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BFH 12.01.2011 - I R 91/09
BFH 12.01.2011 - I R 91/09 - Anforderungen an die satzungsgemäße Vermögensbindung
Normen
§ 52 AO, § 55 Abs 1 Nr 4 S 1 AO, § 55 Abs 1 Nr 4 S 2 AO, § 59 AO, § 61 Abs 1 AO, § 5 Abs 1 Nr 9 KStG 1999, § 5 Abs 1 Nr 9 KStG 2002
Vorinstanz
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 19. Januar 2009, Az: 4 K 2574/07, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Eine steuerlich ausreichende Vermögensbindung liegt vor, wenn in der Satzung ein gemeinnütziger Zweck konkret benannt wird und Empfänger des Vermögens nur ein als gemeinnützig anerkannter Verein sein kann, der diesen satzungsmäßigen Zweck verfolgt und der die Mittel nur für diese Zwecke verwenden darf.
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2. NV: Es genügt, wenn ein Verein nur für den Fall seiner Auflösung oder bei Wegfall seines bisherigen Zwecks eine Bestimmung hinsichtlich der Verwendung seines Vermögens trifft, nicht aber für den Fall seiner "Aufhebung".
Tatbestand
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I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein eingetragener Verein. Nach § 2 seiner Satzung verfolgt er "ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige mildtätige religiöse Zwecke im Sinne des Abschnitts Steuerbegünstigte Zwecke der Abgabenordnung". Grundlage hierfür ist nach den weiteren Ausführungen in der Satzung die islamische Lehre. Vereinszweck ist u.a. die Verbreitung der Botschaft des Islam durch Institutionen islamischer Einrichtungen, die Zusammenarbeit mit anderen islamischen Vereinen bzw. Institutionen, die Durchführung von wissenschaftlichen und informativen Veranstaltungen, die Förderung der Erziehung durch Unterricht und die Unterstützung bedürftiger Personen.
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Nach der für die Streitjahre (1999 bis 2006) geltenden Satzung (§ 8 Nr. 5) fällt das Vermögen des Klägers bei dessen Auflösung oder bei Wegfall des bisherigen Zwecks nach Begleichung aller Verpflichtungen an einen als gemeinnützig anerkannten Verein, der der marokkanischen Kultur verpflichtet ist und der es unmittelbar und ausschließlich für gemeinnützige, mildtätige, religiöse Zwecke verwenden darf.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) hob die für die Streitjahre zunächst ergangenen Freistellungsbescheide gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) --in der in den Streitjahren geltenden Fassung-- auf und setzte die Körperschaftsteuer jeweils mit 0 DM bzw. mit 0 € fest. Dies begründete das FA im Wesentlichen damit, dass der Kläger stark durch die Ideologie der Muslimbruderschaft beeinflusst sei, mit der auch personelle Verflechtungen bestünden. Aufgrund dieser ideologischen Beeinflussung sei davon auszugehen, dass sich die tatsächliche Geschäftsführung des Klägers nicht im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung bewege.
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Nachdem das Hessische Finanzgericht (FG) den Antrag des Klägers auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide mit der Begründung abgelehnt hatte, dass die Satzung nicht den Vorgaben des § 61 AO bezüglich der Vermögensbindung entspreche, hat der Kläger die Satzung erneut geändert. Die diesbezügliche Regelung lautet nunmehr: "Bei Auflösung des Vereins oder bei Wegfall des steuerbegünstigten Zwecks fällt das Vermögen des Vereins nach Abzug der Verbindlichkeiten an eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder eine andere steuerbegünstigte Körperschaft zwecks Verwendung für die Förderung und Pflege der islamischen Religionslehre und Glaubenskultur."
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Das FG wies die Klage mit Urteil vom 19. Januar 2009 4 K 2574/07 mit der Begründung ab, die satzungsmäßigen Voraussetzungen der Vermögensbindung nach § 61 AO lägen nicht vor.
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Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt sinngemäß, das Urteil des FG und die Körperschaftsteuerbescheide 1999 bis 2004 vom 15. Februar 2007 sowie die Einspruchsentscheidung vom 7. August 2007 aufzuheben.
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Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Das FG hat zu Unrecht angenommen, der Kläger habe die Voraussetzungen der Vermögensbindung nach § 61 AO nicht eingehalten.
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1. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes sind von der Körperschaftsteuer befreit Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nach der Satzung, dem Stiftungszweck und der sonstigen Verfassung nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen. Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Eine Förderung oder Unterstützung geschieht nur dann selbstlos, wenn u.a. bei Auflösung oder Aufhebung der Körperschaft oder bei Wegfall ihres bisherigen Zwecks das Vermögen der Körperschaft, soweit es die eingezahlten Kapitalanteile der Mitglieder und den gemeinen Wert der von den Mitgliedern geleisteten Sacheinlagen übersteigt, nur für steuerbegünstigte Zwecke verwendet werden darf (sog. Grundsatz der Vermögensbindung, § 55 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 AO). Diese Voraussetzung ist auch erfüllt, wenn das Vermögen einer anderen steuerbegünstigten Körperschaft oder einer Körperschaft des öffentlichen Rechts für steuerbegünstigte Zwecke übertragen werden soll (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 AO). Durch den Grundsatz der Vermögensbindung soll sichergestellt werden, dass das Vermögen, das die Körperschaft unter den Vorgaben des Gemeinnützigkeitsrechts gebildet hat, auch auf Dauer für steuerbegünstigte Zwecke verwendet wird.
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2. Die Vermögensbindung muss in die Satzung der Körperschaft aufgenommen werden (§ 59 AO). Eine steuerlich ausreichende Vermögensbindung liegt vor, wenn der Zweck, für den das Vermögen bei Auflösung oder Aufhebung der Körperschaft oder bei Wegfall ihres bisherigen Zwecks verwendet werden soll, in der Satzung so genau bestimmt ist, dass aufgrund der Satzung geprüft werden kann, ob der Verwendungszweck steuerbegünstigt ist (§ 61 Abs. 1 AO).
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Die gesetzlich vorgeschriebene Festschreibung der künftigen Vermögensverwendung hat die Funktion eines Buchnachweises (vgl. z.B. Senatsurteile vom 10. November 1998 I R 95/97, BFH/NV 1999, 739; vom 26. Februar 1992 I R 47/89, BFH/NV 1992, 695; vom 19. April 1989 I R 3/88, BFHE 156, 381, BStBl II 1989, 595; vom 13. Dezember 1978 I R 39/78, BFHE 127, 330, BStBl II 1979, 482; Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. August 1992 X R 165/88, BFHE 169, 3, BStBl II 1992, 1048; vom 23. Juli 2009 V R 20/08, BFHE 226, 445, BStBl II 2010, 719). Das hat zur Folge, dass weder auf außerhalb der Satzung getroffene Vereinbarungen oder auf Regelungen in anderen Satzungen Bezug genommen werden darf noch auf die steuerbegünstigten Zwecken tatsächlich entsprechende Geschäftsführung verwiesen werden kann. Die bloße Benennung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts als Destinatär genügt daher nicht (Senatsurteil vom 21. Juli 1999 I R 2/98, BFH/NV 2000, 297).
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Es entspricht allerdings ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats, die formelle Satzungsmäßigkeit zu bejahen, wenn sich die satzungsmäßigen Voraussetzungen für die Steuervergünstigung aufgrund der Auslegung aller Satzungsbestimmungen der die Steuerbefreiung begehrenden Körperschaft ergeben (Senatsurteile in BFHE 127, 330, BStBl II 1979, 482; vom 13. August 1997 I R 19/96, BFHE 183, 371, BStBl II 1997, 794, m.w.N.). Dabei ist der Auslegung gemäß § 60 Abs. 2 AO die im jeweiligen Veranlagungszeitraum geltende Satzung zugrunde zu legen.
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3. Das FG hat angenommen, im Streitfall sei in § 8 Nr. 5 der für die Streitjahre gültigen Satzung keine gemeinnützige Körperschaft konkret benannt, der das Restvermögen zufließen solle. Durch die Aussage, der Verein, an den das Vermögen des Klägers fallen solle, müsse der marokkanischen Kultur verpflichtet sein, sei satzungsmäßig nicht hinreichend sichergestellt, dass eine Verwendung für gemeinnützige Zwecke i.S. des § 52 AO in der für die Streitjahre gültigen Fassung erfolgen werde. Vielmehr könne erst im Zeitpunkt des Vermögensanfalls anhand des konkreten Vereinszwecks des Vermögensempfängers geprüft werden, ob dessen Tätigkeit darauf gerichtet sei, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.
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4. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht in vollem Umfang stand. Der Kläger hat zwar in seiner für die Streitjahre gültigen Satzung eine gemeinnützige Körperschaft, an die sein Restvermögen im Fall seiner Auflösung oder bei Wegfall seines bisherigen Zwecks fließen soll, nicht namentlich aufgeführt. Dies ist indessen nach dem Gesetz nicht erforderlich. Er hat in seiner Satzung einen gemeinnützigen Zweck i.S. des § 52 AO konkret benannt, nämlich die Förderung der marokkanischen Kultur (§ 52 Abs. 2 Nr. 1 AO); ferner hat er sichergestellt, dass Empfänger des Vermögens nur ein als gemeinnützig anerkannter Verein sein kann, der diesen satzungsmäßigen Zweck (auch) verfolgt und der die Mittel nur für gemeinnützige, mildtätige und religiöse --also für seine satzungsmäßigen steuerbegünstigten-- Zwecke verwenden darf. Bei einer derartigen Formulierung ist hinreichend aus der Satzung ersichtlich, dass das Vermögen des Klägers auch bei seiner Auflösung oder Wegfalls seines bisherigen Zwecks für steuerbegünstigte Zwecke verwendet wird. Weiterer Ausführungen dazu, wie der Satzungszweck "Förderung der marokkanischen Kultur" konkret durch die begünstigte Körperschaft verwirklicht wird, bedarf es im Rahmen des § 61 Abs. 1 AO nicht.
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5. Soweit im Revisionsverfahren erstmals die Frage aufgeworfen wurde, ob die Satzungsbestimmung insoweit den Anforderungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO genügt, als der Kläger nur für den Fall seiner Auflösung oder bei Wegfall seines bisherigen Zwecks eine Bestimmung hinsichtlich der Verwendung seines Vermögens getroffen hat, nicht aber für den Fall seiner "Aufhebung", teilt der Senat die Auffassung der Beteiligten, dass dies angesichts dessen, dass der Kläger ein Verein ist und daher nicht "aufgehoben" werden kann, nicht erforderlich war. Eine "Aufhebung" kommt nur bei Stiftungen in Betracht (§ 87 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs; vgl. auch Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 7. Juli 2010, BStBl I 2010, 630). Unter den Begriff "Aufhebung" können auch nicht sämtliche staatlich angeordneten Zwangsbeendigungen erfasst werden. Denn wie das FA zutreffend ausführt, fällt die gerichtliche oder behördliche Beendigung einer GmbH gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung unter den Fall der "Auflösung", was dafür spricht, dass der Gesetzgeber mit den Begriffen "Auflösung oder Aufhebung" einen einheitlichen Beendigungstatbestand normieren wollte. Dem steht nicht das BFH-Urteil in BFHE 226, 445, BStBl II 2010, 719 entgegen. Denn in dem diesem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der Verein keine Regelung darüber getroffen, wie sein Vermögen bei Wegfall seines bisherigen Zwecks verwendet werden sollte.
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6. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Sein Urteil ist daher aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FA hat die Freistellungsbescheide für die Streitjahre deshalb aufgehoben, weil es der Auffassung war, die tatsächliche Geschäftsführung des Klägers habe sich in den Streitjahren nicht im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung bewegt. Das FG hat hierzu --aus seiner Sicht zu Recht-- keine Feststellungen getroffen. Die Sache ist daher zur Nachholung entsprechender Feststellungen an das FG zurückzuverweisen.
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