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BFH 25.11.2010 - III R 23/10
BFH 25.11.2010 - III R 23/10 - Kein Abzug von Beiträgen zur VBL-Pflichtversicherung im Rahmen der Grenzbetragsprüfung
Normen
§ 32 Abs 4 S 2 EStG 2002, Art 3 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 18. März 2010, Az: 4 K 1343/06, Urteil
Leitsatz
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NV: Beiträge eines gesetzlich rentenversicherten Kindes zur tarifvertraglich vorgesehenen VBL-Pflichtversicherung sind bei der Grenzbetragsprüfung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht von dessen Einkünften und Bezügen abzuziehen .
Tatbestand
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I. Die 1984 geborene Tochter (T) des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) befand sich von September 2002 bis Juni 2005 in einer Ausbildung bei der Bundesagentur für Arbeit. Ihr Berufsausbildungsvertrag verweist in seinem § 2 auf den Tarifvertrag zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Nachwuchskräfte der Bundesagentur für Arbeit (Tarifvertrag) und ergänzende Tarifverträge. Von ihrem Entgelt werden aufgrund Tarifvertrags, dessen Geltung der Ausbildungsvertrag vorsieht, Arbeitnehmerbeiträge zur Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) einbehalten.
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Im Streitjahr 2004 bezog die Tochter eine Ausbildungsvergütung in Höhe von 10.894 €. Die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge (Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung) beliefen sich auf 2.280,46 € und die vom Arbeitgeber einbehaltenen und abgeführten Beiträge zur VBL auf insgesamt 156,86 €. Zu den Werbungskosten für das Kalenderjahr 2004 machte der Kläger keine Angaben.
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Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte den Antrag des Klägers auf Gewährung von Kindergeld ab, weil die Einkünfte und Bezüge der Tochter im Kalenderjahr 2004 mehr als 7.680 € betragen hätten. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Die Familienkasse führte aus, die Beiträge zur VBL könnten nicht abgezogen werden, so dass nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge und des Arbeitnehmer-Pauschbetrages ein zu berücksichtigendes Einkommen von 7.693,54 € verbleibe.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es entschied, beim Arbeitnehmeranteil zur VBL als nicht gesetzlicher Pflichtversicherung handele es sich für den Arbeitnehmer um unvermeidbare Aufwendungen, die den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung vergleichbar und bei der Berechnung der Einkünfte und Bezüge eines gesetzlich rentenversicherten Kindes mindernd zu berücksichtigen seien.
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Die Familienkasse rügt die unzutreffende Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
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Die Familienkasse beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Einkünfte um die VBL-Beiträge zu mindern sind (Senatsurteil vom 17. Juni 2010 III R 59/09, BFHE 230, 142).
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1. Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG besteht für ein volljähriges Kind Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.680 € im Kalenderjahr hat.
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2. Der Begriff der Einkünfte i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht dem in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 29. Mai 2008 III R 33/06, BFH/NV 2008, 1664). Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) würde eine andere Auslegung des Begriffs der Einkünfte, die von der "tradierten steuerlichen Terminologie" abwiche, dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang widersprechen und damit auch dem klar geäußerten Willen des Gesetzgebers.
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3. Nach Auffassung des BVerfG verstößt jedoch die Berücksichtigung der --einkommensteuerrechtlich den Sonderausgaben zuzurechnenden-- Sozialversicherungsbeiträge als Einkünfte des Kindes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), weil Eltern mit sozialversicherungspflichtigen Kindern, deren Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag nur wegen der als Einkünfte behandelten Sozialversicherungsbeiträge überschritten, gegenüber Eltern mit nicht sozialversicherungspflichtigen Kindern benachteiligt seien, deren Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag nicht überstiegen. Daher seien im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG Einkünfte --ebenso wie die Bezüge-- nur zu berücksichtigen, soweit sie zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet seien. Offen bleiben könne, "in welchen Fällen der Relativsatz im Einzelfall auf Einkünfte anzuwenden" sei. Jedenfalls seien diejenigen Beträge, die --wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge-- "von Gesetzes" wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht für den Unterhalt zur Verfügung stünden und deshalb die Eltern finanziell nicht entlasten könnten, nicht als Einkünfte anzusetzen. Daher ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, welche Teile der Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 2 EStG wegen eines sonst vorliegenden Grundrechtsverstoßes im Wege verfassungskonformer Einschränkung nicht angesetzt werden dürfen.
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4. Entsprechend diesen Grundsätzen hat der Senat durch Urteil vom 26. September 2007 III R 4/07 (BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738) entschieden, dass die Beiträge eines gesetzlich rentenversicherten Kindes zu privaten Rentenversicherungen bei der Ermittlung der kindergeldschädlichen Einkünfte und Bezüge nicht von den Einkünften abzuziehen seien. Bei den Beiträgen zu privaten Rentenversicherungen eines gesetzlich rentenversicherten Kindes handele es sich nicht um unvermeidbare Aufwendungen, weil sie nicht der aktuellen Existenzsicherung des Kindes, sondern einer über das staatliche Mindestmaß hinausgehenden Versorgung für künftige Zeiten dienten.
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5. Beiträge zur VBL-Pflichtversicherung mindern daher, wie der Senat bereits mit Urteil in BFHE 230, 142 entschieden hat, die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ebenfalls nicht, wenn das Kind --wie im Streitfall-- in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert ist. Die Einbeziehung der VBL-Pflichtversicherungsbeiträge in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) verstößt dann nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
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a) Eine gesetzliche Versicherungspflicht bei der VBL bzw. eine gesetzliche Verpflichtung zur Entrichtung von Beiträgen zur sog. VBL-Pflichtversicherung besteht nicht. Für die Entscheidung, ob Einkünfte dem Kind von Gesetzes wegen nicht zur Verfügung stehen, ist maßgeblich, ob sich das Kind der Zahlung aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung nicht entziehen kann. Nicht entscheidend ist, ob die fraglichen Beträge vom Arbeitgeber einzubehalten sind (Senatsurteil vom 16. November 2006 III R 74/05, BFHE 216, 69, BStBl II 2007, 527).
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Im Streitfall beruhen der Abschluss der Versicherung und damit auch die Entrichtung der Beiträge nicht auf einer gesetzlichen Verpflichtung. Vielmehr verweist der Ausbildungsvertrag der Tochter des Klägers auf tarifvertragliche Vorschriften, aus denen sich die Versicherungspflicht ergibt. Durch die Bezugnahme in einem Ausbildungs- bzw. Arbeitsvertrag auf tarifliche Regelungen werden diese zum Inhalt des Ausbildungsvertrags. Wenn danach Anteile der Einkünfte und Bezüge als Versicherungsbeiträge einbehalten und abgeführt werden, beruht dies auf Tarifvereinbarungen, die im Interesse der Beschäftigten ausgehandelt werden und die sich die Tochter zurechnen lassen muss.
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b) Das FG hat die Versicherungsbeiträge zur VBL-Pflichtversicherung zu Unrecht als unvermeidbare (zwangsläufige) Aufwendungen eingestuft. Unvermeidbar in diesem Sinne sind nur Aufwendungen für einen existenziell notwendigen Versicherungsschutz, der zur Absicherung gegen existenzgefährdende Wechselfälle des Lebens dient (vgl. Senatsurteil vom 14. Dezember 2006 III R 24/06, BFHE 216, 225, BStBl II 2007, 530).
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Die VBL-Pflichtversicherung ist eine gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung zusätzliche Absicherung. Ihre Leistungen bestehen nach § 25 der VBL-Satzung in der Zahlung von Betriebsrenten (Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenrente). Die VBL-Pflichtversicherung deckt also im Grundsatz dieselben Risiken ab wie die gesetzliche Rentenversicherung.
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Auch nach den zivilrechtlichen Unterhaltsregelungen sind Eltern, deren Kinder sich in Ausbildung befinden, nicht verpflichtet, die Kosten für die Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenvorsorge zu zahlen. Eine solche über das gesetzliche Maß hinausgehende Vorsorge gehört nicht zum Lebensbedarf des Kindes i.S. des § 1610 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (vgl. Erman/E.Hammermann, BGB, 12. Aufl., § 1610 Rz 8 f.; MünchKommBGB/Born, 5. Aufl., § 1610 Rz 71; Staudinger/Engler/Kaiser (2000), § 1610 Rz 154).
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c) Nur durch die Einbeziehung der VBL-Beiträge in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) wird eine mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbare Ungleichbehandlung mit den Fällen vermieden, in denen sich das Kind in Berufsausbildung befindet, in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert ist und sich --unabhängig von einer tarifvertraglichen Vorschrift-- zusätzlich privat gegen dieselben Risiken versichert, wie sie die VBL-Pflichtversicherung abdeckt. Die Beiträge zu einer solchen privaten Rentenversicherung sind bei der Prüfung, ob die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag überschreiten, nicht abziehbar (Senatsurteil in BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738). Wenn für die Abziehbarkeit von Rentenversicherungsbeiträgen im Ergebnis allein der Inhalt des betreffenden Tarifvertrags maßgeblich wäre, würden Eltern ungerechtfertigt benachteiligt, deren Kinder ohne eine entsprechende tarifvertragliche Vorschrift eine private Altersvorsorge treffen.
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6. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war sein Urteil aufzuheben. Die Sache ist spruchreif.
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Auf der Grundlage der den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) überstiegen die Einkünfte und Bezüge der T, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet waren, den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag von 7.680 €. Ihr Bruttoarbeitslohn von 10.894 € war um den Arbeitnehmer-Pauschbetrag gemäß § 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG von 920 € zu mindern. Abzüglich des Arbeitnehmeranteils zum Gesamtsozialversicherungsbeitrag von 2.280,46 € beliefen sich die Einkünfte und Bezüge der T damit auf insgesamt 7.693,54 €.
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