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BFH 09.08.2023 - X B 121/22
BFH 09.08.2023 - X B 121/22 - Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch Übergehen eines ordnungsgemäß gestellten Beweisantrags
Normen
§ 76 Abs 1 S 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 4. Mai 2022, Az: 4 K 1430/17, Urteil
Leitsatz
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NV: Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das Beweismittel unerreichbar beziehungsweise unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann.
Tenor
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Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 04.05.2022 - 4 K 1430/17 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Finanzgericht Baden-Württemberg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I.
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Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erbrachte in den Streitjahren 2005 bis 2010 Dienstleistungen für die Durchführung von großen Familienfesten (unter anderem Zurverfügungstellung der Veranstaltungshalle, der Speisen und Getränke, Dekoration, Fotografen, Musiker). Ihren Gewinn ermittelte sie durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung.
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Die Klägerin schloss mit ihren Auftraggebern schriftliche Verträge, in denen ein Gesamtbetrag für die Leistungen der Klägerin ausgewiesen war. Die Leistungen der Klägerin wurden in der Regel am Tag der Veranstaltung vom jeweiligen Auftraggeber in bar bezahlt. Den Geldempfang quittierte die Klägerin auf den Vertragsurkunden. In ihrer Gewinnermittlung erfasste sie jedoch nicht diese Beträge, sondern geringere Einnahmen, die sich aus von ihr erstellten Rechnungen ergaben, die sie ihren Auftraggebern jedoch nicht zugeleitet hatte.
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Im Anschluss an eine Steuerfahndungsprüfung änderte der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) die für die Streitjahre ergangenen Bescheide über die gesonderte Feststellung des Gewinns aus Gewerbebetrieb, den Gewerbesteuermessbetrag und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes. Als Einnahmen setzte es die von der Klägerin quittierten beziehungsweise die sich aus Zeugenvernehmungen ergebenden Beträge an, ferner schätzte es zusätzliche Betriebsausgaben im Umfang von 10 % der angesetzten Mehreinnahmen. Dies führte zu erheblichen Gewinnerhöhungen.
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Im Einspruchs- und Klageverfahren brachte die Klägerin in erster Linie vor, bei den an Fotografen, Musiker und andere Dienstleister gezahlten Beträgen handele es sich um durchlaufende Posten, die in ihrer Gewinnermittlung weder als Einnahmen noch als Ausgaben zu erfassen seien. Hilfsweise seien für die an diese Dienstleister gezahlten Beträge in erheblichem Umfang weitere Betriebsausgaben zu berücksichtigen.
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In der Klageschrift beantragte die Klägerin unter anderem die Vernehmung ihres Ehemanns (E) zu zahlreichen näher bezeichneten Tatsachen. Am 07.03.2022 beschloss das Finanzgericht (FG), durch Vernehmung des E Beweis zu erheben "über die Aufwendungen, die der Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Gewerbebetrieb … in den Jahren 2005 bis 2010 dem Grunde und der Höhe nach entstanden sind, und über die Abwicklung und die buchhalterische Erfassung der entsprechenden Zahlungsvorgänge". Nachfolgend berief sich E auf sein Zeugnisverweigerungsrecht, so dass das FG den Beweisbeschluss in der mündlichen Verhandlung aufhob.
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Ebenfalls in der mündlichen Verhandlung beantragte die Klägerin, ihren seinerzeitigen Buchhalter (B) als Zeugen zu vernehmen für die "schriftsätzlich dargelegten Beweisthemen, für die bislang <E> als Zeuge benannt war" und "zu den im bisherigen Beweisbeschluss enthaltenen Beweisthemen".
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Das FG wies die Klage ab. Bei den Zahlungen für Leistungen Dritter handele es sich nicht um durchlaufende Posten, weil sie nicht in fremdem Namen und für fremde Rechnung vereinnahmt und verausgabt worden seien. Ausweislich der abgeschlossenen Verträge sei die Klägerin selbst verpflichtet gewesen, diese Leistungen zu erbringen. Die Höhe der vom FA angesetzten Einnahmen sei nicht zu beanstanden. Zusätzliche Betriebsausgaben über die vom FA geschätzten Beträge hinaus seien nicht zu berücksichtigen, weil die Klägerin hierzu weder Verträge noch Rechnungen oder Zahlungsnachweise vorgelegt habe. Der Antrag auf Vernehmung des B sei abzulehnen, weil die Frage, wie dieser die Zahlungsvorgänge buchhalterisch erfasst habe, für die Entscheidung unerheblich sei. Maßgeblich sei nicht die buchhalterische Erfassung der Einnahmen und Ausgaben, sondern deren tatsächliche Höhe. Hierfür habe die Klägerin jedoch keinen Beweis durch Vernehmung des B angeboten. Auch gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass B hierzu werde Angaben machen können.
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Mit ihrer Beschwerde rügt die Klägerin einen Verfahrensmangel.
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Das FA hat sich zu der Beschwerde nicht geäußert
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Beschwerde ist begründet. Es liegt ein von der Klägerin geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des FG beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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1. Das FG hat die ihm nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO obliegende Sachaufklärungspflicht verletzt, indem es dem Antrag der Klägerin auf Vernehmung des B nicht nachgekommen ist.
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a) Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das Beweismittel unerreichbar beziehungsweise unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschluss vom 12.02.2018 - X B 64/17, BFH/NV 2018, 538, Rz 11, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
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b) Keiner dieser Ausnahmegründe lag hinsichtlich des im Streitfall gestellten Beweisantrags vor.
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aa) Das FG hat die Ablehnung des Beweisantrags in erster Linie damit begründet, die Klägerin habe keinen Beweis für die tatsächliche Höhe der Einnahmen und Ausgaben angetreten. Dies ist indes nicht nachvollziehbar, da der Beweisantrag ausdrücklich die im vorangegangenen Beweisbeschluss in Bezug auf E vorgesehenen Beweisthemen einschloss. In diesem Beweisbeschluss waren als Beweisthema unter anderem "die Aufwendungen, die der Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Gewerbebetrieb … dem Grunde und der Höhe nach entstanden sind" genannt. Damit war jedenfalls die tatsächliche Höhe der Betriebsausgaben ausdrücklich Gegenstand des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags der Klägerin auf Vernehmung des B.
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bb) Soweit das FG zusätzlich anführt, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass B zur Höhe der Betriebsausgaben Angaben werde machen können, handelt es sich um eine unzulässige verbotene Beweiswürdigung. Im Übrigen hat das FG weder begründet noch ist sonst ersichtlich, weshalb nach seiner Auffassung zwar E Angaben zu den Betriebsausgaben hätte machen können --dies ergibt sich aus dem vom FG gefassten Beweisbeschluss--, nicht aber B.
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2. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
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3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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