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BFH 22.05.2018 - XI R 22/17
BFH 22.05.2018 - XI R 22/17 - Organisationsverschulden bei Überwachung der Revisionsbegründungsfrist
Normen
§ 56 FGO, § 120 Abs 2 S 1 FGO, § 115 Abs 1 FGO, § 115 Abs 3 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG Köln, 9. November 2016, Az: 2 K 1912/15, Urteil
Leitsatz
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NV: Ein Organisationsverschulden kann nicht ausgeschlossen werden, wenn statt einer Fristenkontrolle die zu beachtende Revisionsbegründungsfrist nur in einer Wiedervorlageliste oder durch Erfassung der Wiedervorlage in einem elektronischen Dokumentationssystem berücksichtigt wird .
Tenor
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Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 9. November 2016 2 K 1912/15 wird als unzulässig verworfen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Die Beteiligten streiten über die Vergütung von Vorsteuern im besonderen Verfahren gemäß § 18 Abs. 9 des Umsatzsteuergesetzes.
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Der von der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) erhobenen Klage wurde mit Urteil des Finanzgerichts (FG), das in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 1697 veröffentlicht wurde, stattgegeben.
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Gegen das Urteil des FG legte der Beklagte und Revisionskläger (Beklagter) erfolgreich Nichtzulassungsbeschwerde ein. Der Senat ließ mit Beschluss vom 27. Juni 2017 XI B 98/16 die Revision zu.
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Der Beschluss vom 27. Juni 2017 wurde am 8. Juli 2017 zugestellt. Mit Schreiben vom 14. August 2017 teilte der Vorsitzende des XI. Senats dem Beklagten mit, dass die Begründung der Revision bisher dem Bundesfinanzhof (BFH) nicht vorliege. Die Revisionsbegründungsschrift des Beklagten vom 4. September 2017 wurde mit Telefax vom gleichen Tag dem BFH übermittelt.
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Der Beklagte hat wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist gemäß § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
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Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags macht der Beklagte geltend, dass er ohne Verschulden gehindert gewesen sei, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten, denn er habe durch innerbehördliche Organisation dafür Sorge getragen, dass die Einhaltung der Frist unter üblichen Umständen gewährleistet gewesen sei. Es sei bei Eingang des Beschlusses eine neue Prozessakte angelegt worden und die Neuaufnahme des Revisionsverfahrens im Dokumentenmanagementsystem DOMEA erfolgt. Dabei werde üblicherweise die Wiedervorlage in DOMEA und in einer Worddatei eingetragen. Dies sei versehentlich unterblieben. Ein Verschulden des Beklagten sei nicht gegeben. Es handele sich um ein entschuldbares Büroversehen. Die zuständige Sachbearbeiterin habe stets zuverlässig gearbeitet. Auch sei regelmäßig eine stichprobenartige Überwachung der Arbeit der zuständigen Sachbearbeiterin durch den Referatsleiter erfolgt.
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In der Sache selbst rügt der Beklagte die Verletzung materiellen Rechts.
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Der Beklagte beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise die Revision unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II.
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1. Die Revision ist unzulässig.
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Der Beklagte hat die Frist zur Begründung der Revision versäumt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren.
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a) Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision beim BFH innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Im Fall der Stattgabe nach Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 116 Abs. 7 FGO) beträgt die Begründungsfrist für den Beschwerdeführer einen Monat nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO).
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Vorliegend ist die Begründung der Revision verspätet beim BFH eingegangen. Der Beschluss über die Zulassung der Revision ist am 8. Juli 2017 dem Beklagten zugestellt worden, so dass am 8. August 2017 die Revisionsbegründungsfrist ablief. Erst am 4. September 2017 reichte der Beklagte die Begründung der Revision beim BFH ein.
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b) Die mit selbigem Schriftsatz beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden. Die Voraussetzungen sind nicht glaubhaft gemacht worden.
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aa) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 FGO kann auf Antrag gewährt werden, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Hiernach schließt jedes Verschulden --also auch einfache Fahrlässigkeit-- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Bei der Beurteilung, ob eine Behörde sich die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten die gleichen Maßstäbe, wie sie die Rechtsprechung für das Verschulden von Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe entwickelt hat (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 6. November 2012 VIII R 40/10, BFH/NV 2013, 397, und vom 16. September 2014 II B 46/14, BFH/NV 2015, 49, m.w.N.).
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Wenn --wie im Streitfall-- von einer Finanzbehörde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines entschuldbaren Büroversehens begehrt wird, muss substantiiert und schlüssig vorgetragen werden, dass kein Organisationsfehler vorliegt, d.h. dass die Finanzbehörde alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass sie durch regelmäßige Belehrung und Überwachung ihrer Bürokräfte für die Einhaltung ihrer Anordnungen Sorge getragen hat (z.B. BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 2002 VII B 150/01, BFH/NV 2002, 795; vom 24. Juni 2002 IX R 38/01, BFH/NV 2002, 1467; vom 14. Mai 2007 VIII B 47/07, BFH/NV 2007, 1684, und vom 14. Dezember 2011 X B 50/11, BFH/NV 2012, 440).
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Unerlässliche Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Büroorganisation ist dabei ein Fristenkontrollbuch oder eine vergleichbare Einrichtung, in der der Ablauf sämtlicher Fristen vermerkt und eine Frist erst nach Vornahme der zu ihrer Einhaltung erforderlichen Handlung gestrichen wird (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 1992 III R 57/91, BFH/NV 1992, 615; vom 25. März 2003 I B 166/02, BFH/NV 2003, 1193; vom 23. September 2010 III R 64/09, BFH/NV 2011, 54, und vom 17. November 2015 V B 56/15, BFH/NV 2016, 222; Gräber/ Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 56 Rz 20, Stichwort "Fristenkontrolle", m.w.N.). Bei einer elektronischen Fristenkontrolle gelten keine geringeren Anforderungen (vgl. BFH-Beschluss vom 27. Juli 2011 IV B 131/10, BFH/NV 2011, 1909). Insbesondere sind bei einem EDV-gestützten Fristenkalender die dort vorgenommenen Eintragungen durch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgänge über den Drucker zu kontrollieren (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 12. Dezember 2005 II ZB 33/04, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2006, 500; BFH-Beschlüsse vom 6. August 2001 II R 77/99, BFH/NV 2002, 44; jeweils m.w.N.; vom 30. April 2013 IV R 38/11, BFH/NV 2013, 1117).
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Es genügt nicht, dass die Finanzbehörde lediglich Wiedervorlagefristen für die Bearbeitung einer Sache in einen dafür bestimmten Fristenkalender einträgt. Bei einer solchen Verfahrensweise ist eine korrekte Kontrolle, wann die Frist abläuft und ob die Beschwerdebegründungsschrift rechtzeitig abgesandt wurde, nicht möglich (BFH-Urteil vom 11. November 1972 VIII R 8/67, BFHE 107, 486, BStBl II 1973, 169; BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1992, 615; vom 31. Juli 2002 VI B 17/02, BFH/NV 2002, 1490; in BFH/NV 2012, 440, Rz 8; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 56 Rz 20, Stichwort "Fristenkontrolle").
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Außerdem muss auch die Finanzbehörde die Erledigung des fristwahrenden Schriftsatzes bis zu seiner Absendung (Postausgangskontrolle) überwachen (s. BFH-Beschluss vom 7. Dezember 1982 VIII R 77/79, BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229; BFH-Urteile vom 19. Juli 1994 II R 74/90, BFHE 175, 302, BStBl II 1994, 946; vom 15. März 2007 VI R 31/05, BFHE 217, 453, BStBl II 2007, 533; BFH-Beschluss vom 21. August 2009 II B 184/08, nicht veröffentlicht --n.v.--, m.w.N.).
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Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind, soweit sie nicht offenkundig oder gerichtsbekannt sind, vollständig, substantiiert und in sich schlüssig vorzutragen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 24. Juni 2008 X R 38/07, BFH/NV 2008, 1517; vom 3. April 2013 V R 24/12, BFH/NV 2013, 970; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 56 Rz 36). Hierzu gehört vor allem, dass die Fristenkontrolle sowie die Postausgangskontrolle nach Art und Umfang geschildert werden (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 30. Juli 2009 VI R 56/08, BFH/NV 2009, 1996; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 56 Rz 37).
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bb) Im Streitfall ist ein Organisationsverschulden des Beklagten als Ursache für das Fristversäumnis nicht auszuschließen, weil offensichtlich keine Fristenkontrolle und Postausgangskontrolle durchgeführt wurde.
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Der Vortrag des Beklagten zu den Wiedervorlagefristen belegt, dass es an einer Fristenkontrolle durch ein Fristenkontrollbuch oder einer Fristenkontrolle auf andere (elektronische) Weise fehlte. Allein die Berücksichtigung der Revisionsbegründungsfrist in einer Wiedervorlageliste in Form einer Worddatei und/oder Eintragung in einem Eingabefeld für Wiedervorlagen im elektronischen Dokumentationssystem reicht nicht aus. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es das DOMEA-System im Streitfall zuließ, dass eine Akte ohne Erfassung einer Wiedervorlage und ohne erfolgte und erfasste Revisionsbegründung in einen Ordner verschoben werden konnte, in dem sich ausschließlich Akten mit dem Vermerk "z.d.A." befanden, bei denen keine Fristen bestanden.
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Zudem hat der Beklagte nicht geschildert, ob und wie die Postausgangskontrolle der Schriftsätze organisiert war. Hierzu wäre eine entsprechende Schilderung der Verhältnisse von Seiten des Beklagten erforderlich gewesen. Für gerichtliche Hinweise oder gar Amtsermittlungen ist im Verfahren über die Wiedereinsetzung regelmäßig kein Raum (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 20. Dezember 2007 IX B 178/07, n.v., m.w.N., und vom 23. Januar 2008 I B 101/07, BFH/NV 2008, 1290; BFH-Urteil vom 20. November 2013 X R 2/12, BFHE 243, 158, BStBl II 2014, 236; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 56 Rz 36 a.E.).
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c) Zwar wurde mit Beschluss des Senats vom 27. Juni 2017 XI B 98/16 die Revision uneingeschränkt zugelassen; jedoch reicht die Bindungswirkung der Zulassung nach § 115 Abs. 3 FGO, die "erst recht" auch für die Zulassung der Revision durch den BFH selbst gilt (vgl. BFH-Urteil vom 26. November 2008 X R 20/07, BFHE 223, 330, BStBl II 2009, 388, unter II.2.a; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 115 FGO Rz 309, m.w.N.), nicht weiter als ihr Gegenstand, nämlich die Aufhebung der verfahrensrechtlichen Zugangsschranke zum Revisionsgericht. Alle übrigen Anforderungen an die Zulässigkeit der Revision --hier die Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist gemäß § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO-- bleiben unberührt (s. Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. März 2006 6 C 13.05, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2006, 1158; Lange in HHSp, § 115 FGO Rz 300; Bier, jurisPR-BVerwG 11/2006 Anm. 5).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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