufgrund des erreichten Lebensalters verweigert werden kann, verstoßen insoweit gegen Art. 33 Abs. 2 GG. Die auf diesen Vorschriften beruhenden gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen verletzen daher die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG.
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3. Gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG sind die angegriffenen Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen und des Verwaltungsgerichts Düsseldorf aufzuheben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen, weil zu erwarten ist, dass der Verwaltungsrechtsstreit dort auf der Grundlage des vorliegenden Urteils zum Abschluss gebracht werden kann. Bei einer Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht müsste dieses, bevor es zu einer das Verfahren beendenden Entscheidung gelangen könnte, erst über den Antrag der Beschwerdeführerin befinden, die Berufung gemäß §§ 124 ff. VwGO zuzulassen (vgl. BVerfGE 104, 337 356>).
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4. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
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5. Grundlage der Festsetzung des Gegenstandswerts für das Verfassungsbeschwerdeverfahren ist § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 366 ff.>). Die Erhöhung des Gegenstandswertes gegenüber den Festsetzungen der Instanzgerichte ergibt sich aus der objektiven Bedeutung der Verfahren im Hinblick auf die Regelungen beamtenrechtlicher Einstellungshöchstaltersgrenzen.
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