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BFH 29.03.2022 - VI B 61/21
BFH 29.03.2022 - VI B 61/21 - Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und zur Fortbildung des Rechts
Normen
§ 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 1 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 162 AO, § 149 AO, § 328 AO
Vorinstanz
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 21. Mai 2021, Az: 3 K 223/20, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) als Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung verlangt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich klärbar und deren Beurteilung zweifelhaft oder umstritten ist.
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2. NV: Die Konkretisierung der Rechtsfrage erfordert regelmäßig, dass die Rechtsfrage mit "Ja" oder mit "Nein" beantwortet werden kann. Das schließt es zwar nicht aus, dass eine Frage gestellt wird, die je nach den formulierten Voraussetzungen mehrere Antworten zulässt. Unzulässig ist aber eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt oder die so pauschal ist, dass sie auf eine gutachterliche Stellungnahme hinausläuft und eine weitere Ausdifferenzierung erfordert.
Tenor
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Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 21.05.2021 - 3 K 223/20 wird als unzulässig verworfen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Gründe
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Die Beschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Kläger haben die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend dargelegt.
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1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) zuzulassen.
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a) Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder der Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) als Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung verlangt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich klärbar und deren Beurteilung zweifelhaft oder umstritten ist (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 20.10.2015 - IV B 80/14, Rz 7).
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Die Konkretisierung der Rechtsfrage erfordert regelmäßig, dass die Rechtsfrage mit "Ja" oder mit "Nein" beantwortet werden kann. Das schließt es zwar nicht aus, dass eine Frage gestellt wird, die je nach den formulierten Voraussetzungen mehrere Antworten zulässt. Unzulässig ist aber eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt oder die so pauschal ist, dass sie auf eine gutachterliche Stellungnahme hinausläuft und eine weitere Ausdifferenzierung erfordert (s. BFH-Beschluss vom 29.02.2012 - I B 88/11, Rz 26).
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Hat der Beschwerdeführer eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage herausgearbeitet, muss er sich des Weiteren mit der Rechtsprechung des BFH und den Äußerungen im Schrifttum auseinandersetzen. Insbesondere sind Ausführungen dazu erforderlich, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und umstritten ist. Liegt zu der vom Beschwerdeführer herausgestellten Rechtsfrage bereits höchstrichterliche Rechtsprechung vor, so gehört zu der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit eine fundierte Stellungnahme dazu, weshalb diese Rechtsprechung noch nicht zu einer hinreichenden Klärung geführt habe oder aufgrund welcher neuen Entwicklung sie nunmehr erneut in Frage gestellt werden müsse (z.B. BFH-Beschluss vom 22.03.2012 - IV B 97/11, Rz 6). Andererseits reicht der bloße Vortrag, der BFH habe eine bestimmte Rechtsfrage noch nicht entschieden, für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Rechtsfortbildung nicht aus (Senatsbeschluss vom 08.12.2017 - VI B 53/17, Rz 4, m.w.N.).
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b) Nach diesen Maßstäben kommt eine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung oder zur Fortbildung des Rechts im Streitfall nicht in Betracht.
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aa) Die von den Klägern herausgestellten Fragen sind überwiegend schon nicht hinreichend konkretisiert.
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Dies gilt insbesondere, soweit die Kläger die Frage aufwerfen, "wann eine Schätzung ... derartig gegen die vom Gesetz nach § 162 AO gegebenen Grundsätze einer grundsätzlich zulässigen Schätzung verstößt, dass besagte Schätzung nicht nur größenordnungsmäßig, sondern in Verbindung mit den Umständen der durchgeführten Schätzung derartig 'über das Ziel hinausschießt bzw. hinausgeschossen hat', dass besagte Schätzung nicht nur rechtswidrig, sondern eben wegen 'groben Verstoßes gegen die Schätzungsgrundsätze' nichtig ist".
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Nichts anderes gilt hinsichtlich der von den Klägern herausgestellten Fragen, "wann eine Schätzung nicht nur aufgrund 'grober' Überschreitung des Schätzrahmens der Höhe nach bei den Gewinnen bzw. Umsätzen nichtig ist, sondern welche Einzelumstände 'rund um die durchgeführte Schätzung' in ihrer Gesamtschau zu beachten sind bei der Beurteilung der Frage, ob eine Nichtigkeit einer bzw. der durchgeführten Schätzung gegeben ist" und "welche zusätzlichen Umstände und Tatbestände neben einer 'groben' Überschreitung des Schätzrahmens der Höhe nach bei den Gewinnen bzw. Umsätzen eine durchgeführte Schätzung nicht nur rechtswidrig, sondern auch nichtig machen".
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Die vorgenannten Fragestellungen lassen sich nicht mit "Ja" oder mit "Nein" beantworten. Sie sind zudem von den Umständen des Einzelfalls anhängig. Ihre Beantwortung würde letztlich auf eine gutachterliche Stellungnahme zur Abgrenzung der Rechtswidrigkeit von der Nichtigkeit eines Schätzungsbescheids hinauslaufen.
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bb) Soweit die Kläger die Frage für grundsätzlich bedeutsam halten, "ob die grundsätzlich nach § 162 AO per Ermessensentscheidung ausübbare Schätzungsbefugnis bei einkommensteuerlichen 'reinen' 'Arbeitnehmer'-Pflichtveranlagungsfällen ... nicht sowieso grundsätzlich einen Ermessensfehlgebrauch darstellt", verkennen die Kläger bereits, dass es sich bei einer Schätzung nicht um eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde handelt.
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Vielmehr "hat" die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) zu schätzen, soweit sie sie nicht ermitteln oder berechnen kann. Ist ein Arbeitnehmer nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) von Amts wegen zur Einkommensteuer zu veranlagen und hat er deshalb insbesondere gemäß § 25 Abs. 3 EStG i.V.m. § 56 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung eine Einkommensteuererklärung abzugeben, gibt er diese aber (trotz Aufforderung durch die Finanzbehörde) nicht ab, ist die Finanzbehörde folglich zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nicht lediglich berechtigt, sondern grundsätzlich verpflichtet. Die Rechtslage ist insoweit eindeutig und bedarf keiner weiteren Klärung in einem Revisionsverfahren. Gegenteiliges haben die Kläger jedenfalls nicht substantiiert dargelegt.
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Dies gilt auch, soweit die Kläger auf die Durchführung eines Zwangsgeldverfahrens hinweisen. Es ist bereits höchstrichterlich geklärt, dass es sich bei der Festsetzung von Zwangsgeld um eine --fakultative-- Maßnahme des Vollstreckungsverfahrens handelt, wohingegen der Erlass eines Steuerbescheids, auch soweit Besteuerungsgrundlagen ganz oder teilweise zu schätzen sind, kein Zwangsmittel, sondern eine --unabdingbare-- Maßnahme des Steuerfestsetzungsverfahrens darstellt (z.B. BFH-Beschluss vom 19.10.2005 - X B 88/05, BFH/NV 2006, 15). Die Finanzbehörde darf die Besteuerungsgrundlagen demgemäß auch dann nach § 162 AO schätzen, wenn gegen den Steuerpflichtigen zuvor kein Zwangsgeldverfahren zur Durchsetzung der Erklärungspflicht durchgeführt wurde. Die Kläger tragen nicht vor, dass die Rechtslage insoweit unklar bzw. umstritten sei.
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cc) Aus den vorgenannten Gründen legen die Kläger auch mit der Frage, "ob es zur 'Schätzungsnichtigkeit' führt, ob also bei 'reinen Arbeitnehmer-Veranlagungen' ... eine Schätzung nach § 162 AO einen grundsätzlichen Ermessensfehlgebrauch darstellt, wenn dieser Ermessensfehlgebrauch zusätzlich 'kombiniert' wird mit einem Ermessensverstoß gegen die verwaltungsselbstbindende Regelung" des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung zu § 162 AO Nr. 4 Satz 2 "mit der Pflicht zur 'Vorbehaltsfestsetzung gemäß § 164 AO' und dann bzgl. des 'einzigen' Schätzungsposten[s] 'Werbungskosten' nur 'blind' der Arbeitnehmer-Pauschbetrag ... angesetzt wird unter Missachtung vorliegender Erkenntnisse und damit unter Missachtung grundsätzlicher 'Schätzungs-Regelungsbestimmungen'", keine klärungsbedürftige Rechtsfrage dar.
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2. Soweit sich die Kläger gegen die vom Finanzgericht (FG) vertretene materiell-rechtliche Auffassung zur Wirksamkeit des Einkommensteuerbescheids vom 14.07.2020 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.11.2020 wenden, kann dies ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision führen. Denn die Rüge der falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalls durch das FG ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren --von im Streitfall weder dargelegten noch vorliegenden Ausnahmen abgesehen-- unbeachtlich (Senatsbeschluss vom 19.03.2018 - VI B 97/17, Rz 10, m.w.N.).
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3. Von der Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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