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BSG 16.11.2023 - B 5 R 115/23 B
BSG 16.11.2023 - B 5 R 115/23 B - (Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - trotz vorheriger Anhörung zu einer Beschlussfassung nach § 153 Abs 4 SGG Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil)
Normen
§ 124 Abs 1 SGG, § 153 Abs 4 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG
Vorinstanz
vorgehend Sozialgericht für das Saarland, 27. Juni 2022, Az: S 49 R 152/22, Urteil
vorgehend Landessozialgericht für das Saarland, 20. Juni 2023, Az: L 1 R 31/22, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 20. Juni 2023 wird als unzulässig verworfen.
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Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
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I. Der Kläger, ein früherer Rechtsanwalt, begehrt in der Sache eine höhere Regelaltersrente sowie einen höheren Zuschuss zur privaten Krankenversicherung. Das hierzu geführte Berufungsverfahren gegen das klageabweisende Urteil des SG vom 27.8.2021 (S 49 R 253/20) ist noch beim LSG unter dem Aktenzeichen L 1 R 2/22 anhängig. Zusätzlich zu der von ihm eingelegten Berufung gegen das SG-Urteil vom 27.8.2021 hat der Kläger einen Antrag auf Urteilsergänzung nach § 140 SGG gestellt. Diesen Antrag hat das SG mit Urteil vom 27.6.2022 abgelehnt (S 49 R 152/22). Die auch hiergegen vom Kläger erhobene Berufung hat das LSG mit Urteil vom 20.6.2023 (L 1 R 31/22) zurückgewiesen. Anhängig ist beim LSG zudem noch eine "außerordentliche Beschwerde" gegen die Ablehnung eines Antrags auf Berichtigung des Tatbestands des SG-Urteils vom 27.8.2021 durch Beschluss des SG vom 18.3.2022.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 20.6.2023 (in Sachen Urteilsergänzung) hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt. Er rügt Verfahrensfehler, die zugleich Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwürfen.
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II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat weder Verfahrensmängel noch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlichen Weise bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
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a) Das Rechtsmittel ist nicht schon deshalb unzulässig, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers sowohl die Beschwerdeschrift als auch die Beschwerdebegründung dem Gericht durch Briefpost übermittelt hat. Zwar ist diese Art der Einreichung von Schriftsätzen, Anträgen und Erklärungen durch Rechtsanwälte seit dem 1.1.2022 in der Regel nicht mehr formgerecht (vgl § 65d Satz 1 SGG sowie zu Ausnahmen bei vorübergehender Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung Satz 3 und 4 aaO). Dasselbe gilt für eine Übermittlung per Telefax. Der Prozessbevollmächtigte hat aber die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründung tatsächlich formgerecht auch über das besondere elektronische Anwaltspostfach übermittelt (vgl § 65a Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGG). Dass beide Schriftsätze hinsichtlich des Übermittlungsweges mittlerweile nicht mehr zutreffende Textbausteine verwenden, ist insoweit unschädlich.
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b) Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig, weil Verfahrensmängel nicht hinreichend bezeichnet sind.
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Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht, sofern nicht ein absoluter Revisionsgrund geltend gemacht wird. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Das Vorbringen des Klägers entspricht diesen Anforderungen nicht.
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aa) Der Kläger rügt zunächst, das LSG habe verfahrensfehlerhaft durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, obwohl ihm zuvor mit Anhörungsverfügung vom 2.3.2023 mitgeteilt worden sei, der Senat wolle im Fall der Nichtrücknahme des Rechtsmittels die Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG zurückweisen. Die im LSG-Urteil wiedergegebene Rechtsauffassung, es sei dem Senat nicht verwehrt, trotz vorheriger Anhörung zu einer Beschlussfassung nach § 153 Abs 4 SGG aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden, könne nicht zutreffen. Wenn der Senat sich hinsichtlich der Sach- und Rechtslage durch die Berufsrichter bereits einstimmig eine Meinung gebildet habe, wäre es "völlig widersinnig", aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden, da die in der mündlichen Verhandlung mitwirkenden ehrenamtlichen Richter die Berufsrichter nicht überstimmen könnten. Es sei evident, dass die Entscheidung des LSG auf diesem Verfahrensfehler beruhen könne. Zudem bewirke diese Verletzung des § 153 Abs 4 SGG eine unvorschriftsmäßige Besetzung des Berufungsgerichts, womit ein absoluter Revisionsgrund vorliege.
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Mit diesen Ausführungen ist ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, nicht schlüssig dargetan. Der Kläger verkennt die Funktion der mündlichen Verhandlung als vom Gesetz regelhaft vorgegebener Form der Entscheidungsfindung (vgl § 124 Abs 1 SGG) und "Kernstück" des sozialgerichtlichen Verfahrens (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 26.5.2023 - B 5 R 190/22 B - juris RdNr 12 mwN). Weshalb es "widersinnig" sein soll, die mündliche Verhandlung zum Austausch von Argumenten zu nutzen, um gegebenenfalls Berufsrichter und ehrenamtliche Richter von der eigenen Sichtweise zu überzeugen, erschließt sich nicht. Ein Verfahrensmangel kann allenfalls vorliegen, wenn das Gericht zu Unrecht von der Möglichkeit einer vereinfachten Beschlussfassung ohne mündliche Verhandlung Gebrauch macht. Hingegen liegt von vornherein kein Verfahrensfehler vor, wenn das LSG nach Anhörung der Beteiligten (vgl Schriftsätze des Klägers vom 13.3.2023 und vom 27.3.2023) das ursprüngliche Vorhaben einer Beschlussfassung nach § 153 Abs 4 SGG aufgibt und zum Regelfall der Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung zurückkehrt. In einem solchen Fall kann von einer "Verletzung des § 153 Abs. 4 SGG" keine Rede sein. Dass das Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung am 20.6.2023 nicht den Vorschriften entsprechend besetzt gewesen ist, lässt sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen.
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Im Übrigen wäre nach dem Vortrag des Klägers (ein "lediglich um zwei ehrenamtliche Richter" erweiterter LSG-Senat könne auch nach mündlicher Verhandlung zu keiner anderen Entscheidung kommen) ohnehin ausgeschlossen, dass die angefochtene Entscheidung anders ausgefallen wäre, wenn das LSG - wie der Kläger nunmehr mit seiner Beschwerde fordert - durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG entschieden hätte.
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bb) Als weiteren Verfahrensmangel macht der Kläger geltend, das LSG hätte "in der Sache grundsätzlich nicht … entscheiden dürfen", solange über den aus seiner Sicht vorrangigen Antrag auf Tatbestandsberichtigung hinsichtlich desselben SG-Urteils noch nicht rechtskräftig entschieden worden sei. Die Beschwerdebegründung erschöpft sich insoweit in einem einzigen Satz und enthält schon keine Angabe, welche Verfahrensvorschrift durch die Vorgehensweise des LSG verletzt worden sein soll. Ein Verfahrensmangel ist auch sonst nicht schlüssig dargetan. Da das LSG den Streitfall im gleichen Umfang wie das SG prüft und auch neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel berücksichtigen muss (vgl § 157 SGG), ist ohne nähere Darstellung nicht erkennbar, inwiefern die Entscheidung des LSG in der Sache von den Feststellungen im Tatbestand des SG-Urteils abhängig sein könnte.
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c) Auch soweit die Beschwerdebegründung abschließend Rechtsfragen formuliert, die im Zusammenhang mit den zuvor gerügten Verfahrensfehlern klärungsbedürftig seien, sind die Anforderungen an eine Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht erfüllt (vgl dazu zB BSG Beschluss vom 1.9.2023 - B 5 R 70/23 B - juris RdNr 8 mwN).
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Der Kläger führt folgende Fragen an:
1.
"Ist nach einstimmiger Willensbildung des Senats und nach Erlass einer Anhörungsverfügung mit Mitteilung der beabsichtigten Verfahrensweise gemäß § 153 Abs. 4 SGG noch eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil im sozialgerichtlichen Berufungsverfahren zulässig?"
2.
"Ist im sozialgerichtlichen Verfahren eine Entscheidung nach § 140 SGG auf Urteilsergänzung möglich, solange gleichzeitig ein Verfahren auf Tatbestandsberichtigung gemäß § 139 SGG betreffend das gleiche Urteil nicht rechtskräftig abgeschlossen ist oder muss bei dieser Verfahrensgestaltung zunächst zwingend vorgreiflich der rechtskräftige Abschluss des Verfahrens über den Antrag auf Tatbestandsberichtigung abgewartet werden?"
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Ausführungen dazu, inwiefern im Lichte bereits vorhandener Rechtsprechung zu den angeführten Verfahrensvorschriften noch weiterer höchstrichterlicher Klärungsbedarf besteht, finden sich in der Beschwerdebegründung nicht. Die Angabe, es sei das Urteil des LSG "dahingehend nachzuprüfen, inwieweit sich für die hier aufgeworfenen Rechtsfragen ausreichende Anhaltspunkte ergeben", reicht zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit nicht aus.
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 iVm einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Düring
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Hahn
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