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BFH 10.10.2011 - III B 126/10
BFH 10.10.2011 - III B 126/10 - Grundsätzliche Bedeutung
Normen
§ 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 110 Abs 1 AO, § 116 Abs 3 S 3 FGO
Vorinstanz
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 25. Juni 2010, Az: 12 K 1523/07, Urteil
Leitsatz
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NV: Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde mit der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache begründet, muss u.a. dargelegt werden, warum die Rechtsfrage klärungsbedürftig sein soll. Dieser Darlegungsanforderung genügt der Beschwerdeführer nicht, wenn er nur vorträgt, dass die Möglichkeit des Adressaten fristauslösender Verwaltungsakte, Hilfspersonen mit der Entgegennahme der Sendung zu beauftragen, auf bestimmte Fälle beschränkt werden müsse, in denen eine solche Beauftragung geboten sei.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) bezog für seinen im September 1985 geborenen Sohn M bis einschließlich Juli 2005 Kindergeld. Der Aufforderung der Beklagten und Beschwerdeführerin (Familienkasse) vom 21. Dezember 2005, das Fortbestehen der Anspruchsvoraussetzungen nach Vollendung des 18. Lebensjahres des M nachzuweisen, entsprach er nicht. Daraufhin hob die Familienkasse mit Bescheid vom 2. Mai 2006 die Kindergeldfestsetzung ab Oktober 2003 auf und forderte das für den Zeitraum Oktober 2003 bis Juli 2005 bereits ausgezahlte Kindergeld in Höhe von 3.388 € zurück.
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Mit dem bei der Familienkasse am 18. Juli 2006 eingegangenen Schreiben vom 17. Juli 2006 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 2. Mai 2006 "Widerspruch" ein. Diesem fügte er Nachweise bei, wonach M bis 29. Juni 2005 die Schule besucht, diese mit der allgemeinen Hochschulreife abgeschlossen und im Jahr 2005 keine Einkünfte und Bezüge gehabt habe. Mit Schreiben vom 13. August 2006 stellte der Kläger einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumte Einspruchsfrist. Zur Begründung wies er darauf hin, dass ihm das Schreiben erst Anfang Juli zugeleitet worden sei. Hierzu reichte er eine eidesstattliche Erklärung seiner Ehefrau vom 15. September 2006 nach, in der diese erklärte, sie habe das Schreiben vom 2. Mai 2006 in Empfang genommen, es aber verlegt und ihrem Mann erst auf dessen Nachfrage hin Anfang Juli 2006 ausgehändigt.
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Die Familienkasse lehnte eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab und verwarf den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 25. April 2007 als unzulässig.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage --nach beiderseitigem Verzicht auf mündliche Verhandlung-- statt und hob den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 2. Mai 2006 auf.
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Mit ihrer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Familienkasse die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) und Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend.
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Die grundsätzliche Bedeutung ergebe sich daraus, dass das FG davon ausgehe, ein Steuerpflichtiger könne bei der Bekanntgabe fristauslösender Bescheide Hilfspersonen unabhängig davon einschalten, ob die Umstände eine solche Beauftragung als geboten erscheinen ließen.
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Das Urteil des FG stehe nicht in Einklang mit der zu § 110 der Abgabenordnung (AO) ergangenen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH). Mit Urteil vom 13. Juli 1995 V R 51/94 (BFH/NV 1996, 193) habe der BFH entschieden, dass eine Fristversäumnis nur dann als entschuldigt anzusehen sei, wenn sie durch die äußerste, den Umständen des Einzelfalles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht habe verhindert werden können. In weiteren Entscheidungen (BFH-Urteile vom 11. Januar 1983 VII R 92/80, BFHE 137, 399, BStBl II 1983, 334; vom 12. August 1986 VII R 202/83, BFH/NV 1988, 89; BFH-Beschlüsse vom 23. Oktober 2001 VIII B 51/01, BFH/NV 2002, 162, und vom 11. April 2001 I B 123/00, BFH/NV 2001, 1221) habe der BFH gefordert, dass ein längerfristig abwesender Steuerpflichtiger Vorkehrungen zur Entgegennahme und Durchsicht der Post treffen müsse, um seinen Sorgfaltspflichten bei der Bekanntgabe fristauslösender Bescheide zu genügen. Im vorliegenden Fall habe dagegen kein Anlass bestanden, eine Hilfsperson mit der Entgegennahme und Durchsicht der Post zu beauftragen, da der Kläger nur während seiner arbeitstäglichen Berufsausübung von seiner Wohnung abwesend gewesen sei.
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Das Urteil des FG leide zudem an Verfahrensmängeln. Zum einen habe das FG keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger eine Hilfsperson ausgewählt, unterwiesen und mit der Entgegennahme der Post beauftragt habe. Zum anderen habe das FG den Zeitpunkt, zu dem das den Wiedereinsetzungsantrag begründende Hindernis weggefallen sei, nicht festgestellt.
Entscheidungsgründe
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II.Die Beschwerde ist unzulässig und deshalb durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO).
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1. Die Familienkasse hat die behauptete grundsätzliche Bedeutung nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechenden Weise dargelegt.
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a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen muss in der Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Die bloße Behauptung, die Streitsache habe grundsätzliche Bedeutung, genügt dafür nicht. Der Beschwerdeführer muss vielmehr konkret auf die Rechtsfrage und ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingehen (vgl. BFH-Beschluss vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479).
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b) Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Familienkasse nicht. Sie will die Klärung der Frage erreichen, ob ein Kindergeldberechtigter bei der Bekanntgabe fristauslösender Verwaltungsakte Hilfspersonen einschalten kann, unabhängig davon, ob eine solche Beauftragung geboten war.
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Allein mit dem Vortrag, im Hinblick auf den Begriff des Verschuldens i.S. des § 110 Abs. 1 AO werde zu Lasten der Rechtssicherheit die Verantwortung des Steuerpflichtigen für solche (fristauslösenden) Vorgänge auf dessen Familienangehörige ausgedehnt und damit in einen Bereich, der der Behörde unzugänglich sei, wird die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) jedoch nicht hinreichend dargelegt. Aus der Beschwerdebegründung geht auch nicht hervor, weshalb die Rechtsfrage klärungsbedürftig sein soll. Insbesondere hat die Familienkasse nicht dargelegt, welche unterschiedlichen Rechtsauffassungen zu dieser Rechtsfrage bestehen oder bestehen können. Dem Vortrag ist nur zu entnehmen, dass die Familienkasse die Möglichkeit des Adressaten eines Verwaltungsakts, Hilfspersonen mit der Entgegennahme der Sendung zu beauftragen, auf bestimmte Fälle beschränken möchte. In welchen Fällen und aus welchen Gründen eine solche Beschränkung angezeigt sein soll, hat die Familienkasse nicht dargelegt. Auch fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der bisher in diesem Bereich ergangenen Rechtsprechung des BFH (s. etwa Urteile in BFHE 137, 399, BStBl II 1983, 334; vom 4. März 1986 VII R 78/84, BFH/NV 1986, 622, und vom 19. Juli 1994 II R 74/90, BFHE 175, 302, BStBl II 1994, 946; Beschluss in BFH/NV 2002, 162). Danach muss der Steuerpflichtige zwar für das Verschulden von Hilfspersonen einstehen, sofern er bei Auswahl, Unterweisung und Beaufsichtigung der Hilfspersonen schuldhaft gehandelt hat. Woraus sich jedoch ergeben soll, dass bereits die Einschaltung einer Hilfsperson ein Verschulden i.S. des § 110 Abs. 1 AO darstellt, wenn besondere Gründe (wie z.B. längere Krankheit oder längere Urlaubsabwesenheit) für die Beauftragung fehlen, hat die Familienkasse nicht dargelegt. Tatsächlich ergeben sich aus den zitierten Entscheidungen auch keine Anhaltspunkte für eine solche Einschränkung der Möglichkeit, Hilfspersonen bei der Entgegennahme der Post einzuschalten.
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Soweit die Familienkasse Einwände gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils erhebt, wird damit nicht die grundsätzliche Bedeutung oder ein sonstiger Zulassungsgrund dargelegt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. September 2008 IX B 110/08, BFH/NV 2009, 39; vom 30. September 2010 IX B 66/10, BFH/NV 2010, 2296).
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2. Mit der Rüge, das FG sei von der Entscheidung des BFH in BFH/NV 1996, 193 abgewichen, hat die Familienkasse keinen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO dargelegt.
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a) Begehrt der Beschwerdeführer die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO wegen einer Abweichung des angefochtenen Urteils von Entscheidungen des BFH, so muss er tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem Urteil der Vorinstanz einerseits und den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen. Des Weiteren ist auszuführen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und eine identische Rechtsfrage handelt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 13. Dezember 2005 VIII B 74/05, BFH/NV 2006, 740, und vom 5. Dezember 2007 VIII B 79/07, BFH/NV 2008, 732).
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b) Vorliegend fehlt es an der Darstellung, dass die dem Streitfall und der Divergenzentscheidung zugrunde liegenden Sachverhalte vergleichbar sind.
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Tatsächlich lag der Entscheidung des BFH in BFH/NV 1996, 193 ein vergleichbarer Sachverhalt nicht zugrunde, da im Urteilsfall keine Hilfsperson in den Bekanntgabevorgang eingeschaltet war. Vielmehr hatte der Kläger des Urteilsfalls seinen Wiedereinsetzungsantrag damit begründet, dass er die in seinen Hausbriefkasten eingelegte Benachrichtigung des Postbediensteten über die Niederlegung des Schriftstücks bei der Postanstalt möglicherweise deshalb nicht erhalten habe, weil er täglich mehrere Zeitungen zugesandt bekomme und die Benachrichtigung in einer Zeitung "verschwunden" sei. Hinsichtlich der weiteren von der Familienkasse benannten Entscheidungen des BFH hat sie bereits selbst vorgetragen, dass keine dem vorliegenden Fall vergleichbaren Sachverhalte, sondern eine längerfristige Abwesenheit des Adressaten der bekanntgegebenen Verwaltungsakte vorlag.
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3. Soweit die Familienkasse einen Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend macht, führt dies ebenso wenig zum Erfolg. Auch insoweit hat sie einen Verfahrensmangel schon nicht in der durch § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geforderten Art und Weise dargelegt.
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a) Sie rügt die Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO), weil das FG keine Feststellungen dazu getroffen habe, ob der Kläger zum einen eine Hilfsperson ausgewählt, unterwiesen und mit der Entgegennahme der Post beauftragt habe und ob er zum anderen seinen Wiedereinsetzungsantrag fristgerecht gestellt habe. Insoweit hätte es jedoch eines substantiierten Vortrags u.a. dazu bedurft, welche konkreten Beweise das FG von Amts wegen hätte erheben müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern sie auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätten führen können (z.B. BFH-Beschlüsse vom 10. April 2006 X B 162/05, BFH/NV 2006, 1332; vom 22. Mai 2007 X B 143/06, BFH/NV 2007, 1692).
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b) Ein Verfahrensmangel ergibt sich insbesondere nicht aus der unterlassenen Vernehmung der Ehefrau des Klägers. Nach Aktenlage hatte nur der Kläger mit Schriftsätzen vom 29. Mai 2007 und 27. August 2007 beantragt, seine Ehefrau als Zeugin zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass sie den Bescheid vom 2. Mai 2006 erst verspätet an den Kläger weitergegeben habe, obwohl sie ihm sonst alle eingegangenen Schreiben immer zuverlässig vorgelegt habe. Laut Aktenvermerk des Einzelrichters hatte der Vertreter der Familienkasse am 21. Juni 2010 bereits telefonisch seinen Verzicht auf die Vernehmung der Ehefrau erklärt. Mit Schriftsätzen vom 21. Juni 2010 verzichteten dann beide Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO); damit erklärten sie zugleich den Verzicht auf die zuvor beantragte Zeugeneinvernahme (BFH-Beschlüsse vom 5. Oktober 2000 V B 74/00, BFH/NV 2001, 330; vom 2. August 2006 VII S 56/05 (PKH), BFH/NV 2006, 2116, und vom 26. Oktober 2006 VII B 272/05, BFH/NV 2007, 725).
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