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BFH 21.06.2023 - IX B 58/22
BFH 21.06.2023 - IX B 58/22 - Nichtzulassungsbeschwerde: Rüge einer Divergenz, Verzicht auf mündliche Verhandlung
Normen
§ 5 Abs 3 FGO, § 90 Abs 1 S 1 FGO, § 90 Abs 2 FGO, § 96 Abs 1 S 1 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 255 Abs 2 S 1 HGB, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 5. Mai 2022, Az: 9 K 9024/21, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Die schlüssige Rüge einer Divergenz erfordert die Darlegung, dass das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH, ein anderes oberstes Bundesgericht oder ein FG.
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2. NV: Der Verzicht auf die mündliche Verhandlung kann nur ausnahmsweise widerrufen werden, wenn sich die Prozesslage nach Abgabe der Einverständniserklärung wesentlich geändert hat.
Tenor
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Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 05.05.2022 - 9 K 9024/21 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Gründe
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Die Revision ist weder wegen Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--, dazu unter 1.) noch wegen eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, dazu unter 2.) zuzulassen.
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1. Der von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) vorgebrachte Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) ist nicht gegeben.
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a) Die schlüssige Rüge einer Divergenz erfordert die Darlegung, dass das Finanzgericht (FG) bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der Bundesfinanzhof (BFH) oder ein anderes FG. Gleiches gilt für Entscheidungen eines anderen obersten Bundesgerichts. Dabei muss das FG seinem Urteil einen entscheidungserheblichen (tragenden) abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 08.04.2020 - IX B 103/19, BFH/NV 2020, 898, Rz 5).
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Im Einzelnen sind für die schlüssige Rüge einer Divergenz gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO die angeblichen Divergenzentscheidungen genau --mit Datum und Aktenzeichen oder Fundstelle-- zu bezeichnen sowie tragende, abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits gegenüberzustellen, um die Abweichung deutlich zu machen. Dies erfordert auch die Darlegung, dass es sich im Streitfall um einen gleichen oder vergleichbaren Sachverhalt handelt, so dass sich in der angefochtenen und in der Divergenzentscheidung dieselbe Rechtsfrage stellt (vgl. u.a. Senatsbeschluss in BFH/NV 2020, 898, Rz 6). Dazu reichen weder eine Divergenz in der Würdigung von Tatsachen noch die (vorgebliche) fehlerhafte Umsetzung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalles noch bloße Subsumtionsfehler des FG aus (vgl. Senatsbeschluss vom 13.07.2012 - IX B 3/12, BFH/NV 2012, 1635, Rz 3).
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b) Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Kläger nicht. Zwar haben die Kläger drei Divergenzentscheidungen benannt (Senatsurteile vom 03.12.2002 - IX R 64/99, BFHE 201, 148, BStBl II 2003, 590; vom 14.07.2004 - IX R 52/02, BFHE 206, 441; BStBl II 2004, 949 und vom 12.09.2001 - IX R 39/97, BFHE 198, 74, BStBl II 2003, 569). Die Kläger arbeiten aus dem angefochtenen FG-Urteil jedoch keine entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssätze heraus, die in Widerspruch zu denen der Divergenzentscheidungen stehen. Im Übrigen übersehen die Kläger, dass das FG in dem angefochtenen Urteil Herstellungskosten nicht aufgrund einer Verbesserung im Sinne von § 255 Abs. 2 Satz 1 Variante 3 des Handelsgesetzbuchs (HGB), sondern aufgrund einer Erweiterung im Sinne von § 255 Abs. 2 Satz 1 Variante 2 HGB angenommen hat. Mithin liegen den Divergenzentscheidungen und dem angefochtenen Urteil nicht dieselbe Rechtsfrage zugrunde.
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2. Der gerügte Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegt nicht vor. Soweit die Kläger die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) rügen und geltend machen, dass der Verzicht auf die mündliche Verhandlung auf die fehlerhafte Suggestion der wesentlichen Erfolgsaussichten der Klage zurückzuführen sei, führt dies nicht zur Zulassung der Revision.
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a) Gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1 FGO entscheidet das FG in Urteilsverfahren aufgrund mündlicher Verhandlung. Nach § 90 Abs. 2 FGO kann das FG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Ein Verzicht auf die mündliche Verhandlung ist als Prozesshandlung nicht wegen Irrtums (auch über die Tragweite des Verzichts) anfechtbar und auch nicht frei widerrufbar (BFH-Beschluss vom 10.03.2011 - VI B 147/10, BFHE 232, 322, BStBl II 2011, 556, Rz 9, m.w.N.). Der Verzicht auf die mündliche Verhandlung kann daher nur ausnahmsweise widerrufen werden, wenn sich die Prozesslage nach Abgabe der Einverständniserklärung wesentlich geändert hat (Senatsbeschluss vom 19.04.2016 - IX B 110/15, BFH/NV 2016, 1060, Rz 14, m.w.N.). Ausnahmsweise kann eine Prozesserklärung darüber hinaus auch bereits unwirksam sein, wenn sie durch bewusste Täuschung, Drohung, durch eine bewusst falsche Auskunft oder mittels offensichtlich unzutreffender Erwägungen --insbesondere gegenüber rechtsunkundigen Personen-- veranlasst worden war (BFH-Beschluss vom 08.06.2004 - IV B 180/02, BFH/NV 2004, 1634, unter 1.).
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b) Die auch im finanzgerichtlichen Verfahren rechtskundig beratenen Kläger haben weder dargelegt, dass sie aufgrund einer bewussten Täuschung, Drohung, aufgrund einer bewusst falschen Auskunft oder mittels offensichtlich unzutreffender Erwägungen auf die mündliche Verhandlung verzichteten (dazu unter aa), noch, dass sich die Prozesslage seit der Erklärung des Verzichts auf die mündliche Verhandlung wesentlich geändert hat (dazu unter bb).
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aa) Die Erklärung des Verzichts war nicht durch eine bewusste Täuschung, Drohung, durch eine bewusst falsche Auskunft oder mittels offensichtlich unzutreffender Erwägungen veranlasst. Denn jedenfalls erst im Anschluss an den Verzicht erfolgte das Telefonat mit dem Berichterstatter, in dem dieser --aus der Sicht der Kläger-- falsche Angaben zu den Erfolgsaussichten der Klage gemacht haben soll.
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bb) Auch hat sich die Prozesslage seit dem Verzicht auf die mündliche Verhandlung nicht wesentlich geändert, so dass die Kläger den Verzicht auf die mündliche Verhandlung noch hätten widerrufen können. Es kann dabei dahinstehen bleiben, inwiefern der Berichterstatter --aus der Sicht der Kläger-- fehlerhaft wesentliche Erfolgsaussichten der Klage suggerierte. Nach § 5 Abs. 3 FGO entscheidet der Senat in der dort vorgesehenen Besetzung nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Deshalb sind Hinweise des Berichterstatters, denen sich eine bestimmte Rechtsauffassung beziehungsweise Einschätzung zu den Erfolgsaussichten entnehmen lässt, nicht bindend für die spätere Entscheidung des Senats (vgl. BFH-Urteil vom 20.10.1981 - VIII R 152/80, juris, unter 4.; BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 1634, unter 1.) und können mithin nicht zu einer wesentlichen Änderung der Prozesslage führen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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