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BVerfG 12.01.2023 - 2 BvQ 1/23
BVerfG 12.01.2023 - 2 BvQ 1/23 - Erfolgloser isolierter Eilantrag im Zusammenhang mit Disziplinarmaßnahmen im Maßregelvollzug - Unzulässigkeit einer in der Hauptsache noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Begründung und wegen Subsidiarität
Normen
§ 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 56 Abs 3 S 2 SichVVollzG HE
Vorinstanz
vorgehend LG Marburg, 19. September 2022, Az: 4a StVK 13/22, Beschluss
vorgehend OLG Frankfurt, 13. Dezember 2022, Az: 3 Ws 432/22 (StVollz), Beschluss
Tenor
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe
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Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG liegen nicht vor.
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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 7, 367 371>; 103, 41 42>; 121, 1 15>; 134, 138 140 Rn. 6>; stRspr).
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Zwar ist nicht erforderlich, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits ein Verfassungsbeschwerdeverfahren in der Hauptsache anhängig ist; ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann auch isoliert und im Vorgriff auf eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde gestellt werden (vgl. BVerfGE 105, 235 238>; 113, 113 119 f.>; stRspr). Allerdings sind auch in diesem Fall die Begründungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG zu berücksichtigen. Dazu gehört die substantiierte Darlegung, dass der Antrag in der Hauptsache weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 20. August 2015 - 1 BvQ 28/15 -, Rn. 2; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. September 2015 - 2 BvQ 29/15 -, Rn. 2). Wird - wie hier - isoliert eine einstweilige Anordnung beantragt, muss der Antrag die Angaben enthalten, die zur Begründung der noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde erforderlich sind.
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2. Nach diesen Maßstäben ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unzulässig, weil der Antragsteller nicht substantiiert aufgezeigt hat, dass die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist. Nach dem gegenwärtigen Vorbringen des Antragstellers erwiese sich eine Verfassungsbeschwerde gegen die rubrizierten Beschlüsse als unzulässig.
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a) Zum einen wird das Vorbringen des Antragstellers den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG nicht gerecht.
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aa) Der Antragsteller legt bereits nicht sämtliche Dokumente vor, die für eine verantwortbare verfassungsrechtliche Prüfung jedenfalls der als verletzt gerügten materiellen Grundrechte erforderlich wären, und gibt diese auch sonst nicht inhaltlich umfassend wieder (vgl. BVerfGE 88, 40 45>; 93, 266 288>; 112, 304 314 f.>; 129, 269 278>). So bleibt bereits offen, welche Sanktion im Rahmen der in Rede stehenden Disziplinarmaßnahme genau angeordnet wurde. Zwar ist dem Antragsteller zuzugeben, dass ihm die Disziplinarmaßnahme jedenfalls ursprünglich nur mündlich bekanntgegeben wurde, jedoch bezieht sich das Landgericht in den Gründen seines Beschlusses vom 19. September 2022 auf eine schriftliche Dokumentation der Disziplinarentscheidung, die offenbar auch Teil der Gerichtsakte war. Es ist nicht dargelegt oder ersichtlich, dass es dem Antragsteller unmöglich gewesen wäre, sich - soweit ihm die schriftliche Dokumentation nicht ohnehin zu einem späteren Zeitpunkt durch die Justizvollzugsanstalt offengelegt wurde - mittels eines Akteneinsichtsgesuchs entweder gegenüber der Justizvollzugsanstalt (§ 64 Satz 2 Hessisches Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz, im Folgenden: HSVVollzG) oder aber gegenüber dem Landgericht (§ 78 Nr. 3 HSVVollzG i.V.m. § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG i.V.m. § 147 Abs. 4 Satz 1 StPO) Kenntnis von der schriftlichen Dokumentation zu verschaffen. Ungeachtet dessen bleiben aber auch der genaue Inhalt seines Antrags auf gerichtliche Entscheidung vom 19. Januar 2022 sowie der weiteren durch ihn im fachgerichtlichen Verfahren verfassten Schriftsätze vom 25. Februar 2022, 10. März 2022 und 10. Juli 2022 im Dunkeln. Ebenso wenig ist das Vorbringen der Justizvollzugsanstalt im fachgerichtlichen Verfahren mangels Vorlage oder inhaltlicher Wiedergabe der Schriftsätze vom 28. Januar 2022, 11. März 2022 und 24. Mai 2022 zuverlässig nachvollziehbar. Schließlich wäre auch eine Vorlage oder inhaltliche Wiedergabe der sowohl vom Landgericht als auch vom Oberlandesgericht und sogar vom Antragsteller selbst in Bezug genommenen früheren, den Antragsteller betreffenden gerichtlichen Entscheidungen geboten gewesen, denen offenbar weitere Disziplinarmaßnahmen aufgrund vergleichbarer Sachverhalte zugrunde lagen. Dies gilt umso mehr, als gerade der Antragsteller jedenfalls im fachgerichtlichen Verfahren eine fehlerhafte Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerügt hat, weil das Landgericht keine Gesamtbetrachtung aller bisher verhängten Disziplinarmaßnahmen vorgenommen habe.
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bb) Darüber hinaus lassen die Ausführungen des Antragstellers aber auch inhaltlich die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht erkennen (vgl. BVerfGE 78, 320 329>; 99, 84 87>; 115, 166 179 f.>). Soweit der Antragsteller seine Antragsschrift darauf stützt, er habe im Verfahren vor dem Oberlandesgericht keine Möglichkeit gehabt, zur Stellungnahme des Hessischen Ministeriums der Justiz vom 18. November 2022 inhaltlich auszuführen und dessen Vortrag zu widerlegen, rügt er der Sache nach eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Allerdings hat er insoweit mit seiner Antragsschrift jedenfalls nicht dargelegt, was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, da nur dann beurteilt werden kann, ob die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts auf dem behaupteten Verfassungsverstoß beruht (vgl. BVerfGE 28, 17 20>; 66, 155 175>; 75, 201 216>).
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Soweit sich der Antragsteller ferner gegen die im Rahmen eines Obiter Dictums getroffene Äußerung des Oberlandesgerichts wendet, aufgrund des Bedürfnisses der grundsätzlichen sofortigen Vollstreckung von Disziplinarmaßnahmen einerseits und der nunmehr herbeigeführten obergerichtlichen Klärung sämtlicher grundlegenden Rechtsfragen andererseits sei künftig eine Vollstreckungsaussetzung nach § 56 Abs. 3 Satz 2 HSVVollzG "eher kritisch zu bewerten", ist dem Antragsteller zwar zuzugeben, dass die Ankündigung des Oberlandesgerichts den Eindruck einer künftigen Verkürzung des Rechtsschutzes hervorrufen könnte. Dies gilt umso mehr, als es sich bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung nach § 56 Abs. 3 Satz 2 HSVVollzG um eine zunächst durch die Justizvollzugsanstalt zu treffende, durch den Gesetzgeber vorgezeichnete (vgl. Hessischer Landtag, Drucks 18/6068, S. 96) und einer etwaigen gerichtlichen Kontrolle vorgelagerte Entscheidung handelt. Gleichwohl greifen die diesbezüglichen Ausführungen des Antragstellers zu kurz. Seine Behauptung, es sei künftig unmöglich, einstweiligen Rechtsschutz zu erlangen, lässt außer Acht, dass das Absehen von einer Vollstreckungsaussetzung nach § 56 Abs. 3 Satz 2 HSVVollzG nicht gleichbedeutend mit einem Verzicht auf gerichtliche Kontrolle ist. So haben die Fachgerichte unbeschadet einer Aussetzung der Vollstreckung durch die Justizvollzugsanstalt grundsätzlich sicherzustellen, dass es im Rahmen des (einstweiligen) Rechtsschutzes gegen Disziplinarmaßnahmen auch ohne eine solche Aussetzung zu einer tatsächlich wirksamen gerichtlichen Kontrolle kommt (vgl. BVerfGE 35, 263 274>; 35, 382 401 f.>; 37, 150 153>; 65, 1 70 f.>; 126, 1 27 f.>). Dies kann eine umgehende gerichtliche Entscheidung und erforderlichenfalls eine gerichtliche Vollzugsaussetzung nach § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG erfordern. Die weitergehende Behauptung des Antragstellers, seine Argumentation drohe inhaltlich nicht mehr geprüft zu werden, kann vor diesem Hintergrund nicht nachvollzogen werden. Gerade das vorliegende Verfahren zeigt, dass sich die Fachgerichte umfassend mit seinem jeweiligen Vorbringen auseinandergesetzt haben. Soweit sich dies künftig anders darstellen sollte, stehen ihm hierfür die entsprechenden Rechtsbehelfe zur Verfügung.
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b) Zum anderen wird aus dem Vorbringen des Antragstellers nicht deutlich, dass er den Grundsatz der materiellen Subsidiarität (vgl. BVerfGE 68, 384 388 f.>; 77, 381 401>; 81, 97 102>; 107, 395 414>; 112, 50 60>; stRspr) gewahrt hat. Soweit er die begehrte einstweilige Anordnung damit begründet, er habe "keine Gelegenheit [gehabt], seine Sichtweise und Gründe in der Kontrollinstanz vorzubringen", weil ihm die Stellungnahme des Hessischen Ministeriums der Justiz vom 18. November 2022 erst am 7. Dezember 2022 - und damit am Tag des Ablaufs der ihm durch das Oberlandesgericht eingeräumten Frist zur Stellungnahme - zugegangen sei, hat er nicht dargelegt, alles ihm Mögliche unternommen zu haben, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung, namentlich das Ergehen einer Entscheidung vor Abgabe einer Stellungnahme, zu verhindern. Dem - offenkundig gerichtserfahrenen - Antragsteller musste bei Erhalt des gerichtlichen Schreibens vom 25. November 2022 am 7. Dezember 2022 bewusst gewesen sein, dass eine Entscheidung des Oberlandesgerichts über die von ihm erhobene Rechtsbeschwerde unmittelbar bevorstand. Er musste sich ferner - nicht zuletzt aufgrund des späten Erhalts des Schreibens des Oberlandesgerichts vom 25. November 2022 - des verzögerten Postversands und -empfangs von und zur Justizvollzugsanstalt gewahr sein. Gleichwohl hat er sein Schreiben vom 7. Dezember 2022, mit dem er das Oberlandesgericht um eine Fristverlängerung ersuchte, soweit ersichtlich, lediglich auf den normalen Postweg gegeben, anstatt das Oberlandesgericht beispielsweise auf telefonischem Wege oder mittels eines Telefax (vgl. zur Verpflichtung einer Justizvollzugsanstalt, einen Antrag eines Gefangenen in besonderen Ausnahmefällen beschleunigt - etwa mittels Telefax - an das Gericht weiterzuleiten: BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. April 1993 - 2 BvR 1605/92, 2 BvR 1710/92 -, juris, Rn. 23; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Juni 1993 - 2 BvR 1808/92 -, juris, Rn. 11; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. November 2007 - 2 BvR 939/07 -, Rn. 10; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Februar 2016 - 2 BvR 3051/14 -, Rn. 2) unmittelbar zu kontaktieren und auf den späten Zugang des Schreibens vom 25. November 2022 aufmerksam zu machen. Mit seiner Vorgehensweise hat der Antragsteller somit in Kauf genommen, dass sein Schreiben vom 7. Dezember 2022 den Senat nicht mehr vor einer Entscheidung in der Sache erreichte.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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