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BFH 19.01.2021 - VII R 38/19
BFH 19.01.2021 - VII R 38/19 - Entstehung eines Haftungsanspruchs - Begründung einer Insolvenzforderung
Normen
§ 5 AO, § 35 AO, § 69 AO, § 125 AO, § 130 Abs 1 AO, § 191 AO, § 38 InsO, § 87 InsO, § 301 InsO
Vorinstanz
vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 24. September 2019, Az: 3 K 269/19, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Die Rücknahme eines Haftungsbescheids nach § 130 Abs. 1 AO kommt auch in Betracht, wenn dieser nichtig ist.
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2. NV: Für die insolvenzrechtliche Begründung einer Haftungsforderung kommt es nicht auf die zugrunde liegende Steuerschuld an, sondern darauf, ob die maßgebliche Handlung bzw. Unterlassung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begangen wurde (vgl. BFH-Urteil vom 12.06.2018 - VII R 2/17).
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3. NV: Die maßgebliche Handlung bzw. Unterlassung bestimmt sich nach dem Inhalt und der Auslegung des Haftungsbescheids, dessen Wirksamkeit im Streit steht.
Tenor
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Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 24.09.2019 - 3 K 269/19 insoweit aufgehoben, als der Klage stattgegeben wurde.
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Die Klage wird auch insoweit abgewiesen.
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Die Revision des Klägers wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) verpflichtet ist, einen gegen den Kläger, Revisionsbeklagten und Revisionskläger (Kläger) gerichteten Haftungsbescheid nach § 130 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) zurückzunehmen.
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Der Kläger, über dessen Vermögen am ...2010 das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, war nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) faktischer Geschäftsführer der Firma ... Ltd. Nachdem die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen der Ltd. ohne Erfolg geblieben war, nahm das FA den Kläger mit Haftungsbescheid vom ...2014 für Steuerschulden der Ltd. (Umsatzsteuer 2008 und 2009, Körperschaftsteuer 2008 und 2009, jeweils zuzüglich Nebenleistungen) in Höhe von insgesamt ... € in Anspruch. In dem Haftungsbescheid führte das FA aus, die Haftungsforderungen seien nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden und unterlägen daher nicht der Restschuldbefreiung. Die rückständigen Steueransprüche beruhten auf Festsetzungen im Schätzungsweg gemäß § 162 AO, weil die Jahressteuererklärungen für 2008 und 2009 nicht eingereicht worden seien. Die schuldhafte Nichtabgabe der Steuererklärungen habe die verspäteten Steuerfestsetzungen bewirkt. Die sich aus den Schätzungsfestsetzungen ergebenden Nachzahlungen habe der Kläger nicht an das FA entrichtet. Durch die Verletzung der Zahlungspflicht habe er die Nichterfüllung der Steueransprüche und die Entstehung von Säumniszuschlägen bewirkt.
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Der Haftungsbescheid wurde laut Zustellungsurkunde am ...2014 in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten des Klägers eingelegt.
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Mit Schriftsatz vom ...2015 erhob der Kläger Einspruch gegen nachfolgende Vollstreckungsmaßnahmen. Zur Begründung trug er vor, dass ihm die der Vollstreckung zugrunde liegenden Forderungen nicht bekannt seien und er keine Bescheide erhalten habe. Daraufhin übersandte das FA dem Kläger den oben genannten Haftungsbescheid mit einfachem Brief vom ...2015 in Kopie.
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Am ...2017 beantragte der Kläger die Aufhebung des Haftungsbescheids mit der Begründung, dass ihm dieser nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form bekanntgegeben worden sei. Zudem seien Vollstreckungsmaßnahmen nicht zulässig, weil die entsprechenden Forderungen nur gegen die Insolvenzmasse im Insolvenzverfahren über sein Vermögen durch Anmeldung zur Insolvenztabelle hätten geltend gemacht werden können. Der Erlass eines Haftungsbescheids für einen Zeitraum, der durch ein Insolvenzverfahren erfasst sei, führe zur Nichtigkeit des Bescheids.
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Das FA lehnte den Antrag des Klägers mit Schreiben vom ...2018 ab. Den dagegen gerichteten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom ...2019 mit der Begründung zurück, der Kläger habe schuldhaft die Steuerentrichtungspflicht verletzt, indem er die am ...2011 fällige Umsatz- und Körperschaftsteuer für das Jahr 2008 sowie die am ...2011 fällige Umsatz- und Körperschaftsteuer für das Jahr 2009 nicht aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln der Ltd. entrichtet habe. Weil die Steuern erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers fällig gewesen seien, seien auch die Haftungsansprüche erst nach Insolvenzeröffnung begründet gewesen.
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Die Klage hatte Erfolg, soweit der Haftungsbescheid die Steuerschulden für den Veranlagungszeitraum 2008 betraf. Das FG urteilte, der Haftungsbescheid sei insoweit nach § 130 Abs. 1 AO aufzuheben, weil er bezogen auf das Streitjahr 2008 an einem schwerwiegenden Mangel leide, der zu seiner Teilnichtigkeit gemäß § 125 Abs. 1 und 4 AO führe. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, die Insolvenzforderungen seien, dürften nach Insolvenzeröffnung nur nach den Vorschriften der Insolvenzordnung (InsO) geltend gemacht werden. Für die insolvenzrechtliche Begründung einer Haftungsforderung komme es nicht auf die zugrunde liegende Steuerschuld, sondern darauf an, ob die maßgebliche Handlung bzw. Unterlassung, die die Haftungsinanspruchnahme begründe, vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begangen worden sei (Hinweis auf Senatsurteil vom 12.06.2018 - VII R 2/17, BFH/NV 2019, 6). Im Streitfall sei auf die Nichtabgabe der Steuererklärungen abzustellen, weil der Haftungsanspruch mit der ersten Pflichtverletzung entstehe. Da die Steuererklärungen für den Veranlagungszeitraum 2008 bis zum 31.05.2009 abzugeben gewesen wären, sei der Haftungsanspruch betreffend die Steuerschuld 2008 als Insolvenzforderung zu qualifizieren.
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Hiergegen richten sich die Revisionen des FA und des Klägers.
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Das FA führt aus, das FG habe festgestellt, dass der Kläger faktischer Geschäftsführer der Ltd. gewesen sei; hieran sei der erkennende Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Allerdings habe das FG zur Begründung des Haftungsanspruchs für den Besteuerungszeitraum 2008 auf eine Pflichtverletzung abgestellt, auf die der Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung nicht gestützt worden sei. In dem Fall des Bundesfinanzhofs (BFH) mit dem Az. VII R 2/17 habe die frühestmögliche Pflichtverletzung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegen, so dass sich die streitentscheidende Frage dort nicht gestellt habe. Der Erlass eines Haftungsbescheids stehe im Ermessen des FA, das sich auch auf die Frage erstrecke, ob der Haftungsschuldner für eine oder mehrere Pflichtverletzungen in Anspruch genommen werde. Im Rahmen dieser Ermessensausübung habe das FA in seiner Einspruchsentscheidung allein auf die schuldhafte Verletzung der Steuerentrichtungspflicht bei Fälligkeit der Steuern abgestellt. Die Begründung einer Ermessensentscheidung könne bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung angepasst werden (Senatsurteil vom 08.11.1994 - VII R 1/93, BFH/NV 1995, 657). Kämen mehrere Pflichtverletzungen in Betracht, sei nicht zwingend die zeitlich zuerst eingetretene Pflichtverletzung maßgeblich. Es könne dahinstehen, ob ggf. auch eine Pflichtverletzung des Klägers durch Nichtabgabe der Steuererklärungen vorgelegen habe.
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Das FA beantragt,
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1.
das Urteil der Vorinstanz aufzuheben, soweit der Klage stattgegeben worden ist, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen;
2.
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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1.
die Revision des FA zurückzuweisen und
2.
das Urteil der Vorinstanz aufzuheben, soweit die Klage abgewiesen wurde, und das FA unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom ...2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ...2019 zu verpflichten, den Haftungsbescheid auch im Übrigen zurückzunehmen.
- 12
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Der Kläger bestreitet, faktischer Geschäftsführer der Ltd. gewesen zu sein. Die von ihm mit dem Zusatz "i.A." gezeichneten Erklärungen seien sämtlich von seinem Bruder, dem Geschäftsführer der Ltd., beauftragt und autorisiert gewesen. Er sei daher als Bote und nicht als Vertreter tätig gewesen.
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Für die insolvenzrechtliche Zuordnung komme es nicht auf die Pflichtverletzung, sondern auf die Steuerschuld selbst an. Es sei nicht relevant, ob der Haftungsanspruch in einen Bescheid münde oder nicht; denn dieser konkretisiere lediglich den bereits entstandenen Anspruch.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Revision des FA ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit das FG der Klage stattgegeben hat (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Senat entscheidet in der Sache selbst und weist die Klage auch im Übrigen ab.
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Dagegen ist die Revision des Klägers unbegründet.
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1. Die Revision des FA ist begründet.
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Die Entscheidung des FG verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Haftungsbescheids gemäß § 130 Abs. 1 AO.
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Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass der Haftungsbescheid bezüglich der Steuerschuld 2008 (Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer) gemäß § 125 Abs. 1 und 4 AO nichtig sei, weil diesbezüglich eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO vorliege, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers nur durch Anmeldung zur Insolvenztabelle hätte geltend gemacht werden dürfen.
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a) Nach § 130 Abs. 1 AO kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Da Haftungsbescheide mangels Festsetzung einer Steuer keine Steuerbescheide i.S. von § 155 AO sind, können sie nach Eintritt der Bestandskraft nur nach §§ 130, 131 AO geändert werden (Senatsbeschluss vom 24.01.1995 - VII B 142/94, BFHE 176, 224, BStBl II 1995, 227, unter II.1.c).
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b) Der streitgegenständliche Haftungsbescheid vom ...2014 ist unanfechtbar geworden.
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Der Senat kann dahingestellt lassen, ob der Haftungsbescheid dem Kläger ausweislich der Zustellungsurkunde bereits am ...2014 wirksam bekanntgegeben wurde; denn jedenfalls hat das FA den Haftungsbescheid nochmals mit Schreiben vom ...2015 übersandt. Einspruch gegen den Haftungsbescheid hat der Kläger nicht eingelegt.
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c) Der Haftungsbescheid vom ...2014 ist im Hinblick auf die Haftung für Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer für 2008 nicht nichtig.
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aa) Eine Rücknahme nach § 130 Abs. 1 AO kommt auch in Betracht, wenn der streitgegenständliche Verwaltungsakt --wie im vorliegenden Fall vom Kläger behauptet-- nichtig ist. Zwar entfaltet ein nichtiger Verwaltungsakt keine Bindungswirkung und müsste daher nicht korrigiert werden (Wedelstädt in Gosch, AO § 130 Rz 7; Wernsmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 130 AO Rz 10). Jedoch geht auch von einem nichtigen Verwaltungsakt der Rechtsschein der Wirksamkeit aus, so dass auch dieser zurückgenommen werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 09.05.1985 - IV R 172/83, BFHE 143, 506, BStBl II 1985, 579, und Senatsurteil vom 27.06.1994 - VII R 110/93, BFHE 176, 181, BStBl II 1995, 341).
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bb) Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens dürfen Steuerbescheide, die Insolvenzforderungen betreffen, nicht mehr ergehen. Das folgt aus dem in § 251 Abs. 2 Satz 1 AO normierten Grundsatz, nach dem Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, die Insolvenzforderungen sind, nach Insolvenzeröffnung nur nach den Vorschriften der InsO geltend gemacht werden dürfen. Diese Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind zur Insolvenztabelle anzumelden und --im Falle des Bestreitens-- durch Insolvenzfeststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO gegenüber dem Insolvenzverwalter festzustellen. Ein förmlicher Steuerbescheid über einen Steueranspruch, der eine Insolvenzforderung betrifft, ist unwirksam (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 05.04.2017 - II R 30/15, BFHE 257, 510, BStBl II 2017, 971, Rz 13, m.w.N.). Für Haftungsbescheide gilt das gleichermaßen (vgl. BFH-Beschluss vom 31.01.2012 - I S 15/11, BFH/NV 2012, 989).
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Steuer- und Haftungsschulden, die die insolvenzfreie Vermögenssphäre betreffen, sind hingegen als originäre Schulden des Insolvenzschuldners diesem gegenüber durch Bescheid geltend zu machen (s. allgemein BFH-Urteil vom 10.02.2015 - IX R 23/14, BFHE 249, 202, BStBl II 2017, 367, Rz 35 f.; vgl. auch Senatsurteil vom 21.07.2009 - VII R 50/08, BFH/NV 2010, 15).
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(1) Ob eine Insolvenzforderung vorliegt, richtet sich danach, wann der Rechtsgrund für den streitigen Anspruch gelegt worden ist (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2019, 6, Rz 19; vom 16.05.2013 - IV R 23/11, BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759, Rz 19; BFH-Beschluss vom 01.04.2008 - X B 201/07, BFH/NV 2008, 925, unter II.2.c, m.w.N.). Der Rechtsgrund für Steueransprüche, zu denen auch der Haftungsanspruch nach § 69 AO gehört (§ 37 Abs. 1 AO), ist gelegt, wenn der gesetzliche (Besteuerungs-)Tatbestand verwirklicht wird (BFH-Urteil in BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759).
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Für die insolvenzrechtliche Begründung der Haftungsforderung kommt es deshalb weder auf die zugrunde liegende Steuerschuld noch auf den Erlass des Haftungsbescheids an, sondern darauf, ob die für die Haftung maßgebliche Handlung bzw. Unterlassung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begangen wurde (Senatsurteil in BFH/NV 2019, 6, Rz 19, m.w.N.).
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(2) Welches die maßgebliche Handlung bzw. Unterlassung ist, ist dem Haftungsbescheid zu entnehmen, um dessen Wirksamkeit die Beteiligten streiten. Die Aussage des FG zu dem Entstehen eines abstrakten, materiell-rechtlichen Haftungsanspruchs (Rz 19) ist insoweit missverständlich.
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Das FA muss für die Festsetzung des Haftungsanspruchs auf eine bestimmte Pflichtverletzung abstellen (vgl. auch Loose in Tipke/Kruse, § 69 AO Rz 45). Bezogen auf die konkrete Handlung bzw. Unterlassung müssen alle Tatbestandsvoraussetzungen des § 69 AO erfüllt sein. Kommen als Pflichtverletzungen die Nichtabgabe von Steuererklärungen und die Nichtzahlung fälliger Steuern in Betracht, können sich durch den bloßen Zeitablauf Unterschiede bei der Feststellung der Kausalität der Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden ergeben (Loose in Tipke/Kruse, § 69 AO Rz 45). Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft verschlechtern können und das FA nach der ständigen Rechtsprechung eine Haftungsquote zu ermitteln hat. Im Übrigen handelt es sich beim Erlass eines Haftungsbescheids um eine Ermessensentscheidung (§ 191 Abs. 1 AO) und im Rahmen des Ermessens ist der Verschuldensgrad zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschluss vom 08.06.2007 - VII B 280/06, BFH/NV 2007, 1822, unter II.1.a), der sich wiederum nur auf eine bestimmte Pflichtverletzung beziehen kann.
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cc) Unter Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich durch Auslegung des streitgegenständlichen Haftungsbescheids, dass die maßgebliche Pflichtverletzung auch betreffend die Umsatz- und Körperschaftsteuer 2008 in 2011 --und damit nach Insolvenzeröffnung ...2010-- begangen worden ist.
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(1) Der Regelungsinhalt eines Verwaltungsakts bestimmt sich nicht nach dem, was die Behörde mit ihrer Erklärung gewollt hat (Senatsurteil vom 22.10.2019 - VII R 24/18, BFHE 267, 90, Rz 16). Vielmehr wird ein Verwaltungsakt mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekanntgegeben wird (§ 124 Abs. 1 Satz 2 AO). Maßgebend ist, wie der Adressat selbst nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) verstehen konnte (BFH-Urteile vom 18.07.1994 - X R 33/91, BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4, und vom 30.11.1999 - IX R 57/98, BFH/NV 2000, 678, unter II.1.a, jeweils m.w.N.). Die Auslegung des Verwaltungsakts muss dabei einen Anhalt in der bekanntgegebenen Regelung haben (BFH-Urteil vom 27.11.1996 - X R 20/95, BFHE 183, 348, BStBl II 1997, 791, unter 3., m.w.N.).
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(2) Im Haftungsbescheid vom ...2014 hat das FA zwar die Nichtabgabe der Steuererklärungen 2008 zum gesetzlichen Abgabetermin im Jahr 2009 erwähnt, maßgeblich jedoch auf die Nichtzahlung der fälligen Steuern im Jahr 2011 abgestellt.
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Eingangs stellt das FA auf S. 2 fest, dass es sich um eine nach Insolvenzeröffnung begründete Haftungsforderung handele. Auf S. 1 der Anlage zum Haftungsbescheid weist das FA darauf hin, dass die rückständigen Steueransprüche auf Schätzungsbescheiden beruhen, weil die Jahressteuererklärungen nicht eingereicht worden seien. Die sich aus den Schätzungsbescheiden ergebenden Nachzahlungen habe der Kläger nicht entrichtet. Durch die Verletzung der Zahlungspflicht habe er die Nichterfüllung der Steueransprüche und die Entstehung von Säumniszuschlägen bewirkt (S. 3 der Anlage zum Haftungsbescheid).
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Eine Gesamtschau dieser Ausführungen ergibt, dass der Ausfall der Steuerschuld und damit auch der Haftungsschaden durch die Nichtzahlung der in den Schätzungsbescheiden festgesetzten Beträge verursacht worden ist. Darin liegt deshalb die nach dem Haftungsbescheid maßgebliche Pflichtverletzung, die zur Tatbestandsverwirklichung geführt hat.
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Bezüglich der Steuerschuld für 2008 lag somit die vom FA als haftungsbegründend aufgeführte Pflichtverletzung nach dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung am ...2010, so dass keine Insolvenzforderung vorliegt.
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(3) Der Verweis des FA auf die Einspruchsentscheidung vom ...2019 geht dagegen fehl.
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Zwar kommt es grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, mithin regelmäßig auf die Einspruchsentscheidung an. Denn im Einspruchsverfahren ist die Sache gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO in vollem Umfang erneut zu prüfen.
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Die Einspruchsentscheidung vom ...2019 betrifft allerdings, was das FA in seiner Argumentation übersieht, nicht den Haftungsbescheid vom ...2014, sondern den streitgegenständlichen Antrag auf Rücknahme dieses Haftungsbescheids nach § 130 Abs. 1 AO. Damit liegen zwei voneinander streng zu trennende Verfahren vor. Das den Haftungsbescheid vom ...2014 betreffende Verfahren war abgeschlossen, weil dieser mangels Einspruch bestandskräftig geworden war. Die Erwägungen des FA in der Einspruchsentscheidung vom ...2019 haben somit keine Auswirkungen auf den Haftungsbescheid und die darin zugrunde gelegte Pflichtverletzung.
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2. Die Revision des Klägers ist unbegründet.
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a) Soweit der Kläger erstmals im Revisionsverfahren bestreitet, sogenannter faktischer Geschäftsführer der Ltd. gewesen zu sein, kann er mit diesem neuen Vortrag nicht gehört werden. Aus der Funktion des Revisionsverfahrens und aus § 118 Abs. 2 FGO folgt, dass neues tatsächliches Vorbringen zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Rechts im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden kann (vgl. Senatsurteil vom 05.10.1999 - VII R 152/97, BFHE 191, 140, BStBl II 2000, 93, unter 2.).
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Das FG hat sich hinsichtlich der faktischen Geschäftsführung erkennbar auf die Ausführungen des FA im Haftungsbescheid vom ...2014 gestützt, die nachvollziehbar und ausreichend sind. Hiergegen hat der Kläger im gesamten erstinstanzlichen Verfahren keine Einwendungen erhoben, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre.
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b) Soweit der Kläger in seinem Schriftsatz vom ...2020 die Restschuldbefreiung erwähnt, die nach einer in der Akte des FG (Bl. 19a) befindlichen Telefonnotiz am ...2016 erteilt worden sein soll, kommt es darauf nicht an. Denn die Haftungsforderung ist nach den obigen Ausführungen erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens i.S. des § 38 InsO begründet worden und wird deshalb von einer Restschuldbefreiung (§ 301 InsO) nicht erfasst (Senatsurteil in BFH/NV 2019, 6, Rz 18).
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c) Selbst wenn man zu dem Schluss käme, der Kläger sei kein Verfügungsberechtigter der Ltd. nach §§ 69 Satz 1, 35 AO gewesen, führte dies zwar zur Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheids. Daraus ergäbe sich jedoch kein Anspruch des Klägers auf Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts gemäß § 130 Abs. 1 AO.
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Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts ist nach dem Wortlaut des § 130 Abs. 1 AO ("kann") eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde i.S. des § 5 AO, die grundsätzlich nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (§§ 102, 121 FGO). Sie kann im finanzgerichtlichen Verfahren nur daraufhin überprüft werden, ob die Ablehnung der Rücknahme rechtswidrig gewesen ist, weil das FA die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BFH-Urteil vom 06.12.2012 - V R 1/12, BFH/NV 2013, 906). Stellt das Gericht einen Ermessensfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung beschränkt.
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Ermessensfehler liegen jedoch nicht vor. Die Ablehnung der Rücknahme eines (rechtswidrigen) unanfechtbaren Verwaltungsakts ist grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Betroffene die Gründe, die seiner Auffassung nach eine Rücknahme rechtfertigen, mit einem fristgerecht eingelegten Rechtsbehelf gegen den Verwaltungsakt hätte vorbringen können (BFH-Urteil vom 23.09.2009 - XI R 56/07, BFH/NV 2010, 12, unter II.3.a aa; Senatsbeschluss vom 22.06.1999 - VII B 244/98, BFH/NV 1999, 1583). So liegt der Fall hier, weil der Kläger erstmals im Revisionsverfahren bestritten hat, faktischer Geschäftsführer gewesen zu sein.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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