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BAG 13.06.2012 - 10 AZR 247/11
BAG 13.06.2012 - 10 AZR 247/11 - Jahressonderzuwendung 2009 - Auslegung des § 5 Ziff 12 TV Gewährung einer jährlichen Sonderzahlung - Besitzstandsregelung
Normen
Vorinstanz
vorgehend ArbG Kiel, 9. Juni 2010, Az: 3 Ca 623 c/10, Urteil
vorgehend Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, 9. Februar 2011, Az: 3 Sa 469/10, Urteil
Tenor
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Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 9. Februar 2011 - 3 Sa 469/10 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über den Anspruch auf eine Jahressonderzahlung für das Jahr 2009.
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Der Kläger trat am 7. April 2008 in die Dienste der Beklagten. Er ist als Mitarbeiter im Archiv tätig und Mitglied der Gewerkschaft ver.di.
- 3
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Rechtsvorgängerin der Beklagten war die D S GmbH. Sie gehörte, wie auch die Beklagte, zum Konzern der D Holding AG (im Folgenden: Holding). Bis zum Jahr 2006 zahlten die zum Konzern gehörenden Unternehmen aufgrund unterschiedlicher tarifvertraglicher Regelungen Jahressonderzahlungen an ihre Arbeitnehmer. Diese Zahlungen waren nicht vom Betriebsergebnis abhängig.
- 4
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Die Gewerkschaften ver.di und NGG und die Holding regelten mit dem „Tarifvertrag über die Gewährung einer jährlichen Sonderzahlung vom 27. März 2007 nebst Änderungstarifvertrag vom 21. November 2008“ (TV-S) die Sonderzahlungen für die Zeit ab 2007 neu. Danach sollten die Arbeitnehmer für jedes Wirtschaftsjahr eine Sonderzahlung erhalten, deren Höhe sich nach der Entwicklung des Betriebsergebnisses (EBITDA) des Konzerns bestimmt. Für Gewerkschaftsmitglieder enthält der TV-S Sonderregelungen: In den Jahren 2007 und 2008 erhalten sie bei Vorliegen der wirtschaftlichen Voraussetzungen eine höhere Sonderzahlung. Darüber hinaus erhalten sie in den Jahren 2007 bis 2009 Zahlungen auch dann, wenn nach der am Betriebsergebnis ausgerichteten Berechnungsweise an sich keine Zahlung zu leisten wäre.
-
Die tariflichen Regelungen haben ua. folgenden Wortlaut:
-
„§ 2 ANSPRUCHSVORAUSSETZUNGEN
1.
Der Arbeitnehmer erhält für jedes Wirtschaftsjahr (01.01. bis 31.12.) eine Sonderzahlung, deren Höhe von der Entwicklung des Betriebsergebnisses (EBITDA) des Konzerns der D Holding AG abhängig ist, wenn er seit dem 1. Januar des Wirtschaftsjahres ununterbrochen als Arbeitnehmer gemäß § 1 beschäftigt ist und am letzten Kalendertag des Monats Dezember des Wirtschaftsjahres noch im Arbeitsverhältnis steht. Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im laufenden Jahr beginnt, und die am letzten Tag des Monats Dezember noch im Arbeitsverhältnis stehen, erhalten das Sonderentgelt nach Monaten anteilig, und zwar ein Zwölftel für jeden vollen Monat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses im Wirtschaftsjahr.
…
§ 3 HÖHE DER SONDERZAHLUNG
1.
Die Sonderzahlung beträgt maximal das 1,5fache des jeweils durchschnittlichen Monatsentgeltes.
…
§ 5 BERECHNUNG DER SONDERZAHLUNG
…
12.
Unabhängig von einer möglichen höheren Zahlung nach den Regelungen der Ziffern 4 bis 9 erhalten Mitglieder der Gewerkschaften ver.di sowie NGG in den Jahren 2007 bis 2009 mindestens eine garantierte Sonderzahlung in Abhängigkeit zu der am 31.12.2006 jeweils gültigen tariflichen Regelung nach folgender Tabelle:
Am 31.12.2006 gültige Regelung
Garantierter Faktor
Sonderzahlung nach Haustarif
0,80
TVöD (Regelung 2007)
0,60 bis 0,90
TVL
0,35 bis 0,95
TVöD-Ost
0,45 bis 0,675
BAT-Ost
0,6721
E-Klinik
0,35
NGG
0,40
13.
Als Gewerkschaftsmitglied gilt, wer spätestens am 06.03.2007 in die Gewerkschaft eingetreten ist und dessen Mitgliedschaft am 30.11. des jeweiligen Wirtschaftsjahres noch besteht und im Anspruchsjahr die Gewerkschaftsmitgliedschaft nicht gekündigt wurde. Für die Jahre 2008 und folgende gilt jeweils der 01.01. des Jahres als spätestes Eintrittsdatum.“
(Fassung vom 27. März 2007)
„13.
Als Gewerkschaftsmitglied gilt, wer spätestens zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Sonderzahlung in die Gewerkschaft eingetreten ist.“
(Fassung vom 21. November 2008 und vom 2. März 2010)
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Da sich die ursprüngliche tarifliche Regelung aufgrund der Entscheidung des Vierten Senats vom 18. November 2009 (- 4 AZR 491/08 - BAGE 132, 268) als formell unwirksam erwies, haben die Tarifvertragsparteien eine inhaltlich identische Regelung durch Tarifvertrag vom 2. März 2010 rückwirkend ab 2007 in Kraft gesetzt.
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Der Kläger erhielt für das Jahr 2009 keine Jahressonderzahlung.
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Er hat die Ansicht vertreten, die in § 5 Ziff. 12 TV-S garantierte Sonderzahlung setze nur voraus, dass der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Fälligkeit der jeweiligen Jahressonderzahlung Gewerkschaftsmitglied sei.
-
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
-
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 493,20 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten oberhalb des jeweiligen Basiszinssatzes seit dem 1. Dezember 2009 zu zahlen.
- 10
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Bei § 5 Ziff. 12 TV-S handele es sich um eine reine Besitzstandsregelung, die an eine Betriebszugehörigkeit am 31. Dezember 2006 anknüpfe. Die gewählte Stichtagsregelung sei rechtlich nicht zu beanstanden.
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Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.
Entscheidungsgründe
- 12
-
Die zulässige Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Sonderzahlung für das Jahr 2009.
- 13
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I. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Ziff. 12 TV-S liegen nicht vor. Nach der Tarifvorschrift steht die Sonderzahlung nur Arbeitnehmern zu, die am 31. Dezember 2006 im Konzern der Holding beschäftigt waren und spätestens zum Fälligkeitszeitpunkt Gewerkschaftsmitglied waren. Das ergibt die Auslegung der Tarifregelung.
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1. Schon der Wortlaut der tariflichen Regelung, von dem nach ständiger Rechtsprechung vorrangig auszugehen ist (zB BAG 23. Februar 2011 - 10 AZR 299/10 - Rn. 14, ZTR 2011, 491), legt die Begrenzung des Anspruchs auf die Arbeitnehmer nahe, die am 31. Dezember 2006 Anspruch auf eine Sonderzahlung gegen eines der Konzernunternehmen hatten. Andernfalls wäre kaum erklärlich, dass die Zahlung „in Abhängigkeit zu der am 31.12.2006 jeweils gültigen tariflichen Regelung“ zu berechnen war. Eine zu einem bestimmten Zeitpunkt für den Arbeitnehmer „gültige Regelung“ kann es nur geben, wenn er an diesem Tag in einem Arbeitsverhältnis zu einem der Konzernunternehmen stand. Die von der Revision vertretene Auffassung, damit sei lediglich eine betriebliche Differenzierung gemeint, würde voraussetzen, dass es für die Betriebe oder Unternehmen einheitliche „jeweils gültige“ tarifliche Regelungen gab. Derartiges ist aber weder festgestellt noch naheliegend. § 5 Ziff. 12 TV-S nennt - im Unterschied zu § 1 TV-S - gerade nicht die verschiedenen Konzernunternehmen oder Betriebe, sondern die „jeweils gültigen“ Tarifverträge, von denen aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahmen durchaus mehrere in einem Betrieb oder Unternehmen gegolten haben dürften, wie das Landesarbeitsgericht festgestellt hat. Dabei umfasst der Geltungsbereich des TV-S die Arbeitnehmer von 17 Unternehmen, § 5 Ziff. 12 TV-S bezeichnet jedoch nur sieben Tarifverträge bzw. Fallgestaltungen, ohne eine Zuordnung vorzunehmen. Lediglich im Fall der „E-Klinik“ und in Bezug auf „Sonderzahlung nach Haustarif“ erwähnt § 5 Ziff. 12 TV-S unternehmensbezogene Regelungen; im Übrigen werden Flächentarifverträge aufgeführt.
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2. Dieses Auslegungsergebnis findet seine Bestätigung im Sinn und Zweck und im Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung.
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a) Sinn des TV-S war, die Höhe der Sonderzahlungen nicht mehr nach festgelegten Beträgen oder Anteilen vom Monatsentgelt zu bestimmen, sondern ergebnisabhängig zu gestalten und konzernweit zu vereinheitlichen. Dies hätte allerdings die Folge haben können, dass bisher gezahlte Leistungen bei einem schlechten wirtschaftlichen Ergebnis für bereits beschäftigte Arbeitnehmer übergangslos entfallen wären. Dem haben die auf Arbeitnehmerseite tätigen Tarifvertragsparteien, ohne deren Mitwirkung eine Ablösung der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden unterschiedlichen tariflichen Regelungen nicht möglich gewesen wäre, insofern Rechnung getragen, als sie für zu diesem Zeitpunkt bereits beschäftigte Arbeitnehmer, die Gewerkschaftsmitglieder waren oder später wurden, in § 5 Ziff. 12 TV-S eine Sonderregelung geschaffen haben. Die Anknüpfung an die am 31. Dezember 2006 gültige tarifliche Regelung macht dabei deutlich, dass es sich um eine Besitzstandssicherung handelt. Das konnte naturgemäß nur für Arbeitnehmer geschehen, die einen Besitzstand innehatten, der gewahrt werden konnte, also für Arbeitnehmer, die ohne Abschluss des Tarifvertrags einen Anspruch auf Sonderzahlung aus ihren bisherigen Verträgen ableiten konnten. Nur deshalb war es auch sinnvoll und folgerichtig, dass die Berechnung des Garantiebetrags in Vom-Hundert-Sätzen auf die bis zum 31. Dezember 2006 zu leistende Sonderzahlung erfolgen sollte. Gleichzeitig stellt diese Regelung für das Jahr 2007 Beschäftigte besser, die bereits vor Abschluss des TV-S am 27. März 2007 in eine der tarifvertragschließenden Gewerkschaften eingetreten waren (§ 5 Ziff. 13 TV-S: Eintritt bis 6. März 2007). Für die Jahre 2008 und 2009 wurde darüber hinaus ein Anreiz für diese Beschäftigten geschaffen, noch in eine der Gewerkschaften einzutreten, um ebenfalls in den Genuss der Besitzstandssicherung zu kommen. Für diese Jahre genügte gemäß § 5 Ziff. 13 TV-S idF vom 21. November 2008 der Beitritt spätestens zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Sonderzahlung im April des Folgejahres.
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b) Daneben vereinbarten die Tarifvertragsparteien für die Jahre 2007 und 2008 eine vorübergehende Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern für den Fall, dass die wirtschaftlichen Vorgaben erreicht werden (§ 5 Ziff. 5 und Ziff. 8 TV-S). Insoweit knüpft die Tarifregelung nicht an einen früheren Besitzstand an, sondern differenziert lediglich in der Höhe der Leistung zwischen organisierten und nicht organisierten Beschäftigten. Die Regelung des § 5 Ziff. 13 TV-S hat deshalb auch für Arbeitnehmer Bedeutung, deren Arbeitsverhältnis erst nach dem 31. Dezember 2006 begonnen hat.
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II. Diese Stichtagsregelung ist rechtlich nicht zu beanstanden.
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1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Stichtagsregelungen mit ihrer notwendigen Pauschalierung aus Gründen der Praktikabilität grundsätzlich - ungeachtet der damit verbundenen Härten - zur Abgrenzung von begünstigten Personenkreisen gerechtfertigt, wenn sich die Wahl des Stichtags und Referenzzeitraums am gegebenen Sachverhalt orientiert und vertretbar erscheint. Die Tarifvertragsparteien dürfen generalisieren und typisieren. Sie können bestimmte in wesentlichen Elementen gleichgeartete Lebenssachverhalte normativ zusammenfassen und typisieren. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, können generalisierend vernachlässigt werden. Der Normgeber darf sich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Die von ihm vorgenommenen Verallgemeinerungen müssen allerdings auf eine möglichst breite, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließende Beobachtung aufbauen. Zudem müssen die Differenzierungsmerkmale im Normzweck angelegt sein und dürfen ihm nicht widersprechen. Die bei einer Typisierung entstehenden unvermeidlichen Ungerechtigkeiten und Härten in einzelnen, besonders gelagerten Fällen, in denen die Interessenlage von der von den Tarifvertragsparteien als typisch angenommenen abweicht, sind hinzunehmen, wenn sie nicht besonders schwer wiegen und nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären (BAG 23. März 2011 - 10 AZR 701/09 - Rn. 22 mwN, AP TVG § 1 Tarifverträge: Verkehrsgewerbe Nr. 19).
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2. Diesen Anforderungen wird die hier getroffene Regelung gerecht. Ihr Zweck ist es, im Rahmen einer tariflichen Neustrukturierung einer Leistung den Besitzstand der Beschäftigten in einem gewissen Umfang zu sichern. Die Folgen der den Arbeitnehmern ggf. nachteiligen Regelungen sollen für diejenigen Gewerkschaftsmitglieder gemildert werden, die sich in der Vergangenheit auf die Zahlung einer nicht ergebnisabhängigen Sonderzahlung eingerichtet hatten. Dieser Zweck legte es nahe, eine Regelung nur für die (organisierten) Arbeitnehmer zu schaffen, die einen derartigen Besitzstand auch erworben hatten.
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III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
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Mikosch
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R. Bicknase
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