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EuGH 06.11.2018 - C-569/16, C-570/16
EuGH 06.11.2018 - C-569/16, C-570/16 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer) - 6. November 2018 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Arbeitszeitgestaltung – Richtlinie 2003/88/EG – Art. 7 – Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub – Arbeitsverhältnis, das durch den Tod des Arbeitnehmers endet – Nationale Regelung, nach der es nicht möglich ist, den Rechtsnachfolgern des Arbeitnehmers eine finanzielle Vergütung für von diesem nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub zu zahlen – Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 31 Abs. 2 – Möglichkeit der Geltendmachung in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen“
Leitsatz
In den verbundenen Rechtssachen C-569/16 und C-570/16
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesarbeitsgericht (Deutschland) mit Entscheidungen vom 18. Oktober 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 10. November 2016, in den Verfahren
Stadt Wuppertal
gegen
Maria Elisabeth Bauer (C-569/16)
und
Volker Willmeroth als Inhaber der TWI Technische Wartung und Instandsetzung Volker Willmeroth e. K.
gegen
Martina Broßonn (C-570/16)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Kammerpräsidenten M. Vilaras, T. von Danwitz und F. Biltgen, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe, des Kammerpräsidenten C. Lycourgos sowie der Richter M. Ilešič, J. Malenovský, E. Levits, L. Bay Larsen und S. Rodin,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Stadt Wuppertal, vertreten durch Rechtsanwalt T. Herbert,
von Frau Broßonn, vertreten durch Rechtsanwalt O. Teubler,
der Europäischen Kommission, vertreten durch M. van Beek und T. S. Bohr als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. Mai 2018
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9) und von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten, in denen sich zum einen die Stadt Wuppertal (Deutschland) und Frau Maria Elisabeth Bauer (Rechtssache C-569/16) und zum anderen Herr Volker Willmeroth als Inhaber der TWI Technische Wartung und Instandsetzung Volker Willmeroth e. K. und Frau Martina Broßonn (Rechtssache C-570/16) gegenüberstehen, über die Weigerung der Stadt Wuppertal und von Herrn Willmeroth, in ihrer Eigenschaft als frühere Arbeitgeber der verstorbenen Ehemänner von Frau Bauer und Frau Broßonn diesen eine finanzielle Vergütung für von ihren Ehemännern nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub zu zahlen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Im vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 1993, L 307, S. 18) war ausgeführt:
„In der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, die von den Staats- und Regierungschefs von elf Mitgliedstaaten auf der Tagung des Europäischen Rates von Straßburg am 9. Dezember 1989 verabschiedet wurde, heißt es unter … Punkt 8 … wie folgt:
‚…
Jeder Arbeitnehmer der Europäischen Gemeinschaft hat Anspruch auf die wöchentliche Ruhezeit und auf einen bezahlten Jahresurlaub, deren Dauer gemäß den einzelstaatlichen Gepflogenheiten auf dem Wege des Fortschritts in den einzelnen Staaten einander anzunähern ist.
…‘“
Nach ihrem ersten Erwägungsgrund erfolgte durch die Richtlinie 2003/88, mit der die Richtlinie 93/104 aufgehoben wurde, eine Kodifizierung der Bestimmungen der Richtlinie 93/104.
Die Erwägungsgründe 4 bis 6 der Richtlinie 2003/88 lauten:
Die Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit stellen Zielsetzungen dar, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen.
Alle Arbeitnehmer sollten angemessene Ruhezeiten erhalten. Der Begriff ‚Ruhezeit‘ muss in Zeiteinheiten ausgedrückt werden, d. h. in Tagen, Stunden und/oder Teilen davon. Arbeitnehmern in der [Europäischen Union] müssen Mindestruhezeiten – je Tag, Woche und Jahr – sowie angemessene Ruhepausen zugestanden werden. …
Hinsichtlich der Arbeitszeitgestaltung ist den Grundsätzen der Internationalen Arbeitsorganisation Rechnung zu tragen; dies betrifft auch die für Nachtarbeit geltenden Grundsätze.“
Art. 7 der Richtlinie 2003/88, der mit Art. 7 der Richtlinie 93/104 wörtlich übereinstimmt, sieht vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.
(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.“
Nach Art. 17 der Richtlinie 2003/88 können die Mitgliedstaaten von bestimmten Vorschriften dieser Richtlinie abweichen. Eine Abweichung von Art. 7 der Richtlinie ist jedoch nicht zulässig.
Deutsches Recht
§ 7 Abs. 4 des Bundesurlaubsgesetzes vom 8. Januar 1963 (BGBl. 1963 S. 2) in der Fassung vom 7. Mai 2002 (BGBl. 2002 I S. 1529) (im Folgenden: BUrlG) bestimmt:
„Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.“
§ 1922 („Gesamtrechtsnachfolge“) Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) lautet:
„Mit dem Tode einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Frau Bauer ist alleinige Rechtsnachfolgerin ihres am 20. Dezember 2010 verstorbenen Ehemanns, der bei der Stadt Wuppertal beschäftigt war. Diese lehnte den Antrag von Frau Bauer auf Zahlung einer Vergütung in Höhe von 5857,75 Euro zur Abgeltung von 25 Tagen bezahlten Jahresurlaubs ab, die ihr Ehemann vor seinem Tod nicht genommen hatte.
Frau Broßonn ist alleinige Rechtsnachfolgerin ihres am 4. Januar 2013 verstorbenen Ehemanns, der seit 2003 bei Herrn Willmeroth beschäftigt und seit Juli 2012 arbeitsunfähig krank war. Herr Willmeroth lehnte den Antrag von Frau Broßonn auf Zahlung einer Vergütung in Höhe von 3702,72 Euro zur Abgeltung von 32 Tagen nicht genommenen Jahresurlaubs ab, die ihr Ehemann vor seinem Tod nicht genommen hatte.
Frau Bauer und Frau Broßonn klagten beide vor dem jeweils zuständigen Arbeitsgericht (Deutschland) auf Zahlung der betreffenden Vergütungen. Diesen Klagen wurde stattgegeben. Die Berufungen der Stadt Wuppertal und von Herrn Willmeroth gegen die erstinstanzlichen Urteile wurden vom zuständigen Landesarbeitsgericht (Deutschland) zurückgewiesen. Dagegen legten die Stadt Wuppertal und Herr Willmeroth Revision beim vorlegenden Gericht, dem Bundesarbeitsgericht (Deutschland), ein.
In den Vorlageentscheidungen, die in diesen beiden Rechtssachen ergangen sind, führt das vorlegende Gericht aus, der Gerichtshof habe zwar im Urteil vom 12. Juni 2014, Bollacke (C-118/13, EU:C:2014:1755), bereits entschieden, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen sei, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegenstehe, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ohne Begründung eines Abgeltungsanspruchs für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub untergehe, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers ende.
Es sei jedoch fraglich, ob diese Rechtsprechung auch dann gelte, wenn eine solche finanzielle Vergütung nach dem nationalen Recht nicht Teil der Erbmasse werde.
Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG in Verbindung mit § 1922 Abs. 1 BGB gehe nämlich der Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub mit seinem Tod unter, so dass er weder in einen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung umgewandelt noch Teil der Erbmasse werden könne. Jede andere Auslegung dieser Bestimmungen wäre contra legem und komme daher nicht in Betracht.
Im Urteil vom 22. November 2011, KHS (C-214/10, EU:C:2011:761), habe der Gerichtshof anerkannt, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Ablauf von 15 Monaten seit dem Ende des Bezugsjahrs erlöschen könne, da dann der mit ihm verfolgte Zweck, dem Arbeitnehmer Erholung zu ermöglichen und einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zur Verfügung zu stellen, nicht mehr verwirklicht werden könne. Da dieser Zweck nach dem Tod des Arbeitnehmers ebenfalls nicht mehr zu erreichen sei, fragt sich das vorlegende Gericht, ob der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub und der Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub nicht auch in diesem Fall untergegangen sein könnten. Andernfalls bedeutete dies, dass der durch die Richtlinie 2003/88 und durch die Charta gewährleistete bezahlte Mindestjahresurlaub auch den Schutz der Erben des verstorbenen Arbeitnehmers bezwecke.
Außerdem sei fraglich, ob der Arbeitgeber nach Art. 7 der Richtlinie 2003/88 oder Art. 31 Abs. 2 der Charta den Erben des Arbeitnehmers eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub ungeachtet dessen zu zahlen habe, dass dies im vorliegenden Fall nach den in Rn. 15 des vorliegenden Urteils genannten nationalen Bestimmungen ausgeschlossen sei.
In der Rechtssache C-570/16 wirft das vorlegende Gericht unter Hinweis darauf, dass sich im Ausgangsrechtsstreit zwei Privatpersonen gegenüberstünden, die Frage auf, ob die genannten Vorschriften des Unionsrechts auch in einem solchen Kontext unmittelbare Wirkung entfalten könnten.
Unter diesen Umständen hat das Bundesarbeitsgericht die Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, wobei die erste Frage wortgleich in den Rechtssachen C-569/16 und C-570/16 und die zweite Frage nur in der Rechtssache C-570/16 gestellt wird:
Räumt Art. 7 der Richtlinie 2003/88 oder Art. 31 Abs. 2 der Charta dem Erben eines während des Arbeitsverhältnisses verstorbenen Arbeitnehmers einen Anspruch auf einen finanziellen Ausgleich für den dem Arbeitnehmer vor seinem Tod zustehenden Mindestjahresurlaub ein, was nach § 7 Abs. 4 BUrlG in Verbindung mit § 1922 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist?
Falls die Frage zu 1. bejaht wird: Gilt dies auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis zwischen zwei Privatpersonen bestand?
Zu den Vorlagefragen
Zur Zulässigkeit
Frau Broßonn äußert Zweifel an der Zulässigkeit der Vorabentscheidungsersuchen. Zum einen habe der Gerichtshof im Urteil vom 12. Juni 2014, Bollacke (C-118/13, EU:C:2014:1755), bereits entschieden, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88 einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen Regelung entgegenstehe, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ohne Begründung eines Anspruchs auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub untergehe, wenn der Arbeitnehmer sterbe. Eine Entscheidung dahin, dass dieselbe Vorschrift einer solchen nationalen Regelung nicht entgegenstehe, weil sie es ausschließe, dass der Vergütungsanspruch auf die Erben übergehen könne, ließe die Erkenntnisse aus diesem Urteil des Gerichtshofs ins Leere laufen. Zum anderen sehe ein Großteil der nationalen Gerichte und Literatur eine Auslegung der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung im Einklang mit diesen Erkenntnissen als möglich an.
Dem ist jedoch erstens zu entgegnen, dass es den innerstaatlichen Gerichten selbst bei Vorliegen einer Rechtsprechung des Gerichtshofs zu der betreffenden Rechtsfrage unbenommen bleibt, den Gerichtshof zu befassen, wenn sie es für angebracht halten, ohne dass der Umstand, dass die Bestimmungen, um deren Auslegung ersucht wird, bereits vom Gerichtshof ausgelegt worden sind, einer neuerlichen Entscheidung des Gerichtshofs entgegenstünde (Urteil vom 17. Juli 2014, Torresi,C-58/13 und C-59/13, EU:C:2014:2088, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Dass der Gerichtshof Art. 7 der Richtlinie 2003/88 im Urteil vom 12. Juni 2014, Bollacke (C-118/13, EU:C:2014:1755), bereits im Hinblick auf dieselbe nationale Regelung, wie sie auch in den Ausgangsverfahren in Rede steht, ausgelegt hat, kann daher nicht zur Unzulässigkeit der Vorlagefragen in den vorliegenden Rechtssachen führen.
Zweitens ist es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des nationalen Gerichts, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über die ihm vorgelegten Fragen zu befinden, wenn sie die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C-52/16 und C-113/16, EU:C:2018:157, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Die Zurückweisung des Vorabentscheidungsersuchens eines nationalen Gerichts ist nur möglich, wenn offensichtlich ist, dass die erbetene Auslegung des Unionsrechts in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C-52/16 und C-113/16, EU:C:2018:157, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zum Argument von Frau Broßonn, wonach die in den Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung im Einklang mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88 in seiner Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil vom 12. Juni 2014, Bollacke (C-118/13, EU:C:2014:1755), ausgelegt werden könne, ist festzustellen, dass sich zwar die Frage, ob eine nationale Bestimmung wegen Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht unangewendet bleiben muss, nur stellt, wenn keine unionsrechtskonforme Auslegung dieser Bestimmung möglich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Januar 2012, Dominguez, C-282/10, EU:C:2012:33, Rn. 23).
Allerdings unterliegt der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts bestimmten Schranken. So findet die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ihre Schranken und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (Urteil vom 24. Januar 2012, Dominguez, C-282/10, EU:C:2012:33, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Wie aus Rn. 15 des vorliegenden Urteils hervorgeht, sieht sich das vorlegende Gericht aber gerade mit einer solchen Schranke konfrontiert. Seiner Ansicht nach ist nämlich § 7 Abs. 4 BUrlG in Verbindung mit § 1922 Abs. 1 BGB einer Auslegung, die mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88 in seiner Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil vom 12. Juni 2014, Bollacke (C-118/13, EU:C:2014:1755), im Einklang steht, nicht zugänglich.
Unter diesen Umständen sind die Vorabentscheidungsersuchen nicht als unzulässig anzusehen, da es in den vorgelegten Fragen darum geht, ob sich aus den darin in Bezug genommenen unionsrechtlichen Bestimmungen ergeben kann, dass das nationale Gericht, wenn keine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts möglich ist, gegebenenfalls verpflichtet ist, die betreffende nationale Regelung u. a. in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen unangewendet zu lassen.
Nach alledem sind die Vorabentscheidungsersuchen zulässig.
Zur Beantwortung der Fragen
Vorüberlegungen
Wie sich aus der in den Rn. 13 bis 17 des vorliegenden Urteils angeführten Begründung der Vorlageentscheidungen ergibt, in deren Licht die Frage in der Rechtssache C-569/16 und die erste Frage in der Rechtssache C-570/16 zu betrachten sind, bestehen diese Fragen aus zwei unterschiedlichen Teilen.
Als Erstes möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, und ob nicht insoweit die vom Gerichtshof im Urteil vom 12. Juni 2014, Bollacke (C-118/13, EU:C:2014:1755), vorgenommene Auslegung überdacht oder differenziert werden sollte.
Als Zweites möchte das vorlegende Gericht für den Fall, dass der Gerichtshof an dieser Auslegung festhält, in Erfahrung bringen, ob die genannten Bestimmungen des Unionsrechts dahin auszulegen sind, dass sie unmittelbare Wirkung haben, so dass das nationale Gericht gezwungen wäre, eine solche nationale Regelung unangewendet zu lassen, soweit sie nicht im Einklang mit den Anforderungen aus diesen Bestimmungen ausgelegt werden könnte.
Schließlich möchte das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Frage in der Rechtssache C-570/16 wissen, ob eine solche, die fragliche nationale Regelung verdrängende Wirkung auch in einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatpersonen eintreten kann.
Daher sind zunächst der erste Teil der Frage in der Rechtssache C-569/16 und der erste Teil der ersten Frage in der Rechtssache C-570/16 zu prüfen und sodann gemeinsam, aufgrund der zwischen ihnen bestehenden Verbindung, der zweite Teil dieser Fragen und die zweite Frage in der Rechtssache C-570/16.
Zum ersten Teil der Frage in der Rechtssache C-569/16 und zum ersten Teil der ersten Frage in der Rechtssache C-570/16
Mit dem ersten Teil seiner Frage in der Rechtssache C-569/16, der mit dem ersten Teil seiner ersten Frage in der Rechtssache C-570/16 identisch ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, nach der bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod des Arbeitnehmers der von ihm gemäß diesen Bestimmungen erworbene Anspruch auf vor seinem Tod nicht mehr genommenen bezahlten Jahresurlaub untergeht, ohne dass ein Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für diesen Urlaub besteht, der im Wege der Erbfolge auf die Rechtsnachfolger des Arbeitnehmers übergehen könnte.
Zu Art. 7 der Richtlinie 2003/88 ist erstens darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof, wie das vorlegende Gericht ausführt, im Urteil vom 12. Juni 2014, Bollacke (C-118/13, EU:C:2014:1755), das in einer Rechtssache ergangen ist, die eine ähnliche Fallgestaltung wie die vorliegenden verbundenen Rechtssachen aufwies und in der es um dieselbe nationale Regelung wie die in den Ausgangsverfahren fragliche ging, in Rn. 30 entschieden hat, dass diese Vorschrift des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass sie einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ohne Begründung eines Abgeltungsanspruchs für nicht genommenen Urlaub untergeht, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet.
Wie den Vorlageentscheidungen und den Rn. 14 bis 16 des vorliegenden Urteils zu entnehmen ist, hegt das vorlegende Gericht allerdings Zweifel hinsichtlich dieser Auslegung des Gerichtshofs, und zwar im Wesentlichen, weil der mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub verfolgte Zweck, dem Arbeitnehmer Erholung zu ermöglichen und einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zur Verfügung zu stellen, nach dem Tod des Arbeitnehmers nicht mehr verwirklicht werden könne.
Insoweit ist zunächst zu beachten, dass das Recht jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen ist, von dem nicht abgewichen werden darf und den die zuständigen nationalen Stellen nur in den Grenzen umsetzen dürfen, die in der Richtlinie 2003/88 selbst ausdrücklich gezogen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juni 2014, Bollacke, C-118/13, EU:C:2014:1755, Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung). Um sicherzustellen, dass dieses im Unionsrecht verankerte Grundrecht beachtet wird, darf Art. 7 der Richtlinie 2003/88 zudem nicht auf Kosten der Rechte, die dem Arbeitnehmer nach dieser Richtlinie zustehen, restriktiv ausgelegt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juni 2014, Bollacke, C-118/13, EU:C:2014:1755, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Nach ständiger Rechtsprechung stellt der Anspruch auf Jahresurlaub nur einen der beiden Aspekte des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub als wesentlicher Grundsatz des Sozialrechts der Union dar, denn dieses Recht umfasst auch den Anspruch auf Bezahlung. Der vom Unionsgesetzgeber u. a. in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 verwendete Begriff des bezahlten Jahresurlaubs bedeutet nämlich, dass für die Dauer des Jahresurlaubs im Sinne dieser Vorschrift das Entgelt für den Arbeitnehmer beizubehalten ist. Mit anderen Worten muss der Arbeitnehmer in dieser Ruhe- und Entspannungszeit das gewöhnliche Entgelt weiterbeziehen (Urteil vom 12. Juni 2014, Bollacke, C-118/13, EU:C:2014:1755, Rn. 20 und 21 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Das in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 vorgeschriebene Urlaubsentgelt soll es dem Arbeitnehmer ermöglichen, den Urlaub, auf den er Anspruch hat, tatsächlich zu nehmen (Urteil vom 16. März 2006, Robinson-Steele u. a., C-131/04 und C-257/04, EU:C:2006:177, Rn. 49).
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs wird mit dem in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 verankerten Anspruch auf Jahresurlaub nämlich der Zweck verfolgt, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen (Urteil vom 20. Juli 2016, Maschek, C-341/15, EU:C:2016:576, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Indem Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 vorsieht, dass der bezahlte Mindestjahresurlaub außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf, soll folglich insbesondere gewährleistet werden, dass der Arbeitnehmer über eine tatsächliche Ruhezeit verfügen kann, damit ein wirksamer Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit gewährleistet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. März 2006, Robinson-Steele u. a., C-131/04 und C-257/04, EU:C:2006:177, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Endet das Arbeitsverhältnis, ist es nicht mehr möglich, den bezahlten Jahresurlaub, der dem Arbeitnehmer zustand, tatsächlich zu nehmen. Um zu verhindern, dass dem Arbeitnehmer wegen dieser Unmöglichkeit jeder Genuss dieses Anspruchs, selbst in finanzieller Form, verwehrt wird, sieht Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 vor, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für die nicht genommenen Urlaubstage hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. Januar 2009, Schultz-Hoff u. a., C-350/06 und C-520/06, EU:C:2009:18, Rn. 56, vom 12. Juni 2014, Bollacke, C-118/13, EU:C:2014:1755, Rn. 17, sowie vom 20. Juli 2016, Maschek, C-341/15, EU:C:2016:576, Rn. 27).
Diese Bestimmung stellt für das Entstehen des Anspruchs auf finanzielle Vergütung keine andere Voraussetzung auf als diejenige, dass zum einen das Arbeitsverhältnis beendet ist und dass zum anderen der Arbeitnehmer nicht den gesamten bezahlten Jahresurlaub genommen hat, auf den er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juni 2014, Bollacke, C-118/13, EU:C:2014:1755, Rn. 23).
Der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses spielt daher für den in Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung keine Rolle (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Juli 2016, Maschek, C-341/15, EU:C:2016:576, Rn. 28).
Der Tod des Arbeitnehmers hat zwar, wie das vorlegende Gericht ausführt, unvermeidlich zur Folge, dass ihm jede tatsächliche Möglichkeit genommen ist, die Entspannungs- und Erholungszeiten wahrzunehmen, die mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der ihm zum Zeitpunkt seines Todes zustand, verbunden sind. Doch ist nicht anzunehmen, dass dieser Umstand rückwirkend zum vollständigen Verlust des einmal erworbenen Anspruchs führt, der, wie in Rn. 39 des vorliegenden Urteils ausgeführt, einen zweiten Aspekt von gleicher Bedeutung umfasst, nämlich den Anspruch auf Bezahlung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juni 2014, Bollacke, C-118/13, EU:C:2014:1755, Rn. 25).
In diesem Zusammenhang ist ferner darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass ein Arbeitnehmer beim Eintritt in den Ruhestand Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bezahlten Jahresurlaub hat, den er nicht genommen hat, weil er z. B. aus Krankheitsgründen seine Aufgaben nicht wahrgenommen hat (vgl. Urteil vom 20. Juli 2016, Maschek, C-341/15, EU:C:2016:576, Rn. 31 und 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Auch ein solcher Arbeitnehmer ist nicht in der Lage, einen Urlaub wahrzunehmen, der als ein Zeitraum verstanden wird, der es ihm ermöglichen soll, sich im Hinblick auf die künftige Fortführung seiner beruflichen Tätigkeit zu erholen und zu entspannen, da er grundsätzlich in eine Phase der beruflichen Untätigkeit eingetreten ist und ihm daher der bezahlte Jahresurlaub im Wesentlichen nur noch in seiner finanziellen Form konkret zugutekommt.
Im Übrigen ist der von einem Arbeitnehmer erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub – unter seinem finanziellen Aspekt betrachtet – rein vermögensrechtlicher Natur und als solcher, da er dazu bestimmt ist, in das Vermögen des Arbeitnehmers überzugehen, so gestaltet, dass der tatsächliche Zugriff auf diesen vermögensrechtlichen Bestandteil des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub diesem Vermögen und in der Folge denjenigen, auf die es im Wege der Erbfolge übergehen soll, durch den Tod des Arbeitnehmers nicht rückwirkend entzogen werden kann.
Das Erlöschen des von einem Arbeitnehmer erworbenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub oder des im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses korrelierenden Anspruchs auf Zahlung einer finanziellen Vergütung für nicht genommenen Urlaub, ohne dass der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit gehabt hätte, den Anspruch wahrzunehmen, würde nämlich das Recht auf bezahlten Jahresurlaub in seinem Wesensgehalt antasten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. September 2013, Überprüfung Kommission/Strack, C-579/12 RX-II, EU:C:2013:570, Rn. 32).
Daher erweist sich, wenn das Arbeitsverhältnis durch Tod des Arbeitnehmers geendet hat, ein finanzieller Ausgleich als unerlässlich, um die praktische Wirksamkeit des dem Arbeitnehmer zustehenden Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub sicherzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juni 2014, Bollacke, C-118/13, EU:C:2014:1755, Rn. 24).
Zweitens hat das Recht auf bezahlten Jahresurlaub als Grundsatz des Sozialrechts der Union nicht nur besondere Bedeutung, sondern ist auch in Art. 31 Abs. 2 der Charta, der nach Art. 6 Abs. 1 EUV der gleiche rechtliche Rang wie den Verträgen zukommt, ausdrücklich verbürgt (Urteil vom 30. Juni 2016, Sobczyszyn, C-178/15, EU:C:2016:502, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Die in der Unionsrechtsordnung gewährleisteten Grundrechte finden in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen Anwendung (Urteil vom 15. Januar 2014, Association de médiation sociale, C-176/12, EU:C:2014:2, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Da mit der nationalen Regelung, die im Ausgangsverfahren in Rede steht, die Richtlinie 2003/88 umgesetzt wird, findet Art. 31 Abs. 2 der Charta in den Ausgangsverfahren Anwendung (vgl. entsprechend Urteil vom 15. Januar 2014, Association de médiation sociale, C-176/12, EU:C:2014:2, Rn. 43).
Schon dem Wortlaut von Art. 31 Abs. 2 der Charta ist zu entnehmen, dass in dieser Bestimmung das „Recht“ jeder Arbeitnehmerin und jedes Arbeitnehmers auf „bezahlten Jahresurlaub“ verankert ist.
Nach den Erläuterungen zu Art. 31 der Charta, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 der Charta bei deren Auslegung zu berücksichtigen sind, orientiert sich Art. 31 Abs. 2 der Charta an der Richtlinie 93/104, an Art. 2 der am 18. Oktober 1961 in Turin unterzeichneten und am 3. Mai 1996 in Straßburg revidierten Europäischen Sozialcharta sowie an Nr. 8 der auf der Tagung des Europäischen Rates in Straßburg am 9. Dezember 1989 verabschiedeten Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer (Urteil vom 19. September 2013, Überprüfung Kommission/Strack, C-579/12 RX-II, EU:C:2013:570, Rn. 27).
Wie sich aus dem ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88 ergibt, wurde mit ihr die Richtlinie 93/104 kodifiziert. Art. 7 der Richtlinie 2003/88, der den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub betrifft, hat denselben Wortlaut wie Art. 7 der Richtlinie 93/104 (Urteil vom 19. September 2013, Überprüfung Kommission/Strack, C-579/12 RX-II, EU:C:2013:570, Rn. 28).
In diesem Zusammenhang ist außerdem zu beachten, dass der Gerichtshof bereits klargestellt hat, dass der Ausdruck „bezahlter Jahresurlaub“ in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 ebenso wie der Ausdruck „bezahlter Jahresurlaub“ in Art. 31 Abs. 2 der Charta bedeutet, dass das Arbeitsentgelt für die Dauer des Jahresurlaubs im Sinne dieser Bestimmungen weiterzugewähren ist und dass der Arbeitnehmer mit anderen Worten für diese Ruhezeit das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2011, Williams u. a.,C-155/10, EU:C:2011:588, Rn. 18 und 19).
Wie in Rn. 39 des vorliegenden Urteils ausgeführt, stellt der Anspruch auf Jahresurlaub nur einen der beiden Aspekte des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub als wesentlicher Grundsatz des Sozialrechts der Union dar, der in Art. 7 der Richtlinie 93/104 und in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 zum Ausdruck kommt und inzwischen ausdrücklich in Art. 31 Abs. 2 der Charta als Grundrecht verankert ist. Dieses Grundrecht umfasst somit auch einen Anspruch auf Bezahlung und – als eng mit diesem Anspruch auf „bezahlten“ Jahresurlaub verbundener Anspruch – den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub.
Dieser Anspruch kann nur unter Einhaltung der in Art. 52 Abs. 1 der Charta vorgesehenen strengen Bedingungen und insbesondere nur unter Achtung seines Wesensgehalts beschränkt werden. Folglich können die Mitgliedstaaten nicht von dem sich aus Art. 7 der Richtlinie 2003/88 in Verbindung mit Art. 31 Abs. 2 der Charta ergebenden Grundsatz abweichen, wonach ein erworbener Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums nicht erlischt, wenn der Arbeitnehmer nicht in der Lage war, seinen Urlaub zu nehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. November 2017, King, C-214/16, EU:C:2017:914, Rn. 56).
Wie in Rn. 46 des vorliegenden Urteils ausgeführt, dürfen die Mitgliedstaaten auch nicht entscheiden, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod rückwirkend zum vollständigen Verlust des vom Arbeitnehmer erworbenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub führt, da dieser Anspruch über den Urlaubsanspruch als solchen hinaus einen zweiten Aspekt von gleicher Bedeutung umfasst, nämlich den Anspruch auf Bezahlung, der es rechtfertigt, dass dem Arbeitnehmer oder seinen Rechtsnachfolgern eine finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub gewährt wird.
Art. 31 Abs. 2 der Charta hat daher für die in den Anwendungsbereich der Charta fallenden Sachverhalte insbesondere zur Folge, dass die Mitgliedstaaten keine Regelung erlassen dürfen, die für den Arbeitnehmer dazu führt, dass sein Tod ihm rückwirkend die zuvor erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub und damit seinen Rechtsnachfolgern die finanzielle Vergütung nimmt, die als vermögensrechtliche Komponente dieser Ansprüche an deren Stelle tritt.
In Anbetracht dessen und unter Berücksichtigung der Ausführungen in den Rn. 38 bis 50 des vorliegenden Urteils ergibt sich im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod des Arbeitnehmers nicht nur aus Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88, sondern auch aus Art. 31 Abs. 2 der Charta, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub im Wege der Erbfolge auf seine Rechtsnachfolger übergehen kann, da andernfalls der erworbene grundrechtlich relevante Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub einschließlich seiner vermögensrechtlichen Komponente rückwirkend entfallen würde.
Daher ist auf den ersten Teil der Frage in der Rechtssache C-569/16 und auf den ersten Teil der ersten Frage in der Rechtssache C-570/16 zu antworten, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, nach der bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod des Arbeitnehmers der von ihm gemäß diesen Bestimmungen erworbene Anspruch auf vor seinem Tod nicht mehr genommenen bezahlten Jahresurlaub untergeht, ohne dass ein Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für diesen Urlaub besteht, der im Wege der Erbfolge auf die Rechtsnachfolger des Arbeitnehmers übergehen könnte.
Zum zweiten Teil der Frage in der Rechtssache C-569/16 sowie zum zweiten Teil der ersten Frage und zur zweiten Frage in der Rechtssache C-570/16
Mit dem zweiten Teil seiner Frage in der Rechtssache C-569/16 und dem zweiten Teil seiner ersten Frage in der Rechtssache C-570/16 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Charta in dem Fall, dass eine nationale Regelung wie die in den Ausgangsverfahren fragliche nicht im Einklang mit ihnen ausgelegt werden kann, dahin auszulegen sind, dass sie zur Folge haben, dass das nationale Gericht diese nationale Regelung unangewendet zu lassen hat und der Rechtsnachfolger des verstorbenen Arbeitnehmers von dessen früherem Arbeitgeber eine finanzielle Vergütung für den von dem Arbeitnehmer gemäß diesen Bestimmungen erworbenen und nicht mehr genommenen bezahlten Jahresurlaub erhalten muss. Mit seiner zweiten Frage in der Rechtssache C-570/16 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in diesem Fall die genannten unionsrechtlichen Bestimmungen in einem Rechtsstreit zwischen dem Rechtsnachfolger des verstorbenen Arbeitnehmers und dessen ehemaligem Arbeitgeber auch dann in dieser Weise auszulegen sind, wenn der Arbeitgeber eine Privatperson ist.
Vorab ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass sich die Frage, ob eine nationale Bestimmung wegen Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht unangewendet bleiben muss, nur stellt, wenn keine unionsrechtskonforme Auslegung dieser Bestimmung möglich ist.
Die nationalen Gerichte haben bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts dieses so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der fraglichen Richtlinie auszulegen, um das in der Richtlinie festgelegte Ziel zu erreichen und damit Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen (Urteil vom 24. Januar 2012, Dominguez, C-282/10, EU:C:2012:33, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung verlangt, dass die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der fraglichen Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel im Einklang steht (Urteil vom 24. Januar 2012, Dominguez, C-282/10, EU:C:2012:33, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Wie der Gerichtshof entschieden hat, umfasst das Erfordernis einer unionsrechtskonformen Auslegung u. a. die Verpflichtung der nationalen Gerichte, eine gefestigte Rechtsprechung gegebenenfalls abzuändern, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen einer Richtlinie unvereinbar ist. Folglich darf ein nationales Gericht u. a. nicht davon ausgehen, dass es eine nationale Vorschrift nicht im Einklang mit dem Unionsrecht auslegen könne, nur weil sie in ständiger Rechtsprechung in einem nicht mit dem Unionsrecht vereinbaren Sinne ausgelegt worden ist (Urteil vom 17. April 2018, Egenberger, C-414/16, EU:C:2018:257, Rn. 72 und 73 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall obliegt es dem vorlegenden Gericht, seiner sich aus dem Unionsrecht ergebenden Pflicht nachzukommen, die darin besteht, unter Berücksichtigung der in den drei vorstehenden Randnummern des vorliegenden Urteils angeführten Grundsätze zu prüfen, ob eine unionsrechtskonforme Auslegung möglich ist.
Was nun als Erstes die Frage einer etwaigen unmittelbaren Wirkung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88 anbelangt, ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass sich der Einzelne in all den Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen kann, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat (Urteil vom 24. Januar 2012, Dominguez, C-282/10, EU:C:2012:33, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zudem kann der Einzelne, wenn er sich dem Staat gegenüber auf eine Richtlinie berufen kann, dies unabhängig davon tun, ob der Staat in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber oder als Hoheitsträger handelt. In dem einen wie dem anderen Fall muss nämlich verhindert werden, dass der Staat aus der Nichtbeachtung des Unionsrechts Nutzen ziehen kann (Urteil vom 24. Januar 2012, Dominguez, C-282/10, EU:C:2012:33, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Aufgrund dieser Erwägungen hat der Gerichtshof anerkannt, dass sich der Einzelne auf nicht von Bedingungen abhängige und hinreichend genaue Bestimmungen einer Richtlinie gegenüber einem Mitgliedstaat sowie u. a. allen Trägern seiner Verwaltung einschließlich der dezentralisierten Behörden berufen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. August 2018, Smith, C-122/17, EU:C:2018:631, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 diese Kriterien der Unbedingtheit und hinreichenden Genauigkeit erfüllt, da er den Mitgliedstaaten unmissverständlich eine Verpflichtung zur Erreichung eines bestimmten Ergebnisses auferlegt, die im Hinblick auf die Anwendung der darin aufgestellten Regel an keine Bedingung geknüpft ist und die dahin geht, jedem Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen zu gewähren. Diese Bestimmung erfüllt somit die Voraussetzungen, um unmittelbare Wirkung zu entfalten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Januar 2012, Dominguez, C-282/10, EU:C:2012:33, Rn. 34 bis 36).
Wie in Rn. 44 des vorliegenden Urteils ausgeführt, stellt Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 für die Entstehung des Anspruchs auf eine finanzielle Vergütung keine andere Voraussetzung auf als diejenige, dass zum einen das Arbeitsverhältnis beendet ist und zum anderen der Arbeitnehmer nicht den gesamten Jahresurlaub genommen hat, auf den er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte. Dieser Anspruch ergibt sich unmittelbar aus der Richtlinie und kann nicht von anderen Voraussetzungen als den in ihr ausdrücklich vorgesehenen abhängen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juni 2014, Bollacke, C-118/13, EU:C:2014:1755, Rn. 28). Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 erfüllt daher ebenfalls die Voraussetzungen, um unmittelbare Wirkung zu entfalten.
Im vorliegenden Fall ist in der Rechtssache C-569/16 zum einen unstreitig, dass Herr Bauer zum Zeitpunkt seines Todes, der zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mit der Stadt Wuppertal geführt hat, nicht den gesamten bezahlten Jahresurlaub genommen hatte, auf den er zu diesem Zeitpunkt Anspruch hatte, und zum anderen, dass dieser Arbeitgeber eine dezentralisierte Behörde ist.
Da Art. 7 der Richtlinie 2003/88, wie aus den Rn. 72 und 73 des vorliegenden Urteils hervorgeht, die Voraussetzungen für eine unmittelbare Wirkung erfüllt, haben somit Herr Bauer oder in Anbetracht seines Todes sein Rechtsnachfolger nach der in den Rn. 70 und 71 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung Anspruch darauf, dass die Stadt Wuppertal eine finanzielle Vergütung für den bezahlten Jahresurlaub zahlt, der dem Arbeitnehmer gemäß dieser Bestimmung zustand und den er nicht genommen hatte, wobei die nationalen Gerichte insoweit verpflichtet sind, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die wie die in den Ausgangsverfahren fragliche einer solchen Vergütung entgegenstehen würde.
Bezüglich des Ausgangsrechtsstreits in der Rechtssache C-570/16 zwischen Frau Broßonn in ihrer Eigenschaft als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemanns und dessen früherem Arbeitgeber, Herrn Willmeroth, ist hingegen darauf hinzuweisen, dass eine Richtlinie nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist. Eine Ausdehnung der Möglichkeit, sich auf eine Bestimmung einer nicht oder unrichtig umgesetzten Richtlinie zu berufen, auf den Bereich der Beziehungen zwischen Privaten liefe nämlich darauf hinaus, der Europäischen Union die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung zulasten der Einzelnen Verpflichtungen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist (Urteil vom 7. August 2018, Smith, C-122/17, EU:C:2018:631, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Folglich kann selbst eine klare, genaue und nicht von Bedingungen abhängige Bestimmung einer Richtlinie, mit der dem Einzelnen Rechte gewährt oder Verpflichtungen auferlegt werden sollen, als solche im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Private gegenüberstehen, keine Anwendung finden (Urteil vom 7. August 2018, Smith, C-122/17, EU:C:2018:631, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, kann Art. 7 der Richtlinie 2003/88 daher nicht in einem Rechtsstreit zwischen Privaten geltend gemacht werden, um die volle Wirksamkeit des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub zu gewährleisten und zu erreichen, dass jede entgegenstehende nationalrechtliche Bestimmung unangewendet bleibt (Urteil vom 26. März 2015, Fenoll, C-316/13, EU:C:2015:200, Rn. 48).
In Anbetracht dessen ist als Zweites die Tragweite von Art. 31 Abs. 2 der Charta zu prüfen, um zu klären, ob diese Bestimmung, für die in den Rn. 52 bis 63 des vorliegenden Urteils festgestellt wurde, dass sie auf Sachverhalte wie denen der Ausgangsverfahren Anwendung findet und dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, in einem Rechtsstreit zwischen Privatleuten wie dem der Rechtssache C-570/16 geltend gemacht werden kann, um zu erreichen, dass das nationale Gericht diese nationale Regelung unangewendet lässt und den Rechtsnachfolgern des verstorbenen Arbeitnehmers eine von dessen ehemaligem Arbeitgeber zu zahlende finanzielle Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub zuspricht, auf den der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt seines Todes nach dem Unionsrecht Anspruch hatte.
In diesem Zusammenhang ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass das Recht auf bezahlten Jahresurlaub einen wesentlichen Grundsatz des Sozialrechts der Union darstellt.
Dieser Grundsatz hat seinen Ursprung sowohl in Rechtsakten, die wie die in Art. 151 AEUV erwähnte Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von den Mitgliedstaaten auf Unionsebene geschaffen wurden, als auch in den völkerrechtlichen Verträgen, bei denen die Mitgliedstaaten mitgewirkt haben oder denen sie beigetreten sind. Zu diesen gehört die ebenfalls in Art. 151 AEUV erwähnte Europäische Sozialcharta, der alle Mitgliedstaaten angehören, da sie ihr entweder in ihrer ursprünglichen Fassung, ihrer revidierten Fassung oder ihren beiden Fassungen beigetreten sind. Zu erwähnen ist auch das Übereinkommen Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24. Juni 1970 über den bezahlten Jahresurlaub (Neufassung), das, wie der Gerichtshof in den Rn. 37 und 38 des Urteils vom 20. Januar 2009, Schultz-Hoff u. a. (C-350/06 und C-520/06, EU:C:2009:18), festgestellt hat, Grundsätze der Internationalen Arbeitsorganisation enthält, denen nach dem sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88 Rechnung zu tragen ist.
Im vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 93/104 wird insbesondere darauf verwiesen, dass es in der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer unter Punkt 8 heißt, dass jeder Arbeitnehmer der Union Anspruch u. a. auf einen bezahlten Jahresurlaub hat, dessen Dauer gemäß den einzelstaatlichen Gepflogenheiten im Wege des Fortschritts anzunähern ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juni 2001, BECTU, C-173/99, EU:C:2001:356, Rn. 39).
Das Recht auf bezahlten Jahresurlaub wurde also nicht mit Art. 7 der Richtlinie 93/104 und Art. 7 der Richtlinie 2003/88 selbst eingeführt. Es hat seinen Ursprung u. a. in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen (vgl. entsprechend Urteil vom 17. April 2018, Egenberger, C-414/16, EU:C:2018:257, Rn. 75), und hat als wesentlicher Grundsatz des Sozialrechts der Union zwingenden Charakter (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. März 2006, Robinson-Steele u. a., C-131/04 und C-257/04, EU:C:2006:177, Rn. 48 und 68). Dieser wesentliche Grundsatz umfasst, wie in Rn. 58 des vorliegenden Urteils ausgeführt, den Anspruch auf „bezahlten“ Jahresurlaub als solchen und den mit diesem eng verbundenen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub.
Mit der zwingenden Formulierung, dass „jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer“ das „Recht“„auf bezahlten Jahresurlaub“ hat – und zwar ohne dass insoweit, wie z. B. in Art. 27 der Charta, zu dem das Urteil vom 15. Januar 2014, Association de médiation sociale (C-176/12, EU:C:2014:2), ergangen ist, auf „Fälle und Voraussetzungen, die nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten vorgesehen sind“, verwiesen würde –, spiegelt Art. 31 Abs. 2 der Charta den wesentlichen Grundsatz des Sozialrechts der Union wider, von dem nur unter den in Art. 52 Abs. 1 der Charta vorgesehenen strengen Bedingungen und insbesondere nur unter Achtung des Wesensgehalts des Grundrechts auf bezahlten Jahresurlaub abgewichen werden kann.
Das Recht auf bezahlten Jahresurlaub, das in Art. 31 Abs. 2 der Charta für jede Arbeitnehmerin und jeden Arbeitnehmer verankert ist, ist infolgedessen, was sein Bestehen selbst anbelangt, zugleich zwingend und nicht von Bedingungen abhängig, da die Charta nicht durch unionsrechtliche oder nationalrechtliche Bestimmungen konkretisiert werden muss. In diesen sind nur die genaue Dauer des Jahresurlaubs und gegebenenfalls bestimmte Voraussetzungen für die Wahrnehmung des Rechts festzulegen. Folglich verleiht Art. 31 Abs. 2 der Charta schon für sich allein den Arbeitnehmern ein Recht, das sie in einem Rechtsstreit gegen ihren Arbeitgeber in einem vom Unionsrecht erfassten und daher in den Anwendungsbereich der Charta fallenden Sachverhalt als solches geltend machen können (vgl. entsprechend Urteil vom 17. April 2018, Egenberger, C-414/16, EU:C:2018:257, Rn. 76).
Art. 31 Abs. 2 der Charta hat daher für die in den Anwendungsbereich der Charta fallenden Sachverhalte insbesondere zur Folge, dass zum einen das nationale Gericht eine nationale Regelung wie die in den Ausgangsverfahren fragliche unangewendet lassen muss, die für den Arbeitnehmer dazu führt, dass ihm aufgrund seines Todes rückwirkend die zuvor erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub und damit seinen Rechtsnachfolgern die finanzielle Vergütung genommen wird, die als vermögensrechtliche Komponente dieser Ansprüche an deren Stelle tritt. Zum anderen können sich die Arbeitgeber nicht auf eine solche nationale Regelung berufen, um sich der Zahlung dieser finanziellen Vergütung zu entziehen, zu der sie die Achtung des in dieser Bestimmung gewährleisteten Grundrechts verpflichtet.
Bezüglich der Wirkung, die Art. 31 Abs. 2 der Charta gegenüber privaten Arbeitgebern entfaltet, ist festzustellen, dass die Charta nach ihrem Art. 51 Abs. 1 zwar für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Unionsrechts gilt. Hingegen trifft Art. 51 Abs. 1 der Charta keine Regelung darüber, ob Privatpersonen gegebenenfalls unmittelbar zur Einhaltung einzelner Bestimmungen der Charta verpflichtet sein können, und kann demnach nicht dahin ausgelegt werden, dass dies kategorisch ausgeschlossen wäre.
Wie der Generalanwalt in Nr. 78 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann der Umstand, dass manche Bestimmungen des Primärrechts in erster Linie an die Mitgliedstaaten gerichtet sind, es nicht ausschließen, dass diese auch für Rechtsbeziehungen zwischen Privatpersonen gelten können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. April 2018, Egenberger, C-414/16, EU:C:2018:257, Rn. 77).
Der Gerichtshof hat insbesondere bereits anerkannt, dass das in Art. 21 Abs. 1 der Charta niedergelegte Verbot schon für sich allein dem Einzelnen ein Recht verleiht, das er in einem Rechtsstreit gegen eine andere Privatperson als solches geltend machen kann (Urteil vom 17. April 2018, Egenberger, C-414/16, EU:C:2018:257, Rn. 76), ohne dass deshalb Art. 51 Abs. 1 der Charta dem entgegenstünde.
Speziell in Bezug auf Art. 31 Abs. 2 der Charta ist hervorzuheben, dass das Recht jeder Arbeitnehmerin und jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub schon seinem Wesen nach mit einer entsprechenden Pflicht des Arbeitgebers einhergeht, nämlich der Pflicht zur Gewährung bezahlten Jahresurlaubs.
Sollte das vorlegende Gericht die in den Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung nicht im Einklang mit Art. 31 Abs. 2 der Charta auslegen können, wird es ihm in einer Situation wie der in der Rechtssache C-570/16 obliegen, im Rahmen seiner Befugnisse den aus dieser Bestimmung erwachsenden Rechtsschutz zu gewährleisten und für die volle Wirksamkeit der Bestimmung zu sorgen, indem es erforderlichenfalls die nationale Regelung unangewendet lässt (vgl. entsprechend Urteil vom 17. April 2018, Egenberger, C-414/16, EU:C:2018:257, Rn. 79).
Nach alledem ist auf den zweiten Teil der Frage in der Rechtssache C-569/16 sowie auf den zweiten Teil der ersten Frage und auf die zweite Frage in der Rechtssache C-570/16 zu antworten, dass in dem Fall, dass eine nationale Regelung wie die in den Ausgangsverfahren fragliche nicht im Einklang mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Charta ausgelegt werden kann, das mit einem Rechtsstreit zwischen dem Rechtsnachfolger eines verstorbenen Arbeitnehmers und dessen ehemaligem Arbeitgeber befasste nationale Gericht die nationale Regelung unangewendet zu lassen und dafür Sorge zu tragen hat, dass der Rechtsnachfolger von dem Arbeitgeber eine finanzielle Vergütung für den von dem Arbeitnehmer gemäß diesen Bestimmungen erworbenen und vor seinem Tod nicht mehr genommenen bezahlten Jahresurlaub erhält. Diese Verpflichtung ergibt sich für das nationale Gericht aus Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Charta, wenn sich in dem Rechtsstreit der Rechtsnachfolger und ein staatlicher Arbeitgeber gegenüberstehen, und aus Art. 31 Abs. 2 der Charta, wenn sich in dem Rechtsstreit der Rechtsnachfolger und ein privater Arbeitgeber gegenüberstehen.
Kosten
Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, nach der bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod des Arbeitnehmers der von ihm gemäß diesen Bestimmungen erworbene Anspruch auf vor seinem Tod nicht mehr genommenen bezahlten Jahresurlaub untergeht, ohne dass ein Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für diesen Urlaub besteht, der im Wege der Erbfolge auf die Rechtsnachfolger des Arbeitnehmers übergehen könnte.
Falls eine nationale Regelung wie die in den Ausgangsverfahren fragliche nicht im Einklang mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Grundrechtecharta ausgelegt werden kann, hat das mit einem Rechtsstreit zwischen dem Rechtsnachfolger eines verstorbenen Arbeitnehmers und dessen ehemaligem Arbeitgeber befasste nationale Gericht die nationale Regelung unangewendet zu lassen und dafür Sorge zu tragen, dass der Rechtsnachfolger von dem Arbeitgeber eine finanzielle Vergütung für den von dem Arbeitnehmer gemäß diesen Bestimmungen erworbenen und vor seinem Tod nicht mehr genommenen bezahlten Jahresurlaub erhält. Diese Verpflichtung ergibt sich für das nationale Gericht aus Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Grundrechtecharta, wenn sich in dem Rechtsstreit der Rechtsnachfolger und ein staatlicher Arbeitgeber gegenüberstehen, und aus Art. 31 Abs. 2 der Grundrechtecharta, wenn sich in dem Rechtsstreit der Rechtsnachfolger und ein privater Arbeitgeber gegenüberstehen.
Lenaerts
Bonichot
Prechal
Vilaras
von Danwitz
Biltgen
Jürimäe
Lycourgos
Ilešič
Malenovský
Levits
Bay Larsen
Rodin
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 6. November 2018.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident
K. Lenaerts
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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Persönlicher Ansprechpartner
0800 0265637