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BFH 18.03.2014 - VII R 12/13
BFH 18.03.2014 - VII R 12/13 - Keine Steuerbegünstigung für den Konzerngesellschaften ohne Erlaubnis zur Verfügung gestellten Strom -- Unternehmensbegriff
Normen
§ 2 Nr 4 StromStG, § 5 Abs 1 StromStG, § 9 Abs 3 StromStG, § 9 Abs 4 StromStG, § 9 Abs 6 StromStG, § 16 Abs 1 StromStV, § 361 Abs 2 AO, § 119 Abs 2 S 1 AO, § 12 AO, § 2 UStG 1999
Vorinstanz
vorgehend FG Düsseldorf, 18. April 2012, Az: 4 K 2625/11 VSt, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Einem Unternehmen des Produzierenden Gewerbes steht für die Strommengen keine Steuerbegünstigung zu, die es seinen von ihm beherrschten und rechtlich selbstständigen Konzerngesellschaften, denen keine Erlaubnis zur steuerbegünstigten Verwendung von Strom erteilt worden ist, zur Verfügung stellt.
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2. NV: Die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung bzw. deren Bekanntgabe kann in jeder der in § 119 Abs. 2 Satz 1 AO genannten Form erfolgen.
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, die Tüten, Beutel und Taschen aus Papier sowie Kunststoffen herstellt und eine Erlaubnis nach § 9 Abs. 3 des Stromsteuergesetzes (StromStG) in der im Streitjahr geltenden Fassung (a.F.) besitzt. Sie war Alleingesellschafterin der X-GmbH und alleinige Kommanditistin einer GmbH & Co. KG (KG). Sowohl die X-GmbH als auch die KG wirkten in den Räumlichkeiten der Klägerin in deren Auftrag bei der Herstellung von Plastiktüten mit. Mit der Begründung, sie habe den entnommenen Strom nicht für eigene betriebliche Zwecke verwendet, sondern den steuerbegünstigten Strom an die X-GmbH und die KG weitergeleitet, setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --HZA--) mit Bescheid vom 20. Dezember 2005 für das Kalenderjahr 2003 36.066,95 € Stromsteuer, mit Bescheid vom 22. Dezember 2005 für das Kalenderjahr 2002 56.784,04 € Stromsteuer und mit Bescheid vom 27. Dezember 2005 für das Kalenderjahr 2001 101.560,90 € Stromsteuer gegen die Klägerin fest. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
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Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Klägerin habe den Strom zu anderen als in der Erlaubnis genannten Zwecken entnommen, weshalb die Stromsteuer nach § 9 Abs. 6 Satz 2 StromStG a.F. entstanden sei. Die der Klägerin erteilte Erlaubnis begründe eine personenbezogene Rechtsposition, die sich nicht auf die X-GmbH und die KG erstrecken könne. Beide Gesellschaften seien selbstständige Unternehmen und stromsteuerrechtlich kleinste rechtlich selbstständige Einheiten. Unerheblich seien die zivilrechtlichen Beziehungen zwischen ihnen und der Klägerin sowie der Umstand, dass beide Unternehmen über keine eigenen Räumlichkeiten verfügten. Entscheidend sei, dass sie den ihnen zur Verfügung gestellten Strom ohne eine Erlaubnis nach § 9 Abs. 4 StromStG a.F. verwendet hätten.
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Mit ihrer Revision wendet sich die Klägerin gegen die Rechtsansicht des FG, sie habe den Strom nicht zu eigenen betrieblichen Zwecken verwendet. Wie der Streitfall belege, gebe es Sachverhaltsgestaltungen, die eine strenge formale Personenbezogenheit der Erlaubnis nicht erforderten. Die Klägerin habe die X-GmbH und die KG mit dem Zweck gegründet, das Risiko der Anschaffung teurer Produktionsmaschinen zu vermeiden. Beide Tochterunternehmen, die von der Klägerin uneingeschränkt beherrscht würden, seien im Rahmen von Werkverträgen unter Beistellung der Materialien und des Stroms tätig geworden. Aufgrund des Umstands, dass das Einspruchsverfahren über vier Jahre gedauert habe, sei der vom HZA geltend gemachte Anspruch verwirkt. Daran könne auch § 171 Abs. 3a der Abgabenordnung (AO) nichts ändern, der unter Beachtung der Gebote der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit verfassungskonform dahingehend auszulegen sei, dass nach vier Jahren von einer Verwirkung des geltend gemachten Steueranspruchs ausgegangen werden müsse. Schließlich sei im Streitfall Zahlungsverjährung eingetreten. Die Verjährungsfrist sei nicht unterbrochen worden, denn das HZA habe eine Aussetzung der Vollziehung (AdV) nicht ohne den Erlass eines Verwaltungsakts gewähren können. Einen schriftlichen Bescheid habe die Klägerin jedoch nicht erhalten.
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Die Klägerin stellt die Anträge, das Urteil des FG sowie die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen aufzuheben und festzustellen, dass die streitigen Stromsteuerschulden wegen Zahlungsverjährung nicht mehr bestehen.
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Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Entgegen der Ansicht der Klägerin habe es mit Schreiben vom 8. April 2011 die Vollziehung der Abgabenbescheide ab Eintritt der Fälligkeit der Steuerforderungen ausgesetzt, weshalb Zahlungsverjährung nicht eingetreten sei. Erst im Rahmen ihrer Beschwerde über die Nichtzulassung der Revision habe sich die Klägerin auf den Eintritt der Zahlungsverjährung berufen. Dass sie die von ihr gegründeten Tochterunternehmen beherrsche, ändere nichts an deren rechtlicher Selbstständigkeit. Hinzu komme, dass die Tochterunternehmen ausschließlich mit Teilprozessen der Produktion der Kunststofftragetaschen befasst worden seien, die die Klägerin aus der eigenen Produktion ausgelagert habe. Die Steuerbegünstigung nach § 9 Abs. 3 StromStG a.F. könne nicht auf verbundene Unternehmen übertragen werden. Von einer Verwirkung des Steueranspruchs infolge einer überlangen Dauer des Einspruchsverfahrens könne im Streitfall nicht ausgegangen werden.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Urteil entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Klägerin keine Begünstigung nach § 9 Abs. 3 StromStG a.F. zusteht. Dabei kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob die Weiterleitung des Stroms an die X-GmbH und die KG zu einer Steuerentstehung nach § 9 Abs. 6 Satz 2 StromStG a.F. führt oder ob die Steuerentstehung wegen einer fehlenden Entnahme des Stroms durch die Klägerin auf § 5 Abs. 1 Satz 1 StromStG bzw. trotz einer Beibehaltung des Status als Letztverbraucher auf einer Differenzbesteuerung nach § 16 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Stromsteuergesetzes a.F. i.V.m. einer entsprechenden Anwendung des § 9 Abs. 6 Satz 2 StromStG a.F. beruht. In allen Fällen kommt es jedenfalls deshalb nicht zu einer Steuerbegünstigung der Klägerin nach § 9 Abs. 3 StromStG a.F., weil ihre Konzerngesellschaften X-GmbH und KG nach den bindenden Feststellungen des FG in den Streitjahren (noch) keine Erlaubnis i.S. des § 9 Abs. 4 StromStG a.F. hatten.
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1. Gemäß § 9 Abs. 3 StromStG a.F. unterliegt Strom einem ermäßigten Steuersatz, wenn er von Unternehmen des Produzierenden Gewerbes oder Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft für betriebliche Zwecke entnommen wird. Die Begünstigung setzt voraus, dass es sich um ein Unternehmen i.S. des § 2 Nr. 4 StromStG handelt, das produzierend tätig ist und den entnommenen Strom für eigenbetriebliche Zwecke verwendet. Ausgeschlossen von der Begünstigung ist eine Verteilung des einem ermäßigten Steuersatz unterliegenden Stroms an Dritte.
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a) Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Klägerin ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes ist. Auch ist sie nach den Feststellungen des FG im Besitz einer Erlaubnis zur Entnahme steuerbegünstigten Stroms (§ 9 Abs. 4 StromStG a.F.). Im Streitfall hat sie jedoch einen Teil des auf ihrem Betriebsgelände verbrauchten Stroms nicht selbst und damit zu eigenbetrieblichen Zwecken verwendet, sondern sie hat ihn im Rahmen von Werkverträgen anderen Unternehmen zur Verfügung gestellt, die in ihrem Auftrag Teile der Produktion übernommen haben.
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b) Stromsteuerrechtlich begünstigt ist nach § 2 Nr. 4 StromStG die jeweils kleinste rechtlich selbstständige Einheit und nicht ein Unternehmensverbund, wie dies z.B. in einem Organkreis der Fall ist. Der in dieser Weise verstandene Unternehmensbegriff des Stromsteuerrechts ist nicht deckungsgleich mit dem Unternehmensbegriff des § 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) oder mit dem Betriebsstättenbegriff des § 12 AO. Vielmehr ist zur Auslegung des in § 9 Abs. 3 StromStG a.F. verwendeten Unternehmensbegriffs auf die mit diesen Regelungen verbundene stromsteuerrechtliche Zielsetzung abzustellen.
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2. Wie der Senat entschieden hat, kommt eine Steuerentlastung in den Fällen nicht in Betracht, in denen ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes auf dem eigenen Betriebsgelände einem anderen Unternehmen Strom zur Verfügung stellt, damit Mitarbeiter dieses Unternehmens im Rahmen eines Werkvertrags einen Teil der Produktion übernehmen (Senatsurteil vom 25. September 2013 VII R 64/11, BFHE 242, 460, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2014, 49). Die selbstständige Tätigkeit des Werkunternehmers kann dem Auftraggeber stromsteuerrechtlich nicht zugerechnet werden. Dabei kann es weder auf die Art und das Ausmaß der Einbindung des Auftragnehmers in den Produktionsablauf noch auf die nähere Ausgestaltung des jeweiligen Werkvertrags ankommen.
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Von jenem Fall unterscheidet sich der Streitfall lediglich dadurch, dass die Klägerin die für sie im Rahmen von Werkverträgen tätigen Unternehmen selbst gegründet hat und aufgrund der Beteiligungsverhältnisse beherrscht. Dies ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass es sich bei der X-GmbH und der KG um eigenständige Unternehmen i.S. des § 2 Nr. 4 StromStG handelt, denen für ihre Produktionstätigkeit eine eigene Erlaubnis nach § 9 Abs. 4 StromStG a.F. hätte erteilt werden können. Für die streitigen Kalenderjahre bestanden jedoch keine entsprechenden Erlaubnisse. Diese sind nach den Feststellungen des FG erst für spätere Kalenderjahre erteilt worden.
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Da die Erlaubnis personen- bzw. unternehmensbezogen erteilt wird (Senatsurteil vom 22. November 2011 VII R 22/11, BFHE 235, 95, ZfZ 2012, 54), liegt eine zweckgerechte Verwendung des begünstigten Stroms nur dann vor, wenn dieser auch vom jeweiligen Erlaubnisinhaber verwendet und nicht an andere selbstständige Unternehmen i.S. des § 2 Nr. 4 StromStG abgegeben wird. Im Fall der Ausgliederung von Teilen einer Produktion bestimmter Güter kann es dabei stromsteuerrechtlich keinen Unterschied machen, ob das im Rahmen eines Werkvertrags mit der Produktion beauftragte Unternehmen unabhängig von der Willensbildung des auftraggebenden Unternehmens handeln kann oder in dieses nach den konkreten Verhältnissen eingegliedert (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG) oder in sonstiger Weise gesellschaftsrechtlich verbunden ist. Infolgedessen kann im Streitfall nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin den an ihre Tochtergesellschaften geleisteten Strom gemäß der ihr erteilten Erlaubnis für betriebliche Zwecke verwendet hat.
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3. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Anspruch nicht zahlungsverjährt, denn die Verjährung wurde durch die Gewährung der AdV unterbrochen (§ 231 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Ansicht der Klägerin, eine AdV müsse stets durch einen gesonderten Bescheid erfolgen, findet keine Stütze in § 361 AO. Nach § 361 Abs. 2 AO kann die Finanzbehörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Da diese Bestimmung keine besondere Form vorschreibt, kann die Aussetzungsentscheidung in jeder der in § 119 Abs. 2 Satz 1 AO genannten Form und damit selbst mündlich ergehen (Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 361 AO Rz 752). Im Streitfall hat das HZA mit Schreiben vom 8. April 2011, in dem es auf sämtliche streitgegenständliche Steuerbescheide Bezug genommen hat, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Mahnungen der Klägerin "aufgrund der tatsächlichen Gewährung der Vollziehungsaussetzung ab Fälligkeit" gegenstandslos geworden seien. Damit kann kein Zweifel über die tatsächliche Gewährung der AdV der im Betreff des Schreibens ausdrücklich genannten Steuerbescheide vom 20., 22. und 27. Dezember 2005 bestehen, denen zufolge die Steuern zum 9. bzw. 5. Januar 2006 zu entrichten waren. Ob darüber hinaus das an das FG gerichtete Schreiben des HZA vom 29. November 2011 der Klägerin übermittelt worden ist und in dem Hinweis "Die Vollziehung der noch streitigen drei Steuerbescheide ist ab Fälligkeit ausgesetzt." die Bekanntgabe der AdV gesehen werden kann (vgl. hierzu Senatsurteil vom 23. Februar 2010 VII R 9/08, BFHE 229, 5, BStBl II 2011, 667), kann daher offen bleiben.
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4. Der Steueranspruch ist auch nicht deshalb verwirkt, weil über die im Januar 2006 eingelegten Einsprüche erst im Juli 2011 entschieden worden ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) führt allein eine überlange Verfahrensdauer nicht zur Verwirkung. Denn die Annahme einer Verwirkung setzt ein bestimmtes Verhalten der Finanzbehörde voraus, aufgrund dessen der Steuerpflichtige bei objektiver Betrachtung annehmen darf, die Behörde werde den Anspruch nicht mehr geltend machen (Senatsurteil vom 27. September 1988 VII R 181/85, BFHE 154, 406). Eine bloße Untätigkeit der Finanzbehörde schafft noch keinen Vertrauenstatbestand, der auf einen Verzicht der Finanzbehörde auf die Geltendmachung des Anspruchs schließen lassen könnte (BFH-Entscheidungen vom 1. Dezember 2004 I B 163/04, I S 11/04, BFH/NV 2005, 895, und vom 7. Juli 2004 X R 24/03, BFHE 206, 292, 302, BStBl II 2004, 975). Aufgrund der konkreten Umstände des Streitfalls liegt die Annahme fern, das HZA habe durch sein Verhalten einen solchen Vertrauenstatbestand geschaffen. Die Klägerin trägt selbst vor, die Sache habe nach ihrem letzten Schreiben vom 29. September 2006 bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung im Juli 2011 "geruht". Aufgrund der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung kommen entgegen der Auffassung der Klägerin eine analoge Anwendung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO auf das Einspruchsverfahren und eine dahingehende verfassungskonforme Auslegung des § 171 Abs. 3a AO nicht in Betracht.
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