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BFH 15.05.2019 - IX B 105/18
BFH 15.05.2019 - IX B 105/18 - Zulassung wegen Verfahrensfehler: Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens; Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Nichtgewährung einer Schriftsatzfrist
Normen
§ 76 Abs 1 S 1 FGO, § 78 Abs 1 FGO, § 94 FGO, § 96 Abs 1 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 155 FGO, § 165 ZPO, § 195 ZPO, § 283 ZPO, § 295 ZPO, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 30. August 2018, Az: 12 K 15273/15, Urteil
nachgehend BFH, 28. August 2019, Az: IX S 18/19, Beschluss
Leitsatz
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1. NV: In der Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens liegt kein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), wenn ausweislich des Sitzungsprotokolls der mündlichen Verhandlung kein Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gestellt oder seitens der Prozessbeteiligten auf ihn oder andere Aufklärungsmaßnahmen hingewirkt wurde.
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2. NV: Dass der Kläger nach Gewährung einer Schriftsatzfrist seinen Sachvortrag hätte vertiefen und das FG von der Richtigkeit seiner Rechtsauffassung überzeugen können, führt nicht dazu, dass in der Versagung einer weiteren Schriftsatzfrist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt.
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3. NV: Das Recht auf Akteneinsicht (§ 78 Abs. 1 FGO) erstreckt sich nur auf die Unterlagen, die dem Gericht in der konkreten Streitsache tatsächlich vorliegen.
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 30. August 2018 12 K 15273/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Gründe
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind nicht gegeben.
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1. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) vorgebrachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz sind nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise geltend gemacht worden. Vielmehr beschränkt sich der Vortrag des Klägers darauf, die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) als widersprüchlich und rechtsfehlerhaft zu bezeichnen. Mit der Darlegung einer abweichenden tatsächlichen oder rechtlichen Würdigung werden aber keine Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 2. Alternative FGO dargelegt.
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2. Die vom Kläger gerügten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegen nicht vor.
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a) Es liegt kein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) wegen Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens vor. Ausweislich des (berichtigten) Sitzungsprotokolls der mündlichen Verhandlung (zu dessen Beweiskraft s. § 94 FGO i.V.m. § 165 der Zivilprozessordnung --ZPO--) wurde kein Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gestellt oder seitens des Klägers darauf oder auf andere Aufklärungsmaßnahmen hingewirkt, obwohl im Lauf des Verfahrens eindeutig erkennbar war, dass das FG eine mögliche Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht durchzuführen beabsichtigte. Zudem hat der an der mündlichen Verhandlung teilnehmende Prozessbevollmächtigte des Klägers sich zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen nicht geäußert, sondern in Bezug auf weitere Beweismaßnahmen rügelos zur Sache verhandelt. Damit hat der Kläger sein Rügerecht durch bloßes Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verloren (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO).
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b) Auch der gerügte Verstoß gegen das Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 FGO) liegt nicht vor.
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aa) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und --gegebenenfalls-- Beweisergebnissen zu äußern, sowie in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten (vgl. u.a. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Dezember 2012 VI B 135/12, BFH/NV 2013, 569, Rz 6; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 119 Rz 14, m.w.N.; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 96 FGO Rz 217). Darüber hinaus gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör, für die Prozessbeteiligten überraschende Entscheidungen zu unterlassen. Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Dies kann u.a. der Fall sein, wenn ein entscheidungserheblicher Umstand vom FG erst mit dem Endurteil in das Verfahren eingebracht wird (vgl. BFH-Beschluss vom 23. Oktober 2015 IX B 92/15, BFH/NV 2016, 217, Rz 2; Gräber/Ratschow, a.a.O., § 119 Rz 16; Lange in HHSp, § 96 FGO Rz 224).
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bb) Hier war die vom Kläger angesprochene Feststellung des FG, wonach es sich zusammen mit der Wohnung Nr. 9 insgesamt um eine neu hergestellte Wohnung gehandelt habe, bereits im Feststellungsverfahren, im Einspruchsverfahren und im Verfahren vor dem FG angesprochen worden. So hat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) diesen Umstand, der seiner Entscheidung im Feststellungsverfahren zugrunde lag, im Einspruchsverfahren mit Schreiben vom 21. Juli 2006 und in der Einspruchsentscheidung vom 22. September 2015 erwähnt. Zudem hat das FA diesen Gesichtspunkt vor dem FG mit Schriftsatz vom 12. April 2016 ausdrücklich in das Verfahren eingeführt. Der Kläger hat diesen Umstand in seinem Schreiben vom 27. Mai 2016 selbst angesprochen. Ausweislich des (berichtigten) Sitzungsprotokolls wurde auf diesen Punkt auch in der mündlichen Verhandlung seitens des Gerichts hingewiesen. Daher ist es weder überraschend noch verstößt es gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, wenn das FG diesen Umstand zur Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen macht. Vielmehr konnte der Kläger damit rechnen, dass das FG diesen Gesichtspunkt bei seiner Entscheidung berücksichtigen würde.
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Das FG hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör auch nicht durch die Ablehnung der Gewährung einer (weiteren) Schriftsatzfrist verletzt. Im Streitfall lagen die Voraussetzungen für das Nachreichen eines Schriftsatzes gemäß § 283 ZPO i.V.m. § 155 FGO nicht vor. § 283 ZPO setzt voraus, dass sich eine Partei in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des Gegners nicht erklären kann, weil es ihr nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden ist. Der Kläger hat jedoch nicht vorgetragen, dass das FA im Termin zur mündlichen Verhandlung neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorgebracht hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 23. Februar 2007 III B 105/06, BFH/NV 2007, 1163, Rz 14; vom 18. März 2008 XI S 30/07 (PKH), BFH/NV 2008, 1184, Rz 8, und vom 18. September 2009 IV B 140/08, BFH/NV 2010, 220, Rz 2; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., § 283 Rz 2a). Dass der Kläger nach Gewährung einer weiteren Schriftsatzfrist seinen Sachvortrag hätte vertiefen und das FG von der Richtigkeit seiner Rechtsauffassung überzeugen können, genügt nicht zur Darlegung einer Gehörsverletzung.
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Dem Kläger sind im Rahmen seiner Akteneinsicht (§ 78 Abs. 1 FGO) auch keine vorhandenen Verwaltungsvorgänge des FA vorenthalten worden. Denn das Recht auf Akteneinsicht erstreckt sich nur auf die Unterlagen, die dem FG in der konkreten Streitsache tatsächlich vorliegen (zum Umfang der Akteneinsicht vgl. Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 78 Rz 3). Ausweislich der FG-Akte lagen dem FG die Feststellungakten, der Betriebsprüfungsbericht und der Arbeitsbogen des Prüfers vor. In diese Verwaltungsvorgänge hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 18. Februar 2016 Einsicht genommen.
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Soweit der Kläger weiter vorbringt, die der Betriebsprüfung seinerzeit zugrunde liegenden Belege seien zwischenzeitlich trotz laufenden Rechtsbehelfsverfahrens vernichtet worden, ist weder vorgetragen noch erkennbar, ob und inwieweit diese Unterlagen unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des FG entscheidungserheblich sein sollen. Mit seinem Vortrag zu den unzureichend berücksichtigten Baunebenkosten wendet sich der Kläger zudem im Wesentlichen gegen die tatsächliche Würdigung des FG. Damit kann eine Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers nicht erreicht werden.
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3. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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