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BFH 17.12.2015 - VI R 7/14
BFH 17.12.2015 - VI R 7/14 - Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen
Normen
§ 33 Abs 1 EStG 2009, § 33 Abs 2 EStG 2009, § 33 Abs 3 EStG 2009, EStG VZ 2011
Vorinstanz
vorgehend FG Düsseldorf, 23. September 2013, Az: 7 K 1549/13 E, Urteil
Leitsatz
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1. Kosten im Zusammenhang mit einem Zivilprozess sind nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar, soweit der Prozess die Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen betrifft .
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2. Sind die Kosten für einen Zivilprozess nur zum Teil als außergewöhnliche Belastung abziehbar, ist der abziehbare Teil der Kosten mit Hilfe der Streitwerte der einzelnen Klageanträge zu ermitteln (Anschluss an BFH-Urteil vom 27. August 2008 III R 50/06, BFH/NV 2009, 553) .
Tenor
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Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 23. September 2013 7 K 1549/13 E aufgehoben.
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Die Klage wird abgewiesen.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde für das Streitjahr (2011) einzeln zur Einkommensteuer veranlagt.
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Die 1976 geborene Ehefrau (E) des Klägers erkrankte an Krebs. Der Kläger hatte mit E zwei gemeinsame Kinder, die 1999 geborene Tochter J und die 2002 geborene Tochter F. E verstarb im August 2006 an den Folgen ihres Krebsleidens.
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Der Kläger, J, F und die Erbengemeinschaft nach E, bestehend aus dem Kläger sowie J und F, nahmen den Frauenarzt der E, Dr. A, mit Klageschrift vom 28. Januar 2011 auf Schadensersatz wegen eines von ihnen geltend gemachten Behandlungsfehlers in Anspruch. Sie begehrten Schmerzensgeld sowie die Feststellung, dass ihnen sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu erstatten seien, die ihnen aus Anlass der bei E in der Zeit ab August 2001 durchgeführten Behandlung entstanden seien oder entstehen würden, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen seien.
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Der Kläger machte in seiner Einkommensteuererklärung von ihm im Streitjahr gezahlte Kosten des Zivilprozesses gegen Dr. A in Höhe von insgesamt 12.137,50 € geltend, die sich wie folgt zusammensetzten: Gerichtskosten (4.068 € und 2.550 €), Rechtsanwaltskosten (1.519,50 €) und Sachverständigenkosten (4.000 €).
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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erkannte die Aufwendungen auch im Einspruchsverfahren nicht als außergewöhnliche Belastungen an.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Kosten eines Zivilprozesses könnten unabhängig vom Gegenstand des Rechtsstreits aus rechtlichen Gründen zwangsläufig entstehen. Voraussetzung für den Abzug der Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung sei, dass sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen habe. Im Streitfall sei die Rechtsverfolgung durch den Kläger nicht von vornherein aussichtslos und auch nicht mutwillig gewesen. Nach den vom Kläger eingereichten Unterlagen und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Landgericht (LG) ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben habe, sei der Erfolg des Rechtsstreits mindestens ebenso wahrscheinlich wie der Misserfolg. Die geltend gemachten Aufwendungen seien auch der Höhe nach notwendig und angemessen gewesen. Sie seien daher als außergewöhnliche Belastung im Veranlagungszeitraum der Verausgabung steuermindernd zu berücksichtigen.
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Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
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Es beantragt,
das Urteil des FG Düsseldorf vom 23. September 2013 7 K 1549/13 E aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht die vom Kläger aufgewandten Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd berücksichtigt.
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1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418, und vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9).
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2. Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des BFH eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit (Senatsurteil vom 22. August 1958 VI 148/57 U, BFHE 67, 379, BStBl III 1958, 419; BFH-Urteile vom 18. Juli 1986 III R 178/80, BFHE 147, 171, BStBl II 1986, 745; vom 9. Mai 1996 III R 224/94, BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596; vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, BFHE 198, 94, BStBl II 2002, 382; vom 18. März 2004 III R 24/03, BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726, und vom 27. August 2008 III R 50/06, BFH/NV 2009, 553). Solche Kosten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war (BFH-Urteil in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596). Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des BFH im Allgemeinen bei einem Zivilprozess (BFH-Urteile in BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726, und in BFH/NV 2009, 553). Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen (BFH-Urteile in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596, und in BFH/NV 2009, 553).
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Demgegenüber nahm der Senat in seinem Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 (BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015) die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine. Diese Auffassung hat auch das FG dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt.
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Der Senat hält an seiner in dem Urteil in BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18. Juni 2015 VI R 17/14 (BFHE 250, 153, BStBl II 2015, 800) entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner in dem Urteil in BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 vertretenen Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des BFH zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf das Senatsurteil in BFHE 250, 153, BStBl II 2015, 800 Bezug genommen.
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3. Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten für die zivilprozessuale Auseinandersetzung als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig i.S. von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.
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a) Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung hat daher keinen Bestand.
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b) Der Senat kann aufgrund der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen in der Sache selbst entscheiden. Die vom Kläger getragenen Prozesskosten sind im Ergebnis nicht als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd zu berücksichtigen.
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Die Kläger des Zivilprozesses begehrten in dem Verfahren vor dem LG nach dem vom FG festgestellten Inhalt der Klageschrift Schmerzensgeld und die Feststellung, dass Dr. A verpflichtet sei, ihnen sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu erstatten, die ihnen aus Anlass der bei E in der Zeit ab August 2001 durchgeführten Behandlung entstanden seien bzw. entstehen würden, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen seien.
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aa) Die geltend gemachten Ansprüche wegen immaterieller Schäden betrafen weder hinsichtlich der Zahlungs- noch der Feststellungsklage existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens. Der Kläger lief ohne die Geltendmachung dieser Ansprüche nicht Gefahr, die Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse und die seiner Kinder in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können. Schmerzensgeldansprüche sollen den dem Geschädigten entstandenen immateriellen Schaden ausgleichen. Schmerzensgeld kann nur für Nichtvermögensschäden verlangt werden. Der Verletzte soll einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden erhalten (Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 75. Aufl., § 253 Rz 4, m.w.N.). Für die Bemessung des Schmerzensgeldes ist in erster Linie die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen (Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen des Bundesgerichtshofs vom 6. Juli 1955 GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 157).
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Ansprüche wegen immaterieller Schäden betreffen aber nicht den existenziellen Bereich i.S. des § 33 EStG, auch wenn sie auf den Ausgleich von Nichtvermögensschäden durch eine Beeinträchtigung der körperlichen Gesundheit gerichtet sind (ebenso FG Münster, Urteil vom 30. März 2006 3 K 5739/03 E, Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 1907). Sie mögen zwar von erheblicher wirtschaftlicher, nicht aber von existenzieller Bedeutung sein.
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bb) Soweit die Klage vor dem LG auf Feststellung der Schadensersatzpflicht für materielle Schäden gerichtet war, kann der Senat dahin stehen lassen, ob die Prozesskosten dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastungen zu beurteilen sind. Selbst wenn dies der Fall wäre, kommt eine steuermindernde Berücksichtigung dieser Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung im Ergebnis nicht in Betracht.
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Denn der Anteilsatz der als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigenden Aufwendungen ermittelt sich bei Prozesskosten dadurch, dass der Streitwert der Klageanträge, soweit sie einen existenziell wichtigen Bereich betreffen, zur Summe der Streitwerte aller Klageanträge ins Verhältnis gesetzt wird (BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 553).
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Selbst wenn der Senat revisionsrechtlich mangels gegenteiliger Feststellungen der Vorinstanz zugunsten des Klägers annähme, dass der Streitwert der Feststellungsanträge vollständig dem materiellen Schadensersatz zuzurechnen wäre und einen existenziell wichtigen Bereich berühren würde, ergäbe sich nach den eigenen Angaben des Klägers in der Klageschrift zu den Streitwerten im Zivilprozess ein Anteil der Feststellungsanträge zu allen Klageanträgen von 22.000 € zu 184.000 €, also von 11,96 %.
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Hiernach wäre von den insgesamt geltend gemachten Zivilprozesskosten in Höhe von 12.137,50 € lediglich ein Anteil von 1.451,65 € (11,96 % x 12.137,50 €) als außergewöhnliche Belastung anzusetzen. Nach Abzug der zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG in Höhe von 4 % des Gesamtbetrages der Einkünfte (4 % x 190.316 € = 7.612 €) und der bei der Einkommensteuerfestsetzung bereits anerkannten außergewöhnlichen Belastungen von 65 € sind dementsprechend keine außergewöhnlichen Belastungen steuermindernd zu berücksichtigen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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