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BFH 16.08.2019 - V B 57/18
BFH 16.08.2019 - V B 57/18 - Verfahrensfehler, Grundordnung des Verfahrens, Gewährung rechtlichen Gehörs
Normen
Art 103 Abs 1 GG, § 92 FGO, § 96 Abs 1 S 2 FGO, § 227 Abs 4 ZPO, § 308 Abs 1 ZPO, § 155 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG Köln, 21. März 2018, Az: 4 K 770/17, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Das FG verstößt nicht gegen die Grundordnung des Verfahrens, wenn es eine Klage abweist, obwohl das beklagte FA keinen (ausdrücklichen) Antrag auf Klageabweisung gestellt hat .
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2. NV: Entscheidet das FG über einen kurz vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung gestellten Verlegungsantrag (hier: am Nachmittag des Vortags) nicht vor Beginn der am nächsten Vormittag terminierten mündlichen Verhandlung, liegt hierin keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 21.03.2018 - 4 K 770/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Gründe
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Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist unbegründet und daher durch Beschluss (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zurückzuweisen. Soweit die geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) i.S. von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO hinreichend dargelegt wurden, liegen sie jedenfalls nicht vor.
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1. Ohne Erfolg rügt die Klägerin als Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens (§ 155 FGO i.V.m. § 308 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung --ZPO--) , dass das Finanzgericht (FG) die Klage abwies, obwohl der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag auf Klageabweisung gestellt habe.
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a) § 92 FGO regelt den Ablauf der mündlichen Verhandlung vor dem FG. Nach Eröffnung der mündlichen Verhandlung (Abs. 1), dem Aufruf der Sache und dem Vortrag des wesentlichen Inhalts der Akten (Abs. 2) erhalten die Beteiligten das Wort, "um ihre Anträge zu stellen und sie zu begründen" (Abs. 3).
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aa) Diese Vorschrift hat indes nur verfahrensrechtliche Bedeutung. Denn sie bringt zum Ausdruck, dass den Beteiligten die Gelegenheit der Antragstellung und Antragsbegründung eingeräumt werden muss. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass die Beteiligten Klageanträge stellen müssen (Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26.11.1979 - GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99, unter C.I.4.a, Rz 38; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 92 FGO, Anm. 52).
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Der BFH hat daher im Urteil vom 17.07.2008 - I R 12/08 BFHE 222, 423, BStBl II 2009, 160, unter II.3.) entschieden, dass eine unterbliebene Antragstellung des (im Revisionsverfahren) Beklagten einer Zurückweisung der Revision nicht entgegenstehe. Denn nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO, der gemäß § 121 Satz 1 FGO auch im Revisionsverfahren gilt, darf das Gericht zwar nicht über das Klagebegehren hinausgehen, es ist in diesem Sinne aber nur an den Antrag des Klägers, nicht an denjenigen des Beklagten gebunden. Der Antrag des Beklagten ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht nur eine Anregung an das Gericht, bei der Beurteilung der Rechtslage auf bestimmte Punkte besonders Wert zu legen (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 15.11.1971 - GrS 7/70, BFHE 103, 456, 462, BStBl II 1972, 120, 123; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 96 FGO Anm. 95). Ebenso wie der BFH in dem o.g. Revisionsverfahren konnte das FG daher ohne Verfahrensverstoß die Klage der Klägerin ohne Antrag des FA zurückweisen.
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bb) Soweit die Klägerin zur Begründung ihrer Beschwerde auf § 308 Abs. 1 ZPO verweist, wonach das Gericht nicht befugt sei, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt wird, entspricht diese Vorschrift im Wesentlichen § 96 Abs. 1 FGO. Denn ebenso wie im finanzgerichtlichen Verfahren ist auch im Zivilprozessrecht anerkannt, dass der Regelungsbereich des § 308 Abs. 1 ZPO nur den Sachantrag des Klägers betrifft (vgl. Zöller/Feskorn, ZPO, 32. Aufl., § 308 ZPO Rz 5).
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cc) Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das FG bei Nichterscheinen eines Beteiligten den "Antrag" auch im Wege der Auslegung des gesamten Vorbringens entnehmen kann (vgl. Wendl in Gosch, AO/FGO, § 92 FGO, Rz 75). Zu diesem Vorbringen gehört auch die mit den Steuerakten an das FG übersandte Einspruchsentscheidung des FA. Im Streitfall erfolgte diese Übersendung mit dem Schreiben des FA vom 20.09.2017 (Bl. 32 FG-Akte). Soweit offensichtliche Anhaltspunkte fehlen, wird das FG im Allgemeinen davon ausgehen können, dass das FA sein Vorbringen aus der dem FG übersandten Einspruchsentscheidung im Klageverfahren aufrechterhalten will und daher jedenfalls konkludent eine Klageabweisung begehrt wird.
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b) Ohne Erfolg rügt die Klägerin in diesem Zusammenhang, das FG habe es zudem unterlassen, nach Feststellung des Verfahrensfehlers die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anzuordnen (§ 155 FGO i.V.m. § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Da es nach den Ausführungen unter 1.a) bereits an einem Verfahrensfehler des FG fehlt, geht die Forderung der Klägerin nach einer Wiedereröffnung des Verfahrens ins Leere.
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2. Ein die Zulassung der Revision begründender Verfahrensfehler des FG liegt auch nicht darin, dass das FG über den Antrag der Klägerin auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung vom Nachmittag des 20.3.2018 nicht vor Beginn der für den nächsten Vormittag terminierten mündlichen Verhandlung entschieden hat.
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a) Nach § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 4 Satz 1 ZPO entscheidet der Vorsitzende über einen Antrag auf Aufhebung oder Verlegung eines Termins. Insofern besteht zwar ein Anspruch auf eine Entscheidung, die grundsätzlich auch vor dem anberaumten Termin ergehen muss. Die Nichtbeachtung dieses Anspruchs kann jedoch im Regelfall nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden. Denn nach § 128 Abs. 2 FGO können weder Verfügungen des Vorsitzenden noch Beschlüsse des Senats über eine beantragte Terminsänderung mit der Beschwerde angefochten werden. Da dem Endurteil vorangegangene Entscheidungen, die nach der FGO unanfechtbar sind, nicht der Beurteilung der Revision unterliegen (§ 124 Abs. 2 FGO), kann auch eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf eine bloß formell fehlerhafte Entscheidung des FG über einen Terminsänderungsantrag gestützt werden (BFH-Beschluss vom 21.07.2011 - IV B 99/10, BFH/NV 2011, 1904).
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Im Streitfall kann der Senat offenlassen, ob ein Anspruch auf gesonderte Bescheidung eines Verlegungsantrags auch dann besteht, wenn der Antrag noch unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung gestellt wird. Jedenfalls durfte die Klägerin aus der unterbliebenen Mitteilung über die Behandlung ihres Aufhebungsantrags vernünftigerweise nicht folgern, dass ihrem Antrag stattgegeben werde. Bereits in der Ladung vom 05.03.2018 war sie darauf hingewiesen worden, dass bei einem Ausbleiben auch ohne sie verhandelt und entschieden werden könne. Die Klägerin musste davon ausgehen, dass die Ladung ungeachtet ihres Antrags auf Aufhebung des Termins wirksam blieb; sie hätte sich noch vor Sitzungsbeginn beim FG nach der Bescheidung ihres Aufhebungsantrags erkundigen müssen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 29.06.2012 - III B 11/12, BFH/NV 2012, 1627; vom 18.10.2000 - VIII B 57/00, BFH/NV 2001, 333, m.w.N., und vom 21.07.2003 - VII B 199/02, BFH/NV 2004, 199).
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b) Hat der Vorsitzende --wie im Streitfall-- über einen Antrag auf Verlegung des Termins bis zum Termin nicht entschieden, können nur solche Mängel geltend gemacht werden, die als Folge der (verfahrensrechtlich fehlerhaften) Behandlung des Terminsänderungsantrags dem angefochtenen Urteil selbst anhaften, weil z.B. einem Beteiligten dadurch die Teilnahme an dem Termin zu Unrecht versagt und damit sein Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt worden ist (vgl. Beschlüsse des BFH vom 19.08.2010 - VIII B 20/10, BFH/NV 2010, 2110, sowie vom 13.01.2003 - III B 51/02, BFH/NV 2003, 640, m.w.N.). Das ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH dann der Fall, wenn einem Antrag auf Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht stattgegeben wird, obwohl der Kläger einen Antrag auf Terminsverlegung gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend gemacht hat.
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Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war es im Streitfall nicht ermessensfehlerhaft, dass das FG dem Antrag auf Verlegung des Termins nicht entsprochen hat. Die Klägerin hat ihren Antrag auf Verlegung des Termins der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen damit begründet, dass ihr wegen einer vorrangig zu beantwortenden Verfügung des Amtsgerichts (AG) vom 09.03.2018 sowie im Hinblick auf ggf. zu stellende Anträge und Begründungen in drei Verfahren wegen Nichtzulassungsbeschwerden nicht genügend Zeit für die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung verbleibe.
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Mit diesem Vortrag hat die Klägerin jedoch keine erheblichen Gründe i.S. von § 227 Abs. 4 ZPO geltend gemacht. Wie das FG auf Seite 11 bis 14 des Urteils zutreffend dargelegt hat, stand der Klägerin seit Erhebung der Klage am 20.03.2017 bis zum Schreiben des AG Köln am 09.03.2018 fast ein Jahr und damit hinreichend Zeit für die Klagebegründung zur Verfügung. Hinsichtlich der Anträge und Begründungen in den Beschwerdeverfahren hat das FG darauf abgestellt, dass diese die Klägerin jedenfalls bis zur Ladung der mündlichen Verhandlung nicht an einer ordnungsgemäßen Klagebegründung hindern konnten. Mit ihrer Beschwerde hat die Klägerin diese Begründung des FG nicht angegriffen, sondern lediglich in pauschaler Weise vorgebracht, dass im Falle einer Terminsverlegung weitere Schriftsätze hätten eingereicht werden können.
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3. Von einer weiteren Begründung und der Darstellung des Sachverhalts wird nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO abgesehen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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