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BFH 26.03.2019 - VIII R 36/15
BFH 26.03.2019 - VIII R 36/15 - Vermögensverwaltender Versicherungsvertrag
Normen
§ 20 Abs 1 Nr 6 S 5 EStG 2009, EStG VZ 2011
Vorinstanz
vorgehend FG Köln, 29. September 2015, Az: 10 K 3587/13, Urteil
Leitsatz
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Die Möglichkeit des Berechtigten einer Lebensversicherung, deren Versicherungsleistung von der Wertentwicklung eines Anlagestocks abhängt, aus mehreren standardisierten Anlagestrategien zu wählen, begründet allein keine mittelbare Dispositionsbefugnis i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG.
Tenor
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Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 29. September 2015 10 K 3587/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Streitig ist die steuerliche Behandlung einer Lebensversicherung, deren Versicherungsleistung von der Wertentwicklung eines Anlagestocks abhängig ist.
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Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) schloss auf Vermittlung der X (Deutschland) AG (im Folgenden: X), bei der sie ein Wertpapierdepot unterhielt, im Jahr 2007 eine lebenslängliche Todesfallversicherung mit Einmalprämie (A) bei der Y (Liechtenstein) AG (im Folgenden: Y) ab.
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Der Sparanteil der Versicherungsprämie in Höhe von 1.200.000 € wurde von der Klägerin mittels Banküberweisung gezahlt. Er wurde in verschiedene Vermögenswerte investiert, die in einem bestimmten, dem Versicherungsvertrag zugeordneten Depotkonto gehalten wurden. Die Versicherungsleistung war, abgesehen von einer Mindesttodesfallleistung, an die Wertentwicklung des Depots gebunden. Die ab dem 1. Dezember 2008 geltenden, überarbeiteten Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) enthielten unter anderem folgende Regelungen: Der Versicherungsnehmer konnte die Anlagestrategie während der Vertragsdauer beliebig oft, kostenfrei bis zu viermal jährlich, ändern. Der Versicherungsnehmer hatte während der Vertragsdauer keinen direkten Einfluss auf die Auswahl und Verwaltung der dem Versicherungsvertrag zuzuordnenden Vermögenswerte. Er konnte insbesondere weder unmittelbar noch mittelbar über die Veräußerung der Vermögensgegenstände und die Wiederanlage der Erlöse bestimmen. Die X wurde von der Y als Vermögensverwalter bestimmt. Ein Wahlrecht, ein Rechtsanspruch oder ein Weisungsrecht des Versicherungsnehmers auf Beauftragung eines bestimmten Vermögensverwalters oder einer bestimmten Depotbank bestand nicht. Anlageentscheidungen wurden ausschließlich vom beauftragten Vermögensverwalter getroffen.
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Im Rahmen einer Prüfung durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung kam der zuständige Prüfer zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Versicherung um eine vermögensverwaltende Versicherung i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes in der ab dem Veranlagungszeitraum 2009 geltenden Fassung (EStG) handele. Die daraus erzielten Erträge seien deshalb im Streitjahr (2011) unmittelbar der Klägerin zuzurechnen. Der Prüfer schätzte die Kapitalerträge auf 4 % der gezahlten Einmalprämie, mithin auf 48.000 € jährlich. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte der Auffassung der Steuerfahndung und erließ am 24. Mai 2013 einen nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid 2011, in dem Zinsen aus der Versicherung in Höhe von 48.000 € als zusätzliche Einnahmen aus Kapitalvermögen berücksichtigt wurden. Den Einspruch der Klägerin wies das FA als unbegründet zurück. Der dagegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 26 veröffentlichten Urteil vom 29. September 2015 10 K 3587/13 statt.
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Mit der vom FG zugelassenen Revision macht das FA geltend, es liege ein vermögensverwaltender Versicherungsvertrag i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG vor. Entgegen der Auffassung des FG begründe die Auswahl einer Anlagestrategie eine individuelle Gestaltung der Kapitalanlage nach den Wünschen der Klägerin. Des Weiteren habe bereits bei Vertragsschluss festgestanden, dass die X, mit der die Klägerin bereits zuvor in Geschäftsbeziehungen gestanden habe, das Depot verwalten würde. Somit würden auch nach der Änderung der AVB die Anlageentscheidungen weiterhin von einem Vermögensverwalter getroffen, dessen Beauftragung die Klägerin gebilligt und durch Abschluss des Vertrags herbeigeführt habe. Die geänderten AVB könnten eine tatsächliche Einflussnahme nicht ausschließen. Als Druckmittel diene der Klägerin das eingesetzte Vermögen. Dieses könne sie nach einer Kündigung jederzeit zurückfordern.
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und trotz des Antrags des FA eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Revision des FA ist daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
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1. Das FG ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass kein vermögensverwaltender Versicherungsvertrag i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG vorliegt. Die Erträge aus dem Anlagestock sind daher im Streitjahr nicht der Klägerin zuzurechnen und von dieser nicht zu versteuern.
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a) Nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG liegt ein vermögensverwaltender Versicherungsvertrag vor, wenn in dem Versicherungsvertrag eine gesonderte Verwaltung von speziell für diesen Vertrag zusammengestellten Kapitalanlagen vereinbart worden ist, die nicht auf öffentlich vertriebene Investmentfondsanteile oder Anlagen, die die Entwicklung eines veröffentlichten Indexes abbilden, beschränkt ist, und der wirtschaftlich Berechtigte unmittelbar oder mittelbar über die Veräußerung der Vermögensgegenstände und die Wiederanlage der Erlöse bestimmen kann. Auf solche vermögensverwaltenden Versicherungsverträge sind die Sätze 1 bis 4 des § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG nicht anzuwenden (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG). Kapitalerträge z.B. in Form von Zinsen, Dividenden oder Veräußerungsgewinnen aus den der Versicherung zugeordneten Kapitalanlagen werden stattdessen dem wirtschaftlich Berechtigten zugerechnet und nach den allgemeinen Regelungen --transparent-- bei ihm besteuert (BTDrucks 16/11108, S. 15). § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG ist auf alle Kapitalerträge anwendbar, die dem Versicherungsunternehmen nach dem 31. Dezember 2008 zufließen (§ 52 Abs. 36 Satz 10 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2009).
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b) Zwar handelt es sich bei der Versicherung der Klägerin, wie das FG zutreffend angenommen hat und auch vom FA nicht in Abrede gestellt wird, um eine Kapitalversicherung mit Sparanteil i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG. Der Tatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG ist vorliegend jedoch nicht erfüllt. Es fehlt jedenfalls an der Voraussetzung, dass die Klägerin als wirtschaftlich Berechtigte des Versicherungsvertrages unmittelbar oder mittelbar über die Veräußerung der Vermögensgegenstände und die Wiederanlage der Erlöse bestimmen konnte.
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aa) Eine unmittelbare Dispositionsmöglichkeit i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG besteht, wenn der Berechtigte selbst unmittelbar über die Vermögensgegenstände verfügen kann (BTDrucks 16/11108, S. 14). Darüber hinaus begründet ein Weisungsrecht des Berechtigten gegenüber dem Versicherungsunternehmen oder dem Vermögensverwalter eine unmittelbare (so BTDrucks 16/11108, S. 15, und Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 1. Oktober 2009 IV C 1-S 2252/07/0001, BStBl I 2009, 1172, Rz 34g), jedenfalls aber eine mittelbare Dispositionsmöglichkeit. Ein solches Weisungsrecht besteht nicht lediglich in den Fällen, in denen dies vertraglich zwischen den Beteiligten vereinbart ist, sondern kann --nach den allgemeinen steuerlichen Grundsätzen (vgl. § 41 AO)-- auch auf tatsächlicher Grundlage beruhen. In allen diesen Fällen bestimmt der Berechtigte als Herr des Geschehens die Auswahl der konkreten Kapitalanlagen (BTDrucks 16/11108, S. 14).
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Ob tatsächlich die Möglichkeit der Einflussnahme des wirtschaftlich Berechtigten auf die Anlageentscheidungen besteht, hängt von den Gesamtumständen des Einzelfalls ab. Die Feststellung und Würdigung der Gesamtumstände obliegt dem Tatsachengericht und ist für das Revisionsgericht bindend (§ 118 Abs. 2 FGO), wenn sie verfahrensrechtlich ordnungsgemäß durchgeführt wurde und nicht gegen Denkgesetze verstößt oder Erfahrungssätze verletzt (ständige Rechtsprechung, vgl. nur Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. Juli 2015 VI R 77/14, BFHE 250, 518, BStBl II 2016, 60, Rz 24, m.w.N.). Im Rahmen der Gesamtwürdigung kann es nach zutreffender Auffassung der Finanzverwaltung von entscheidender Bedeutung sein, ob der wirtschaftlich Berechtigte einen Wechsel in der Person des Vermögensverwalters verlangen kann und ob eine nach individuellen Gesichtspunkten und auf konkrete Kapitalanlagen ausgerichtete Anlagestrategie mit dem wirtschaftlich Berechtigten vereinbart wurde (BMF-Schreiben in BStBl I 2009, 1172, Rz 34g, zweiter und dritter Spiegelstrich).
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Keine --auch nur mittelbare-- Möglichkeit der Einflussnahme auf die Anlageentscheidungen wird dagegen begründet, wenn der wirtschaftlich Berechtigte lediglich aus standardisierten Anlagestrategien, die einer unbestimmten Vielzahl von Versicherungsnehmern angeboten wird, wählen kann (zutreffend: BMF-Schreiben in BStBl I 2009, 1172, Rz 34h). Die konkrete Anlageentscheidung liegt bei einer standardisierten Anlagestrategie im Ermessen des Vermögensverwalters, das lediglich durch die abstrakten Anlageziele eingeschränkt wird.
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bb) Nach diesen Grundsätzen ist die Tatsachenwürdigung des FG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des FG sind der steuerlichen Beurteilung des Versicherungsvertrags im Streitjahr die AVB vom 1. Dezember 2008 zugrundezulegen. Danach hatte die Klägerin kein verbindliches (rechtliches) Weisungsrecht gegenüber der X oder der Y. Sie konnte ausweislich der AVB auch keinen Wechsel des Vermögensverwalters verlangen. Dass eine von diesen AVB abweichende tatsächliche Handhabung vorlag, hat das FG nicht festgestellt. Die Tatsache, dass die Beauftragung der X als Vermögensverwalterin bereits bei Vertragsschluss feststand, führt nicht zu einer Dispositionsbefugnis i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG. Auch die Möglichkeit, den Versicherungsvertrag zu kündigen, begründet keine steuerschädliche Einflussmöglichkeit der Klägerin, sondern kann als "vermeintliches" Druckmittel bei jeder Lebensversicherung ausgeübt werden.
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Für die Klägerin bestand nach den bindenden Feststellungen des FG lediglich die Möglichkeit, aus mehreren standardisierten Anlagestrategien, die einer unbestimmten Vielzahl von Versicherungsnehmern angeboten wurden, zu wählen. Dies ist, wie bereits ausgeführt wurde, steuerunschädlich (BMF-Schreiben in BStBl I 2009, 1172, Rz 34h). Das Recht der Klägerin, die gewählte Anlagestrategie beliebig oft zu wechseln, begründet kein anderes Ergebnis. Auch insoweit bestand lediglich die Wahl zwischen abstrakt vorgegebenen, standardisierten Anlagezielen, ohne dass dadurch eine individuelle Anlagestrategie vereinbart oder eine sonstige mittelbare Dispositionsmöglichkeit über die Vermögenswerte eröffnet wurde.
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cc) Ob mit dem BMF angenommen werden kann, dass (allein) die Einbringung eines bereits vorhandenen Depots in den Versicherungsvertrag die widerlegbare (tatsächliche) Vermutung einer fortbestehenden Einflussmöglichkeit erbringt (BMF-Schreiben in BStBl I 2009, 1172, Rz 34i), kann dahingestellt bleiben (kritisch Winkels, Betriebs-Berater --BB-- 2016, 1310, 1312). Das FG hat bindend festgestellt, dass für eine derartige Vermutung wegen der Barleistung der Einmalprämie keine tatsächliche Grundlage besteht. Überdies wäre die Vermutung nach den Feststellungen des FG jedenfalls aufgrund der konkreten Vertragsgestaltung widerlegt. Dabei geht das FG zutreffend davon aus, dass maßgebend nur der fortdauernde tatsächliche Einfluss während der Vertragslaufzeit sein kann (vgl. auch Winkels, BB 2016, 1310, 1312). Einen solchen tatsächlichen Einfluss hat das FG nicht festgestellt. Dass aus der Sicht des FA auch eine andere Tatsachenwürdigung möglich gewesen wäre, verhilft der Revision nicht zum Erfolg, da die Würdigung des FG nicht widersprüchlich ist und auch nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
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