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BFH 09.02.2017 - X B 49/16
BFH 09.02.2017 - X B 49/16 - (Klärung der Höhe des Verlustrücktrags im Rücktragsjahr - Verfahrensfehler aufgrund fehlender Urteilsgründe i.S. des § 119 Nr. 6 FGO)
Normen
§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 6 FGO, § 119 Nr 6 FGO, § 10d Abs 1 S 3 EStG 2009, § 10d Abs 4 S 1 EStG 2009, § 177 Abs 1 AO, EStG VZ 2010
Vorinstanz
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 30. März 2016, Az: 4 K 238/15, Urteil
nachgehend BFH, 25. Juni 2019, Az: X B 96/18, Beschluss
Leitsatz
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NV: Unabhängig von dem Änderungsrahmen des § 177 Abs. 1 AO ist über die Höhe des Verlustrücktragsvolumens im Rücktragsjahr zu entscheiden .
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 30. März 2016 4 K 238/15 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Niedersächsische Finanzgericht zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erzielte im Streitjahr 2010 gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Zimmerei. Da er seine Einkommensteuererklärung zunächst nicht einreichte, schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Besteuerungsgrundlagen. Diese Einkommensteuerfestsetzung wurde bestandskräftig.
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Aufgrund eines Verlustrücktrags aus dem Jahr 2011 in das Streitjahr in Höhe von 17.047 € setzte das FA die Einkommensteuer im Änderungsbescheid vom 14. April 2014 auf 1.780 € herab.
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Nach einer steuerlichen Außenprüfung verringerte das FA den Verlustrücktrag auf 9.659 € und erhöhte die Einkommensteuerfestsetzung auf 3.882 €. Im sich hieran anschließenden Einspruchsverfahren reichte der Kläger seine Einkommensteuererklärung nach und begehrte die Berücksichtigung des dort angegebenen Gewinns sowie der von ihm erklärten Vorsorgeaufwendungen. Außerdem verlangte er die Berücksichtigung des Verlustrücktrags aus dem Jahr 2011 in der ursprünglichen Höhe.
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Das FA berücksichtigte in seiner Entscheidung zwar die erklärten Vorsorgeaufwendungen. Es erhöhte den Gewinn jedoch um den von ihm für die Jahre 2011 bis 2013 festgestellten durchschnittlichen Kassenfehlbetrag. Einen erhöhten Verlustrücktrag aus dem Jahr 2011 lehnte das FA aufgrund der sich aus dieser Gewinnerhöhung ergebenden beschränkten Anfechtbarkeit nach § 351 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) ab. Denn eine niedrigere Einkommensteuer als die im Änderungsbescheid vom 14. April 2014 (1.780 €) dürfe nicht festgesetzt werden.
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Mit seiner Klage wandte sich der Kläger gegen die Erhöhung des Gewinns aus Gewerbebetrieb um den geschätzten Kassenfehlbetrag. Daneben begehrte er (weiterhin) die Berücksichtigung eines erhöhten Verlustrücktrags.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Eine Herabsetzung der Einkommensteuer unter den Betrag von 1.780 € sei aufgrund der Anfechtungsbeschränkung des § 351 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 42 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht möglich. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Änderungsvorschrift des § 10d Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Auf die Zuschätzung in Höhe des durchschnittlichen Kassenfehlbetrags der Jahre 2011 bis 2013 ging das FG in den Entscheidungsgründen nicht ein.
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Der Kläger rügt zum einen, das FG habe fehlerhaft das Klageverfahren nicht bis zur Entscheidung über die Höhe des gewerblichen Verlusts im Einspruchsverfahren gegen die Einkommensteuerfestsetzung 2011 ausgesetzt. Zum anderen sei das FG-Urteil nicht mit Gründen versehen. Denn das FG habe sich zur Höhe der Gewinnschätzung nicht geäußert, obwohl dies Klagegegenstand gewesen sei.
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Das FA tritt der Beschwerde entgegen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
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1. Nach § 116 Abs. 6 FGO kann der Bundesfinanzhof (BFH) das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vorliegen. Ein Verfahrensfehler im Sinne der letztgenannten Vorschrift liegt vor, wenn das Urteil "nicht mit Gründen versehen ist" (§ 119 Nr. 6 FGO). Dies ist hier der Fall.
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a) Der Verfahrensmangel nach § 119 Nr. 6 FGO liegt nur vor, wenn die Urteilsgründe ganz oder zum Teil fehlen und sie den Prozessbeteiligten keine Kenntnis darüber vermitteln, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Überlegungen das Urteil beruht. Dies erfordert nicht, dass jedes Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen erörtert werden müsste; vielmehr liegt dieser Verfahrensmangel erst dann vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Dagegen ist ein dahingehender Verfahrensmangel nicht gegeben, wenn noch zu erkennen ist, welche Überlegungen für das Gericht maßgeblich waren (BFH-Urteil vom 18. August 2016 VI R 18/13, BFHE 255, 58, Rz 12, m.w.N.). Anerkannt ist, dass das FG auf andere eigene Entscheidungen Bezug nehmen darf (BFH-Beschluss vom 23. Oktober 2015 IX B 92/15, BFH/NV 2016, 217, Rz 7). Dies ist der Fall, wenn beide Entscheidungen zwischen den Beteiligten ergangen, gleichzeitig verkündet und am gleichen Tag zugestellt worden sind (BFH-Urteil vom 10. April 1984 VIII R 229/83, BFHE 141, 113, BStBl II 1984, 591, m.w.N.). Auch eine Bezugnahme des FG in seinem Urteil auf die Einspruchsentscheidung des FA nach § 105 Abs. 5 FGO ist möglich und ausreichend, wenn das FA in dieser Entscheidung bereits zu allen vom Kläger im Klageverfahren vorgebrachten entscheidungserheblichen Einwendungen Stellung genommen hat (Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2015 X B 116/15, BFH/NV 2016, 216, Rz 5).
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b) Ausweislich des Tatbestands des FG-Urteils (dort S. 2) hat sich der Kläger neben der Berücksichtigung eines Verlustrücktrags aus dem Jahr 2011 in einer solchen Höhe, dass sich eine Einkommensteuerfestsetzung auf 0 € ergebe, auch (ausdrücklich) gegen die Erhöhung des Gewinns aus Gewerbebetrieb um den hinzugeschätzten Kassenfehlbetrag gewandt. Zu diesem Klagegegenstand schweigt das FG-Urteil. Soweit es auf den Verlustrücktrag aus dem Jahr 2011 eingeht, erläutert das FG nur, warum § 10d Abs. 1 Satz 3 EStG einen höheren Verlustrücktrag, wie vom Kläger begehrt, hier nicht möglich mache und verweist insoweit auf den Änderungsrahmen nach § 177 Abs. 1 AO. Bezugnahmen auf andere FG-Entscheidungen zwischen den Beteiligten oder die Einspruchsentscheidung hinsichtlich der Höhe der Kassendifferenzen in den Folgejahren enthält das FG-Urteil nicht.
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c) Ein Eingehen auf die Höhe der Gewinnschätzung im Streitjahr wäre aber erforderlich gewesen, um dem Kläger so nicht nur die Möglichkeit zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Hinzuschätzung zu geben, sondern es ihm auch zu ermöglichen das Volumen seines Verlustrücktrags zu bestimmen. Denn anders als im Fall eines Verlustvortrags wird über den nach § 10d Abs. 1 EStG als Verlustrücktrag abgezogenen Betrag nicht im Feststellungsverfahren nach § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG entschieden, das (erstmals) im Jahr der Verlustentstehung durchzuführen ist, sondern im Rahmen der Entscheidung zur Höhe des Gesamtbetrags der Einkünfte des Rücktragsjahres.
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Eine Entscheidung im Verlustrücktragsjahr über die nach § 10d Abs. 1 EStG als Verlustrücktrag "abgezogenen ... Beträge" als Grundlage der Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs im Verlustentstehungsjahr gemäß § 10d Abs. 4 EStG setzt eine Entscheidung zur Höhe des Gesamtbetrags der Einkünfte des Rücktragsjahres voraus. Diese Größe bestimmt einerseits das Maximalvolumen für den Verlustrücktrag, ist andererseits aber zugleich Grundlage für die Ausübung des den Feststellungsbescheid des Verlustentstehungsjahres betreffenden Antrags gemäß § 10d Abs. 1 Satz 5 EStG, vom Verlustrücktrag im konkreten Streitfall (teilweise) abzusehen. Diese Entscheidung, die aus dem Verlustfeststellungsbescheid des Verlustentstehungsjahres nicht abzuleiten ist und --umgekehrt-- auch nicht selbst mit Grundlagenwirkung i.S. des § 171 Abs. 10 AO für diesen Feststellungsbescheid des Verlustentstehungsjahres ausgestattet ist, begründet eine Beschwer des Steuerpflichtigen. Denn im Rücktragsjahr ist nicht über die Höhe des (hier: in 2011) entstandenen Verlusts, sondern verbindlich darüber zu entscheiden, in welcher Höhe mit Blick auf die in diesem Veranlagungszeitraum verwirklichten Besteuerungsmerkmale ein Verlustrücktrag in Betracht kommt; diese Entscheidung über die Höhe der "abgezogenen ... Beträge" geht als Berechnungsgrundlage in den Feststellungsbescheid des Verlustentstehungsjahres ein, ohne dort selbständig anfechtbare Besteuerungsgrundlage zu sein (so ausdrücklich auch BFH-Urteil vom 11. November 2014 I R 51/13, BFH/NV 2015, 305, Rz 14, m.w.N.).
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Vorliegend war also im Rahmen der streitigen Einkommensteuerfestsetzung über die Höhe des Verlustrücktrags zu entscheiden. Eine solche Entscheidung setzte voraus, dass sich das FG über die Höhe des Gesamtbetrags der Einkünfte Klarheit verschaffte. Insoweit musste es über die Höhe der Gewinnschätzung entscheiden, unabhängig von dem Änderungsrahmen des § 177 Abs. 1 AO. Dies musste das FG in den Entscheidungsgründen den Beteiligten darlegen und erläutern. Da solches hier nicht geschah, ist das FG-Urteil insoweit ohne Gründe i.S. des § 119 Nr. 6 FGO.
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2. Der Senat hält es für sachgerecht, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Über die Frage, inwieweit das FG das Verfahren bis zur Entscheidung über das Einspruchsverfahren gegen die Einkommensteuerfestsetzung des Veranlagungszeitraums 2011 nach § 74 FGO aussetzen musste, ist im vorliegenden Verfahren deshalb nicht mehr zu entscheiden.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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