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BFH 19.01.2017 - IV B 84/16
BFH 19.01.2017 - IV B 84/16 - Antrag auf Akteneinsicht durch Berufsträger ohne Vorlage einer Originalvollmacht
Normen
§ 62 Abs 2 FGO, § 62 Abs 6 FGO, § 78 FGO, § 132 FGO, § 572 Abs 3 ZPO, § 5 AO
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 30. September 2016, Az: 6 K 734/16, Beschluss
Leitsatz
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1. NV: Begehrt eine in § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO bezeichnete Person oder Gesellschaft als Bevollmächtigte des Klägers Akteneinsicht, ohne zugleich eine schriftliche Vollmacht vorzulegen, hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die Gewährung der Akteneinsicht von der Vorlage einer Vollmacht abhängig gemacht wird.
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2. NV: In der Weigerung zur Vorlage der Vollmacht nach § 62 Abs. 6 Satz 1 FGO kann ein Indiz für das Fehlen der Bevollmächtigung zu sehen sein. Dies ist jedoch im Rahmen der Gesamtumstände zu würdigen und darf nicht in jedem Fall die Annahme fehlender Bevollmächtigung rechtfertigen.
Tenor
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Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 30. September 2016 6 K 734/16 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Finanzgericht des Landes Sachsen Anhalt zurückverwiesen.
Tatbestand
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I. Die Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die gegen Bescheide über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlusts gemäß § 15a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes für 2008 und 2011 vertreten durch ihre persönlich haftende Gesellschafterin, die A-GmbH, diese vertreten durch die einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführerin B, Klage erhoben hat. Die Klage wurde durch am 27. Juli 2016 per Telefax beim Finanzgericht (FG) eingegangenen Schriftsatz der C-Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, diese vertreten durch Steuerberater D als deren Geschäftsführer, eingelegt. Mit der Klageschrift wurde zugleich ein Antrag auf Akteneinsicht gestellt.
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Bestandteil des Telefax war eine von der Klägerin auf die Rechtsanwaltsgesellschaft ausgestellte Vollmachtsurkunde für eine Klage gegen die Einspruchsentscheidungen zu den genannten Feststellungsbescheiden. Die Urkunde trägt das Datum vom 26. Juli 2016 und enthält eine Unterschrift, die als solche der B bezeichnet ist. Dem Telefax beigefügt waren ebenfalls die Einspruchsentscheidungen und Feststellungsbescheide, die jeweils an D als Vertreter der Klägerin adressiert sind. D ist zugleich einziger Kommanditist der Klägerin.
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Mit am 3. August 2016 abgesandtem Schreiben forderte das FG die Rechtsanwaltsgesellschaft unter Hinweis auf § 62 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf, die Vertretungsmacht der Geschäftsführung nachzuweisen und die Vollmacht im Original nachzureichen. Per Telefax vom 31. August 2016 legte die Rechtsanwaltsgesellschaft einen Nachweis des Handelsregisters über die am ... Juli 2014 vorgenommene Eintragung des Eintritts der A-GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin der Klägerin und das gleichzeitige Ausscheiden der vormaligen persönlich haftenden Gesellschafterin vor. Zugleich wurde der Antrag auf Akteneinsicht wiederholt und darauf hingewiesen, dass die Vorlage der Vollmacht im Original nach einem Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. Juli 2016 XI B 63/15 nicht erforderlich sei.
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Der Berichterstatter des FG richtete daraufhin ein Schreiben vom 9. September 2016 an die Rechtsanwaltsgesellschaft, in dem er um Vorlage eines Registerauszugs der Komplementärin ersuchte, weil sich aus dem vorgelegten Registerauszug die Vertretungsberechtigung der B nicht ergebe. Des Weiteren werde nochmals um Vorlage der Vollmacht im Original ersucht. Wegen der besonderen Gefahr der Verletzung des Steuergeheimnisses durch Einsichtnahme in die Akten übe das Gericht trotz der gesetzlichen Erleichterung des Vollmachtnachweises für Berufsträger sein Ermessen dahingehend aus, dass es Akteneinsicht nur gegen Vorlage einer Originalvollmacht gewähre.
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Die Rechtsanwaltsgesellschaft lehnte die Vorlage der Originalvollmacht mit Telefax vom 23. September 2016 unter Hinweis auf § 62 Abs. 6 Satz 4 FGO ab. Außerdem komme die Verletzung des Steuergeheimnisses schon deshalb nicht in Betracht, weil der Unterzeichner selbst Gesellschafter der Klägerin sei.
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Mit Beschluss vom 30. September 2016 6 K 734/16 lehnte der Senat des FG den Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht wegen Nichtvorlage der Originalvollmacht ab. Die Anforderung der Vollmacht stehe im Ermessen des Gerichts, das bei seiner Ausübung zwischen dem Vereinfachungszweck des § 62 Abs. 6 Satz 4 FGO und der Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses abzuwägen habe. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die "denkbar gravierendste Verletzung des Steuergeheimnisses" durch die Akteneinsicht eines nicht legitimierten Bevollmächtigten eintreten könne. Diese Gefahr sei hier wegen des umfangreich geltend gemachten Einsichtsrechts besonders bedeutend. Die Anforderung einer schriftlichen Prozessvollmacht sei dann ermessensgerecht, wenn besondere Anhaltspunkte darauf schließen ließen, dass die Person nicht wirksam bevollmächtigt sei, z.B. wenn trotz mehrfacher Aufforderung keine Originalurkunde vorgelegt wurde, oder im Hinblick auf eine unsachgemäße Prozessführung. Hier sei neben der beharrlichen Weigerung zur Vorlage der Vollmacht der inhaltlich über die Aufzählung in § 78 FGO hinausgehende Akteneinsichtsantrag sowie der Umstand zu berücksichtigen, dass zugleich ein vorsorglicher Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgelds gegenüber dem Beklagten (Finanzamt --FA--) gestellt worden sei. Die Wahrung des Steuergeheimnisses sei ungeachtet der Gesellschafterstellung des D gefährdet, weil der Rechtsanwaltsgesellschaft noch andere Personen angehörten. Die Vollmacht sei durch das Telefax nicht nachgewiesen, weil der Nachweis nur durch die Vorlage der Originalurkunde geführt werden könne.
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Gegen den der Rechtsanwaltsgesellschaft am 12. Oktober 2016 zugestellten Beschluss hat diese namens der Klägerin am 21. Oktober 2016 beim FG Beschwerde eingelegt, der das FG nicht abgeholfen hat.
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Die Klägerin macht geltend, das FG lege § 62 FGO unzutreffend aus und verletze dabei das Recht auf Gehör nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes. Der Nachweis der Bevollmächtigung dürfe von einer Person i.S. des § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO weder grundsätzlich noch im hiesigen Einzelfall verlangt werden. Außerdem sei der Nachweis durch die Übermittlung per Telefax geführt.
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Die Klägerin beantragt, ihrer Bevollmächtigten Akteneinsicht vollständig durch Übersendung der mit Klageantrag angeforderten Akten an das Amtsgericht E zu gewähren.
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Das FA hat sich zu dem Antrag nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Beschlusses vom 30. September 2016 und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das FG zur erneuten Bescheidung des Antrags auf Akteneinsicht.
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1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft sowie frist- und formgerecht nach den Anforderungen des § 129 FGO eingelegt worden.
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2. Die Beschwerde ist auch begründet. Das FG hat die Gewährung von Akteneinsicht zu Unrecht davon abhängig gemacht, dass die Bevollmächtigung der C-Rechtsanwaltsgesellschaft mbH durch Vorlage eines Originaldokuments zu den Gerichtsakten nachgewiesen wird.
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a) Nach § 78 Abs. 1 FGO können die Beteiligten die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen. Dabei handelt es sich um ein Recht der in § 57 FGO als Beteiligte genannten Personen, das diese auch durch ihre Bevollmächtigten i.S. des § 62 Abs. 2 FGO ausüben lassen können. Dem Bevollmächtigten ist in gleicher Weise Akteneinsicht zu gewähren, wie sie der Beteiligte beanspruchen kann.
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Macht eine Person geltend, als Bevollmächtigter Einsicht in die Akten zu erhalten, darf die Akteneinsicht nur gewährt werden, wenn das Gericht von einer Bevollmächtigung ausgehen kann. Daran kann kein Zweifel bestehen, wenn die Vollmacht nach § 62 Abs. 6 Satz 1 FGO schriftlich zu den Gerichtsakten gereicht worden ist. Den Mangel der so erteilten Vollmacht hat das Gericht grundsätzlich von Amts wegen zu berücksichtigen, mit der Folge, dass eine Akteneinsicht abzulehnen ist (§ 62 Abs. 6 Satz 4 Halbsatz 1 FGO). Diese Regelung gilt nach § 62 Abs. 6 Satz 4 Halbsatz 2 FGO jedoch nicht, wenn als Bevollmächtigter eine in § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO bezeichnete Person oder Gesellschaft auftritt. Das Fehlen der Prozessvollmacht ist gleichwohl nicht unbeachtlich. Vielmehr ist in einem solchen Fall nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob die Vorlage einer Vollmacht für notwendig erachtet wird oder nicht (BFH-Beschlüsse vom 11. November 2009 I B 152/09, BFH/NV 2010, 449; vom 13. Dezember 2011 X B 109/11). Im Verhältnis zu einer der in § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO genannten Personen ist die Anforderung einer schriftlichen Prozessvollmacht ermessensgerecht, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese Person tatsächlich nicht oder nicht wirksam bevollmächtigt ist (BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 449, und BFH-Urteil vom 11. Februar 2003 VII R 18/02, BFHE 201, 409, BStBl II 2003, 606).
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b) Nach Auffassung des beschließenden Senats, der im Rahmen des Beschwerdeverfahrens als Tatsachengericht eigenes Ermessen auszuüben hat (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 17. März 2008 IV B 100, 101/07, BFH/NV 2008, 1177, unter II.2.a), ist das Verlangen des schriftlichen Nachweises der Vollmacht durch Vorlage des Originals der Vollmachturkunde nicht ermessensgerecht. Entgegen der Auffassung des FG liegen im Streitfall keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die die Akteneinsicht beantragende Rechtsanwaltsgesellschaft nicht oder nicht wirksam bevollmächtigt ist. Im Gegenteil gibt es Anhaltspunkte, die für das Bestehen einer Bevollmächtigung sprechen. Einen solchen Anhaltspunkt bietet in erster Linie die per Telefax übermittelte Urkunde einer konkret auf das hiesige Klageverfahren bezogenen Prozessvollmacht, die eine handschriftliche Unterschrift trägt, welche als solche der vertretungsbefugten Geschäftsführerin der Komplementär-GmbH der Klägerin erscheint. Darüber hinaus spricht für das Bestehen der Bevollmächtigung, dass dem Geschäftsführer der Rechtsanwaltsgesellschaft die angefochtenen Bescheide sowie die Einspruchsentscheidungen als Vertreter der Klägerin bekanntgegeben sind. Verstärkt wird der Eindruck bestehender Bevollmächtigung auch dadurch, dass der Geschäftsführer der Rechtsanwaltsgesellschaft zugleich einziger Kommanditist der Klägerin ist.
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Gegen eine Bevollmächtigung spricht demgegenüber nicht, wenn der Antrag auf Akteneinsicht über den von § 78 FGO geregelten Anspruch hinausgehen und mit anderen Anträgen verbunden sein sollte, über deren Rechtsgrundlage Zweifel bestehen können. Ob und inwieweit solche Ansprüche bestehen, ist eine Frage der Zulässigkeit und Begründetheit des Antrags. In der Weigerung zur Vorlage der Vollmacht nach § 62 Abs. 6 Satz 1 FGO kann zwar ein Indiz für das Fehlen der Bevollmächtigung zu sehen sein. Dies ist jedoch im Rahmen der Gesamtumstände zu würdigen und darf nicht in jedem Fall die Annahme fehlender Bevollmächtigung rechtfertigen. Anderenfalls könnte sich niemand mit Erfolg auf die Regelung in § 62 Abs. 6 Satz 4 Halbsatz 2 FGO berufen; das Gericht könnte die Vorschrift faktisch leerlaufen lassen.
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c) Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob die Übermittlung einer Vollmachtsurkunde per Telefax des Bevollmächtigten die Voraussetzungen der schriftlichen Einreichung der Vollmacht nach § 62 Abs. 6 Satz 1 FGO erfüllt.
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3. Der Senat hebt im Rahmen seiner Entscheidung über die Beschwerde nach § 132 FGO den Beschluss über die Ablehnung der Akteneinsicht auf. Der Prozessbevollmächtigten ist hier Akteneinsicht auch ohne die Vorlage einer Originalvollmacht zu erteilen. Dem beschließenden Senat ist aber eine eigene Entscheidung über die Begründetheit (Umfang) der zu gewährenden Akteneinsicht verwehrt, weil ihm die vom FA zu den Gerichtsakten des FG übersandten Verwaltungsakten nicht vorliegen. Er macht deshalb von der Möglichkeit Gebrauch, das Verfahren zur weiteren Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 155 FGO i.V.m. § 572 Abs. 3 der Zivilprozessordnung).
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4. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Das Verfahren über die Gewährung von Akteneinsicht ist ein unselbständiges Nebenverfahren. Wird erfolgreich Beschwerde eingelegt, gehen die Kosten in die Gesamtkosten des Hauptverfahrens ein, über die nach § 143 Abs. 1 FGO in der verfahrensabschließenden Entscheidung zu befinden ist (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 1177, unter II.3.).
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