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BVerfG 30.04.2015 - 2 BvR 746/15
BVerfG 30.04.2015 - 2 BvR 746/15 - Erlass einer einstweiligen Anordnung: Vorläufige Untersagung der Abschiebung einer somalischen Familie mit Kleinstkind nach Italien - Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren
Normen
Art 6 Abs 1 GG, Art 16a Abs 1 GG, Art 16a Abs 2 GG, Art 19 Abs 4 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 34a AsylVfG 1992, § 25 Abs 5 AufenthG 2004, § 28 Abs 4 AufenthG 2004, § 36 Abs 2 AufenthG 2004, § 60a Abs 2 S 1 AufenthG 2004, § 60 Abs 2 AufenthG 2004, § 60 Abs 2 AufenthG 2004, EUV 603/2013
Vorinstanz
vorgehend VG Minden, 23. März 2015, Az: 1 L 794/14.A, Beschluss
nachgehend BVerfG, 22. Juli 2015, Az: 2 BvR 746/15, Beschluss
Tenor
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Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird einstweilen bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde untersagt, die in den Bescheiden des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 26. September 2014 und 28. Oktober 2014 angeordnete Abschiebung der Beschwerdeführer nach Italien zu vollziehen.
Gründe
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum allgemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 25 35>; 89, 109 110 f.>; stRspr).
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2. Nach vorläufiger Prüfung kann nicht festgestellt werden, dass die von den Beschwerdeführern erhobene Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist.
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a) Die Beschwerdeführer, eine Familie aus Syrien mit Kindern im Alter von 7, 10, 15, 19 und 20 Jahren, reisten im Januar 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten Asylanträge; zuvor waren sie in Italien als Asylantragsteller registriert worden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte die Anträge als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an, weil die italienischen Behörden ein Übernahmeersuchen nicht innerhalb von zwei Monaten beantwortet hatten. Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag, die aufschiebende Wirkung der gleichzeitig erhobenen Klagen anzuordnen, "mit der Maßgabe" ab, "dass die Antragsgegnerin die zuständigen italienischen Behörden vor der Abschiebung der Antragsteller über die Ankunft einer Familie mit Kindern zu informieren und in Abstimmung mit den italienischen Behörden sicherzustellen hat, dass die Antragsteller zusammen als Familie unmittelbar im Anschluss an die Übergabe an die italienischen Behörden eine gesicherte Unterkunft erhalten".
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b) Die Beschwerdeführer rügen mit ihrer Verfassungsbeschwerde unter anderem die Verletzung ihres Rechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Sie hätten keine Möglichkeit, die Einhaltung der in den Tenor der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung aufgenommenen Maßgaben gerichtlich überprüfen zu lassen. Nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts bestehe nicht einmal die Verpflichtung, die Beschwerdeführer über das Vorliegen und die Art der Garantieerklärung Italiens zu informieren. Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge werde somit das Recht eingeräumt, selbst abschließend zu entscheiden, ob es die Maßgaben des Gerichts als erfüllt ansehe oder nicht.
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c) Diese Rüge ist jedenfalls nicht offensichtlich unbegründet; ihr wird im Rahmen der Verfassungsbeschwerde nachzugehen sein:
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Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert jedem, der geltend macht, durch die öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein, den Zugang zu den Gerichten und eine wirksame gerichtliche Kontrolle in allen ihm von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Instanzen (BVerfGE 40, 272 275>; 113, 273 310>; 129, 1 20>). Aus dieser Garantie effektiven Rechtsschutzes folgt die Pflicht der Gerichte, angefochtene Hoheitsakte grundsätzlich in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen (BVerfGE 129, 1 20>).
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Ob die im vorliegenden Fall verfahrensgegenständliche verwaltungsgerichtliche Tenorierung - Ablehnung des Rechtsschutzbegehrens mit der Maßgabe, die Einhaltung bestimmter Anforderungen sicherzustellen - dieser Rechtsschutzgewährleistung gerecht wird, bedarf näherer Überprüfung. Der Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens erweist sich damit jedenfalls als offen.
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3. Die danach gebotene Abwägung führt zum Erlass der einstweiligen Anordnung. Den Beschwerdeführern, die jedenfalls überwiegend einer im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR <GK>, Tarakhel v. Schweiz, Urteil vom 4. November 2014, Nr. 29217/12, NVwZ 2015, S. 127) besonders schutzbedürftigen Gruppe angehören, droht durch den Vollzug der Abschiebung ein schwerer und nicht ohne weiteres wiedergutzumachender Nachteil. Demgegenüber wiegen etwaige Nachteile infolge eines vorübergehend verlängerten Aufenthalts der Beschwerdeführer in Deutschland weniger schwer, auch wenn es zu einem Ablauf der Überstellungsfrist nach der VO 604/2013 (Dublin III-Verordnung) kommen sollte.
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