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BVerfG 15.01.2015 - 1 BvR 499/12
BVerfG 15.01.2015 - 1 BvR 499/12 - Nichtannahmebeschluss: Keine Verletzung von Art 101 Abs 1 S 2 GG bei Nichtvorlage an den EuGH unter vertretbarer Annahme eines "acte éclairé" bzw eines "acte clair" - Voraussetzungen eines Betriebsübergangs gem § 613a Abs 1 S 1 BGB
Normen
Art 101 Abs 1 S 2 GG, Art 267 Abs 3 AEUV, § 613a Abs 1 S 1 BGB, Art 1 Abs 1 EGRL 23/2001, Art 6 Abs 1 UAbs 1 EGRL 23/2001, Art 6 Abs 1 UAbs 4 EGRL 23/2001
Vorinstanz
vorgehend BAG, 13. Oktober 2011, Az: 8 AZR 455/10, Urteil
Gründe
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I.
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage einer möglichen Verletzung des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wegen Nichtvorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union.
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Im Ausgangsverfahren beantragte der Beschwerdeführer die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis im Wege des Betriebsübergangs nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB übergegangen sei. Der Beschwerdeführer war bei seiner früheren Arbeitgeberin Leiter einer Abteilung mit 13 Arbeitskräften. Diese übertrug eine Produktlinie mit dem dazugehörigen technischen Know-how sowie Kunden- und Lieferantendaten auf eine andere Firma. Die Erwerberin übernahm den stellvertretenden Abteilungsleiter und drei Ingenieure aus der Abteilung des Beschwerdeführers und ordnete diese unterschiedlichen Abteilungen ihres Unternehmens zu.
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Das Landesarbeitsgericht legte dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob ein Übergang eines Unternehmens- oder Betriebsteils auf einen anderen Inhaber im Sinne von Art. 1 Nr. 1a und b der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen nur dann vorliegt, wenn der Unternehmens- oder Betriebsteil bei dem neuen Inhaber organisatorisch selbständig fortgeführt wird.
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Mit Urteil vom 12. Februar 2009 (Klarenberg, C-466/07, Slg. 2009, I-803) entschied der Gerichtshof der Europäischen Union, die Richtlinie sei dahin auszulegen, dass sie auch dann angewandt werden könne, wenn der übertragene Unternehmens- oder Betriebsteil seine organisatorische Selbständigkeit nicht bewahrt, sofern die funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren beibehalten wird und sie es dem Erwerber erlaubt, diese Faktoren zu nutzen, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen.
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Ausgehend hiervon bejahte das Landesarbeitsgericht einen Betriebsübergang. Das Bundesarbeitsgericht hob dieses Urteil des Landesarbeitsgerichts auf, weil ein Betriebsübergang nicht vorliege. Die übernommene organisierte Gesamtheit von Personen und/oder Sachen müsse bereits beim Veräußerer eine wirtschaftliche Einheit dargestellt und damit die Qualität eines Betriebsteils gehabt haben, um die Voraussetzung des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB erfüllen zu können. Daran fehle es vorliegend. Eine beim Betriebs(teil)veräußerer bestehende funktionelle Verknüpfung zwischen Arbeitsmitteln und Personal genüge nicht. Dies sei aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union eindeutig. Eines erneuten Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV bedürfe es daher nicht.
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II.
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Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Sie hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) und ihre Annahme erscheint auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde, mit der ausschließlich eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gerügt wird, hat keine Aussicht auf Erfolg, weil sie unbegründet ist.
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1. Die Gerichte verletzen das Recht der Parteien auf ihren gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn ihr Umgang mit der Vorlagepflicht aus Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht vertretbar ist, also nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 82, 159 194>; 126, 286 315 ff.>; 129, 78 106>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12 u.a. -, juris, Rn. 179 f.).
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Eine solche unhaltbare Auslegung und Anwendung von Art. 267 Abs. 3 AEUV liegt in den Fallgruppen der grundsätzlichen Verkennung der Vorlagepflicht und des bewussten Abweichens von der Rechtsprechung des Gerichtshofs ohne Vorlagebereitschaft vor (vgl. BVerfGE 82, 159 195 f.>; 129, 78 106>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12 u.a. -, juris, Rn. 181 f.). Liegt zu einer nicht eindeutig zu beantwortenden entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht nur als entfernte Möglichkeit, so wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur dann verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat (Unvollständigkeit der Rechtsprechung; BVerfGE 129, 78 106 f.> m.w.N.; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12 u.a. -, juris, Rn. 181 ff.). Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Fachgerichte das Vorliegen eines "acte clair" oder eines "acte éclairé" willkürlich bejahen (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12 u.a. -, juris, Rn. 183).
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Das Gericht muss sich daher hinsichtlich des materiellen Unionsrechts hinreichend kundig machen. Etwaige einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union muss es auswerten und seine Entscheidung hieran orientieren. Auf dieser Grundlage muss das Fachgericht unter Anwendung und Auslegung des materiellen Unionsrechts die vertretbare Überzeugung hinsichtlich der Vorlagepflicht bilden, dass die Rechtslage entweder von vornherein eindeutig ("acte clair") oder durch Rechtsprechung in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offen lässt ("acte éclairé"; vgl. BVerfGE 129, 78 107>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12 u.a. -, juris, Rn. 184).
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2. Ausgehend von diesen Maßstäben hat das Bundesarbeitsgericht das grundrechtsgleiche Recht des Beschwerdeführers auf seinen gesetzlichen Richter nicht verletzt. Die Handhabung der Vorlagepflicht ist vertretbar. Insbesondere hat das Bundesarbeitsgericht die Vorlagepflicht nicht grundsätzlich verkannt, denn es hat sich mit der Frage, ob ein Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen ist, auseinandergesetzt und dies ausdrücklich verneint. Auch ist das Bundesarbeitsgericht nicht bewusst von einer Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union abgewichen, sondern hat diese ausgewertet und seine Entscheidung hieran orientiert. Auf dieser Grundlage ist das Bundesarbeitsgericht vertretbar von einem "acte éclairé" oder jedenfalls von einem "acte clair" ausgegangen.
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Das Bundesarbeitsgericht führt aus, auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs müsse die von einem Erwerber übernommene organisierte Gesamtheit von Personen und/oder Sachen bereits beim Veräußerer eine wirtschaftliche Einheit darstellen und damit die Qualität eines Betriebsteils gehabt haben, um die Voraussetzung des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB zu erfüllen. Es beruft sich auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache "Jouini" (Urteil vom 13. September 2007, C-458/05, Slg. 2007, I-7301). Danach sieht der Gerichtshof den Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/23/EG nur dann als eröffnet an, wenn die Übernahme eines Betriebsteils eine wirtschaftliche Einheit betrifft, deren Organisation hinreichend strukturiert und selbständig ist. Hiervon rückt der Gerichtshof für die Veräußererseite auch in der Entscheidung in der Rechtssache Klarenberg (Urteil vom 12. Februar 2009, Klarenberg, C-466/07, Slg. 2009, I-803) nicht ab, die das Bundesarbeitsgericht in der angegriffenen Entscheidung ebenfalls zum Beleg seiner Rechtsauffassung in Bezug nimmt. Vielmehr verdeutlicht das Urteil in der Rechtssache Klarenberg, dass der Gerichtshof lediglich eine Auflösung der organisatorischen Selbständigkeit auf Erwerberseite nicht zwingend als schädlich ansieht, während er für die Veräußererseite von seinem vorherigen Verständnis nicht abgerückt ist, auf dieser müsse eine wirtschaftliche Einheit vorgelegen haben, um von einem Unternehmens- oder Betriebsteil ausgehen zu können. So hebt der Gerichtshof ausdrücklich hervor, durch den Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 und 4 der Richtlinie 2001/23/EG werde bestätigt, dass diese Richtlinie nach der Vorstellung des Richtliniengebers auf jeden Übergang anwendbar sein soll, der den Voraussetzungen von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie entspricht, unabhängig davon, ob die übergegangene wirtschaftliche Einheit ihre Selbständigkeit innerhalb der Struktur des Erwerbers bewahrt oder nicht. Die Formulierung "bewahrt" zeigt, dass auf der Veräußererseite zunächst eine selbständige Einheit existiert haben muss (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Februar 2009, Klarenberg, C-466/07, Slg. 2009, I-803, Rn. 50). Diese Einschätzung wird durch eine nach dem angegriffenen Urteil ergangene Entscheidung des Gerichtshofs bestätigt. In der Rechtssache Amatori (EuGH, Urteil vom 6. März 2014, Amatori, C-458/12, juris) stellt der Gerichtshof eindeutig klar, dass er, ebenso wie das Bundesarbeitsgericht, davon ausgeht, dass die Eigenständigkeit der übertragenen Einheit in jedem Fall vor der Übertragung bestanden haben muss und bezieht sich zur Begründung auf sein Urteil in der Rechtssache Klarenberg. Ausgehend hiervon konnte das Bundesarbeitsgericht gut vertretbar von einem "acte éclairé" ausgehen.
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3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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