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BFH 07.09.2016 - I R 14/15
BFH 07.09.2016 - I R 14/15 - (Ausschluss früherer Beamter vom Richteramt; konkludente Billigkeitsmaßnahme - Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 20.07.2016 I R 40/14)
Normen
§ 163 AO, § 51 Abs 1 S 1 FGO, § 41 Nr 4 ZPO, § 126 Abs 3 S 1 Nr 2 FGO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 18. September 2014, Az: 3 K 1837/14, Urteil
nachgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 6. April 2017, Az: 3 K 3727/16, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Eine (Finanz-)Beamtin, die Vertreterin einer Behörde war (hier: vormalige Sachgebietsleiterin des FA) und nunmehr Richterin wird, ist von der Mitwirkung an allen Sachen ausgeschlossen, die bereits vor ihrer Übernahme in das Richterverhältnis anhängig waren und somit von ihr hätten vertreten werden können .
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2. NV: Bei der Entscheidung darüber, ob der angefochtene Bescheid mit Blick auf eine Verwaltungsverfügung als konkludente Billigkeitsmaßnahme des FA verstanden werden kann, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob es sich bei dieser Verwaltungsverfügung um eine verwaltungsinterne Verschlusssache ("nur für den Dienstgebrauch") gehandelt hat und ein Anhalt dafür bestanden hat, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Zugangs des Bescheids Kenntnis von dieser Verfügung gehabt hat .
Tenor
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Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, vom 18. September 2014 3 K 1837/14 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Finanzgericht Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I. Die im Inland wohnenden Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute und wurden für das Streitjahr (2009) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
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Der Kläger arbeitete seit 1996 in der Schweiz. Im Streitjahr war er bei der L-Ltd., einer Aktiengesellschaft nach Schweizer Recht, beschäftigt. Er leitete dort als "Director" eine Geschäfts- und Stabseinheit und war Mitglied der (neunköpfigen) Geschäftsleitung.
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Im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr ging der Kläger davon aus, dass seine gesamten Einkünfte aus unselbständiger Arbeit nicht der Besteuerung im Inland unterfallen würden. Da er an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund seiner Arbeitsausübung im Ausland nicht an seinen Wohnsitz im Inland zurückgekehrt und damit kein Grenzgänger i.S. von Art. 15a Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.F. des Protokolls vom 21. Dezember 1992 (BGBl II 1993, 1888, BStBl I 1993, 928) --DBA-Schweiz 1971/1992-- sei, ergebe sich für seine Einkünfte aus unselbständiger Arbeit, soweit sie auf die in der Schweiz ausgeübte Tätigkeit entfielen, nach der allgemeinen Vorschrift des Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 ein Besteuerungsrecht der Schweiz. Für seine Einkünfte aus unselbständiger Arbeit, die auf seine im Inland und in Drittstaaten ausgeübte Tätigkeit entfielen, ergebe sich das ausschließliche Besteuerungsrecht der Schweiz daraus, dass er ein leitender Angestellter i.S. von Art. 15 Abs. 4 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 sei.
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Dem folgte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) im für das Streitjahr ergangenen Einkommensteuerbescheid vom 6. Oktober 2010 nur hinsichtlich der Besteuerung der Einkünfte aus unselbständiger Arbeit, soweit sie auf die in der Schweiz ausgeübte Tätigkeit des Klägers entfallen, und stellte diese Einkünfte unter Progressionsvorbehalt im Inland steuerfrei. Hinsichtlich der Einkünfte, die auf die im Inland und in Drittländern ausgeübte Tätigkeit des Klägers entfallen, vertrat das FA dagegen die Auffassung, dass die insoweit dem Kläger zugeflossenen Einkünfte im Inland zu besteuern seien, weil der Kläger nicht mit einer in Art. 15 Abs. 4 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 aufgeführten Funktionsbezeichnung im Schweizerischen Handelsregister eingetragen sei.
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Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage hat das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, mit Urteil vom 18. September 2014 3 K 1837/14 unter Mitwirkung von Richterin am Finanzgericht R als begründet angesehen und den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr aufgehoben.
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Hinsichtlich der Besteuerung der Einkünfte aus unselbständiger Arbeit, soweit sie auf die in der Schweiz ausgeübte Tätigkeit des Klägers entfallen, sah sich das FG durch eine Billigkeitsentscheidung des FA gebunden. Obwohl nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Ermittlung der Nichtrückkehrtage (Senatsurteil vom 11. November 2009 I R 15/09, BFHE 227, 419, BStBl II 2010, 602) die Grenzgängereigenschaft des Klägers aufgrund einer geringeren Anzahl von Nichtrückkehrtagen (hier: 47) bejaht werden müsse, habe das FA in Vollzug einer Verfügung der Oberfinanzdirektion (OFD) Karlsruhe vom 3. Mai 2010 S 130.1/416 A-St 217/CH entschieden, dass zugunsten des Klägers weiterhin von den (bisherigen) Grundsätzen der Finanzverwaltung und damit davon auszugehen sei, dass der Kläger bei 67 Nichtrückkehrtagen kein Grenzgänger sei. Diese im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr stillschweigend (konkludent) getroffene Billigkeitsentscheidung sei bestandskräftig geworden und als Grundlagenbescheid für die Einkommensteuerfestsetzung bindend.
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Hinsichtlich der Einkünfte, die auf die im Inland und in Drittländern ausgeübte Tätigkeit des Klägers entfallen, vertrat das FG entgegen der durch das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 30. September 2008 (BStBl I 2008, 935) bekanntgegebenen Verständigungsvereinbarung der deutschen und eidgenössischen Finanzbehörden zu Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971/1992 die Auffassung, dass der Kläger ungeachtet den Eintragungen im Schweizerischen Handelsregister als Direktor i.S. des Art. 15 Abs. 4 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 anzusehen sei.
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Gegen das FG-Urteil richtet sich die Revision des FA. Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
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Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet und führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz l Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil R für den Streitfall von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen ist.
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1. Nach der gemäß § 51 Abs. l FGO im Finanzgerichtsprozess sinngemäß anwendbaren Bestimmung des § 41 Nr. 4 der Zivilprozessordnung (ZPO) ist ein Richter von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen, wenn er in der Sache als Prozessbevollmächtigter oder Beistand einer Partei bestellt oder als gesetzlicher Vertreter einer Partei aufzutreten berechtigt ist oder gewesen ist. Durch den Ausschluss soll die Mitwirkung einer Gerichtsperson verhindert werden, für die auch nur die abstrakte Möglichkeit bestand, den Streitpunkt bereits aus der Sicht eines Beteiligtenvertreters zu sehen (BFH-Urteil vom 4. Juli 1990 II R 65/89, BFHE 161, 8, BStBl II 1990, 787). Da für den Tatbestand des § 41 Nr. 4 ZPO ein tatsächliches Auftreten als Vertreter nicht erforderlich ist (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 51 FGO Rz 9), ist ein (Finanz-)Beamter, der kraft Gesetzes oder aufgrund erteilten generellen oder einzelnen Auftrags Vertreter einer Behörde war und nunmehr Richter wird, von der Mitwirkung an allen Sachen, in denen diese Behörde Beteiligte ist, ausgeschlossen, die bereits vor seiner Übernahme in das Richterverhältnis anhängig waren und somit von ihm hätten vertreten werden können (Senatsbeschluss vom 7. Juni 2016 I B 159/15, juris; Leipold in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 51 FGO Rz 24; Schoenfeld in Beermann/Gosch, FGO § 51 Rz 27; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 51 Rz 11; s. auch BFH-Urteil in BFHE 161, 8, BStBl II 1990, 787 zur Ausschließung eines Richters, der zum Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung Finanzamtsvorsteher war).
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2. In Bezug auf R liegt eine solche Konstellation hier vor. Ausweislich der dem Senat aus den Verfahren I R 40/14 sowie I B 159/15 bekannten Angaben des FA war R vom 1. Oktober 2010 bis 30. September 2013 Sachgebietsleiterin und zugleich Stellvertreterin desjenigen Sachgebietsleiters, der die Rechtsbehelfsstelle des FA geleitet hat, in welcher im Mai 2011 auch über den Einspruch der hiesigen Kläger entschieden worden ist. Sie war außerdem aufgrund einer Generalvollmacht des Vorstehers des FA vom 22. August 2012 ermächtigt worden, das FA in allen stattfindenden Terminen beim FG zu vertreten und alle Erklärungen für und gegen das FA abzugeben. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob R seinerzeit tatsächlich mit der Streitsache befasst gewesen ist (Senatsbeschluss vom 7. Juni 2016 I B 159/15, juris).
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3. Da die Ausschließung unverzichtbar und in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten ist, steht der Aufhebung und Zurückverweisung nicht entgegen, dass die Beteiligten die Besetzung des FG weder vor dem FG noch im Rahmen des Revisionsverfahrens gerügt haben.
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4. Das FG wird im zweiten Rechtsgang Gelegenheit haben, seine Annahme zu überprüfen, derzufolge die Kläger den angefochtenen Bescheid hinsichtlich der zu Grunde zu legenden Nichtrückkehrtage mit Blick auf die Verfügung der OFD Karlsruhe vom 3. Mai 2010 als konkludente Billigkeitsmaßnahme des FA verstehen konnten. Dabei wird das FG insbesondere zu berücksichtigen haben, dass es sich bei dieser Verfügung um eine verwaltungsinterne Verschlusssache ("nur für den Dienstgebrauch") gehandelt hat und kein Anhalt dafür besteht, dass die Kläger zum Zeitpunkt des Zugangs des Bescheids Kenntnis von dieser Verfügung gehabt haben.
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5. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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