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BAG 27.06.2012 - 5 AZR 530/11
BAG 27.06.2012 - 5 AZR 530/11 - Überstunden - Vergütungserwartung
Normen
§ 307 Abs 1 S 2 BGB, § 307 Abs 3 S 2 BGB, § 612 Abs 1 BGB
Vorinstanz
vorgehend ArbG Nürnberg, 16. Dezember 2009, Az: 2 Ca 2200/09, Urteil
vorgehend Landesarbeitsgericht Nürnberg, 8. Februar 2011, Az: 6 Sa 90/10, Urteil
Tenor
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1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 8. Februar 2011 - 6 Sa 90/10 - wird zurückgewiesen.
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2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten - soweit für die Revision von Interesse - über die Vergütung von Überstunden.
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Der 1978 geborene Kläger war vom 4. November 2002 bis zum 28. Februar 2009 bei der Beklagten auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 23./29. Oktober 2002 beschäftigt. Dort heißt es ua.:
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„§ 2 Tätigkeit
Der Arbeitnehmer wird als Mitarbeiter für den Bereich Kanzlei-Börse eingestellt und mit allen einschlägigen Arbeiten nach näherer Anweisung des Arbeitgebers beschäftigt. Er ist auch verpflichtet, auch andere zumutbare Tätigkeiten zu verrichten.
§ 3 Arbeitszeit
1.
Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt 40 Stunden wöchentlich.
2.
Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und die Pausenregelung richten sich nach den Anweisungen des Arbeitgebers oder der betrieblichen Übung.
§ 4 Vergütung / Sonstige Leistungen
1.
Der Arbeitnehmer erhält für seine Tätigkeit ein monatliches Gehalt in Höhe von € 2.200,00 brutto.
2.
Etwaige Überstunden gelten mit dem Gehalt als abgegolten.
3.
Die Zahlung des Gehalts ist jeweils am letzten des Monats fällig.“
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Unter dem 1. September 2005 schlossen die Parteien folgende Ergänzung zum Arbeitsvertrag:
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„§ 4 Vergütung / Sonstige Leistungen
1.
Der/die Arbeitnehmer/in erhält für seine/ihre Tätigkeit ein monatliches Grundgehalt in Höhe von EUR 2.200,00 brutto. Zusätzlich wird ab 01.09.2005 eine Vergütung für die alleinige Vermittlung von Kanzleien, in Höhe von 10 % des Nettobetrages aus der berechneten Provision für die Kanzleivermittlung, vereinbart. Die Auszahlung der Vergütung erfolgt nach Kundenzahlung.
2.
Etwaige Überstunden gelten mit dem Gehalt als abgegolten.
3.
Die Zahlung des Gehalts ist jeweils am letzten des Monats fällig.“
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Am 11. September 2007 vereinbarten die Parteien mündlich, dass für den Kläger der - provisionspflichtige - Verkauf des „Notfallplans“, einem Produkt der Beklagten, erste Priorität haben und der Kläger bei seinen übrigen Tätigkeiten von einer neu eingestellten Kraft entlastet werden sollte.
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Der Kläger erzielte 2006 (Brutto-)Provisionen iHv. 7.916,60 Euro, 2007 iHv. 14.665,89 Euro, 2008 iHv. 12.965,52 Euro sowie in den Monaten Januar und Februar 2009 iHv. 400,00 Euro.
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Mit der am 19. März 2009 eingereichten Klage hat der Kläger erstmals die Vergütung von zuletzt 268,52 Überstunden geltend gemacht, die er im Zeitraum Februar 2006 bis Januar 2009 mit Außendiensttätigkeiten geleistet habe. Die in § 4 Ziff. 2 Arbeitsvertrag vorgesehene Pauschalvergütung von Überstunden sei unwirksam.
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Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.603,54 Euro brutto nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, Überstunden hätten durch einen flexiblen Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit ausgeglichen werden können. Im Übrigen habe sie Überstunden nicht angeordnet. Deren Vergütung sei mit den verdienten Provisionen abgegolten. Ein Anspruch auf Überstundenvergütung sei jedenfalls verwirkt.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
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I. Das Berufungsurteil unterliegt nicht schon deshalb der Aufhebung, weil es dem Kläger erst nach Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung vollständig abgefasst zugestellt worden ist. Auf Gründe des § 72b ArbGG kann die Revision nicht gestützt werden, § 73 Abs. 1 Satz 2 ArbGG.
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II. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Überstundenvergütung.
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1. Das ergibt sich allerdings nicht schon aus § 4 Ziff. 2 Arbeitsvertrag.
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a) Die genannte Regelung unterliegt der Kontrolle anhand § 307 BGB. Die Beklagte hat den Arbeitsvertrag nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts vorformuliert, dem Kläger in dieser Form angeboten und damit im Rechtssinne gestellt. Ob es sich dabei um für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung handelte (§ 305 Abs. 1 BGB), bedarf keiner weiteren Aufklärung, denn der Arbeitsvertrag ist ein Verbrauchervertrag iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB (BAG 19. Mai 2010 - 5 AZR 253/09 - Rn. 20 ff., AP BGB § 310 Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 310 Nr. 10; 16. Mai 2012 - 5 AZR 347/11 - Rn. 14). Auf den Inhalt der vorformulierten Klausel zur Vergütung von Überstunden konnte der Kläger unstreitig keinen Einfluss nehmen.
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b) Die in § 4 Ziff. 2 Arbeitsvertrag geregelte Pauschalvergütung von Überstunden ist mangels hinreichender Transparenz unwirksam, § 307 Abs. 3 Satz 2 iVm. Abs. 1 Satz 2 BGB.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine die pauschale Vergütung von Überstunden regelnde Klausel nur dann klar und verständlich, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag selbst ergibt, welche Arbeitsleistungen in welchem zeitlichen Umfang von ihr erfasst werden sollen. Der Arbeitnehmer muss bereits bei Vertragsabschluss erkennen können, was ggf. „auf ihn zukommt“ und welche Leistungen er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss (vgl. dazu BAG 17. August 2011 - 5 AZR 406/10 - Rn. 14 mwN, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 10; 22. Februar 2012 - 5 AZR 765/10 - Rn. 16).
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Nach diesen Grundsätzen ist § 4 Ziff. 2 Arbeitsvertrag nicht klar und verständlich. Der Umfang der davon erfassten Überstunden lässt sich weder der Klausel selbst noch den arbeitsvertraglichen Bestimmungen im Übrigen entnehmen.
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2. Ist im Arbeitsvertrag die Vergütung von Überstunden weder positiv noch negativ geregelt, kommt als Anspruchsgrundlage dafür nur § 612 Abs. 1 BGB in Betracht. Danach gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Diese Vergütungserwartung ist im Streitfall nicht gegeben.
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a) Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass jede Mehrarbeitszeit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu vergüten ist, gibt es nicht. Die Vergütungserwartung ist stets anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung sowie der Stellung der Beteiligten zueinander festzustellen, ohne dass es auf deren persönliche Meinung ankäme. Sie kann sich insbesondere daraus ergeben, dass im betreffenden Wirtschaftsbereich Tarifverträge gelten, die für vergleichbare Arbeiten eine Vergütung von Überstunden vorsehen. Die nach § 612 Abs. 1 BGB erforderliche - objektive - Vergütungserwartung wird deshalb in weiten Teilen des Arbeitslebens gegeben sein (BAG 17. August 2011 - 5 AZR 406/10 - Rn. 20 mwN, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 10). Sie wird aber fehlen, wenn arbeitszeitbezogen und arbeitszeitunabhängig vergütete Arbeitsleistungen zeitlich verschränkt sind (BAG 21. September 2011 - 5 AZR 629/10 - Rn. 32, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 11), wenn Dienste höherer Art geschuldet sind (BAG 17. August 2011 - 5 AZR 406/10 - Rn. 21, aaO) oder insgesamt eine deutlich herausgehobene, die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitende Vergütung gezahlt wird (BAG 22. Februar 2012 - 5 AZR 765/10 - Rn. 21). Darlegungs- und beweispflichtig für das Bestehen einer Vergütungserwartung ist nach allgemeinen Grundsätzen derjenige, der eine Vergütung begehrt.
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b) Aus dem Sachvortrag des Klägers lässt sich das Bestehen einer Vergütungserwartung nicht begründen. Anders als im „Normalarbeitsverhältnis“ waren die Vertragsbeziehungen der Parteien seit der Ergänzung zum Arbeitsvertrag vom 1. September 2005 im Streitfall dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger für einen Teil seiner Arbeit - nämlich die Vermittlungstätigkeit - eine zusätzliche Vergütung in Form einer Provision erhalten sollte. Bei einer solchen kommt es aber typischerweise (vgl. § 87 Abs. 1 HGB) aus der Sicht der beteiligten Kreise nicht auf die Erfüllung eines Stundensolls, sondern den Erfolg - die vermittelten Geschäfte - an. Erhält der Arbeitnehmer arbeitszeitbezogene Vergütung und zusätzlich für einen Teil seiner Arbeitsaufgaben in nicht unerheblichem Maße Provisionen, lässt sich das Bestehen einer objektiven Vergütungserwartung für Überstunden nicht ohne Hinzutreten besonderer Umstände oder einer entsprechenden Verkehrssitte begründen. Fehlt es daran, kann eine Überstundenvergütung nur verlangt werden, wenn sie arbeitsvertraglich vereinbart ist.
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c) Besondere Umstände für eine Ausnahme von dieser Regel hat der Kläger nicht vorgebracht. Insbesondere waren die bezogenen Provisionen nicht unerheblich. Nach den unstreitigen Zahlen betrugen sie 2006 knapp 30 %, 2007 rd. 55 % und 2008 rd. 49 % der Festvergütung. Anhaltspunkte für eine die Auffassung des Klägers stützende entsprechende Verkehrssitte hat der Senat nicht.
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3. Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zur Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat bereits zur (Vorgänger-)Richtlinie 93/104/EG entschieden, dass die Arbeitszeitrichtlinie auf die Vergütung der Arbeitnehmer keine Anwendung findet (EuGH 1. Dezember 2005 - C-14/04 - [Dellas ua.] Rn. 38, Slg. 2005, I-10253). Darüber hinaus ist nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht dargetan, dass eine von den Voraussetzungen des § 612 Abs. 1 BGB losgelöste Vergütungspflicht für Überstunden überhaupt geeignet wäre, den in der Richtlinie 2003/88/EG vorgesehenen Arbeitszeitschutz effektiver als die im Arbeitszeitgesetz normierte Überwachungspflicht der Aufsichtsbehörden (§ 17 ArbZG) und die dortigen Bußgeld- und Strafvorschriften (§§ 22, 23 ArbZG) zu gewährleisten.
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4. Auf die vom Landesarbeitsgericht angenommene Verwirkung des Anspruchs kommt es nicht an (abl. zur Verwirkung des Anspruchs auf Überstundenvergütung bei einer intransparenten Klausel zur Pauschalvergütung von Überstunden BAG 22. Februar 2012 - 5 AZR 765/10 - Rn. 24 mwN; 16. Mai 2012 - 5 AZR 347/11 - Rn. 21).
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III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
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Müller-Glöge
Laux
Biebl
Dittrich
Busch
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